„Nie hätte ich erwartet, mit Sturm solche Spiele erleben zu dürfen“

Was wurde aus Andres Fleurquin?

Im Jänner 2000 kam ein uruguayischer Mittelfeldspieler im Doppelpack mit Sergey Yuran zu Sturm Graz und war mit einer Ablösesumme von 27 Millionen Schilling der zu diesem Zeitpunkt teuerste Fußballspieler, der jemals Österreichs grüne Wiesen beackerte: Der 1975 in Montevideo geborene Andres Fleurquin, wechselte von Defensor Sporting Club, wo er bereits mit 16 im Nachwuchs kickte, in die Steiermark. Bei den Violett-Weißen, deren Name von Initiatoren eines Arbeitskampfes herrührt, welcher in einer in der Nähe ihres Stadions liegenden Glasfabrik ihren Ursprung nahm, zeichnete sich Fleurquin vor allem durch seine Torgefährlichkeit bei Standardsituationen aus. So wurde er bereits in seiner ersten Profisaison in das Nationalteam berufen und nahm auch an der Copa America 1997 in Bolivien teil.

Sein internationaler Durchbruch gelang ihm bei diesem Kontinentalwettbewerb zwei Jahre später, als er mit „La Celeste“ nach Siegen im Viertelfinale gegen Paraguay und im Halbfinale gegen Chile unter Trainer Victor Pua das Endspiel erreichte. Im ausverkauften Defensores del Chaco in Asuncion, mussten sich die Hellblauen allerdings Brasilien mit 0:3 geschlagen geben, alle drei Treffer erzielte ausgerechnet Fleurquins Gegenspieler Rivaldo. Da sich einen Monat später und 11.500 km Luftlinie entfernt von Montevideo Roman Mählich in der Wintervorbereitung von Sturm Graz schwer verletzte, wurde adäquater Ersatz gesucht und man wurde in Südamerika fündig. 

„Graz war meine erste Station im Ausland, ich war es bis dahin gewohnt, meine Familie um mich zu haben, auch deshalb war der Wechsel nach Europa für mich ein großer Schritt.“ Den Kontakt hergestellt hatte damals der Spielerberater Vinicio Fioranelli, ein Herr, der bei Sturm zu dieser Zeit ein und aus ging. War er doch später beispielsweise auch bei den Transfers von Francisco Rojas und Charles Amoah federführend. In seiner Zeit als FIFA-Manager wurde Fioranelli wegen Kursmanipulation im Zusammenhang mit dem gescheiterten Verkauf der AS Roma im Jahr 2009 in Vorarlberg festgenommen. Aber auch so manche Transfers, in die der Schweizer involviert war, erschienen nicht immer ganz lupenrein. Fleurquin allerdings, der mit einem Vierjahresvertrag ausgestattet wurde, erwies sich für Sturm als echte Verstärkung.

 

Andres Fleurquin ist von Beginn an Stammspieler, absolviert – mit Ausnahme einer Gelbsperre – alle Bundesligaspiele, erzielt zudem gleich bei seinem dritten Einsatz ein Goldtor in Lustenau„Sturm war damals ein Verein mit internationalem Format. Und trotzdem fühlte es sich so an, als ob man mit Freunden nach Feierabend kicken geht und einfach nur Spaß hat. Diese gute Stimmung und die vielen Freundschaften innerhalb des Teams war außergewöhnlich.“ 

Fleurquin, der im Stadionturm ein Penthouse bezog, quält dabei oft das Heimweh, wird zum Selbstversorger indem er sich selbst beibringt Puchero und Pasta zu kochen, blüht in Graz aber immer erst so richtig auf, wenn seine wohlhabende Familie aus Rocha zur Stippvisite erscheint. Zudem steht der Südamerikaner Abiodun Baruwa zur Seite: Der damalige nigerianische Ersatztorwart lässt sich in der Stadtpfarrkirche taufen, Andres fungiert dabei als Pate.

Auch sportlich ist er in seiner zweiten Saison nicht mehr aus der Sturm-Mannschaft wegzudenken, Probleme bereiten nur diverse Abstellungen für das Nationalteam. Hannes Kartnig wehrte sich stets mit Händen und Füßen gegen die Heimatflüge seines Mittelfeldspielers, doch für diesen war es stets eine Ehre im Trikot der „La Celeste“ auflaufen zu dürfen. „Für drei Millionen Menschen stellvertretend auf dem Platz zu stehen, ist eine riesengroße Verantwortung, aber auch eine besondere Ehre. Das war doch die schönste Zeit in meiner Karriere, der Nationalmannschaft abzusagen, war für mich nie ein Thema.“ 

Über allem aber stehen in dieser ersten vollen Saison des Uruguayers im Sturm-Dress die sensationellen Auftritte in der Königsklasse und das Erreichen der Zwischenrunde. Fleurquin führt in dieser Spielzeit die Foulwertung der Champions League an, kommt auch – mit Ausnahme der 0:2-Auswärtsniederlage in Valencia, die er wegen einer Gelbsperre versäumt – in jeder Partie zum Einsatz. „Als ich in die Steiermark kam, hätte ich nie erwartet, mit Sturm solche Spiele erleben zu dürfen“, sagt er heute.

Während man in Europa auftrumpft, läuft es in der Meisterschaft ganz und gar nicht nach Plan. Gerade den Legionären wird dabei des Öfteren vorgeworfen, gegen Teams wie die Glasgow Rangers oder dem AS Monaco zwar groß aufzuspielen, bei Spielen beispielsweise gegen SW Bregenz oder der SV Ried allerdings ziemlich lustlos an die Arbeit zu gehen. Man verpasst die Chance auf eine weitere Champions League-Qualifikation und der Uruguayer wird für Hannes Kartnig ein zu teurer Personalkostenfaktor. Daher ist der Präsident fortan darum bemüht, den Mittelfeldspieler gewinnbringend an den Mann zu bringen. Vergebens.

Kurz vor Transferende findet man dann mit Galatasaray Istanbul zwar einen Abnehmer, der ihn allerdings für nur fünf Millionen Schilling Ablöse auf Leihbasis verpflichtete.

„Sturm war wohl das beste Team, in dem ich je gespielt habe. Wir waren eine routinierte Mannschaft und sind fast nie in Stress gekommen, egal wo und gegen wen wir auftraten. Trainer Osim hat über jeden Gegenspieler genau Bescheid gewusst, Stärken und Schwächen eines jeden gekannt. Leider haben wir in der Liga zu selten unser Potential ausgeschöpft. Als es dann mit der Königsklasse vorbei war, wollte man mich in Graz nicht mehr.“

 

In Istanbul spielte Fleurquin eine starke Saison, wird mit den Türken Meister, avanciert zum Liebling der Fans, als er im Derby gegen Besiktas das Goldtor erzielt. Vor allem aber glänzt er erneut international: Galatasaray setzt sich in der Gruppenphase der Champions League gegen Lazio Rom, FC Nantes und den PSV Eindhoven durch.

„Mit Mircea Lupescu habe ich bei Galatasaray einen ähnlichen Trainer wie Osim gehabt. Auch er war ein wahnsinnig intelligenter Mensch, mit dem ich mich in mehreren Sprachen unterhalten konnte. Fantechnisch war das dann aber schon eine andere Welt. Der Sieg im Derby gegen Besiktas oder auch der Auftritt im Camp Nou sind Dinge, die ich mein Leben lang nie vergessen werde.“

In diesem Spiel bringt Fleurquin Galatasaray in Barcelona sogar mit 2:0 in Führung, dem FC Liverpool und dem AS Rom trotzt man jeweils zwei Unentschieden ab. Die Türken wollten ihn danach fix verpflichten, doch die von Kartnig geforderten 45 Millionen Schilling waren zu viel. „Ich war tieftraurig, dass ich Gala verlassen musste. Ich wäre sehr gerne noch drei Jahre dort geblieben, aber auch dieser Verein ist in eine wirtschaftliche Schieflage gekommen, das Management wurde ausgetauscht und ich musste gehen.“

Fleurquin kehrte im Sommer 2002 nach Graz zurück, absolvierte auch Teile der Vorbereitung, kurz vor Start der Meisterschaft fand sich mit Stade Rennes dann doch noch ein Interessent. Die Ablösesumme – kolportiert wurden zwei Millionen Euro – fiel deutlich geringer aus, wieder einmal hatte Kartnig zu hoch gepokert. Der Abgang des Uruguayers machte im Übrigen erst den Weg frei für Didier Angan, der aus Nizza kommend danach verpflichtet wird.

In Frankreich kann Fleurquin, der erst nach der Saisonvorbereitung zum Team stößt, allerdings nie richtig überzeugen. Eine Knöchelverletzung, zwei Trainerwechsel und auch eine Versetzung in die zweite Mannschaft der Bretonen überschatten seine Zeit in der Studentenstadt. Daher wird der Mittelfeldspieler an den CF Cordoba in die spanische Segunda Divison verliehen. In Graz tauchte zudem das Gerücht auf, das Duo Kartnig/Schilcher versuche Schadensbegrenzung zu betreiben, in dem sie Millionenflop Charles Amoah Stade Rennes schmackhaft machen und einen 1:1-Tausch mit Fleurquin vorschlagen. Doch die Verantwortlichen bei Rennes gehen auf diesen Deal nicht ein, etwas später findet der Uruguayer dann aber endlich eine echte, neue fußballerische Heimat.

 

Schon mit dem CF Cordoba gastierte Fleurquin beim FC Cadiz und stach dabei den Verantwortlichen in Andalusien ins Auge. Die Blau-Gelben wollten unbedingt in die höchste spanische Spielklasse und der Mittelfeldspieler galt als der Wunschspieler von Trainer Victor Esparrago, wie Fleurquin Uruguayer. So wird der Mittelfeldspieler des Trainers verlängerter Arm am Spielfeld und feiert bereits in seiner ersten Spielzeit den Titel in der Segunda Divison. Am 20.8.2005 debütieren die Blau-Gelben in der höchsten spanischen Liga und verlieren das Heimspiel gegen Real Madrid im ausverkauften Ramon de Carranza denkbar knapp mit 1:2. Das Team, das im Vergleich zur zweiten Liga völlig unverändert blieb, steigt am Ende der Saison als Tabellenvorletzter umgehend wieder ab. Fleurquin kam dabei in 30 von 38 Ligaspielen zum Einsatz und wurde bereits in seiner zweiten Saison in Andalusien zum Kapitän bestimmt.

Im Folgejahr verpasst er mit seinem Team den erneuten Aufstieg denkbar knapp, 2008 steigt der FC Cadiz überraschend sogar in die dritte Leistungsstufe ab, daraufhin gleich wieder auf, in Fleurquins letzter Saison in Spanien folgt der erneute Absturz in die Drittklassigkeit. Während dieser Zeit trug der Mittelfeldspieler stets die Kapitänsbinde und war am Ende das letzte Überbleibsel jenes Teams, welches vier Jahre zuvor noch in der höchsten spanischen Liga spielte.

„Cadiz war und bleibt meine zweite Heimat. Die Mentalität der Andalusier war mir von Anfang an vertraut, meine Familie und ich haben uns dort immer wohlgefühlt.“ Blieb der Uruguayer dem Klub beim ersten Abstieg in die dritte Liga noch treu, kehrte er nun zu seinem Heimatklub Defensor zurück, um dort seine Karriere ausklingen zu lassen.

 

Bei den Montevideanern bleibt er allerdings noch ganze fünf Saisonen aktiv und kickt bis zu seinem 41. Lebensjahr in der höchsten uruguayischen Spielklasse.

„11 Jahre war ich weg von meiner Heimat, es war zwar noch mein Klub, doch es hatte sich sehr viel verändert. Als ich mit 19 mein Debüt für Defensor gab, war ich der mit Abstand jüngste Spieler. Heutzutage laufen in jedem Team noch um einiges jüngere Spieler, als ich es damals war, herum.“ Wieder trägt er stets die Kapitänsbinde und ist für Nachwuchstalente Ansprechpartner Nummer eins. Er ist bereits 40 Jahre und 7 Monate alt, als er von sich aus sein Karriereende bekannt gibt. Defensor plant ein großes Abschiedsspiel, doch Fleurquin lehnt dies ab. Er will unbedingt in einem ganz normalen Bewerbsspiel abtreten.

„Im Mittelpunkt zu stehen war nie meine Sache. Warum sollte sich mein Heimatklub bei mir bedanken? Ich muss mich bedanken. Ich habe bei Defensor alles gelernt, was mir ermöglichte, Fußballprofi zu werden und den Sprung nach Europa zu schaffen.“

Fleurquin wird auch keineswegs von Klubseite bedrängt, den Fußballschuh an den sprichwörtlichen Nagel zu hängen, es ist der Mittelfeldspieler selbst, dem bewusst wird, dass es jetzt an der Zeit ist, es endgültig bleiben zu lassen. „Ich wollte endlich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Mit meiner Frau, mit meinen fünf Kindern. Sie sind und waren mir immer das Wichtigste im Leben. Meine Familie wurde bei jedem Vereinswechsel involviert, wir haben immer über den Fortgang meiner Karriere abgestimmt und versucht dabei Einklang zu finden. Natürlich war der eine oder andere Transfer nicht optimal, aber ich bereue nichts. Ich denke, jeder Fehler hat mich stärker gemacht.“

Im Abschiedsspiel gegen River Plate (aus Montevideo, nicht aus Buenos Aires) am 28. November 2015 führte Defensor lange 1:0, bis einem gewissen Nicolas Schiappacasse in der 88. und 91. Minute noch der Umschwung gelang. Der Stürmer, heute in Diensten von Atletico Madrid, ist beinahe 24 Jahre jünger als Fleurquin. Eine bittere Niederlage im letzten Spiel, aber auch symbolisch für eine echte Ablöse. Insgesamt bestritt Fleurquin 150 Pflichtspiele für Defensor.

„Mein Geheimnis, dass ich bis 40 spielen konnte, war sicher, dass ich immer auf die richtige Ernährung geachtet habe. Außerdem habe ich mich abseits des Platzes immer sehr rar gemacht, habe immer versucht, jeden Trubel um meine Person zu vermeiden. Die innere Ruhe, die ich stets zu finden versucht habe, hat mir sicher auch geholfen.“

Der ehemalige Sturm-Spieler gibt gleich danach bekannt, dass er nun eine längere Auszeit vom Fußball nehmen würde und schlägt ein Angebot auf einen Betreuerposten bei seinem Stammklub aus. Der ausgebildete Diplom-Volkswirt kündigte aber an, nach einem mindestens einjährigen Urlaub, in irgendeiner Art und Weise dem Fußball verbunden zu bleiben. Nur nicht als Trainer. Und das, obwohl er einst während seines Engagements in Graz, einen der Besten dieser Zunft hautnah erleben durfte.

 

11 Kommentare

  1. Bozo 07 sagt:

    War ein richtig geiler Spieler von dem immer in Hochachtung gesprochen wurde.

    Genre gerne an ihn zurück und schnalzen mit der Zunge wenn ich an seine Technik denke.

    Das waren noch richtige Fußballer.

  2. mauer sagt:

    Ist mit Yuran nicht Mamedov mitgekommen, der dann Probleme mit seinen Reisepässen hatte?

    • graz4ever sagt:

      Yuran war aber a super cool find i & hat durchaus a Freude gemacht (persönl. Meinung)

      Hab ihn mit seiner Frau+Kind öfters im Stadtpark herumschlendern gesehen..ur-symphatisch alle!!!

  3. Juran sagt:

    Schade das man solche Spieler nicht mehr bewundern darf in Graz.

    • graz4ever sagt:

      Geh bitte: was war mit Offenbacher, Klem, ÖRLI..

      Haben in mir mindestens gleich viel Emotionen (der „erregensten Arten“) geweckt 😉

  4. graz4ever sagt:

    HAAAMMMAAA Artikel!!!

    HAAAMMMAAA Spieler!!!

    HAAAMMMAAA SturmNetz!!!

    und natürlich:

    HAMMAHAMMSTURMAH SK STURM!!!!!!!!!!

  5. ds1909 sagt:

    Super Fleurquin – Super Sturm – Super geil

  6. Ferdi sagt:

    Hat der net a Kartnigs Ex verräumt?

    • mauer sagt:

      Da gibts ANGEBLICH einige! Masudi und Pregelj würden mir spontan einfallen. Aber wie oben erwähnt ANGEBLICH. Dabei war i ja net 😉

    • lollo sagt:

      Man munkelt das die Aussage „Wenn ich mir irgendwann wieder einen Perser kaufe, dann höchstens einen Teppich“ sich darauf bezieht.

  7. DonPipo sagt:

    Fleurquin ein absoluter Kracher, menschlich und sportlich.

    Wäre fein wenn unsere Clubführung den Kontakt pfelgen würde. Nachdem er ja in seiner Heimat bestens bekannt und vernetzt ist könnte ich mir gut vorstellen das der „Uru“ die eine oder andere Perle aus Südamerika nach Graz lotsen könnte. Das könnte sportlich und wirtschaftlich höchst profitabel sein.

    Er gehört ohne Zweifel zu jenen Legenden für die das Stadion stehen würde.

Schreibe einen Kommentar