Der Club Brügge im Portrait
Unser ersten Heimspiel in der UEFA Champions League steht an und wir haben unseren kommenden Gegner unter die Lupe genommen.
Nach der Bundesliga ist vor der Champions League. Nach dem doch enttäuschenden Ausgang bei der Wiener Austria hat der SK Sturm am kommenden Mittwoch bereits die Chance auf Wiedergutmachung. Um 21.00 Uhr wird das erste „Heimspiel“ in Klagenfurt angepfiffen, der Gegner kommt aus Belgien, hat sich dort in der vergangenen Saison zum Meister gekrönt und heißt FC Brügge.
Über Happel und Habsburger
Der im deutschsprachigen Raum als „FC Brügge“ bekannte Klub heißt in der Landessprache Club Brugge Koninklijke Voetbalvereiniging, also zu Deutsch so viel wie „Klub Brügge Königliche Fußballvereinigung“ und wurde bereits 1890 gegründet, was den Klub aus der Provinz Westflandern zu einem der ältesten Klubs des Landes macht.
Ein Blick in die Geschichte der Stadt und der Region zeigt, dass sich in Brügge im späten 19. Jahrhundert so einiges tat. Aber fangen wir ganz von vorne an: Brügge wurde bereits in vorrömischer Zeit von keltischen und germanischen Stämmen besiedelt und entwickelte sich aufgrund der günstigen Lage als Umschlagsplatz für Waren im Verkehr zwischen Britannien und Gallien relativ schnell zu einer bedeutenden Handelsstadt. Erste Erwähnungen der Stadt finden sich unter dem Namen „Bryggja“, was zu Deutsch etwa „Anlegestelle“, bedeutet. Das Stadtrecht erhielt Brügge im frühen 12. Jahrhundert, also bereits relativ spät im Mittelalter. Danach ging es ganz schnell, passenderweise war es eine Sturmflut, die 1134 den Zwin schuf und die Stadt direkt mit der Nordsee verband. Im restlichen Verlauf des Mittelalters florierte die Stadt und wurde zu einer wohlhabenden und schnell wachsenden Stadt.
So schnell, wie Brügge zu einer Handelsmetropole aufstieg, war es aber auch wieder vorbei mit der Rolle als eine der führenden Handelsstandorte im Nordseeraum. Eingangs erwähnter Zwin versandete im Verlauf des 15. Jahrhunderts und die Rolle als größte und bedeutendste Hafenstadt der Region verlor man ans nahe gelegene Antwerpen, das heute noch über einen bedeutenden Seehafen verfügt. Schnell wurde aus dem Wohlstand der Stadt bittere Armut. In Frankreich tobten die Hugenottenkriege, die sich auch in Flandern auswirkten, der burgundische Hof zeigte der Stadt bald den Rücken und die Rechte der Stadt und ihrer Bürger wurden beschnitten.
Daran änderte auch die Zuteilung an die österreichischen Niederlande nichts, im Gegenteil. Kaiser Karl VI. regierte bis 1740, hatte aber alle Hände voll mit der Regierung der Monarchie zu tun, die im spanischen Erbfolgekrieg gewonnenen Niederlande waren für ihn eher ein Fluch als ein Segen. Erst mit Maria Theresia änderte sich die Situation, wirtschaftliche Reformern belebten die Region, stießen aber in der Bevölkerung immer wieder auf großen Widerstand. 1794 war es das dann mit der österreichischen Herrschaft über die Region, die französischen Revolutionstruppen eroberten die Stadt und zerstörten sie weitgehend. Erst mit dem Wiener Kongress 1815 fiel Flandern an das Königreich der Niederlande, 15 Jahre später an das Königreich Belgien.
Brügge, die tote Stadt
Zurück zu alter Stärke fand Brügge aber nicht. Arbeitslosigkeit und Tristesse herrschten in der Stadt, bis Ende des 19. Jahrhunderts allmählich wieder ein Aufschwung zu spüren war. Die Industrialisierung hatte man weitgehend verschlafen, doch immerhin als Kulturgut fand die Stadt europaweite Aufmerksamkeit. Georges Rodenbach veröffentlichte 1892 seinen zur Weltliteratur gehörenden Roman „Bruges-la-Morte“, also etwa „Das tote Brügge“, ein Schlüsselwerk für den Symbolismus, in dem sich der Witwer Hugues Viane in eine seiner verstorbenen Frau ähnelnden Opernsängerin verliebt. Das Werk spiegelt die in der Bedeutungslosigkeit verschwundene ehemaligen reichsten Stadt an der Nordseeküste wieder und gibt Einblicke in die melancholische und düstere Atmosphäre der Stadt zu jener Zeit – eine Leseempfehlung!
Mit dem Erscheinen dieses Werkes erlebt Brügge einen Aufschwung in allen Belangen. Brügge ging als „die tote Stadt“ um die Welt, eine Stadt, die in ihrer glorreichen Vergangenheit gefangen war. Ein symbolisches Bild des Verfalls und der Tristesse. Immer öfter fand sich Brügge auf der „Bucket List“ europäischer wohlhabender Touristen, heute ist Brügge hinter der Hauptstadt Brüssel die am zweithäufigsten besuchte Stadt des Landes. Die als „Perle des Mittelalters“ oder „Venedig des Nordens“ bezeichnete Altstadt hat weder ihren Charme, noch ihren kulturellen und historischen Stellenwert verloren. Romantische Gassen, kleine Geschäfte und Cafés, enge Grachten und große Märkte prägen seitdem das Stadtbild.
Warum das für diesen Artikel relevant ist? Nicht nur die Stadt selbst erlebte im späten 19. Jahrhundert einen beeindruckenden Aufschwung, auch der erste und somit älteste Verein der Stadt wurde zu dieser Zeit gegründet. 1890 vereinten sich Schüler und Studenten lokaler Schulen und Hochschulen zu einem Sportverein, dem „Brugsche Football Club“. Die zumeist katholischen Schüler statteten den Klub auch gleich mit Juvenals Zitat „mens sana in corpore sano„, also etwa „gesunder Geist in gesundem Körper“ aus – ein häufig in katholischen Kreisen verwendetes Sprichwort. Ein Jahr später schloss man sich mit einem zweiten ortsansässigen Klub zusammen, der 13. November 1891 ist heute das offizielle Gründungsdatum den Klubs.
Nach einigen Namensänderungen, man trug etwa von 1897 bis 1920 den französischen Namen FC Brugeois, im Anschluss bis 1972 den Namen Royal FC Brugeois, nahm man 1972 den niederländischen und heute noch gültigen Namen an, wobei der Klub in Belgien gemeinhin einfach nur Club Brügge genannt wird. Seit seiner Gründung konnte der Klub auf beeindruckende 19 Meistertitel, 11 Pokalsiege, 17 Superpokalsiege und einen Ligapokalsieg kommen. Der erste Österreicher, der Brügge regierte, war Karl VI, der letzte war ein gewisser Ernst Happel, der in Brügge (und vielen anderen Orten dieser Welt) Legendenstatus genießt. Unter seinen Fittichen erreichte der Klub 1976 gar den Einzug ins Finale des UEFA Pokals, zwei Jahre später sogar für den Vorgänger der Champions League, dem Europapokal der Landesmeister. In beiden Spielen unterlag man dem FC Liverpool.
Seine Heimspiele trägt der FC Brügge im Jan-Breydel-Stadion aus. Gebaut wurde es als Olympiastadion. Man möge meinen, dass dort auch olympische Spiele ausgetragen wurden, ein Irrtum. Tatsächlich wurde das Stadion einfach aufgrund der Begeisterung der Bewohner für die olympischen Spiele so getauft. Bis 2000 wurde das Stadion, das man sich übrigens ebenso mit dem Stadtrivalen Cercle Brügge teilt und das ebenso Eigentum der Gemeinde ist, für die Europameisterschaft in Belgien und den Niederlanden auf eine Kapazität von 30.000 Besuchern erweitert. Heute fasst das Stadion 26.000 Plätze, benannt ist es nach einem Anführer der Brügger Frühmette – einem blutigen Aufstand gegen die französischen Besatzer und eine zentrale Figur der flämischen Identität.
Club Brügge im Umbruch
Sportlich gab es in Brügge nach dem Meistertitel den erwartbaren Umbruch. Igor Thiago (FC Brentford) und Antonio Nusa (Rasenball Leipzig) wurden um beeindruckende 55 Millionen Euro verkauft, neu im Team sind etwa Christos Tziolis (Fortuna Düsseldorf), Gustaf Nilsson (Union St. Gillois), Ardon Jashari (FC Luzern), Zaid Romero (Estudiantes de la Plata) und Hugo Siquet (SC Freiburg). 30 Millionen Euro wurden in den Kader reinvestiert. Man merkt – in Graz werden trotz hervorragender Transfers kleinere Brötchen gebacken.
Trainer Nicky Hayen setzt in der Regel auf ein klassisches 4-2-3-1 System. Bei der 0:3-Niederlage gegen den BVB aus Dortmund versuchte man sich noch mit einem 4-1-4-1, gegen die vermeintlich schwächeren Gegner dieser Champions League Saison wird es wohl das altbewährte 4-2-3-1. Im Tor gibt es eine unangefochtene Nummer Eins. Ex-Liverpool Keeper Simon Mignolet hütet das Tor der Flandern bereits seit seinem Wechsel im Sommer 2019 und zählt schon zumindest zum erweiterten Kreis der Klublegenden.
Links in der Abwehr wird Maxim de Kuyper auflaufen. De Kuyper ist ein waschechter „Bruggeling“, wie man die Bewohner Brügges bezeichnet. Seitdem de Kuyper acht Jahre alt ist, trägt er das Wappen des Club Brügge auf der Brust. Er erinnert an Jusuf Gazibegovic, ist defensiv stabil und offensiv umtriebig. Der zweite Linksverteidiger im Kader – Faitout Maouassa – kehrte mit einer schweren Knieverletzung von seiner Leihe beim FC Granada zurück und fällt nach einer Operation noch länger aus.
Im Zentrum hat Hayen die Qual der Wahl. Neuzugang Zaid Romero, der neben dem argentinischen auch noch einen syrischen (!) Pass besitzt, scheint zu überzeugen, was einen Einsatz gegen den SK Sturm wahrscheinlich macht. An seiner Seite kann man mit dem Kolumbianer Joel Ordonez rechnen, der 2022 aus Kolumbien in die zweite Mannschaft des FC Brügge wechselte und seit letzten Sommer auch in der ersten Mannschaft eingesetzt wurde – bisher verpasste er keine Spielminute in dieser Saison. Auch der Routinier Brandon Mechele, der ebenso ein echter „Bruggeling“ ist und ebenso im eigenen Verein ausgebildet wurde und seit ganzen elf Jahren in der Kampfmannschaft spielt, wäre ein Kandidat. Fans der Premier League kennen Dedryck Boyata noch von seiner Zeit bei Manchester City, wo er auch eine Meisterschaft gewinnen konnte. Für die, die sich wundern: Ja, das war der Titel, an dem Manchester City nach einem Herzschlagfinale und zwei späten Toren von Edin Dzeko und Sergio Aguero den Titel in der Nachspielzeit von Manchester United mit Sir Alex Ferguson an der Seitenlinie erringen konnte.
Auf der rechten Seite könnte das Toptalent Kyriani Sabbe oder Neuzugang Hugo Siquet auflaufen. Siquet hatte bisher in der Liga aber die Nase vor dem Eigenbauspieler aus Brügge.
Auf der Doppelsechs ist ein Einsatz von Raphael Onyedika wahrscheinlich. Onyedika ist physisch und technisch beschlagen und ist eine etwas bulligere Variante von Malick Yalcouye. Der Nigerianer könnte Hugo Vetlesen oder Ardon Jashari an seiner Seite sehen. Jashari kam für etwa sechs Millionen Euro vom FC Luzern aus der Schweiz, hat bisher aber nur eine Rolle als Ergänzungsspieler. Wahrscheinlicher ist also der Norweger Vetlesen, der gemeinsam mit Onyedika viel Physis und Technik ins zentrale Mittelfeld bringt.
Auf der Zehn erhebt Hans Vanaken Ansprich auf den Startplatz. In 23 Spielen für die belgische Nationalelf erzielte er fünf Tore, seit neun Jahren spielt er für den FC Brügge, mittlerweile trägt er auch die Kapitänsbinde. Auf den Flügeln kommt eine Menge Arbeit auf Emir Karic und Jusuf Gazibegovic zu. Christos Tziolis ist ein absoluter Leistungsträger, ein extrem kompletter Spieler, pfeilschnell und mit dem Ball eigentlich nicht aufzuhalten. Das mussten auch die Gegner der Düsseldorfer Fortuna am eigenen Leib erfahren – letzte Saison erzielte er für den deutschen Fast-Bundesliga-Aufsteiger satte 22 Tore und legte sieben weitere auf, was ihn zum Topscorer der Liga machte. Skurril: Die Fortuna hatte beim Leihspieler aus Norwich eine Kaufoption über 3,5 Millionen Euro. Die zog man final am 1. Juli, drei Tage später wechselte Tziolis (der etwa „Tscholis“ ausgesprochen wird) für den doppelten Betrag nach Brügge. Masterclass.
Über rechts wird wohl Andreas Skov Olsen für Wirbel sorgen. Der wertvollste Spieler des Kaders (18 Millionen laut transfermarkt.at) steht bereits bei vier Toren in acht Ligaspielen, trug im Alter von 24 Jahren bereits 34 Mal das Trikot der dänischen Nationalmannschaft (acht Tore) und ist offensiv absoluter Leistungsträger.
Auf der Neun rechnen wir mit Gustaf Nilsson, der von Union St. Gilloise nach Brügge wechselte. Das Linzer Fußballpublikum kennt ihn noch vom Duell zwischen St. Gilloise und dem Linzer ASK. In der letzten Saison erzielte er zwölf Saisontore. Auch Ferran Jutgla, seines Zeichens Absolvent der La Masia, der Jugendabteilung des FC Barcelona, könnte ein Kandidat sein. Er wartet noch auf sein erstes Saisontor.
In Summe erwartet und ein vor allem offensiv extrem starkes Team. Tziolis und Skov Olsen sind brandgefährliche Spieler, beide zeichnen sich durch ähnliche Eigenschaften aus: Schnelligkeit, Antritt, Wucht und ein hervorragender Abschluss. Der SK Sturm ist gut beraten, die Möglichkeiten im Konter zu suchen, denn wenn Brügge eine Schwäche hat, dann ist es die Abwehr. Offensiv könnte Brügge von unseren Champions-League-Gegnern wohl einer der stärksten Kontrahenten werden.
Danke für die tolle Aufarbeitung vom Gegner 🙂
Bleibt nur zu hoffen, dass auch die Kampfmannschaft weiß, wie sie den Gegner aufarbeiten kann und muss.