Wo es an jeder Ecke nach Fußball riecht
Europa League, Serie C und Bundesliga – drei Spiele in ebenso viele Bewerben bekam das SturmNetz-Team im November 2023 innerhalb von nur vier Tagen zu sehen. Und eigentlich hätten es noch mehr sein sollen. Ein Blick zurück: Am 8. November machten sich die SturmNetzler recht zeitig auf in Richtung Bergamo, um vom Europa League Spiel zwischen Atalanta und Sturm zu berichten. Da am darauffolgenden Sonntag auch die Bundesliga-Auswärtspartie in Klagenfurt anstand und dies bekanntlich genau am Heimweg liegt, war der logische Schluss, sich die Zeit bis dahin mit Sightseeing und italienischem Fußball zu vertreiben. Freitag Vicenza, Samstag Venezia, Sonntag Klagenfurt. Das wäre der eigentliche Plan gewesen. Auch Monza war als Draufgabe noch eine Option. Eine relativ kurzfristige Verschiebung aller möglichen Spiele machte den ausgefeilten Plan allerdings zunichte. Deshalb blieb aufgrund der bereits gebuchten Zimmer und Zugfahrten nur noch die Begegnung in der Serie C zwischen Vicenza und Pro Patria übrig und so machte man sich einen Tag nach der 0:1-Niederlage in der Lombardei auf den Weg nach Vicenza, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der Region Venetien.
War uns gegenüber das Wetter in Bergamo nicht sonderlich gut gesonnen, so strahlte der gelbe Himmelskörper über der 110.000 Einwohner zählenden Stadt und sorgte zumindest tagsüber für frühlingshafte Temperaturen mitten im November. Die Innenstadt präsentierte sich nicht nur am Tag sehr lebendig mit unzähligen Restaurants und Geschäften – etwas, was wir in Bergamo etwas vermissten. Nachdem bereits am Tag der Anreise das Stadio Romeo Menti außen sowie innen besichtigt wurde, stand am Samstag Abend das Heimspiel gegen den Tabellen-Nachzügler Aurora Pro Patria an.
Nach einem weiteren nachmittäglichen Stadtbummel und dem Besuch des beeindruckenden Teatro Olimpico machten wir uns zu Fuß auf den Weg zur Spielstätte, dessen Flutlichter schon von weitem sichtbar den Abendhimmel erleuchteten.
Da wir noch ohne Ticket herumirrten und uns zunächst auch niemand sagen konnte, wo es Bigletties zu erstehen gab, wurden wir im Vereinsbüro doch noch fündig. Zum Glück schien sonst kaum jemand an Tageskarten interessiert gewesen zu sein, denn sonst hätten wir den Anstoß möglicherweise versäumt, denn auch in der dritten Leistungsstufe sind die Karten personalisiert, was beim Kauf einiges an Zeit in Anspruch nimmt. Diese Genauigkeit bekam man beim Eingang allerdings nicht mehr zu spüren. Die vielen Ordner nach den Drehkreuzen dienten wohl mehr als Abschreckung, Kontrollen gab es nämlich überhaupt keine. Wir haben uns für die Gegentribüne entschieden und platzierten uns nahe der Curva Sud. Das Stadion Romeo Menti – benannt nach Romeo Menti, der von 1934 bis 1938 in 82 Spielen für die Associazione del Calcio in Vicenza auflief und 1949 im Dienste von Grande Torino Opfer der Tragedia di Superga wurde – feierte 1935 seine Eröffnung und wurde daraufhin immer wieder renoviert, bzw. an die Sicherheitsstandards angepasst. Von einer modernen Spielstätte kann jedoch keine Rede sein, an vielen Ecken bröckelt das Mauerwerk, die Sitze sind zum Teil ausgeblichen und der Rost nagt am Metall der Absperrungen. Fußballcharme versprüht das Stadion aber auf jeden Fall zuhauf. Aktuell ist die Kapazität auf 12.000 Fans limitiert, was aufgrund der derzeitigen Ligazugehörigkeit auch meist völlig ausreicht. Dennoch sind fünfstellige Besucherzahlen auch keine Seltenheit. Gegen die Gäste aus Busto Arsizio – einem Vorort von Mailand – war das Interesse jedoch enden wollend. Offiziell befanden sich 7.624 Besucher:innen auf den relativ steilen Rängen, gefühlt waren es aber deutlich weniger. Dennoch wäre man in Österreich bei manchen Bundesligisten heilfroh über eine solche Kulisse.
Der Großteil der Heimfans postierte sich in der Südkurve, während sich ein weitaus kleinerer Fanblock auf der Gegentribüne, die ebenfalls relativ gut gefüllt schien, direkt neben dem Gästesektor formierte. Die Nordtribüne sowie die recht teure Haupttribüne waren dagegen eher schütter besetzt. Auch etwa 25-30 Auswärtsfans nahmen die 240 Kilometer weite Anfahrt in Angriff. Wenn man sich die Geschichte von L.R. Vicenza Virtus – so heißt der Verein derzeit offiziell – ansieht, so gab es in der Vereinshistorie viele Hochs und Tiefs. 1902 gegründet, und in den Folgejahren einer der besten Vereine der Region, nahm der Klub durch finanzielle Probleme bereits in den 1950ern einen Sponsornamen an und hieß fortan Lanerossi Vicenza. Daraufhin folgte der Wiederaufstieg in die Serie A in der man in der Saison 1977/78 überraschend Vizemeister wurde. Dann folgten aber wieder finstere Zeiten mit dem Absturz in die Drittklassigkeit. Rein sportlich schaffte man in den Jahren darauf zwar wieder den Aufstieg in die Serie A, war jedoch Teil eines Spielmanipulationsskandals und wurde deshalb wieder in die Serie C zwangsversetzt. Im Jahre 1995 war Vicenza dann aber endgültig wieder in der obersten Spielklasse vertreten und feierte kurz darauf unter dem neuen alten Vereinsnamen Vicenza Calcio mit dem Gewinn der Coppa Italia auch den größten Erfolg der Vereinsgeschichte, wodurch man sich für den Europapokal der Pokalsieger qualifizierte und erst im Halbfinale am FC Chelsea scheiterte.
Danach ging es wieder einmal bergab und man spielte bis zur Saison 2012/14 fast durchgehend zweitklassig, ehe abermals der Gang in die Drittklassigkeit folgte. Dass dies nicht schon einige Jahre früher Geschah, war diversen Zwangsabstiegen von Mitbewerbern zu verdanken. 2018 fusionierte man mit dem FC Bassano Virtus und tritt seither als L.R. Vicenza Virtus auf. Nach zwei Jahren in der Serie B spielt der (leider) 1902 gegründete Verein seit der Saison 2022/23 wieder in der Serie C – Girone A, wo man seither stets im vorderen Tabellendrittel mitmischen konnte. Auch in der aktuellen Spielzeit konnte sich der Verein in den Rängen des Aufstiegs Play-Offs festsetzen, auf die Spitze fehlt aber doch einiges. Pro Patria kämpft dagegen um den Ligaverbleib, weshalb die Gastgeber als klarer Favorit in die Partie gingen, auch wenn die selbe Begegnung wenige Tage zuvor in der Coppa Italia Serie C erst in der Verlängerung zugunsten von Vicenza entschieden wurde. Doch an diesem Tag waren die Biancorossi von Beginn an überlegen und gingen bereits in der vierten Minute durch Fabio Scarsella in Führung. Die Gäste kamen überhaupt nicht ins Spiel und konnten über den knappen Rückstand durchaus froh sein. Vicenza spielte gefällig, auch wenn das Niveau wohl aufgrund der Spielklasse nicht besonders hoch war. Die Fans honorierten den guten Auftritt ihres Teams, besonders laut wurde es in der ersten Hälfte abseits vom Torjubel jedoch nur selten. Doch trotz der spielerischen Aussichtslosigkeit ihrer Mannschaft waren auch die Gästefans durchwegs aktiv und trotzten oberkörperfrei der abendlichen Kälte. Kurz vor der Pause wollten wir einem möglichen Kantinen-Ansturm zuvor kommen und deckten uns mit Bier und Weckerl zu für italienische Verhältnisse humanen Preisen ein und bekamen direkt beim Wiederbetreten der Tribüne das verdiente 2:0 – abermals durch Scarsella – zu Gesicht.
Auch die zweite Hälfte gestaltete sich ähnlich, die Gäste kamen kaum zu Möglichkeiten und Vicenza wollte den Deckel drauf machen, scheiterte aber zunächst an der eigenen Chancenauswertung. Es war fast wie ein Spiel zwischen Ferrari und Renault. Und eigentlich war es das auch wirklich, denn so standen mit Franco Ferrari bei Vicenza und Guillaume Renault bei Pro Patria zwei Akteure mit genau diesen Nachnamen am Feld. In der 58. Minute sorgte der Ferrari unter den beiden Teams durch den Torschützen Matteo Della Morte für die Vorentscheidung. Für kurze Zeit sorgte dies im gesamten Stadion für Furore und Gänsehautstimmung. Schnell war es dann aber wieder relativ ruhig und der Support beschränkte sich zu einem großen Teil auf den Kern der Curva Sud, sowie den kleinen Teil auf der Gegentribüne, den wir aber nur optisch vernehmen konnten. Weitere Torjubel wurden dann noch durch mehrere Abseitsentscheidungen unterbunden, weshalb das Spiel ohne große, nennenswerte Momente in die Schlussphase ging. Als bereits ein Teil des Heimpublikums das Stadion verlassen hatte, sorgte Manuel Lombardoni per Kopf für den Ehrentreffer der Gäste, welchen dessen Anhang wie einen Sieg bejubelte. Am Ende ging die Partie klar und verdient mit 3:1 an Vicenza. Nach dem Schlusspfiff bedankten sich die jeweiligen Teams bei ihren Fanblöcken, wirklich gefeiert wurde aber auch bei den Heimfans nicht und so leerten sich die Tribünen sehr schnell.
Für uns ging es durch die engen Gassen in Richtung Bahnhof, wo es Richtung Venedig ging. In Erinnerung bleiben wird uns auf alle Fälle ein durchaus netter und unterhaltsamer Fußballabend bei einem sympathischen und geschichtsträchtigem Team mit aus Sturmfan-Sicht suboptimaler Farbgebung und ebenso suboptimalem Gründungsjahr, in einem Stadion, welches an jeder Ecke nach Fußball riecht!
Top Besuch Sturmnetz! Leider gibt es in Ö keine Stadien mehr, welche eine Geschichte erzählen (eventuell noch Sportklub / Dornbach)
Deshalb ist auch jeder Gruabn Besuch etwas besonderes