Chernyshov: „Osim war der beste Trainer in meiner Karriere“
Er spielte bei allen drei großen Moskauer Vereinen, zudem für drei verschiedene Verbände (Sowjetunion, GUS und Russland) im Nationalteam und nahm 1992 an der Europameisterschafts-Endrunde in Schweden teil. Im Jänner 1995 wechselte der Russe Andrey Chernyshow in die Steiermark, verlieh den „Jungen Wilden“ in der Defensive Stabilität und hält noch heute einen – wohl für die Ewigkeit bestehenden – Klubrekord. Immer noch ranken sich einige Mythen um den „Langen Russen“, SturmNetz hat ihn nun zum Interview gebeten:
Andrey, wie kam es Mitte der 90er-Jahre überhaupt erst dazu, dass ein Spieler mit deiner Vita beim damals zwar bereits aufstrebenden, aber immer noch international unbekanntem, SK Sturm anheuerte?
Naja, ich hatte in Russland alles erreicht was man erreichen konnte, jeden Titel teilweise bereits mehrfach geholt. Ich war 26 und schon lange auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Für mich war immer klar, dass ich irgendwann ins Ausland möchte. Schon nach der Europameisterschaft in Schweden gab es immer wieder Anfragen. Es gab Angebote aus Deutschland, England und Italien, aber irgendwie ging am Ende immer irgendetwas schief. Im Dezember 1994 kam dann das Angebot aus Graz – und ich muss sagen, es war ein richtig Gutes. Alles ging dann relativ schnell, Anfang Jänner war der Kontrakt unterzeichnet und ich Sturmspieler.
Kannst du dich noch an deine ersten Eindrücke von damals erinnern?
Natürlich. Ich bin von Moskau kommend in Wien gelandet und jemand wartete dort, um mich nach Graz zu bringen. Ich weiß noch ganz genau, dass ich sehr beeindruckt über die gut ausgebaute Autobahn war. Auch über das komfortable Auto, mit dem mich Sturm nach Graz bringen ließ. Hier angekommen, nahm ich sofort an einem Hallenturnier teil. Die Tribünen waren voll, die Stimmung gut und wir konnten diesen Bewerb dank eines Finalsieges gegen Dynamo Kiew auch noch gewinnen. Erst bei der Pokalübergabe war ich dann wirklich angekommen. Die gesamte Mannschaft ist an diesem Abend in die Innenstadt gezogen und ich war auf den ersten Blick in Graz verliebt.

Chernyshov (oben, Mitte) bei einem seiner 18 Länderspiele für die – damals noch – Sowjetunion (c) WC/Arthur99
Am 5. März 1995 hast du dann mit Sturm bei einem 1:0-Sieg gegen den VfB Mödling in der österreichischen Bundesliga debütiert. Bislang kanntest du ja von deinen Heimspielen nur die zumeist halbleeren Moskauer 100.000-Mann-Betonblöcke, nun war die damals schon anachronistische, aber doch so legendäre, Gruabn deine sportliche Heimat.
Ich muss zugeben, als ich das Stadion das erste Mal zu Gesicht bekam, war ich schon sehr überrascht. Ich dachte mir, das ist doch viel zu klein für Erstligafußball. Wie du richtig sagtest, kannte ich aus meiner Heimat nur diese Riesenbauten. Als ich dann aber bei meinem Debüt das erste Mal in der Gruabn die Stiege runterlief, spürte ich sofort: Dieses Stadion hatte eine irrsinnige Seele. Die Ränge waren voll, die Stimmung fantastisch. Ich nenne es „Atmosphäre pur“.
Sportlich lief es ja auch gleich von Beginn an sensationell: Du hast Sturms Defensive eine unglaubliche Stabilität verliehen, so ging mit dir als Libero keines deiner ersten 19 Pflichtspiele verloren. Wohl ein Klub-Rekord für die Ewigkeit.
Als ich im Winter kam, lag Sturm auf dem siebenten Tabellenplatz. Am Ende der Saison waren wir punktegleich mit Meister Salzburg auf Platz 2. Ich denke, ich war genau die Steuerschraube, die griff, damit das Werkl begann als Ganzes rund zu laufen. Und: Die Mannschaft hat mich von Beginn weg akzeptiert und auch ich hatte großen Respekt vor diesem Team. Wir waren eine echte Einheit. Ich bin mir sicher, das ist immer der entscheidende Punkt, um überhaupt solche Leistungen abliefern zu können.
Bei der Europameisterschaft 1992 hast du ja alle Spiele für die GUS (Anm: Gemeinschaft Unabhängiger Staaten – Zusammenschluss einiger Nachfolgestaaten der Sowjetunion) bestritten. Bei jener Endrunde, an der dein Trainer in Graz, Ivica Osim, mit Jugoslawien aufgrund der Kriegswirren am Balkan nicht mehr teilnehmen durfte. Hast du dich mit Osim jemals über diese Europameisterschaft unterhalten?
Nein, überhaupt nie. Wahrscheinlich wollte er darüber gar nicht sprechen. Das wäre absolut verständlich. Ansonsten konnte man sich mit ihm wirklich über alles unterhalten. So wollte er beispielsweise alles über Walerij Lobanowskyi (Anm: Zwischen 1975 und 1990 der letzte UdSSR-Nationalteamtrainer) von mir wissen. Osim war fasziniert von diesem Mann. Er hielt ihn für einen ganz Großen. Ich muss aber eines sagen: Ich hatte zeit meiner langen Karriere so viele großartige Trainer. Sowohl in Russland als auch im Ausland. Osim war der Allerbeste. Über seine sportlichen Qualitäten brauchen wir gar nicht erst lange reden. Was mich aber noch mehr beeindruckte, waren seine Qualitäten als Mensch. Er konnte Arbeit und Privates sehr gut trennen. Am Platz war er ein sehr starker, manchmal auch lauter, Charakter. Abseits davon, ein sehr ruhiger, intelligenter Mann, bei dem man immer Gehör fand.
Laut war der damalige Präsident auch.
Hannes Kartnig! Selbstverständlich erinnere ich mich an ihn. Den konnte ich wirklich gut leiden. Er war ein wesentlicher Baumeister dieser jungen Mannschaft. Kartnig hat damals viel riskiert, hat massig Geld in den Klub gepumpt und sein ganzes Herzblut für Sturm Graz gegeben. Als Spieler vermittelte er einem stets das Gefühl, wie wichtig man für den Verein ist. Ich verrate dir jetzt etwas: 2006 wollte mich Kartnig zurück nach Graz holen und hat mir das Angebot unterbreitet, den Trainerposten bei Sturm anzunehmen.
Warum hat es nicht geklappt?
Ich war noch keine 40. Also noch ein junger Trainer. Ich war zuvor gerade bei Dinamo Tiflis beschäftigt und habe es dann leider Gottes vorgezogen meine Trainerkarriere in Weissrussland fortzusetzen.
Kommen wir zurück zu deiner Zeit als Sturmspieler. Eine Phase, in der das junge Team mit attraktivem Fußball glänzte, man jedoch zweimal hintereinander den Meistertitel ganz knapp verpasste. Was hat aus deiner Sicht damals noch zum ganz großen Wurf gefehlt?
Wie du sagst: Wir waren eine extrem junge Mannschaft. Fast alle in einem Alter, in dem man erst lernen muss, auch den letzten, entscheidenden Schritt zu machen, um am Ende ganz vorne zu sein. Für diese Phase waren unsere Erfolge doch mehr als beachtlich. Zweimal Vizemeister in Folge und als Draufgabe dann auch noch der Triumph im Pokal. Um auch in der Meisterschaft am Ende ganz vorne zu sein, hat uns damals nur eines gefehlt: Erfahrung.

Chernyshow nach der Flutlichtpremiere in der Gruabn gegen Vorwärts Steyr (1:0) am 12. April 1995 (c) SturmNetz-Archiv
Das Cupfinale 1996 hast du ja von der Tribüne aus verfolgen müssen, weil du zuvor im letzten Meisterschaftsspiel bei Rapid Wien gegen Peter Stöger die Notbremse gezogen hast und mit Rot vom Platz geflogen bist.
Was war das nur für eine bescheuerte Regel. Ich sah in der Liga Rot und war für den Cup gesperrt. Ich ärgere mich heute noch darüber. Damals war ich mir aber sicher, dass wir trotzdem diesen Pokal holen. Ich erinnere mich daran, dass ich während des Spiels ziemlich deprimiert war. Das änderte sich erst, als ich nach dem Schlusspfiff auf das Feld lief und auch den Pokal hochstemmen konnte. Als die Feierlichkeiten begannen, war ich nur noch glücklich. Und stolz auf diese junge Mannschaft. Dass ich im Endspiel nichts zum Sieg beitragen durfte, rückte von da an völlig in den Hintergrund.
Andrey, in Graz erinnert man sich an dich nicht nur als Abwehrbollwerk, sondern auch als einen Spieler, der einst tagelang quasi als verschollen galt. Und das vor einem wichtigen Europacupspiel. (Anm.: Vor der UEFA-Cup-Begegnung bei Slavia Prag) Darüber ranken sich noch heute gewisse Mythen.
Ich möchte dazu nur eines sagen: Nach all den Jahren ist mir mittlerweile mehr als bewusst, dass dies mein größter Fehler in meiner Karriere war. Es tut mir heute noch leid, dass ich das Team in Stich gelassen habe. (Anm: Im August 1995 war von einem Angebot eines anderen Klubs, als auch von privaten Problemen, die Rede, Anfang September war der Russe wieder retour in Graz.)
Deine Mitspieler waren ja damals nicht gerade gut auf dich zu sprechen.
Verständlicherweise waren die richtig böse auf mich. Ich habe dann das ganze Team in den Schillerhof (Anm.: einstiges Kultlokal in St. Leonhard) eingeladen, ein paar Runden Bier geschmissen und wir haben uns ausgesprochen. Damit war die Sache erledigt und alles wieder okay.
Im Sommer 1996 bist du dann Richtung Saloniki weitergezogen, hast später auch noch für Greuther Fürth und Royal Antwerpen gespielt. Kann man sagen, Sturm war deine erfolgreichste Station als Fußballlegionär?
PAOK hat mir ein Angebot unterbreitet, das ich nicht ausschlagen konnte. Aber ich habe in diesen Jahren immer beobachtet, wie es bei Sturm so läuft. Und mich über die Erfolge, die sich dann sowohl national als auch international eingestellt haben, sehr gefreut. Aber ja: Die eineinhalb Jahre bei Sturm war meine schönste Station im Ausland und werde ich nie vergessen.
Jahre später sollst du ja mit Sturm noch einmal in Berührung gekommen und beim Transfer des linken Verteidigers Ramiz Mamedov involviert gewesen sein. Wie ist das damals abgelaufen?
Das stimmt, aber ich war damals nicht Mamedovs Berater. Sturm hat genau für diese Position jemanden gesucht und ich kannte Ramiz sehr gut. Sturm entschied sich für ein Leihgeschäft über sechs Monate und hatte vor, den Spieler danach fix zu verpflichten. Da er auch einen portugiesischen Pass besaß, war das für den Verein aufgrund der EU-Ausländer-Regelung ideal. Doch dann stellte sich heraus, dass seine Dokumente ungültig waren und Sturm sah von einem Kauf des Verteidigers ab.

Chernishov wird als Trainer von Spartak Subotica von seinen Spielern gefeiert (c) WC/Катерина Аксюта
Auffällig ist, dass beinahe alle Spieler der Osim-Ära nach ihrer aktiven Karriere ins Trainergeschäft eingestiegen sind. Auch du hast in den letzten 20 Jahren in zehn verschiedenen Ländern als Coach gearbeitet. Wie würdest du dich als Trainer beschreiben?
Ich bin mir sicher, das ist kein Zufall. Ich selbst sehe mich auch als einen Osim-Schüler. Ich denke, meine größte Fähigkeit ist es, junge Spieler zu entdecken und weiter zu entwickeln. Ich bin sehr viel in der Welt herum gekommen, das stimmt, Österreich fehlt mir diesbezüglich aber noch. Ich würde mich sehr freuen irgendwann zurückzukehren. Aktuell lebe ich in Serbien, habe in Novi Sad eine Fußballschule eröffnet, alles läuft gut. Mein letztes Engagement als Trainer hatte ich in Griechenland, jetzt bin ich wieder bereit für neue Herausforderungen.
Gibt es eigentlich noch irgendwelche Kontakte zu deinen ehemaligen Mitspielern bei Sturm?
Schon lange nicht mehr. Jeder lebt sein eigenes Leben und es ist schwierig, Freundschaften auf so langer Distanz aufrecht zu erhalten. Ich würde es mir aber sehr wünschen, mich wieder einmal mit ihnen zu treffen. Vielleicht klappt es ja bei meinem nächsten Österreich-Besuch.
Vielen Dank für das Gespräch.
Leseempfehlung über die unglaubliche Erfolgsserie der „Jungen Wilden“ in der Frühjahrssaison 1995:
Ausgleich, Schwalbentanz, Überpünktlicher Abpfiff (Sturm – LASK 3:3, Mai 1995)
Danke für dieses tolle Interview! Andrey war sicher einer der besten Verteidiger die je bei Sturm gespielt haben.
Er war 1995 in sein Haus in GU verschollen!
Der Grund hieß O aber nicht Osim
Leider gingen danach seine Leistungen rapide bergab
besagte mythen hatten wohl mit seiner wasserstoffblonden, vollbusigen frau zu tun, die sich immer wieder beschwipst mit hochhackigen stöckelschuhen und minirock auf die stehplatztribüne gequetscht hat. sie hat sich angeblich auch mit der halben mannschaft damals bestens verstanden…
Zumindest einen damals 18-jährigen hat sie sich sehr gut verstanden.
Den besagten Spieler hat man bei Sturm schon fast vergessen, da er bei uns laut transfermarkt.at nur 11 Spiele absolvierte.
Olga saß im reservierten Raum unter der Presse, sie war wohl die anziehendeste Spielerfrau der 110 jährigen Geschichte
Tolles Interview. Ewig nichts mehr von Andrey gehört!! Danke dafür!!
Leider hat er Sturm zu früh verlassen, sowohl sein direkter Nachfolger Pal Lydersen – als auch dann Franco Foda – hatten bei Weitem nicht die Klasse des Russen. Er hätte gut in das Champions League Team der folgenden Jahre gepasst.
Tschernischow war wahrscheinlich der beste Innverteidiger, der jemals bei Sturm spielte. Mit Milanic und Posch bildete er ein unfassbares Abwehrbollwerk.
Würdest du nicht sagen, dass zB Schildenfeld auf einem ähnlich guten Niveau gespielt hat?
„Das ich im Endspiel nichts zum Sieg beitragen durfte, rückte von da an völlig in den Hintergrund.“
– Hier müsste „Dass ich … “ stehen. Nur eine kleine Anmerkung zu diesem super Interview!
LG
Verstehe jetzt den Konkurs besser.
Hauptfehler: die eigenen Leistungsträger nicht mehr als Haupt-Assets für den Erfolg gesehen und bspw. Haas Verkauft und Ivo und Osim aus den Verein gedrängt, da man auf Geldboost und Erfolgsboost gesetzt hat. Dabei wurden dann in 2 Saisons 12 Mio ausgegeben, die nicht mehr hineingespielt wurden.
Manche Ausgaben, waren unnötig, da ja bsp Ivo noch immer eine Bombe war. Allerdings musst HK ja unbedingt über den Osim hinweg regieren.
Hauptursache:
-Haas, Schopp und viele kamen aus dem Nachwuchs: dieser wurde aber als Quelle des Erfolges dann aufgegeben -abgelöst durch Kaufwut..
-den Wert der Leistungsträger für den Erfolg der Mannschaft unterschätzt..
-Scheiß Abstimmung mit dem Erfolgstrainer..
Nun steuert Sturm auf seine Erfolgsfaktoren besonnen wieder zu neuen Träumen hin. Auch wenn das Boot erst abgelegt hat..
..es entzückt es bereits. Ja Glück ist einfach ein wesentlicher Faktor. ca 42% der Tore sind dem Faktor Zufall zuzuschreiben.
Ilzers Hausaufgaben geben der Mannschaft die 58% Kontrolle.
Nachdem die Mannschaft die aktuellen Ziele übertrifft sind wsl erst ca 60-70% des beeinflussbaren auf vollstem Leistungspotential -ca: 30% der Erfolgsfaktoren auf Kurs.
Bei Glück: haben wir also eine 72% Erfolgswahrscheinlichkeit auf einen Sieg.
Bei Pech: eben nur ca 28%..
Sturm braucht im AVR ca. 6 Schüsse für ein Tor..
Um 3 Tore zu machen hat Sturm bei Pech: „1 von 10 Schüssen ist drinnen“ ca 5 Minuten Zeit, um genug Torschüsse zu produzieren..
Umso mehr Glück „beim RBS Spiel sind fast alle Schüsse reingegeangen“wir haben, desto mehr Spielminuten hat Sturm für das nächste Tor zur Verfügung.
edit:
kurzer Berechnungsfehler beim schreiben bei:
Bei Pech nur ca 28% ist falsch; RICHTIG ist 30% := 30% der Erfolgsfaktoren auf Kurs + 0% für Glück
Alles dazwischen ist der erwartbare Erfolgsraum.