Gegen den „Lieblingsnachbarn“ war bislang selten was zu holen
In der mittlerweile auch schon langen Europacup-Historie des SK Sturm waren Begegnungen mit Vertretern aus Deutschland eher selten. Am kommenden Dienstag wird man sich – fast 20 Jahre nach einem Aufeinandertreffen mit dem VfL Wolfsburg – wieder mit einem Gegner aus unserem Lieblingsnachbarland duellieren. In der 43. Ausgabe unserer „Stürmischen Gschichtn“ haben wir alle Spiele des SK Sturm gegen deutsche Vertreter ausgegraben – und begeben uns sogar in die Niederungen des einstigen Intertoto-Cups:
Sturm Graz – Eintracht Frankfurt (Heim 0:2, Auswärts 0:1, Viertelfinale, EC der Pokalsieger, März 1976)
Nachdem der SK Sturm im letzten Jahr der Karl Schlechta-Ära in der Europapokalsaison 1975/1976 zunächst die Hürde Slavia Sofia (3:1, 0:1) nahm und in der zweiten Runde Haladás Szombathelyi durch Tore von Kurt Stendal und Manfred Steiner zuhause mit 2:0 schlug, setzte sich am 5. November 1975 eine echte Völkerwanderung in Bewegung. Mehr als 5.000 Sturm-Anhänger (eine für damals unfassbare Zahl) stellten sich bereits in den frühen Morgenstunden des 5. November 1975 an der ungarischen Grenze an und sprengten den damals noch existierenden „Eisernen Vorhang“. Ankick in Westungarn war bereits um 12 Uhr 30 und nach einer Abwehrschlacht erreichte Sturm (Gernot Jurtin erspitzelte in Minute 89 einen schlampigen Ausschuss des Haladas-Keepers) ein 1:1-Unentschieden und stand im Viertelfinale, in dem als Belohnung die Eintracht aus Frankfurt wartete.

Ein volles Rund am Faschingdienstag 1976 – (c) Sammlung Sturm Graz/Fischer
Der ORF übertrug dieses Spiel am Faschingdienstag des Jahres 1976 live, das Bundesstadion Liebenau war voll,
doch sowohl Stendal als auch Steiner, gegen Haladás noch die Matchwinner, mussten vor der Partie – wie damals durchaus üblich -„fitgespritzt“ werden. Sturm unterlag gegen die Hessen – trotz Torchancenplus (Hubsi Kulmer, Stendal, Kapitän Heri Weber und Arsenal-Bezwinger Heinz Zamut) – durch Tore von Bernd Hölzenbein (74.) und Rüdiger Wenzel (87.) deutlich zu hoch mit 0:2. Das Rückspiel wurde somit fast zur Pflichtübung – nur 17.000 Zuschauer wohnten diesem im Frankfurter Waldstadion bei. Die jedoch Zeugen davon wurden, dass Sturm sich wacker schlug und die Partie lange offen hielt. Erst in Minute 85 konnte Refik Muftic einen Weitschuss von Bernd Nickel nur nach vorne abprallen lassen, der immer noch aktuelle Rekordtorschütze der Eintracht, Bernd Hölzenbein, bedankte sich artig und erzielte das Goldtor. Im Halbfinale war dann für die Eintracht gegen West Ham United allerdings Endstation.
Sturm Graz – Borussia Mönchengladbach (Auswärts 1:5, Heim 1:2, UEFA-Cup, 1. Runde, September 1978)

Schilcher wird vom „Fohlen“ Norbert Ringels attackiert (c) Privat
Nachdem der SK Sturm die Bundesliga-Saison 1977/1978 auf Platz 4 beendet hatte, qualifizierte man sich wieder für den Europapokal und bekam – nur wenige Wochen nach „Cordoba“ – erneut einen deutschen Verein zugelost. Borussia Mönchengladbach, in den 1970ern gleich fünfmal deutscher Meister. Doch am Jakominigürtel ging es gerade drunter und drüber: Heri Weber wurde auf seinen Wunsch hin für 1,8 Millionen Schilling an Rapid verkauft, Kjeld Seneca verletzte sich schwer, zumindest Heinz Schilcher (in der Vorsaison noch Spielertrainer bei Racing
Strasbourg, und somit „Chef“ von Ivica Osim und Gilbert Gress) konnte zurück an die Mur gelotst werden. Trotzdem ging Sturm mit einer Verlegenheitself in die Saison, lag in der Liga auf dem letzten Platz und ging auch am legendären Bökelberg mit 1:5 unter. Vor nur 9.000 Besuchern stand es dank eines Jurtin-Treffers zwar zur Halbzeit noch 1:1, letztendlich wurde das Rückspiel in Graz-Liebenau fast bedeutungslos. Nach dem 1:2 (den Treffer erzielte Rückkehrer Schilcher) im Heimspiel ging es zumindest danach in der heimischen Liga wieder bergauf. Borussia Mönchengladbach zog in dieser Spielzeit nach Erfolgen gegen etwa Benfica und Manchester City ins Finale des UEFA-Cups ein und besiegte dort – damals noch in zwei Spielen – Roter Stern Belgrad mit einem Gesamtscore von 2:1.

Wimpeltausch in Liebenau – Allan Simonsen, Europas Fußballer des Jahres 1977 und Manfred Steiner (c) Privat
Sturm Graz – LOK Leipzig (Heim 2:0, Auswärts 0:1, UEFA-Cup-Achtelfinale, November 1983)
Die Europacupsaison 1983/1984 war für den SK Sturm ein echtes Wunder. Das Team, damals noch immer fast durchgehend mit Halbprofis bestückt, schaffte Historisches: Nach den Siegen gegen Studentesc Bukarest (mit dem jungen Gheorghe Hagi) und dem Wunder von Verona, wartete im Achtelfinale der DDR-Vertreter LOK aus Leipzig. 15.000 Besucher waren live in Liebenau dabei, als die Blackys dank zweier Treffer von Gernot Jurtin – Bozo Bakota fehlte verletzungsbedingt – mit 2:0 die Oberhand behielten. Das Rückspiel wurde von diversen Medien zur „Zweiten Völkerschlacht von Leipzig“ hochstilisiert. Und in der wuchs Sturm erneut über sich hinaus.

Laszlo Szokolai und Andy Pichler rackerten im Schnee. Man beachte die minimalistische Beflockung der Sturm-Wäsche (c) Privat
LOK war vor dem Match noch vom Aufstieg überzeugt. Nur zu genau wusste man in
Leipzig, dass der Gegner aus Österreich die letzten beiden Meisterschaftsspiele verloren hatte. Respekt war dennoch da: Die Deutschen hatten den Platz nicht geräumt, ja nicht einmal den Schnee gewalzt. 21.000 Fans im Bruno-Plache-Stadion konnten Sturm nicht einschüchtern, hatte man doch zuvor schon die „Hölle von Verona“ eindrucksvoll durchwandert. 700 mitgereiste Sturm-Knofel mussten sich zudem nicht großartig fügen, mit Hupen und Fahnen ausgestattet, war ihr erzeugter Lärm im weiten Rund nicht zu überhören. Zwar gingen die Ostdeutschen bereits in Minute 12 durch Uwe Zötsche in Führung, doch dabei bleib es. Und das obwohl der für solche Spiele prädestinierte Eisenfuß, Manfred Steiner, in Leipzig verletzungsbedingt nicht in den Reihen der Schwarz-Weißen stand. Riesenjubel herrschte dementsprechend nicht nur nach dem Schlusspfiff, sondern vor allem im Fünf-Sterne-Hotel Merkur, wo es an der Lobby zu einer spontanen, ausgelassenen Feier aller Spieler mit sämtlichen mitgereisten Fans kam. Nicht nur ein Einzug unter die acht letzten Teams im Europacup, auch ein gemeinsames Fest der Aktiven mit ihren Anhang, ist heutzutage kaum noch vorstellbar. Im Viertelfinale (Österreich war in dieser Spielzeit gleich mit drei!! Vereinen in diesem vertreten) schied man dann allerdings denkbar knapp gegen Nottingham Forest aus.

Szokalai und Trainer Gernot Fraydl bejubeln den Aufstieg (c) Privat

Im Jahr 1983 in die DDR zu reisen, war ein ziemliches Abenteuer. 700 Sturmfans ließen sich dennoch nicht aussperren. (c) Privat
Sturm Graz – VfL Wolfsburg (Auswärts 2:2, Heim 1:3, UI-Cup, 2. Runde, Juli 2005)
Nachdem sich die Blackys in Runde eins klar gegen den Vertreter aus Andorra, FC Rànger’s, klar durchsetzen konnten, wartete in Runde 2 des UI-Cups der VW-Werksklub aus Niedersachsen. UI-Cup? Richtig. Den gab es auch einmal. Im Prinzip war er der Nachfolger des Intertoto-Cups, einem Bewerb, nur dafür geschaffen, um auch in der an und für sich fußballfreien Zeit Toto-Wetten anbieten zu können. 1995 wurde er umgetauft und auch quasi ein vollwertiges Europacup-Event. Bot er doch jenen Vereinen, die in ihren nationalen Ligen knapp an „Europa“ gescheitert waren, eine Hoffnungsrunde, um sich doch noch für den UEFA-Pokal zu qualifizieren. 2009 jedoch, wurde er wieder abgeschafft.
Hannes Kartnig weilte gerade auf Mykonos, als ihn die frohe Botschaft vom 2:2 seiner Mannschaft beim VfL Wolfsburg erreichte. Trotz einer Roten Karte gegen Adam Ledwon schaffte Sturm im VfL-Stadion am Elsterweg zweimal den Ausgleich [Direkter Eckball von Bojan Filipović (51.) sowie David Mujiri (80.)], auch deswegen, weil die Grazer in der Vorbereitung schon weiter waren als ihr Gegner. Beim Rückspiel in Liebenau vor immerhin fast 7.000 Zuschauern gingen die Gäste jedoch nach einem Elfmeter von Martin Petrov schnell in Führung. Günther Neukirchner egalisierte mit einem Außenrist-Traumtor nach Säumel-Zuspiel diesen, in der 78. Minute aber fälschte Thomas Krammer einen Petrov-Weitschuss unhaltbar für Grzegorz Szamotulski ab. Das 1:3 in der Nachspielzeit durch Menseguez war dann nur noch Ergebniskorrektur. In der nächsten Runde hätte IFK Göteborg gewartet, die Wolfsburger schieden erst im Halbfinale gegen RC Lens aus und konnten sich somit auch nicht für den Hauptbewerb qualifizieren.
Intertoto-Cup:
Zur Vollständigkeit noch alle Partien gegen deutsche Vertreter in diesem sportlich doch eher bedeutungslosen Bewerb:
Sturm Graz – Werder Bremen (Auswärts 2:7, Heim 2:1, Intertoto-Gruppe 3, Juli 1982)
In der Regel wurden Intertoto-Partien irgendwo im steirischen Umland ausgetragen. Im Sommer 1982 gastierte Werder (nachdem man zu Hause 7:2 über die Grazer drüberfuhr, nach 34 Minuten stand es noch 2:2) jedoch tatsächlich in der legendären Gruabn. Sturm war damals gerade im Begriff, die in die Jahre gekommene Spielstätte zu revitalisieren. Vor 2.500 Besuchern gelang den Grazern dank der Tore von Bozo Bakota und Zvonko Breber ein überraschender 2:1-Sieg. Für Werder traf übrigens niemand Geringes als Rudi Völler. Noch legendärer jedoch, was sich nach dieser Partie zutrug. Zwei Werder-Akteure waren in der Nacht aus der Mannschaftsunterkunft ausgebüchst, machten im Cafe Helga in der Keplerstraße die Nacht zum Tag, bis sie bemerkten, dass die Rechnung viel mehr hermachte, als das eigene Portemonnaie hergab. Mitten in der Nacht ließen sich die beiden Ausreißer ins Teamhotel verbinden, läuteten deren Sportmanager Willi Lemke aus dem Schlaf und baten diesen reumütig, in die Bresche zu springen. Der pfiffige Lemke machte sich schlaftrunken auf den Weg, stellte für diese Gefälligkeit in höchster Not dann eine harte Gegenforderung: Noch im Etablissement unterschrieben die beiden Profis der Legende nach auf einem Bierdeckel eine aus ihrer Sicht ziemlich unattraktive Vertragsverlängerung bei Werder. Erst danach beglich Lemke die Zeche.
Sturm Graz – Karl Marx Stadt (Heim 1:1, Auswärts 1:2, Intertoto-Gruppe 6, Juli 1984)
Gegen Karl Marx Stadt (nach der Wende heutzutage wieder als Chemnitz bekannt) spielte man in Eisenerz. Einzige Besonderheit: Ein gewisser Schwarzl, Vorname unbekannt, ersetzte zur Pause Bozo Bakota. Laut dem Kurier, soll es sich bei diesem Mann um einen Testspieler gehandelt haben. Scheinbar konnte er nicht überzeugen, selbst Sturmhistoriker haben von diesem Spieler noch nie etwas gehört. Vielleicht löst ja ein SturmNetz-Leser dieses Rätsel?
Sturm Graz – Arminia Bielefeld (Auswärts 2:0, Heim 0:0, Intertoto-Gruppe 8, Juli 1985)
Ein völlig unbedeutendes Spiel in der Sturm-Geschichte? Nicht ganz, denn im Hinspiel im Erich-Martens-Stadion zu Bünde, traf ein blutjunger Franco Foda im Seidenstricker-Trikot noch unwissentlich erstmals auf seine spätere große Liebe. Zur Halbzeit lag sein Team jedoch bereits mit 0:2 zurück und Foda blieb in der Kabine. Beim Rückspiel im Deutschlandsberger Koralmstadion wurde er in Minute 52 eingewechselt.
Sturm Graz – Fortuna Düsseldorf (Heim 0:0, Auswärts 0:1, Intertoto-Gruppe 9, Juli 1990)
1990 bekam man gleich zwei deutsche Vertreter zugelost: Erneut Karl-Marx-Stadt, 1990 wie oben vermerkt, schon wieder der FC Chemnitz, sowie Fortuna Düsseldorf, mit Publikumsliebling Anthony Baffoe, Torschützenkönig Jörn Andersen oder dem späteren Rapid-Trainer Mike Büskens. Nach einem torlosen Unentschieden in Ligist war es im Rückspiel dann auch Andersen, der den einzigen Treffer in diesen beiden Begegnungen erzielte. Sturm bleib in der Endabrechnung aber vor der Fortuna, auch weil man gegen Chemnitz immerhin zwei Remis einfuhr.
Sturm Graz – Bayer Uerdingen (Auswärts 1:3, Heim 1:0, Intertoto-Gruppe 7, Juli 1991)
Sturms letzter Auftritt im Intertoto-Cup wurde besiegelt durch ein Goldtor von Teamspieler und Notar Kurt Temm. Immerhin 2.500 Besucher waren zum Abschied in die Gruabn gepilgert. Denkbar knapp die Endtabelle: Der kleine Bayer-Werksklub mit sieben Punkten auf Rang 1, Sturm mit immerhin 5, am Tabellenende.

Sturms letzter Torschütze im Intertoto-Cup – Mag. Kurt Temm (c) Privat
Wahnsinn, vielen Dank für den wirklich informativen Artikel! Intertoto Cup ist bei mir vollkommen unter dem Radar gelaufen…
woher habt ihr bitte die ganzen Fotos von Tickets etc?
Mega!!! Tolle Aufzählung…
Stell mir gerade den doch – rip – biederen Lemke im Anzug im Café Helga vor 🙂