Tonnerre de Brest! – ein Vorbericht
Über 23 Jahre ist es her, dass der SK Sturm sein letztes Spiel in der Champions League bestritt. Am Donnerstag ist es wieder so weit – Grund genug, einen Blick zum Erstrundengegner in die Bretagne zu werfen.
Von Hagel und Granaten
Das titelgebende Sprichwort ist in der Bretagne des Jahres 2024 ein oft genutztes Sprichwort und lässt sich wörtlich mit „Donnern von Brest“ und sinngemäß mit „Donnerwetter“ als Ausdruck des Staunens übersetzen. Bis weit über die Grenzen der Bretagne hinaus spricht man vom „Brest-Donnern“, und vielen ist besagter Ausdruck sicher auch über die Lippen gekommen, als der örtliche Verein Stade Brest seine Gegner in der UEFA Champions League zugelost bekommen hat.
Denn neben dem österreichischen Meister und Vizemeister gibt es noch ein Duell mit zwei Teams aus einem Verband. Brest darf sich auf ein Heimspiel gegen die Königlichen von Real Madrid, ein Auswärtsspiel im legendären Camp Nou beim FC Barcelona sowie ein Heimspiel gegen den deutschen Meister Bayer Leverkusen freuen.
Nun zurück zu besagtem Donnern – obwohl der Ausdruck erwiesenermaßen seit dem 18. Jahrhundert in der Region benützt wird und auch in den 1830er Jahren erstmals schriftlich erwähnt wurde (in Kernok le pirate von Eugéne Sue), ist der Ursprung des Ausdrucks weithin ungeklärt. Die zwei anerkannten Thesen könnten unterschiedlicher nicht sein.
Im April 1718 – ironischerweise war Ludwig XIV, genannt der Sonnenkönig, drei Jahre zuvor einer Infektion erlegen – zog ein Jahrhundertsturm über den Nordwesten Frankreichs. Nachdem der spanische Erbfolgekrieg beendet wurde, wurde auch der Marinestützpunkt des Königreichs in Brest nicht mehr bemannt. Überlieferungen zufolge trat der Fluss Penfeld, der durch die Stadt fließt, gleich mehrere Meter über die Ufer und überschwemmte große Teile der Stadt. Unter anderem riss er besagten Marinestützpunkt mit in die Bucht von Brest und den Atlantik. René de Réaumur, ein Naturkundler der Region, verschriftlichte seine Erfahrungen in dieser Nacht. Er spricht von den „schlimmsten Donnern, die jemals sein Ohr fanden“ und sah eindeutig eine Strafe Gottes für das erzkatholische Frankreich – denn in gleich 24 Kirchtürme der Bretagne sollen Blitze geschlagen sein, drei Priester kamen dabei um.
Eine weitere Theorie zum Ursprung dieses Ausdruckes ist das Donnern der Kanonen, die von Brest aus weit im französischen Hinterland noch deutlich hörbar waren. Im frühen 18. Jahrhundert war die Bretagne aber in keine Konflikte involviert, die Kanonen wurden aber speziell zu Feierlichkeiten und Hochzeiten immer wieder abgefeuert. Auch hier könnte der Ursprung des Ausdrucks „Tonnerre de Brest“ kommen.
Und für die Fans von Hergés „Tim und Struppi“ im französischen Original – ja, auch Capitaine Haddock, bekannt für seine Flüche, verwendet häufig den Ausdruck „Tonnerre de Brest“. In der deutschsprachigen Variante wird sein Fluchen mit dem bekannten „Hagel und Granaten“ übersetzt.
Eine kurze Geschichte von Stade Brest
Nun, da dieses Mysterium geklärt wurde, können wir uns dem Verein Stade Brest widmen. Offiziell wird der Verein Stade Brestois 29 genannt, wobei 29 nicht etwa auf das Gründungsjahr 1929 zurückführt, sondern auf das 29. Depártement de Finistére, in dem die Stadt Brest liegt.
Tatsächlich ist der Klub verhältnismäßig jung – gegründet wurde er erst 1950 erstmals, als mehrere Vereine aus der Region fusionierten. Bekanntester Verein war bis dahin L’Armoricaine de Brest, der wie alle anderen fusionierten Klubs der Region entsprechend überwiegend aus katholischen Lehrern bestand. Das „Armor“ in „Armoricaine“ hat übrigens nichts mit Liebe oder Waffen zu tun, vielmehr ist das Wort keltischen Ursprungs und der Name für die Region Bretagne. Übersetzt heißt Armor etwa Land am Meer.
Große Erfolge blieben in der Geschichte des Klubs aber aus. Ein Blick auf die vielen Auf- und Abstiege erinnert an klassische Fahrstuhlmannschaften, nach sechs Jahren in der Zweitklassigkeit stieg man erst 2020 wieder in die Ligue 1 auf. Die Qualifikation für die Champions League ist ein Meilenstein in der Geschichte des Klubs, der im Übrigen der einzige Klub mit schlechterem Klubkoeffizienten im Vergleich zum SK Sturm ist.
Bekannteste Spieler, die das Trikot der Brestois getragen hatten, sind Julio Cesar, der vor allem für Juventus Turin und Borussia Dortmund eine Stütze in der Abwehr war, David Ginola, der neben Paris St.-Germain auch noch in der Premier League bei Tottenham Hotspur Karriere machte, sowie die beiden ehemaligen Stützen der L’Equipe Tricolore, Franck Ribery und Claude Makelele.
Aufstellung und Prognose
Im Tor steht mit dem Niederländer Marco Bizot eine unangefochtene Nummer eins zwischen den Pfosten. Der Absolvent der Akademie von Ajax Amsterdam wechselte 2021 von AZ Alkmaar nach Brest, seitdem ist er der nominelle „Einser“ der Bretonen. Verletzen sollte er sich aber nicht, mit Grégoire Coudert gibt es einen Ersatztorwart, der mit 25 Jahren erst drei Einsätze in Frankreichs höchster Spielklasse zu Buche stehen hat.
Trainer Eric Roy setzt defensiv in der Regel auf eine kompakte, klassische Viererkette.
Auf Links wäre einer der Topstars der letzten Saisons mit Sicherheit gesetzt, Bradley Locko laboriert aber nach wie vor an einem Achillessehnenriss und wird gegen Sturm noch nicht zurück sein. Mit Jordan Amavi und Massadio Haidara, seines Zeichens Nationalteamkollege Malis von Amady Camara, Amadou Dante und Rapids Mamadou Sangaré, hat Trainer Roy gleich zwei starke Optionen für die linke Seite. Amavi gilt eher als schneller, offensiver Außenverteidiger, während Haidara seine Rolle eher defensiv interpretiert. Ein Blick auf die Aufstellung wird hier schon verraten, ob Roy eine offensivere oder defensivere Taktik gewählt hat. Rechts führt kein Weg an Kenny Lala vorbei, der aufgrund einer bärenstarken Saison 2020/21 noch vielen Fans der Ligue 1 in Erinnerung geblieben ist. Er ist ein Allrounder, der seine besten Zeiten sichtlich hinter sich hat, aber immer noch enorme Qualität mit sich bringt.
Im Zentrum wird eine absolute Identifikationsfigur der Bretonen auflaufen, und wie seit einigen Jahren wird er auch die Kapitänsbinde um den Arm tragen. Die Rede ist von Brendan Chardonnet, der mit Ausnahme einer Leihsaison in einer unteren Spielklasse seit 21 Jahren bei Stade Brest spielt. Er ist eine Legende im Verein, der seit seiner Kindheit beim Verein ist, sich in die Kampfmannschaft hochgearbeitet hat und trotz zahlreicher Angebote anderer Klubs aus der Ligue 1 seinem Klub auch in der zweiten Liga die Treue gehalten hat. Er erinnert an Gregory Wüthrich, ist sehr solide im Zweikampf, hat ein außergewöhnliches Stellungsspiel und ist vor allem auch in der Luft defensiv wie offensiv eine Macht. Die Frage nach seinem Partner in der Innenverteidigung ist keine einfache. Die restliche Innenverteidigung besteht nur aus den Neuzugängen Julien Le Cardinal (RC Lens), Edimilson Fernandes (Mainz 05), Abdoulaye Ndiaye (Estac Troyes) und Soumaila Coulibaly (Borussia Dortmund, Leihe). In der Liga kam zuletzt Le Cardinal zum Einsatz.
Das Mittelfeld besteht üblicherweise aus einem defensiven Sechser und zwei klassischen Achtern. Hier rotierte Roy ebenfalls in den bisherigen Ligaspielen, was eine genaue Prognose erschwert. Pierre Lees-Melou, man kennt ihn vielleicht noch aus der Premier League von seiner Zeit in Norwich, laboriert noch an einem Wadenbeinbruch und steht nicht zur Verfügung. Jonas Martin, der vor einem Jahr ablösefrei aus Rennes nach Brest kam, wird ihn wohl ersetzen. Der 34-Jährige bringt Routine mit, was man vor allem an seiner Ruhe am Ball und seiner Überlegtheit merkt. Unüberlegte oder allzu riskante Zuspiele gibt es von ihm im Vergleich zu Lees-Melou selten.
Auf der Acht kann man mit Mahdi Camara und Hugo Magnetti rechnen. Camara ist der etwas defensivere Achter, der gegen den Ball gerne zum Sechser wird und mit seiner Physis und Robustheit Angriffe früh unterbindet. Magnetti hingegen ist ein Freigeist, der ungern verteidigt und sich lieber in Eins-gegen-Eins-Situationen stürzt. Dabei zu übermütig verliert der dabei so manches Mal den Ball, doch oft genug gelingen seine Aktionen und führen zu Angriffen. Besonders gefährlich sind auch seine Schüsse aus der zweiten Reihe.
In der Offensive war Jérémy Le Douaron bis vor etwa zwei Wochen absolut gesetzt, bevor der Verein zum Unmut einiger Fans dessen Verkauf zur US Palermo verkündete. Für etwa vier Millionen Euro wechselte Le Douaron also in die Serie B und tauschte bretonischen Regen gegen sizilianische Sonne ein. Abdallah Sima, Leihspieler aus Brighton, wird ihn wohl ersetzen. Seit seinem Wechsel vor drei Jahren verlieh Brighton Sima immer wieder, so wird es zum Duell zweier Quasi-Teamkollegen kommen, wenn Sima auf Kjell Scherpen trifft. Zuletzt zeigte Sima aber vor allem bei den Glasgow Rangers auf, für die er zum Stammpersonal gehörte und mit 16 Toren eine durchaus gelungene Saison hinter sich hat. Sima ist groß, schmal und schnell, zieht gerne Richtung Tor und lässt sich auf immer wieder gerne mal im Sechzehner fallen, was auf der Insel bereits vereinzelt für Kritik sorgte.
Rechts wird Romain Del Castillo auflaufen. Der Absolvent der Fußballschule von Olympique Lyon gilt als starker Freistoßschütze und gefährlicher Rechtsfuß. Im Zentrum kommt ein – zumindest für Fans der deutschen Bundesliga – alter Bekannter zum Einsatz. Ludovic Ajorque wechselte kürzlich aus Mainz nach Brest, vorerst nur per Leihe, allerdings wurde eine Kaufpflicht vereinbart. Ajorqe misst fast zwei Meter Körpergröße, ist kopfballstark und eine klassische Strafraumkobra der Sorte Marc Janko.
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Der SK Sturm wird sich auf eine kompakte und stabile Viererkette einstellen müssen. Ebenso auf ein Mittelfeld, das zwar ohne den Dirigenten Lees-Melou auskommen muss, aber deshalb nicht weniger Qualität auf den Rasen bringt. Dazu eine Offensive mit viel individueller Qualität. Es wird eine Menge Arbeit auf die Schwoazn zukommen.
Es wird für beide Klubs eine besondere Partie. Für Stade Brest ist es nicht nur das erste Spiel in der Champions League überhaupt, sondern überhaupt das erste Mal Europa in der Geschichte des Klubs. Für den SK Sturm ist es die erste Teilnahme seit 23 Jahren. Obwohl hier die – zumindest am Papier – schwächsten Klubs des Bewerbes aufeinandertreffen, ist die Champions League die größte aller Bühnen im Fußball. Und die Schauspieler darauf die größten ihrer Zunft. Kleine Bühnen gibt es nicht mehr, Haugesund und Breidablik sind Geschichte, der SK Sturm ist nicht nur international, sondern spielt mit bei den ganz Großen.
Noch heute singen die Bretonen Lieder über den Sturm, der 1718 aus dem Westen kam und Brest das Fürchten lehrte. Und wer weiß, vielleicht singt man nächste Woche, über 300 Jahre später, von Sturm aus Graz, der den Brestois seinen Stempel aufdrücken konnte.
In eigener Sache
Wir freuen uns, verkünden dürfen, dass wir die Reise nach Nord-West-Frankreich auf uns nehmen. Wir werden unser Bestes geben, unsere Eindrücke und Erlebnisse in einem Reisebericht wiederzugeben und werden natürlich am ersten Spieltag der diesjährigen Champions-League-Saison so gut es geht für alle Leserinnen und Leser performen.
DANKE an alle, die bereit waren, uns eine Spende zuzukommen. Ohne eure Unterstützung wäre unser Tun nicht möglich. Sollte noch jemand gewillt sein, uns finanziell unter die Arme zu greifen – es folgen immerhin noch weitere internationale Auswärtsreisen – wir würden uns nach wie vor SEHR freuen:
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meine Prognose:
1:2
Tore: JGS und Mika, das Tor von Brest fällte erst in der Nachspielzeit