20 Jahre „Die nächste depperte Frog“

Stürmische Gschichten Part 45

„Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen.“ Genau aus diesem Grund blickt SturmNetz.at in regelmäßigen Abständen zurück in die Historie eines Vereines, der so viele Hochs und Tiefs überwunden hat wie wohl nur wenige andere Klubs, der beispielsweise einst europaweit für Furore sorgte, um kurz danach finanziell in der Gosse zu landen. Ivica Osim brachte es wunderbar auf den Punkt: „Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist aber auch.“ Wir erzählen in dieser Rubrik „Gschichtn“, stürmische Gschichtn eben. 

Zum Rückrundenstart der Bundesliga-Saison 2004/2005 regiert beim SK Sturm das blanke Chaos: Neben dem immer deutlicher werdenden finanziellen Desaster läuft es auch sportlich nicht nach Wunsch: Die Grazer sind das einzige Team, das im Herbst in der Fremde keinen einzigen Sieg einfahren konnte, keine Mannschaft erzielte zudem weniger Tore (17) als die Blackys. Am 11. Februar vermeldete der Klub dann auch noch den Abgang von Mario Haas.  Die Sturmlegende wechselte zu JEF United, dem Klub seines langjährigen Mentors Ivica Osim. Mit dem Transfererlös kam zwar dringend notwendiges Geld in die Klubkasse, sportlich jedoch ist das der nächste Nackenschlag. Coach Mischa Petrovic sprach sogar davon, dass es sich so anfühlt wie „wenn eine Mutter ihren Sohn verliert“ um allerdings zu ergänzen: „Ich muss weiterleben. Ich habe ja auch noch andere Kinder“.

Mischa Petrovic – nach 8 Jahren als Spieler war die Klublegende auch knapp drei Jahre Trainer bei den Blackys

Zwar wurde Stürmer Roland Linz für das Frühjahr von der Austria geliehen, prinzipiell wollte man aber aus der Not eine Tugend machen und zukünftig – wie so oft in Krisenzeiten – auf die „Jungen Wilden“ setzen. Jürgen Säumel, damals erst 20 Jahre alt, wurde als jüngster Sturmspieler aller Zeiten die Kapitänsbinde umgebunden, weitere Jungspunde wie Johnny Ertl, Thomas Friess, Ronald Gercaliu, Ekrem Dag, Mario Kienzl. Christoph Leitgeb, Klaus Salmutter, Gerald Säumel oder Herbert Rauter sollten von da an den Klassenerhalt sichern. Der Start war fulminant: Im 6-Punkte-Spiel gegen die Austria aus Salzburg fuhr man vor nur noch 4.800 Zuschauern einen ungefährdeten 3:1-Sieg ein. Debütant Roland Linz bereite zwei Treffer ideal vor, der umstrittene Torhüter Radovan Radaković – der sich in der Vorbereitung gegen Christian Gratzei durchsetzen konnte – hielt zudem einen Elfmeter. Nach dem Spiel meinte Petrović: „Radaković hat die größere Routine, geht das schief, bin ich wieder der Dumme“. Eine düstere Vorahnung, wie sich nur eine Woche später bereits zeigen sollte. 

(c) SturmTifo

Beim 121. Grazer Stadtderby patzte der mittlerweile verstorbene Goalie gleich mehrmals: In der 13. Minute faustete er einen Bazina-Freistoß direkt auf den Kopf von Johnny Ertl, GAK-Führung dank eines Eigentors. Eine viertel Stunde später flog er orientierungslos durch die Luft – Bazina brauchte nur noch zum 2:0 einzuköpfen. In der 68. Minute ging er völlig unnötig in ein Sprintduell mit Toni Ehmann – Pogatetz schob den Ball zum 3:0 ins leere Tor. Skoro fixierte in der 84. Minute noch das 4:0 – der GAK hätte an diesem Tag jedoch noch weitaus höher gewinnen können. Nach dieser Partie wurde Christian Gratzei wieder die Nummer Eins im Sturm-Kasten, jedoch war Radaković beileibe nicht der einzige Ausfall an jenem 27. Februar 2005. Sturm als Ganzes fehlte es an Leidenschaft, wie ein Routinier dann beim Abgang zu Protokoll gab – in einem Interview, das wohl für immer unvergesslich bleiben wird:

 

 

Jene, die Günther Neukirchner vielleicht nur von diesem Interview kennen, werden es kaum für möglich halten: „Güsch“ war als Aktiver stets einer der ruhigen Zunft. Dass dieses Video derartigen Kultstatus erlangte, lag sicher zum größten Teil an den ungeschickten Fragen von Premiere-Reporter Gerhard Krabath. Aus dem Lebenslauf streichen möchten jedoch beide diesen Tag nicht. Krabath erzählte mir einmal, dass er gar nicht so sehr den Dialog am Allerlustigsten fand, sondern den Abgang Neukirchners nachdem das Gespräch beendet war. Und mittlerweile kann Neukirchner darüber schmunzeln, gilt das Interview doch bei Schulungen für Fernsehjournalisten als Blaupause dafür, wie sich ein Reporter bei OnField-Interviews nicht anstellen sollte. 

Direkt danach war das etwas Anderes. Man hat gesagt, ich werde nie mehr für ein SKY-Interview geholt. Allerdings habe ich sehr viel Fanpost erhalten, nur eine davon war negativ. Im Prinzip ist es mir um die Sache gegangen, denn ich wollte immer, dass das Produkt Fußball besser verkauft wird. Ich habe mir gedacht, es kann doch nicht so schwer sein, sich während eines Spieles schon zwei, drei gute Fragen zu überlegen. Auch für Krabath ist die Sache längst gegessen. Er weiß ja, dass mein leichter Auszucker nicht ihm persönlich galt. Sondern ein bisschen der Reporterzunft im Generellen. Und natürlich spielte auch der Frust über die Niederlage eine Rolle. — Günther Neukirchner im SturmNetz-Interview

Nach Neukirchners Explosion zeigte zudem auch das Team wieder ein anderes Gesicht: Eine Woche nach dem Derby-Debakel besiegte man den damaligen Ligakrösus Austria Wien durch ein Filiopović-Tor mit 1:0, Ende April sicherte sich Sturm dank eines 2:0-Erfolgs über Bregenz de facto den Klassenerhalt und Mitte Mai verpfuschten die Blackys im 122. Derby (1:1, Torschütze Neukirchner) dem Stadtrivalen die letzte Titelchance. Zu diesem Zeitpunkt war die nächste Generation der jungen Wilden vom Jakominigürtel endgültig geboren. 

Leseempfehlung: Günther Neukirchner: „Dort wo Familie und Freunde sind, dort fühle ich mich wohl“

9 Kommentare

  1. Bozo Bazooka sagt:

    Sehr schön, danke!

  2. BroKlein sagt:

    Legendär!!!

  3. ds1909 sagt:

    legendär, dieses Interview ist ein Stück Sturm-Geschichte!

    Off topic: @Sturmnetz: Was ist da dran an der Geschichte mit der Burgenland Akademie?
    Wird da eine Kooperation eingegangen oder übernommen (zweiteres wohl eher nicht)?
    Man spricht da von einem mittleren Millionenbetrag. Hat das tatsächlich Schicker eingefädelt?

    • CrazyBusiness sagt:

      um was geht’s denn da? Ich konnte in den Weiten des www nichts finden, woraus ich mir einen Eindruck über das Gerücht (?) machen könnte

    • mariof sagt:

      Ich hätte es so gelesen, dass es um einen mittleren 6-stelligen Betrag geht, also ca. eine halbe Million. Wenn es stimmt wird das Einzugsgebiet für Talente stark erweitert.

    • ds1909 sagt:

      @mariof: stimmt, da hab ich mich verschrieben.

    • ds1909 sagt:

      Von diesem Bericht habe ich das ja. Aber wie du richtig sagst, findet man sonst (noch) nichts darüber.
      Und ob das so stimmt wie Peter Linden sagt, würde mich interessieren.

  4. ...und wir dahinter sagt:

    Wurde zu einen geflügelten Wort! Legende, nicht nur deshalb! Musste einmal lachen, dass er als Entwicklungscoach auch dafür zuständig ist, Spieler auf Interviews und Kommunikation vorzubereiten …

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