Sturms erster Norweger – Thomas Gill
Als am 4. November 1995 in einer restlos ausverkauften Gruabn GAK-Stürmer Mucki Wieger Sturms Torhüter Roland Goriupp im vollen Lauf niederstreckte, gingen nach einem Derby wieder einmal die Wogen hoch. Die verlorenen Zähler im Titelkampf? Nebensache! Roman Mählich wollte den Übeltäter nach dem Spiel in der Gemeinschaftsdusche gar an den Kragen, Ivica Osim musste schlichten, um Handgreiflichkeiten zu unterbinden. Doch selbst der sonst so ruhige Sturm-Coach war an diesem Tag aufgebracht, fragte sich, „ob man da zusehen muss, wenn einer ohne jede Chance auf den Ball hintritt“.

Roland Goriupp (c) Privat
Zu diesem Zeitpunkt war Goriupp schon auf dem Weg ins Spital. Selbst der Schienbeindeckel aus Hartplastik war gebrochen, ebenso das Schienbein selbst. Nur zehn Monate nach einem Kniescheibenbruch war Sturms Rückhalt erneut ans Krankenbett gefesselt. Während Manager Heinz Schilcher für Wieger gar eine Sperre von zwei Jahren forderte, besuchte der Übeltäter den Goalie am nächsten Tag und wurde nicht müde zu betonen, er habe nicht mit Absicht gehandelt. Was Goriupp (ein Knochen war da bereits mit einem Nagel fixiert) ihm auch abnahm, Wieger aber unprofessionelles Verhalten vorwarf.
Die restlichen drei Meisterschaftsspiele im Herbst bekam Ersatzgoalie Heinz Arzberger eine Chance, blieb dabei (etwa auch beim stürmischen 2:0-Auswärtssieg in Hütteldorf) ohne Niederlage. Im Wintertrainingslager auf Gran Canaria wurde der Kärntner Torhüter dann gar zum Helden: Im Finale des Maspalomas-Cup gegen Bayer Leverkusen gelang es ihm im Penaltyschießen drei Elfmeter zu parieren, Sturm trat mit einem 100 Kilogramm schweren Monsterpokal den Heimflug an.

Ersatztorhüter Heinz Arzberger hielt zumeist den Kasten rein (c) Privat
Doch kaum in Graz gelandet plagte Arzberger ein Bluterguss im Becken und Sturm nun ein echtes Torhüterproblem. Der einzige Schlussmann der noch zur Verfügung stand, Karl Schalk, musste vom SV Wildon zurückbeordert werden. So glühten die Drähte, hatte das Duo Kartnig/Schilcher wieder Schwerstarbeit und eine riesen Kandidatenliste abzuarbeiten. Zunächst sagte Tottenhams norwegischer Teamgoalie Erik Thorstvedt ab (er war Wunschkandidat Nummer 1), die Deutschen Junghans, Aumann, Reck und der niederländische Kultgoalie Stanley Menzo waren aber weiterhin im Rennen um den schwarz-weißten Torhüterpullover. Letztendlich landete am Deadline-Day (der damals noch nicht so hieß) dann aber ein ganz Anderer in Wien-Schwechat: Thomas Gill, Norwegens Nummer 3, mit Aalborg BK im Herbst noch in der Champions-League, doch mit seinem Trainer Sepp Piontek schwerstens verkracht. Auch wenn der Transfer erst auf der Autofahrt nach Graz endgültig unter Dach und Fach gebracht werden konnte.

Die beiden Zugänge im Frühjahr 1996: Thomas Gill und Marek Swierczewski (c) Privat
Sein erstes Bundesliga-Spiel absolvierte Thomas Gill am 13. März 1996, als man die SV Ried zu Hause mit 3:1 besiegte, danach gewann man auswärts wie immer bei der Austria, in der Gruabn gegen die Admira und entführte nach einer mehr als fünfjährigen Dürrezeit endlich wieder einmal die vollen Punkte aus Salzburg-Lehen. Osim lobte den norwegischen Torhüter dezidiert ob seiner Umsicht und Ruhe. Am 31. März 1996 war der FC Tirol zu Gast in Graz und Gill – der nie als Trainingsweltmeister galt – patzte das erste Mal: In der 12. Minute zirkulierte der Ball in der Grazer Abwehr, wird dann zum Torhüter zurückgespielt, doch der Norweger servierte die Kugel Thomas Janeschitz, der nur noch für Jerzy Brzeczek aufrollen musste. Es blieb der einzige Treffer an diesem Tag. Eine Woche später verliert man auch beim LASK, es folgt ein 1:0-Heimsieg gegen Rapid und Sturm lachte danach doch wieder von der Tabellenspitze. Um diese nach einer 0:1-Derbyniederlage (Gill konnte vor dem Goldtor einen Ramusch-Weitschuss nur wegfausten) gleich wieder abzugeben. Letztendlich wurde es auch 1995/1996 nichts mit dem Meistertitel, auch wenn der meist mürrisch dreinblickende Torhüter ohne weitere Fehler blieb und er sich beim Titelfinale im Ernst-Happel-Stadion (unvergessen als er einen 70-Meter-Weitschuss von Trifon Ivanov noch gerade so zur Ecke lenkte) gegen die 2:0-Niederlage stemmte. Eine Woche später durfte er mit den Blackys aber seinen einzigen und den ersten Titel in der Sturm-Klubgeschichte einfahren. Die Admira wurde im Cupfinale mit 3:1 besiegt, auch weil Gill bereits in Minute 7 eine Riesenchance von Christian Mayrleb entschärfen konnte.
Mit diesem Titel auf der Habenseite war für Gill allerdings bereits nach einem halben Jahr in Graz wieder Schluss. Innerhalb der Mannschaft hatte er den Ruf eines „Eigenbrödlers“, der gerne am liebsten alleine trainiert hätte. Als seinen Nachfolger vermeldete der SK Sturm ausgerechnet Gills „Vorgesetzten“ im Nationalteam, Frode Grodås. Doch den 50-fachen Teamtorhüter von Lillestrøm ereilte dann noch ein besseres Angebot des FC Chelsea, die Torhüterfrage hatte im Schatten der Aufregung um den Wetl-Abgang und der Giannini-Verpflichtung daraufhin nicht mehr oberste Priorität. Roland Goriupp erhielt für die die Saison 96/97 (vorerst) wieder das volle Vertrauen. Ein Norweger musste es zu dieser Zeit dann aber doch sein: Als Libero-Ersatz für den schmollenden Andrey Chernyshov wurde Pal Lydersen – vormals bei Arsenal unter Vertrag – verpflichtet. Gill hatte da schon in der Deutschen Bundesliga beim MSV Duisburg angedockt und avancierte an der Wedau bis zum Winter 1998 zur klaren Nummer 1. Zwei Jahre nach dem Triumph im Prater gelang es ihm auch mit den Zebras in ein Pokalfinale einzuziehen, wo er sich mit seinem Team jedoch dem FC Bayern mit 1:2 geschlagen geben musste. Zudem debütierte Gill am 22.1.1997 gegen Neuseeland im norwegischen Nationalteam. Für die Weltmeisterschaft 1998 qualifizierte er sich zwar für das Panini-Album (siehe Foto) jedoch nicht für den endgültigen Kader. Im Jänner 1999 wechselte er zum FC Kopenhagen, wo er einen Drei-Jahres-Vertrag unterzeichnete. Ein Desaster. Nach nur drei Monaten erklärten beide Parteien den Kontrakt für hinfällig. Danach blieb Gill auf vielen weiteren Stationen nur noch die Rolle des Ersatztorhüters: Egal ob bei Ayr United in Schottland oder in seiner Heimat bei Fredrikstad, Valerenga oder bei Strømsgodset IF. Beim letztgenannten Klub (jener Verein, in dem aktuell noch ein gewisser Tobias Fjeld Gulliksen unter Vertrag steht) absolvierte er sein letztes Pflichtspiel, um dann bereits 40-jährig seinen Rücktritt zu verkünden. Danach blieb der ausgebildete Lehrer seiner Heimat treu und arbeitete bei mehreren Klubs – zuletzt bei Arendal Fotball in der dritthöchsten, norwegischen Leistungsklasse – als Torwarttrainer. Dass er Sturm trotzdem nicht völlig vergessen hatte, bewies Gill – er, der Cupsieger aus dem Jahr 1996 – als er mittels Videobotschaft den Blackys vor dem Pokalfinale 2018 viel Erfolg wünschte.

Torwarttrainer in Lillestrøm, 2018 (c) LSK
Dankeschön. Diese Serie ist wirklich toll und ich lese jeden Teil wirklich gerne.
Zu Goriupp muss ich sagen: Ich war damals als junger Bub in der Gruabn. Ich sehe heute noch vor dem geistigen Auge das Foul von Wieger und höre dann immer noch das Brechen des Schienbeines! Aua!
Thomas Gill blieb für mich ohne bleibenden Eindruck irgendwie … gleich wie Lydersen, der ja auch recht flott wieder weg war …
Nach meiner Erinnerung war der Lydersen ein echt guter Kicker, aber die Zeit war schwierig – Gill für mich damals eher ein Eiergoali..
Den hatte ich gar nicht mehr am Radar. Danke. Schöne Serie.
Er erinnert mich auch irgendwie an Klaus Kinski …
Jeder der damals in der Gruabn war, hat glaub ich noch diesen Kracher beim Zusammenprall zwischen dem unsäglichen Roten und Roli Goriupp im Ohr.
Daran erinnere ich mich ungern.
An alles andere schon. Danke für eine lang schon erwartete Fortsetzung dieser tollen Serie.
Gill im Streit mit einem jungen Kartnig im Trainingslager im Jungel… ähm natürlich im Burgenland 😉