Die Hypotenuse des Magischen Dreiecks ist 55!
Schauplatz Paris, Stade de France, Fußball-Weltmeisterschaft 1998: Erst im dritten und letzten Vorrundenspiel gegen Italien setzt Österreichs Teamchef Herbert Prohaska erstmals auf den sich in der Form seines Lebens befindlichen Hannes Reinmayr. Das Magische Dreieck Haas-Vastic-Reinmayr, kurz zuvor mit Sturm zum ersten Mal österreichischer Meister geworden, durfte bislang nicht gemeinsam ran. Zu sehr regiert beim Fußballverband während der Endrunde noch die Verhaberung und Prohaska setzt lieber auf den angeschlagenen Andy Herzog sowie auf den sich in Unform befindlichen Toni Polster. Sogar viele, an sich mit Lokalcoleur bonierte Wiener Schmieranski-Journalisten – mit Ausnahme vielleicht von Peter Linden – hätten für eine Pro-Sturmblock-Entscheidung vollstes Verständnis gehabt, obwohl sich sowohl Herzog als auch Polster maßgeblich für die Qualifikation nach Frankreich verantwortlich zeichneten. In den Vorrundenspielen gegen Chile und Kamerun reicht es „nur“ zu zwei Unentschieden, trotzdem ist der Aufstieg ins Achtelfinale – wo bereits der regierende Weltmeister Brasilien auf seinen Gegner wartet – noch möglich. Und das Nationalteam – erstmals mit Ivica Vastic und Hannes Reinmayr zusammen in der Startelf – spielt groß auf und bringt die Squadra Azzura in ärgste Turbulenzen. Doch leider patzt Torhüter Michael Konsel, und so geht Italien in der 49. Minute durch Christian Vieri in Führung. Als der Teamchef in der 62. Spielminute auch noch Mario Haas ins Spiel bringt, fühlt sich das Stade de France plötzlich an wie das Schwarzenegger-Stadion in Graz. Nur das eben nicht Sturm gegen Lustenau spielt, sondern Österreich auf die auch noch nicht fix für das Achtelfinale qualifizierten Italiener trifft. Zwar werden die Kicker von der Apenninenhalbinsel phasenweise regelrecht vorgeführt, für den Aufstieg reicht es trotzdem nicht, letztendlich verliert man unglücklichst mit 1:2 und tritt die Heimreise an. Pflicht nicht erfüllt, somit durften die Chilenen in die Gala gegen die Selecao. Nachher ist man immer gescheiter, trotzdem sind sich so ziemlich alle Experten einig: Mit einer Leistung wie gegen Italien, hätte es gegen Chile und Kamerun sicher zu mehr als jeweils einem Unentschieden gereicht.
Knapp zwei Jahre zuvor galt Reinmayr noch als echter Wandervogel: Nach neun Stationen bei Kaiser-Ebersdorf, Austria Wien, FC Salzburg, dem Wiener Sportclub, der Vienna, Stahl Linz, Casino Salzburg, dem MSV Duisburg und Bayer Uerdingen war er in Graz gelandet. Und fand sich unter Trainer Ivica Osim dort zunächst zumeist auf der Ersatzbank wieder. Zu sehr folgte ihm noch sein vorauseilender Ruf als „Bruder Leichtfuß“, der halt ein begnadeter Bad- und Käfigkicker sei, aber keiner der „rechte Freude damit hat, sich auch irgendwo durchzubeißen“. Und einer dem man gerne manchmal das Image „Lucky Strike statt Laktat“ oder „Mulatschak statt Circle-Training“ umhängen wollte. Nicht immer ganz zu Unrecht. Dass er damals immer schon einer der begnadetsten Kicker in der Alpenrepublik war, daran hatte allerdings Niemand auch nur die leisesten Zweifel.
Neunmal steht er in seinem ersten Jahr in Graz in der Startelf, 22 Mal wird er eingewechselt. Kein perfekter Start und schlechte Aussichten, zumal in der Folgesaison der Fürst aus Rom Giuseppe Giannini in der Steiermark Hof hält. Der Kampf um einen freien Platz im Mittelfeld würde wohl noch rauer werden. Und trotzdem ist Reinmayr spätestens ab Herbst 1996 nicht mehr aus der Startelf wegzudenken. Zum ersten Mal fühlt er sich bei einem Klub rundum wohl und begreift, dass hier etwas ganz Großes im Entstehen ist und er ein wesentlicher Teil davon werden könnte. Als im April 1997 Giuseppe Giannini seinen Vertrag auflöst, besiegt Sturm am Tag danach die Admira mit 7:0. Das ganze Team agiert förmlich befreit, vor allem aber erzielt Reinmayr in diesem Spiel zwei Treffer und leistet zu zwei weiteren Toren die Vorarbeit. Der Knoten ist nun endgültig geplatzt. Enormes Potential wurde Reinmayr immer schon bescheinigt, wie hätte er ansonsten bereits als 17-Jähriger zwei Partien für die damals große Wiener Austria bestreiten dürfen, wie bereits 20-Jährig für die Vienna als Torjäger in Erscheinung treten und wie sonst 41 Bundesliga-Spiele in Duisburg (inklusive eines Führungstreffer gegen die großen Bayern) und im Krefelder Stadtteil Uerdingen zu absolvieren können. Jetzt gelingt es ihm, seine Fähigkeiten, erstmals auch über einen längeren Zeitraum hinweg, auszuspielen. Ein Wandervogel setzt somit endgültig zum sportlichen und emotionalen Landeanflug an.
Was danach folgte, ist den meisten Sturm-Anhängern ohnehin gut in Erinnerung: Die Saison 1997/98 bricht alles bisher dagewesene, Sturm Graz wird erstmals – und mit Rekordvorsprung – österreichischer Meister und das Magische Dreieck in aller Munde. Reinmayr steht 33 Mal in der Startelf und erzielt, als Mittelfeldspieler, 15 Treffer. Mario Haas deren 17, Ivica Vastic 14. Ein weiterer Meistertitel folgt, zwei Tore beim legendären Duell gegen den AC Parma, die Heldentaten in der Champions League – unvergesslich dabei der entscheidende Treffer des Wieners in Rotterdam, welches die dritte Teilnahme von Sturm in der Champions-League und den damit größten internationalen Triumph erst ermöglichte – kommen als Sahnehäubchen noch obendrauf. In vielen Interviews erzählte er, dass Ivica Osim natürlich einen großen Anteil an diesen Erfolgen hatte, da dieser Niemanden verbiegen wollte. Vier Jahre lang flog der SK Sturm mit Reinmayr von Erfolg zu Erfolg, lag Graz in einem einzigen Fußballrausch.
Zwar läuft es im Jahr des Champions-League-Gruppensieges in der Meisterschaft nicht mehr ganz so rund (Sturm konnte sich erstmals nach sechs Jahren nicht für einen internationalen Startplatz qualifizieren), doch augenscheinlich bergab geht es erst in der Folgesaison. Der Amoah-Transfer, nur ein Neuzugang von vielen in nur kürzester Zeit, sorgte für Unruhe innerhalb des Teams, vor allem aber kommt Reinmayr kaum noch zu Einsätzen. Er will aber nicht auf der Bank „versumpern“ und wechselt im Jänner 2002 zum 1.FC Saarbrücken – zu jener Zeit trainiert von Heribert Weber – in die Zweite Deutsche Bundesliga. Weber wird aber bereits eine Woche nach Reinmayrs Ankunft entlassen, trotzdem steht der Mittelefeldspieler wieder regelmäßig am Platz, doch die Saarländer steigen am Ende der Saison abgeschlagen und mit einem Torverhältnis von Minus 44 in die Regionalliga ab.
Gleich danach allerdings tut sich für den geborenen Wiener schon die nächste Chance auf: Der SV Mattersburg schwimmt gerade auf einer Erfolgswelle, lockt bei so manchem Heimspiel mehr Zuseher an als alle Erstligisten an einem Spieltag zusammen, nun soll dieser Euphorie aber auch der Aufstieg in die höchste Spielklasse folgen. Martin Pucher, Präsident der Burgenländer, verpflichtet neben Reinmayr noch Trainer Werner Gregoritsch und mit Herfried Sabitzer einen weiteren Ex-Nationalteamspieler. Gregoritsch ist von der Verpflichtung des ehemaligen Klassenfeindes Reinmayr anfangs nicht sonderlich begeistert, doch Pucher überzeugt den einstigen GAK-Trainer und sieht im früheren Sturm-Spieler die zukünftige Drehscheibe im zentralen Mittelfeld. Dem Wiener mit Wohnsitz in der Schilchermetropole Stainz zieht es somit in die nördlichen Ausläufer der Uhudler-Region. Dem SV Mattersburg gelingt auch tatsächlich erstmals der Aufstieg in die höchste Spielklasse, Reinmayr sitzt aber im Frühjahr wegen einer Knöchelverletzung zumeist nur auf der Tribüne und ist für die Mattersburger Premiere in der höchsten Spielklasse daher dann kein Thema mehr.
Nicht lange von dieser Ausbootung enttäuscht, will er mit knapp 34 Jahren in der Folgesaison beim Regionalliga-Aufsteiger St.Andrä noch einmal richtig durchstarten. Bei jenem Verein, der 2007 eine Kooperation mit dem WAC einging, durch die von zwei Lavanttaler Klubs nur einer übrig blieb. Schon damals hatte bei St. Andrä der heutige Präsident des WAC, Pellets-Mäzen Dietmar Riegler, das Sagen. Der Boss erwartet sich vom Mittelfeldspieler, dass er das Kärntner Team lenkt. Nach einem kurzen Treffen auf der Pack ist der Zweijahresvertrag unter Dach und Fach. Reinmayr speckt für diese Aufgabe acht Kilo ab und rast tagtäglich von seinem Haus in der Weststeiermark zum nur 66 Kilometer entfernten neuen Arbeitsplatz. Drei Jahre bleibt er im Lavanttal, am 24.6.2006 verlässt er dort die mittlerweile nicht mehr ganz so große Fußballbühne. Der Kärntner Verein organisiert ein Abschiedsspiel gegen eine 98er-Auswahl des SK Sturm. Die alten Helden von damals, von Sidorczuk über Mählich bis Vastic, geben sich ein Stelldichein und gewinnen 8:4. Hannes Reinmayr erzielte dabei im schwarz-weißen Trikot das 6:2, sein Sohn David, der kurz vor Schluss für ihn ins Spiel eingewechselt wurde, sorgte für den numerischen und emotionalen Schlusspunkt an einem ohnehin schon affektiven Tag.
Im Jänner 2007, zeitgleich mit der zweiten Heimholung von Mario Haas als Spieler, kehrte Reinmayr nach Messendorf zurück und wurde gleichberechtigt mit Christian Peintinger Coach der Amateure. Die „Zweier“ belegt in dieser Saison in der Regionalliga Mitte, punktegleich mit dem Zweitplatzierten Feldkirchen, den ausgezeichneten fünften Platz. Da die finanziellen Möglichkeiten in dieser Zeit kaum Handlungsspielraum zuließen, wechselte der Wiener 2008 zum FC Kärnten. Er gibt an, sich die schlecht bezahlte Tätigkeit bei Sturm schlichtweg nicht länger leisten zu können und wird in Klagenfurt Co-Trainer von Frankie Schinkels, später auch von dessen Nachfolger Jose Prelogar. Es folgen Trainerstationen beim Regionalligisten SC Kalsdorf, beim oberösterreichischen Bezirksliga-Süd Klub Union Thalheim sowie in Gössendorf. 2013 kommt es sogar zu einer zweiten, eher kurzfristigen Rückkehr zu seinem Herzensverein: Zusammen mit Stojan Rajkovic und Imre Szabicz arbeitet er für die Schwoazen im Scouting-Bereich. Es folgten Engagements in Fürstenfeld, Tobelbad, beim DSV Leoben, in Pöllau und in Werndorf. Bereits seit Juli 2022 betreut er aktuell den Unterliga-West-Klub SV Lannach.
Das Team von SturmNetz wünscht dem einstigen Käfigkicker aus dem elften Wiener „Hieb“, dem vielleicht talentiertesten Spieler, der jemals das schwarz-weiße Sturmhemd trug und der Hypotenuse des „Magischen Dreiecks“ alles Gute und viel Gesundheit zum 55. Geburtstag!
Ein Rückblick auf das wahrscheinlich beste Spiel einer Sturm-Mannschaft und auch das vielleicht großartigste von Hannes Reinmayr. Auch wenn das Ganze ein ganz, ganz bitteres Ende nahm:
ois guate Hannes, ein scharz-weißer Hero wie er im Buche steht
swg
Reiche hiermit ein „w“ nach
Alles Gute Hannes. Ein begnadeter Kicker und ein leiwander Bursch. Sicher mit Ivo einer der besten Spieler, die bei Sturm gespielt haben.
Unser Hauptsponsor hat bei ihm auch gepasst…
https://www.laola1.at/de/red/fussball/bundesliga/news/angebot-unterbreitet–sturm-graz-bietet-fuer-trauner-kollegen/