„Hier is‘ hart, aber herzlich!“

Ein Dortmunder Lokalaugenschein vor dem Highlight-Spiel.

Einen Vorbericht aus Dortmund über das Spiel gegen den BVB im Westfalenstadion zu schreiben, ist keine Kleinigkeit. Aber Beiträge über die Fünf-Sterne-Teams von Konsolenspielen schreiben sich seit einigen Jahren wie von ChatGPT generiert. Zu bekannt ist der Gegner, zu omnipräsent die Spieler, zu legendär das Stadion mit seiner Südtribüne, zu inflationär effekthaschend die immergleichen sportjournalistischen Beiträge aller Menschen in dunkelblauer Sky-Uniform mit weißen Sneakern. Was im Blick von außen auf die großen Klubs manchmal auf der Strecke bleibt, sind die Gesichter der Wegbegleiter.

Legende des Dortmunder Kaiserviertels: Schuster Michael Kobbe. | Foto: SturmNetz

Michael Kobbe ist in Dortmund kein Unbekannter, vielmehr eine Legende seines Viertels. Wer im Kaiserviertel nahe der Innenstadt wohnt, kennt den Schustermeister, der seit vielen Jahren seinen Betrieb der alten Schule pflegt. Dass ausgerechnet ein SturmNetz-Redakteur einen Steinwurf vom Mann, der Lars Ricken, Marco Reus und vielen anderen bekannten und weniger bekannten Pott-Originalen die Schuhe richtet, entfernt wohnt, ist der angenehmste Zufall dieser Champions-League-Saison.

Tags zuvor vereinbart, dass ein kleiner Plausch zum anstehenden Gastspiel der Schwoazn im Revier schön wäre, betritt man das Geschäft. „Komm nach hinten!“, ruft der Schuster aus der Werkstatt durch den Laden und schickt eine Entschuldigung voraus. „Is immer viel los, ne. Tut mir Leid, wenn die Kundschaft uns stört, aber kann vorkommen vor Feiertagen.“ Der Laden läuft bei Schuster Kobbe, so viel ist sicher. In den 45 Minuten meines Aufenthalts kommen nicht weniger als 15 Personen mit Aufträgen oder um Schuhe abzuholen, zudem ein paar Leute, die UPS-Pakete abholen – der Service wird seit ein paar Jahren zusätzlich angeboten.

Wie viele Orte in Dortmund strotzt auch dieser vor BVB-Andenken. | Foto: SturmNetz

Die Unterbrechungen unseres Gesprächs sind kurzweilig, auch wenn der lebhafte Mann wirklich für alle Leute einen guten Spruch auf Lager hat und sich die Zeit nimmt. Das liegt am musealen Charakter der Räumlichkeiten, die gespickt mit BVB-Utensilien sind. Egal, wohin man sich dreht und wendet, es blitzt ein BVB-Logo auf, ein Wimpel hängt an einem Nagel, ein Magnet klebt auf einem Gerät, Autogrammkarten aus den letzten 40 Jahren sind hier verewigt. Michael Kobbe atmet seit bald 60 Jahren die Luft des Ruhrgebiets, vor allem aber jene der Borussia.

„Ich bin am Borsigplatz geboren“, sagt er beiläufig, während er Kleber auf eine Sohle streicht. „Mehr schwatzgelb geht nich, wa?“ Er blickt auf und erzählt vom Aufwachsen im Revier der 70er-Jahre. Vom Kohlestaub, von Kohlestücken und Bierchen, die für die Eltern im Kindesalter gekauft wurden, zum Heizen und für den Feierabend. Stolz erzählt er von den eigenen Fußballspielen, von jenen des Sohnes, von der Rivalität zu Schalke und den vielen Reisen, die er wegen des BVB schon unternommen hat. „Die letzten 30 Jahre waren auf jeden Fall die geilste Zeit in der Geschichte meines Vereins, um Fan zu sein“, sage ich irgendwann über Sturm Graz. „Bei Dortmund auf jeden Fall auch“, meint der Schustermeister. „Auch wenn es im Moment nicht so gut läuft mit den vielen Verletzten.“

Kein Blick ohne schwarz-gelbe Elemente möglich. | Foto: Sturmnetz

Die Reise, die hinter Michael Kobbe und seinen Borussen liegt, die kann man an den Wänden seines Betriebs ablesen. Die Erinnerungen bleiben haften wie der Kleber auf den Schuhsohlen. Barcelona, Madrid, Mailand, London … und auf vielen Urlaubs- und Auswärtsreisen auch immer wieder Urlaubsstopps in Österreich. Trotz aller Eindrücke von anderswo steht fest: „Egal, wie steinreich, ich würd hier nicht wegwollen.“

Auf die leichte Schulter wird in Dortmund im Moment kein Spiel genommen, dafür tritt das Team seit Wochen zu unsicher auf. Einen Sieg gegen Sturm Graz zweifelt trotzdem niemand an. Sportlich überzeugt das Team zwar nicht, aber Thema ist eigentlich vorwiegend das unzufriedenstellende Kader-Managment und das bevorstehende Spiel gegen Red Bull in der Liga. Dass mit Marcel Sabitzer ein Grazer mit einem Papa vom falschen Verein in den eigenen Reihen spielt, ringt dem Borussen ein Schmunzeln ab. Wichtiger ist ihm aber, dass die Dosen sportlich und in der Tabelle in die Schranken gewiesen werden. „Das war auch bitter, mit dem Klopp und Red Bull.“ Eine Enttäuschung, die nicht nur bei Kobbe Thema ist.

Red-Bull-freie Zone: Schuh-Service Kobbe! | Foto: SturmNetz

Das Geld zieht sich quer durch die meisten Gespräche als bestimmendes Thema. Bierpreise, Preise beim Schuster, Gehälter im Fußball … Ein Kunde fragt noch mal nach, bevor er bezahlt. „Hier sin‘ noch normale Preise bei mir“, meint Kobbe, bevor sein Handy klingelt. „Wenn jemand mal klamm is, weil es nich‘ so läuft, dann is dat kein Problem. Für mich war auch nich‘ immer leicht.“ Aber im Ruhrgebiet hält man eben zusammen.

Die Region ist nicht bekannt für Reichtum oder architektonische Ästhetik. Dafür kann man hier ankommen und sich ein Zuhause aufbauen, wie eine große industrielle Gastarbeitertradition aus der Zeit des Bergbaus eindrucksvoll belegt. Vielleicht sind die Fassaden im Ruhrgebiet nicht die buntesten, aber die Bevölkerung hält mit ihrer Art dagegen. Eine Dreiviertelstunde bei Schustermeister Michael Kobbe ist Beweis genug dafür. Die Kundschaft ist denkbar unterschiedlich, mit Akzent, Dialekt, stocksteif und jung … und … Gott bewahre … sogar ein Schalker war dabei.

Das Telefonat mit einer Kundin dauert wieder etwas länger, weil das eben Firmenphilosophie ist. „Komm lieber nächste Woche, weil hier is auch Baustelle“, sagt Kobbe. „Aber dann is auch fertig, Rita.“ So kann man auch Telefongespräche beenden. Hart, aber herzlich. Bevor das Zeitfenster für SturmNetz endet, vereinbart der Hausherr ein Nachgespräch für den Tag nach dem Champions-League-Spiel. „Viel Spaß im Westfalenstadion“, wünscht er noch. „Da is immer was los … und wenne ma‘ Tickets brauchst, musste nur früh genug sagen.“

5 Fragen an einen BVB-Fan

Wer bist du und seit wann bist du für den BVB?

Was erwartest du dir von der Borussia gegen Sturm Graz?

Was weißt du über den SK Sturm Graz?

Welche Orte würdest du den Sturm-Fans in Dortmund empfehlen?

Möchtest du den Sturm-Fans noch etwas ausrichten?

4 Kommentare

  1. Jocole sagt:

    Wir sind zu Gast in einer tollen Stadt, bei einem großartigen Verein, und bei herzlichen Menschen.
    Ich habe das Ruhrgebiet genauso wie den SK Sturm in mein Herz geschlossen.
    Es wird das größte und ewig in Erinnerung bleibende Auswärtsspiel auf internationaler Ebene des Sk Sturm Graz werden.
    Die Vorfreude ist riesig!
    Liebe Sturm Fans bitte beachtet nur, dass in Nordrhein-Westfalen das Mitführen und Abbrennen von Pyrotechnik im gesamten öffentlichen Raum verboten ist!
    Und so wie ich Deutschland kenne, würde ein Verstoß auch bedeuten, dass wir nicht ins Stadion kommen!
    Auf nach Dortmund!

  2. abcdre sagt:

    Schöner Bericht und richtig geiler Verein!

    Frage mich nur wie Tradition, über 200k Mitglieder und gleichzeitig eine AG sein, vereinbar sind? Vor allem wenn man da jetzt auf Klopp hin haut, schon eine gewisse Doppelmoral, oder?

    • eltico09 sagt:

      Absolut! Da kann ich mich nur anschließen, sehr feiner Bericht. Vor allem auf Klopp hinhauen, dass der jetzt nur das Geld im Sinn habe und ihm Moral und Werte egal seien, gleichzeitig aber erst heuer einen Sponsordeal mit Rheinmetall abschließen… würde ich mal zumindest Doppelmoral nennen.

  3. Bozo Bazooka sagt:

    Ich habe 1997 ein Jahr in Dortmund gewohnt. In diesem Jahr haben sie zum ersten Mal die CL gewonnen. Da habe ich den Verein und das geile Stadion ins Herz geschlossen. Die Identifikation mit den Borussen ist wohl auch deshalb eine spezielle, weil Dortmund abseits der netten Menschen recht wenig zu bieten hat(te). So habe ich das zumindest damals empfunden.

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