„Die Gruabn war einfach nur genial“
Sommer 1987, Schauplatz altehrwürdige Gruabn: Sturm Graz testet in einem Vorbereitungsspiel gegen das ungarische Nationalteam zwei potentielle Stürmer-Neuverpflichtungen. Einen Marokkaner namens Abdelli Lassad und einen 1,90m großen Schnurbartträger aus Deutschland, der den 1.500 Besuchern in der Gruabn sofort auffällt und für viel Gesprächsstoff sorgt.
Harald Krämer, 15-facher Bundesliga-Torschütze und zuvor bei Eintracht Frankfurt unter Vertrag, imponiert bereits beim Aufwärmen vor allem durch die enorme Wucht seiner Kopfbälle. Das Spiel endet mit einem beachtlichen 3:2-Erfolg für Sturm, Lassad erzielt dabei zwar einen Treffer, trotzdem entscheidet man sich für die Verpflichtung des 23-jährigen Deutschen.
„Angerufen hat mich der ehemalige Kassier von Frankfurt und mir vom Interesse von Sturm Graz erzählt. Ich war von diesem Angebot sehr angetan, da ich nach insgesamt sechs Knieoperationen bei Eintracht Frankfurt kaum mehr gespielt habe und ohnehin eine neue Herausforderung bzw. einen Neustart gesucht habe.“ – Harald Krämer
Dieser Zeitraum steht ganz im Zeichen eines größeren Kaderumbruchs: Nach den Abgängen von Günther Delzepich (zurück nach Aachen), Rupert Marko und Christian Peintinger (beide FC Tirol), konnte mit der Verpflichtung von Ewald Türmer (Austria Wien) immerhin ein mehr als beachtlicher Transfer-Erfolg erzielt werden. Er sollte aber nicht der einzige Kärntner bleiben, der zu dieser Zeit den Weg nach Graz findet. Für die Abwehr verpflichtet Sturm den damals 19-jährigen Walter Kogler vom Wolfsberger AC und das Mittelfeld soll Udo Benko aus Friesach verstärken. Im Angriff bestand nach den Abgängen von Topscorer Rupert Marko, sowie Günther Vidreis, der bei Sturm den Erwartungen leider nie gerecht werden konnte und dem zu oft verletzten Dido Teskeredzic, der im Tauschgeschäft mit Walter Binder in die Südstadt wechselt, jedoch noch akuter Handlungsbedarf. Nach der Verpflichtung des Osttirolers Harald „Haki“ Holzer, der sich mit 14 Treffern im Frühjahr für den SAK 1914 in der zweiten Division für höhere Aufgaben empfiehlt, sollte Harald Krämer die erwünschte Verstärkung im Angriff sein. „Ich bin sehr froh über das Engagement von Harry Krämer, ein Typ wie er hat uns lange gefehlt. Zweikampfstark, gefährlich im Kopfball und mit enormen Aktionsradius“, meinte damals Walter Ludescher über die Neuverpflichtung.
Dass „Lu“ mit seiner Einschätzung recht behalten sollte, zeigt sich bereits zu Beginn der Meisterschaft. Im Spiel gegen Ernst Happels FC Tirol gelingt Harry Krämer mit dem Tor zum 2:2-Endstand sein erster Treffer im Sturm-Dress. Mit einem Hattrick gegen Austria Klagenfurt (57., 62., 71.) gibt er in beeindruckender Manier seine Visitenkarte ab und liefert gleichzeitig eine Kostprobe davon, wie schwer es für die gegnerischen Abwehrreihen ist, gegen ihn zu verteidigen.
„Ich bin in Graz sehr gut aufgenommen geworden und fühlte mich innerhalb der Mannschaft von Anfang an sehr wohl. Mit Trainer Walter Ludescher habe ich mich sehr gut verstanden und mir kam entgegen, dass wir zumeist nur mit einer Spitze und zwei sehr guten Außenstürmern gespielt haben.“ – Harald Krämer
Ende Oktober kommt es in einer „Blitz-Aktion“ zur Verpflichtung von Günther Koschak, der sich beim Stadtrivalen GAK unter Trainer Adi Pinter nicht mehr wohl fühlt. Dieser Transfer sorgt anfangs in beiden Fanlagern für großen Unmut, für Sturm sollte er sich jedoch als Glücksfall erweisen, wurde der „K&K-Angriff“ (Krämer & Koschak) doch in dieser Saison zum Besten der Liga. Bereits im Herbstdurchgang erzielt Harry Krämer 13 Treffer und damit mehr als der beste Sturm-Torschütze – Rupert Marko – der gesamten Vorsaison.
Im Frühjahr 1988 gelingen zwar auch Siege gegen den FC Tirol und Rapid Wien, wirklich unvergessen bleibt jedoch das Derby am 16. April, in dem Harry Krämer mit drei Toren wesentlichen Anteil am viel umjubelten 5:2-Sieg hat. Am Ende der Saison wird der Hesse mit 24 Toren Dritter der Torschützenliste. Das bedeutet damals (gemeinsam mit Bozo Bakota) Vereinsrekord. Das hohe Standing von Harry Krämer bei den Fans spiegelt sich auch durch die Wahl zum beliebtesten Sturm-Spieler der Saison wieder.
Die Saison 1988/89 bringt erneut viele Veränderungen. Mit Jürgen Werner und Georg Zellhofer von VOEST Linz und dem „Heimkehrer aus Italien“, Walter Schachner, stoßen prominente Spieler zu Sturm, die der Truppe bald den Beinamen „Millionen-Elf“ verleihen sollte. Zum 80-jährigen Bestandsjubiläum des Vereins will man endlich einen Titel nach Graz holen. Es soll bekanntlich anders kommen und ganz besonders für Harry Krämer beginnt ein schmerzlicher Leidensweg: Im Juli wird Krämer, nachdem er im Intertoto-Spiel gegen Beitar Jerusalem zum 1:0 eingeköpft hatte, gefoult und fällt unglücklich auf die Schulter. Die Diagnose ist niederschmetternd. Schlüsselbein angebrochen, alle Bänder im Schultergelenk gerissen, Ausfall für unbestimmte Zeit. Für ihn beginnt damit ein sehr harter, schmerzhafter Weg zurück. Wie sehr Harry Krämer der Mannschaft fehlt, zeigte sich von Beginn der Meisterschaft an. Bis zu seinem Comeback in der 6. Runde, wo sich der Deutsche auch gleich als Torschütze zurückmeldet, bleibt die Mannschaft sieglos und hat überhaupt erst zwei Tore erzielt. Und im September der nächste Tiefschlag: Im Uefa-Cup Spiel gegen Servette Genf prallt er unglücklich mit Torhüter Otto Konrad zusammen. Resultat: Schlüsselbeinbruch und erneut eine Zwangspause auf unbestimmte Zeit.
In der Zwischenzeit wird Trainer Walter Ludescher entlassen, der GAK wird zwar im Casino Stadion mit 4:0 besiegt, trotzdem gibt’s den bitteren Gang ins Mittlere Play Off.
„Ich fiel den ganzen Herbst aus, denn ich musste mir alle Drähte und Schrauben entfernen lassen, da mein Körper sie nicht vertragen hat. Mit Mandi Steiner, dem interimistischen Nachfolger von Ludescher hab ich mich sehr gut verstanden, anders als mit dessen Nachfolger und dritten Sturmtrainer innerhalb einer Woche, Otto Baric. Er war kein einfacher Typ. Er hat ja praktisch den Fußball erfunden. Wenn es einen Baric nicht gegeben hätte, würde man heute wohl – seiner Ansicht nach – mit einem Ei oder einem Würfel Fußball spielen. Was er teilweise von sich gegeben hat, konnte ich nicht immer ganz ernst nehmen und ganz ehrlich, ich hab nicht immer alles gemacht, was er gesagt hat.“
Einem total verkorksten Herbst folgt nach elf erfolglosen Anläufen der vielumjubelte, erste Sieg beim traditionellen Grazer Hallen-Turnier. Der Lokalrivale GAK wird im Finale mit 4:1 aus der Liebenauer Eishalle geschossen. Sehnsüchtig wartet man nun auf das Comeback von Harry Krämer auch in der Meisterschaft. Er und Walter Schachner sollen mit ihren Toren den Klassenerhalt sichern und den Herbst vergessen machen. Der Einstieg in die Vorbereitung auf die Frühjahrssaison beginnt auch vielversprechend: Die Schulter ist wieder in Ordnung und Harry in den Testspielen auch als Torschütze wieder erfolgreich. Die Liga wird zum Glück gehalten und Krämer kann sich dabei zweimal in die Torschützenliste eintragen.
Danach folgt eine der aufregendsten Generalversammlungen, die es bei Sturm bis dahin je gegeben hat: Hannes Kartnig versucht an die Spitze des Vereins zu kommen, doch die Gruppe um Werner Mörth kann dies verhindern. Zudem folgt ein wahres Sommertheater um Trainer Baric, der vom neuen Vorstand einen neuen Vertrag, neue Spieler und „professionelle“ Nachwuchsverträge fordert und mit seinem plötzlichen Abgang kurz vor Meisterschaftsbeginn endet. Also übernimmt der Wiener Gustl Starek das Traineramt bei Sturm und Harry Krämer geht in seine dritte Sturm-Saison.
Nach dem Chaos im Sommer beginnt die Saison 1989/90 für Sturm sehr schleppend, für Harry Krämer aber nicht unerfolgreich. Ein schöner Freistoßtreffer in Innsbruck, ein Kopfballtor in Krems und ein Assist gegen Admira lassen viele Fans wieder hoffen. Doch der nächste Rückschlag folgt sprichwörtlich auf den Fuß: Beim Abschlusstraining zum Meisterschaftsspiel in Steyr kommt es zu einem unglücklichen Zusammenstoß, die Diagnose fällt erneut ernüchternd aus: Der Mittelfußknochen ist gebrochen und es droht der Ausfall für die gesamte Herbstsaison. Wiederum kann Harry, dieses Mal mit Gips, die Spiele nur von der Tribüne aus verfolgen. Es dauert bis Mitte November, ausgerechnet dem Rückspiel gegen Vorwärts Steyr, bis Harry wieder für Sturm aufläuft. Und er krönt sein Comeback mit dem 2:1-Siegestreffer in der 90. Minute. Wie in alten Tagen führen seine Tore wieder zum Sieg. So auch seine beiden Treffer beim darauffolgenden 2:1-Sieg gegen Krems.
Nach der Qualifikation zum Meister-Play-off beginnt die Vorbereitung für die Frühjahrssaison für Harry Krämer wieder sehr vielversprechend, ehe ihm eine Fußprellung, erlitten beim Freundschaftsspiel gegen den GAK, wo er das 1:0 erzielte (Endstand 2:3), erneut zu schaffen macht. Seine vielen Verletzungen und der ständige Kampf zurück sind nicht spurlos an ihm vorüber gegangen. Seine Einsätze werden seltener, zumal ein gewisser Jorge Diaz im Sturm-Dress zu zaubern beginnt. „Goldköpfchen“ – so wurde er von den Medien genannt – bestreitet sein letztes Spiel im Sturm-Dress gegen Rapid, in dem er auch mit einem Freistoßtreffer den 1:1-Endstand fixiert. Im Sommer 1990 trennen sich dann (vorerst) die Wege von Harry Krämer und Sturm.
„Im Sommer 1990 bin ich dann nach Chemnitz gegangen, damals hat es noch Karl-Marx-Stadt geheißen. Der mittlerweile legendäre Hans Meier war dort Trainer. Aber auch hier blieb mir das Verletzungspech treu. Am 5. Spieltag hab ich mir den Meniskus abgerissen und ich bin wieder ganze sieben Monate ausgefallen. In der nächsten Saison war ich dann im Kader von Hansa Rostock. Wir sind letzter DDR-Meister geworden und in die erste gesamtdeutsche Bundesliga aufgestiegen. Aber ich hab mir in Rostock auch noch den anderen Meniskus abgerissen und habe dann Invalidität beantragt.“
Krämer kehrt zurück nach Österreich und baut sich mit seinem Krämerwirt in Ligist ein berufliches Standbein auf, doch Kicken macht ihm noch immer Spaß.
„Ich habe in dieser Zeit mit ein paar Kumpels immer wieder in der Halle gespielt, für meine Knie eigentlich eine Tortur. Doch ich verspürte keine Schmerzen und da kam ich auf die glorreiche Idee, es nochmals zu versuchen.“ – Harry Krämer
1993 absolviert Krämer daher unter Trainer Ladislav Jurkemik die gesamte Vorereitung. Doch im ersten Spiel reißt auch noch das Kreuzband und der Deutsche lässt es endgültig sein. Kjeld Seneca, mittlerweile Feierabend-Coach in Ligist, überredet den Deutschen für die Weststeirer zu spielen, als der Däne wegzieht, wird Krämer in Ligist sogar Spielertrainer.
Doch der ehemalige Stürmer bekommt private Probleme, muss sich von seinem Gasthaus trennen und geht zurück nach Deutschland, wo er einige Jahre unterklassige Mannschaften trainiert. Doch Sturm Graz hat nach wie vor einen Platz in seinem Herzen:
„Ich spiele noch bei der Legendenmannschaft von Eintracht Frankfurt. Trainer bin ich nicht mehr, der Zeitaufwand ist heute einfach viel zu groß. Das Interesse am Fußball ist aber noch vorhanden, ich schaue mir nach wie vor die Spiele von Sturm Graz auf SkyAustria an. Vor einigen Jahren war ich sogar im Liebenauer-Stadion bei einem Sturmspiel live dabei.“ – Harry Krämer
Heute lebt Harald Krämer wieder in Frankfurt und ist, wie er es formuliert, „glücklich geschieden“. Der gelernte Kältetechniker ist bei einem Spielautomatenunternehmen beschäftigt und kommt ein- bis zweimal im Jahr nach Graz, wo er sich mit alten Kameraden wie Günther Koschak, Walter Hörmann, Franz Feirer oder Gerhard Goldbrich trifft.
„Ich kehre immer wieder gerne in die Steiermark zurück. Der Sturmplatz und die Fans waren hier einfach genial. Leider hat mich der Verein nicht zur 100-Jahre-Feier eingeladen, vielleicht klappt es ja zum Zweihunderter.“ – Harry Krämer
Eigentlich eine Gemeinheit vom Verein einen verdienstvollen Spieler wie den Harry nicht einzuladen.
Viele hier scheinen ihn auch nicht mehr zu kennen.
Neben Mario Haas und Bozo Bakota einer meiner 3 Lieblingsspieler von STURM.
Danke Reinhold Gruber für’s Erinnern!