„Du kannst nicht immer im Stadion sein …“
Ich vermisse Sturm Graz und seine Torhymne. Ich vermisse die Nordkurve und ihre Choreos. Ja, ich vermisse sogar die österreichische Bundesliga. Seit ich Graz aus beruflichen Gründen den Rücken gekehrt habe, kann ich nur sporadisch den Spielen meines Teams beiwohnen. Aber wenn ich es mache, dann gibt’s 90 Minuten „Vuigas“. Dann ist es ganz egal, ob die angenehme Auswärtsfahrt nach Amsterdam nur zwei Autostunden von Bochum entfernt war. Das letzte Heimspiel gegen die Admira, nach einer fantastischen Saison – per Flieger. Das lauteste Cupfinale aller Zeiten – nach zwölf ewigen Stunden im Zug. Das erste Auswärtsspiel im neuen Allianz Stadion, damals in Hütteldorf – zehn Stunden Zugfahrt.
Erst seit ich nicht mehr in der Nähe wohne, wird mir zunehmend bewusst, was für eine fantastische Fankurve sich in Graz über die Jahre entwickelt hat. Die Arbeit der Ultras, der führenden Fangruppen, und ihr organisatorischer Aufwand für den Verein sind mir präsenter denn je. Die Kurve ist kein Hobby, die Kurve macht süchtig.
Nun stehe ich aber notgedrungen seit bald zwei Jahren an vielen Wochenenden andernorts und es fühlt sich nicht richtig an. In der Ostkurve des VfL Bochum nippe ich an einem Pils und ziehe mir hölzernen Zweitligafußball rein.

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Die Stimmung ist mittelmäßig, auch wenn der Zuschauerschnitt immer mindestens fünfstellig ist, denn seit neun Monaten streikt die organisierte Fanszene nach der beschlossenen Ausgliederung der Kampfmannschaft und die kommt den Ansprüchen der Vereinsführung und der Fans meist nicht hinterher. Zwei Menschen prügeln neben dem Takt auf ihre Trommeln ein und versuchen spontan entstehenden Fangesängen einen Rhythmus zu geben, während unten oft Fouls, Fehlpässe und Standardsituationen die Highlights im Ruhrstadion ausmachen. Wenn man die Augen ein wenig zusammenkneift, kann man die streikenden Leute von Melting Pott und Ultras Bochum ganz hinten im Eck in der Westkurve sitzen sehen. Es ist ein alternativloses Trauerspiel das sich mir hier bietet, aber es hilft mir.
Aus der Ferne dem SK Sturm zu folgen ist nicht immer einfach. Wenn es SturmNetz.at nicht gäbe, wäre ich komplett isoliert und nur auf Fernsehberichte und die Medienabteilung des Vereins angewiesen. Wenn es sportlich gut läuft, bekommt man viele Dinge leichter mit, aber ist erst einmal Sand im Getriebe, sitzt man im Dunkeln. Diese Tatsachen haben dennoch etwas Gutes: Es gibt keine übertriebene Euphorie mehr und man malt auch viel weniger schwarz – etwas, das in Österreich, aber vor allem auch in Graz, ein oftmaliges Problem im Verhältnis von Erwartungshaltung und Leistungsvermögen widerspiegelt.
Zwischen dem Cupsieg, der Achterbahnfahrt am Transfermarkt und dem absoluten Tiefpunkt nach dem 0:7 in der Europa League-Qualifikation liegen keine drei Monate. Außer einem skandalösen Becherwurf ist nichts Überraschendes passiert. Sturm hat einen mittelmäßigen Start in die Liga hingelegt, ist souverän im ÖFB-Cup aufgestiegen und in Europa wie in den letzten sechs Jahren ebenfalls nicht mit dabei. Ein Team, das einen Umbruch hinnehmen musste, hat sieben von zwölf möglichen Punkten mit unterdurchschnittlichen Leistungen geholt. Der Spielplan wird nun härter, aber unsere Mannschaft wird es auch.
Eigentlich will ich mit euch allen am Wochenende über die Pack und das Team gegen den Tabellennachbarn zum Sieg anfeuern, aber stattdessen gibt es für mich Schonkost im Ruhrstadion gegen Sandhausen. Dort vermisse ich dann das Team, die Choreos und sogar die Liga. „Du kannst nicht immer im Stadion sein …“ könnte man jetzt anstimmen, das stimmt aber nicht. Im Stadion sein kann man tatsächlich fast immer. Und am besten dann, wenn die Schwoazen spielen.

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