Weltenbummler, Skandalnudel, Eiskalter Torjäger – Was wurde aus Sergej Yuran?
Wir schreiben den 17. November 2000: Der SK Sturm Graz schickt sich gerade an, im europäischen Fußball eine echte Größe zu werden und sich in der Vorrunde gegen klingende Namen wie Galatasaray Istanbul, die Rangers aus Glasgow und den AS Monaco als Gruppenprimus durchzusetzen. In der Meisterschaft hingegen lief es zu jener Zeit nicht immer nach Wunsch, das Heimspiel gegen den LASK an diesem Tag wurde allerdings mit 2:1 gewonnen. Doch richtig freuen konnte sich über diesen Pflichtsieg im Lager der Blackies niemand. Denn zeitgleich, als die Mannschaft im Schwarzenegger-Stadion die Ehrenrunde lief, lag einer aus ihrer Mitte auf dem OP-Tisch: Sergey Yuran. Der 31-jährige Russe mit portugiesischem Pass krachte zu Beginn der zweiten Halbzeit bei einem Kopfballduell mit dem Linzer Athletiker Hannes Jochum unglücklich zusammen, erlitt eine Stirnbeinverletzung und wurde blutüberströmt vom Platz getragen. Nach dem medizinischen Noteingriff erwachte er mit drei Metallplatten und 17 Schrauben im Schädel aus der Narkose. Wie sich später herausstellen sollte, war damit die Fußballer-Karriere des Stürmers mit einem Schlag beendet.
Der Russe quälte sich zwar noch durch eine Reha, wurde auch im Frühjahr bei beiden Siegen gegen Panathinaikos Athen in der Champions-League-Zwischenrunde eingesetzt, doch man spürte, dass er nicht mehr ans Limit gehen konnte und daher nicht mehr jene unbändige Leidenschaft, die ihn seit seiner Ankunft in Graz im Jänner 2000 ausgezeichnet hat, auf den Platz zauberte. Ein Gesundheitscheck bei einer Unfallversicherung ergab zudem, dass aus medizinischer Sicht eine weitere Betätigung als Fußballprofi unverantwortlich wäre. Für den Stürmer eine bittere Pille, jedoch musste Yuran sich zu diesem Zeitpunkt längst selbst eingestehen, dass die ständigen Kopfschmerzen, die ihn seit diesem Zusammenstoß im Spiel gegen den LASK quälten, doch eine zu schwere Bürde darstellten. Der SK Sturm löste daher wohl oder übel den Vertrag mit ihm auf, dem Stürmer wurde daraufhin für ein Jahr lang von einer Versicherung ein Taggeld ausbezahlt. Die Karriere des einstigen Wandervogels war damit endgültig beendet, und nicht nur die Fans vermissten den Stürmer, auch Ivica Osim wusste genau, welch herber Verlust dies für sein Team war:
Er war einer jener Angreifertypen, von denen es auf der Welt nicht mehr viele gibt. Er hatte Charisma, ein Auge für den Mitspieler und ein enormes Durchsetzungsvermögen im Strafraum. (Ivica Osim über Sergej Yuran)
Yurans sportlicher Aufstieg begann Anfang der 90-er Jahre bei Dynamo Kiew. Hinter dem in Lugansk in der heutigen Ukraine geborenen trickreichen Stürmer ist dank einiger starker internationaler Leistungen halb Europa her, der Russe entscheidet sich letztendlich für Benfica Lissabon. Der frisch gebackene Meister war damals noch eine fixe Größe im europäischen Klubfußball, doch richtig glücklich wird er in Portugal nie. In drei Jahren gelingen ihm nur 19 Tore, viel mehr aber tritt er immer wieder ins Fettnäpfchen, beispielsweise als er sich weigert, auf der Ersatzbank Platz zu nehmen oder er dem Trainer des portugiesischen Meisters forsch des Rassismus bezichtigt, da dieser ihn nicht immer aufstelle. Für die WM 1994 in den USA wird er trotzdem in den Kader des russischen Nationalteams berufen, nach einer durchzechten amerikanischen Nacht allerdings suspendiert und heimgeschickt. Sein Ersatzmann Oleg Salenko schreibt Fußballgeschichte, als er im WM-Gruppenspiel gegen Kamerun gleich fünfmal trifft und damit einen bis wohl in alle Ewigkeit geltenden Weltmeisterschaftsrekord aufstellt. Über diese Zeit und sein unprofessionelles Leben, sollte Yuran später sagen:
Ich habe in meiner Karriere nur 65 Prozent von dem erreicht, was möglich war. Der Rest ist verloren. Ich war jung und habe nicht professionell gedacht. An manchen Tagen habe ich einfach nichts gemacht, weil ich glaubte, es läuft doch.
Auch wenn er nicht immer sein Potential vollends ausschöpfen konnte, eines konnte man Yuran immer erwarten: Wenn er am Platz stand, agierte er kompromisslos, gab immer alles, vor allem hatte er den Ruf, ein Spieler zu sein, der nie eine hundertprozentige Torchance ausließ. Das sollte sich auch beim FC Porto nicht ändern, wohin er nach der verpatzen Weltmeisterschaft transferiert wurde. Dem Russen wird in Portugal als erster Legionär mit zwei verschiedenen Vereinen (1994 Benfica, 1995 Porto) Meister zu werden, trotzdem bleibt erneut eine zentnerschwerer Last im Rückspiegel seiner Zeit in der Handelsstadt: Yuran verursacht mit seinem Mercedes einen Verkehrsunfall bei dem ein 35-Jähriger sein Leben verliert und begeht Fahrerflucht. Der „Büffel“ sollte deswegen Jahre später wegen fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt werden, bekommt aber Amnestie und entzieht sich somit der gesiebten Luft eines portugiesischen Gefängnisses. Für den FC Porto selbst ist der Stürmer aber durch seinen Fehltritt untragbar geworden und daher zieht er weiter nach Russland um bei Spartak Moskau anzuheuern. Ein Reinfall, genauso wie seine nächsten Zwischenstopps beim FC Millwall – wo er heute noch als der Inbegriff eines Transferflops schlechthin gilt – und auch bei der Fortuna aus Düsseldorf, wo er unter dem charismatischen Trainer Alexander Ristic zwar in 16 Spielen nur fünf Treffer erzielt, aber interessanterweise das Begehren von so manch anderen Bundesligisten weckt.
Trotz zahlreicher Angebote, etwa vom HSV oder der Werkself aus Leverkusen, unterschreibt Yuran beim VfL Bochum, quasi der Admira Deutschlands. Doch der grauen Maus verleiht er Farbe ohne Ende und farbenfroh gestalten sich vor allem seine Auftritte im Europapokal. Und das nicht nur aufgrund der wohl hässlichsten Trikots in der langen Geschichte der deutschen Bundesliga, mit denen der VfL zu jener Zeit – gesponsert von einem Lotto-Unternehmen und nicht von einer Lackiererei, wie man vermuten könnte – auf das Feld läuft. Man schlägt Trabzsonspor nach einem 1:2 in der Türkei zu Hause mit 5:3, den FC Brügge eliminiert man nach einer 0:1-Auswärtsniederlage mit einem imposanten 4:1-Heimerfolg. Das alles beim allerersten internationalen Auftritt des VfL Bochum, dessen Ursprünge bis in das Jahr 1848 zurückreichen, überhaupt. Den Text von Herbert Grönemeyers Ode an die Stadt im Ruhrgebiet singt er leidenschaftlich mit. Insgesamt gelingen ihm in diesen vier Europapokalspielen drei Treffer und zwei Assists. In der dritten Runde verliert der VfL zwar gegen Ajax Amsterdam auswärts mit 2:4, doch von einer Welle der Euphorie getragen, scheint die nächste Aufholjagd im Ruhrstadion durchaus realistisch.
Doch Yuran wäre nicht Yuran, gäbe es nach einem Obenauf gleich darauf nicht wieder ein Untendurch: Die Bochumer Polizei erwischt ihn mit zwei Promille Alkohol im Blut am Steuer, kurz darauf reist er – ohne VfL-Verantwortliche darüber zu informieren – zur russischen Nationalelf. Yuran ist zwar nach wie vor der uneingeschränkte Publikumsliebling im Pott, doch in der Chefetage hat man endgültig genug von seinen Eskapaden und der Stürmer wird suspendiert. Zwar klagt sich der Russe per einstweiliger Verfügung wieder zurück in das Mannschaftstraining, schlussendlich aber verkauft man den Fettnäppchenspezialisten nach Moskau, wo er allerdings nie mehr an alte Leistungen anschließen kann. Als er sich beim Duschen (!) am Fuß verletzt, wird er auch bei Spartak hinausgeworfen.
Erst über diese Endlosodyssee kommt der Russe zu Sturm Graz und wird vorerst mit einem Leihvertrag bis Sommer ausgestattet. So kommt es zum Aufeinandertreffen von Exzentriker Hannes Kartnig und der Skandalnudel Sergej Yuran. Bei seiner Verpflichtung im Jänner 2000 debattieren Brancheninsider nur, wie lange es dauern wird, bis die zwei erstmals aneinander geraten würden. Doch weit gefehlt: Wie selten zuvor ein Neuankömmling unter Ivica Osim, stand der Russe bei Sturm sofort in der Startelf. Zwar dauerte es bis Ende April, bis Yuran beim 3:1-Sieg gegen Austria Salzburg seinen ersten Treffer in Österreich bejubeln durfte, das Grazer Fußballpublikum aber hatte er dank seines immer vorhandenen bedingungslosen Siegeswillen sofort auf seiner Seite. Auch wenn er bereits einen Monat zuvor im Spiel in Lustenau von Schiedsrichter Schüttengruber senior vom Platz flog, da er dem Linienrichter in der 30. Minute den Vogel zeigte und deshalb für zwei Pflichtspiele auf der Tribüne Platz nehmen musste. Im Sommer sah es lange nach einer Trennung aus, denn Kartnig betonte immer wieder, dass zu viele Ü30-Spieler im Kader stehen würden und er auch an die Zukunft denken müsse. Letztendlich aber kommt es doch noch zu einer Einigung und der Russe unterschreibt einen Ein-Jahres-Vertrag. Wie goldrichtig dieser für Sturm war, sollte sich bereits im Herbst weisen.
In der Bundesliga kam Yuran bei 26 Einsätzen zwar zu eher unspektakulären sechs Treffern, unvergessen hingegen bleiben seine Auftritte in der Königsklasse: In der Qualifikation gegen Feyernoord erkämpft er einen Elfmeter, den Markus Schopp zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich verwerten konnte, im Rückspiel im De Kuip bedient er mit einem Traumpass Hannes Reinmayr, der mit Hilfe von van Wonderen den so wichtigen 1:0-Führungstreffer erzielen konnte, der so wichtig für die erneute Qualifikation für die Champions-League war. Selbst Osim strahlt nach dem Abpfiff und ist erstmals nach mehr als fünf Jahre Trainertätigkeit in Graz mit seiner Elf restlos zufrieden. Beim 3:0-Heimerfolg gegen Galatasaray in der Gruppenphase verarbeitet der Supertechniker den nach einem Lattenpendler zurück auf das Spielfeld springenden Ball mit Knie und Schienbein und verwertet technisch brillant zur 1:0-Führung. Gegen die Glasgow Rangers lässt er Torhüter Jesper Christiansen und Barry Ferguson mit einer Körperfinte völlig im Nirgendwo zurück und sorgt ebenfalls für den ersten Treffer im Spiel, im Rückspiel in Istanbul gelingt ihm per Kopf nach Idealflanke von György Korsos der zwischenzeitliche 1:1-Ausgleich.
Yuran war somit ein wesentlicher Baustein dafür, dass das Wunder in der Hölle von Ali-Sam-Yen überhaupt möglich wurde. Es war dies sein bereits 25. Torerfolg im Europapokal, sollte allerdings auch sein letzter bleiben. Denn nur zehn Tage nach diesem historischen 2:2 am Bosporus kommt es in Graz-Liebenau zu jenem verhängnisvollen Zusammenstoß. Gerade in einer Phase, in der er scheinbar endgültig den Weg aus den Klatschspalten hin zu einem echten Musterprofi vollzogen hatte. Yuran selbst sollte später erzählen, dass er sich zwei, drei Jahre auf diesem Niveau schon noch zugetraut hätte und er sich nichts mehr gewünscht hat, als auch mit dem SK Sturm einmal einen Meistertitel einzufahren. Rückblickend, vor allem in Anbetracht der millionenschweren Investition von Charles Amoah nur zwei Monate nach Yurans schwerer Verletzung, war sein Karriereende für den Verein deswegen doppelt bitter.
Im Gegensatz zu Fußballern, die während ihrer aktiven Karriere eine ähnliche Vita wie der russische Stürmer vorweisen können (man denke nur an George Best oder Paul Gascoigne), ist es um den Kickerpensionisten Yuran erstaunlich ruhig geworden. Obwohl er sich aufgrund zahlreicher Entführungen Angehöriger von prominenten Fußballern geschworen hatte, nie mehr nach Russland zurückzukehren, arbeitete er in den Folgejahren in verschiedensten Funktionen erneut für Spartak Moskau, wurde dann aber doch wieder zum Wandervogel, als er in Lettland bei Daugava Daugavpils anheuerte und im Jahr darauf mit dem estnischen Verein FC TVMK Tallinn sogar zu Meisterehren kam. Da TVMK, im übrigen eine Waschmaschinenfirma, pleite ging und der Verein aufgelöst wurde, kehrte er 2007 wieder nach Russland zurück, übernahm den Zweitligisten Shinnik Jaroslawl und schaffte auf Anhieb den Aufstieg in die höchste Spielklasse. In Kasachstan unterschrieb er für gutes Geld bei Lokomotive Astana und wurde Vizemeister. Noch unter sowjetischer Flagge geboren, führte ihn sein Weg durch die ehemaligen Teilrepubliken weiter zum PFC Simurq nach Aserbeidschan, zu guter Letzt war er beim armenischen Klub MIKA Aschtarak tätig, wo er das abgelaufene Spieljahr in der „Premier League“ (die heißt dort wirklich auch so) nur auf dem enttäuschenden siebenten Platz beenden konnte.
Über den APA-Redakteur und Sturm-Echo Kolumnist Prof. Walter Kowatsch-Schwarz hat Yuran erst kürzlich dem Grazer Fußballpublikum folgendes ausrichten lassen:
Es war eine wunderbare Zeit bei Sturm. Besonders gut erinnere ich mich an die Champions-League-Spiele. Auch die Stadt Graz habe ich sehr gut in Erinnerung, sie ist schön und ruhig und meine Frau hat sich besonders wohl gefühlt. Ich bin des Öfteren in Wien und werde auch hundertprozentig einmal nach Graz kommen. Und igendwann würde ich gerne einmal als Cheftrainer bei Sturm arbeiten.
Yuran schalala schalala lalala: -))))
Der Angriff gegen die Rangers, ein Traum sondergleichen! War der Wechselpass von Prilasnig schon sehr gut, Reinmayr einfach nur Weltklasse und mit einer von jenen genialen Aktionen für die er so geliebt wurde. Yuran am Ende in gewohnter internationaler Manier – eiskalt 🙂 Und als Sahnehäubchen das ganze noch in Richtung 25er 😀
Für mich ist Juran trotzt Haas, Vastic usw. der beste Stürmer den wir je in Schwarz-Weiß gesehen haben, schade das man dank der Bösen Verletzung ihn nicht länger bewundern durfte in Graz.
Ich bin der selben Meinung! Er war sicher der beste Stürmer den wir je hatten! Fußballerisch ein anderer Typ wie die anderen. Kann nur sagen TOP!!!