Wie gut oder schlecht ist Sturm wirklich?

22 Runden Nestor El Maestro – ein neuer Piefkecorner

Die Saison 2019/20 geht in die entscheidende Phase. Covid-19 zögert die Meistergruppe zwar hinaus, aber der vergangene Grunddurchgang ermöglicht trotzdem einen Rückblick samt Einordnung. 22 Runden sind gespielt und der SK Sturm hat wie erwartet das erste Saisonziel erreicht, sich also für die Meistergruppe qualifiziert.

Dadurch, dass ich aus meinem Piefkecorner nicht mehr so oft nach Graz komme, konnte ich in dieser Saison leider selbst nur zwei Mal im Stadion sein. Ein Mal beim 1:1 gegen die Dosen, einer fantastischen Leistung unserer Elf. Beim zweiten Mal beim 1:2 gegen Mattersburg, einer spielerischen Vorgabe. Den Rest musste ich über TV und Internet verfolgen. Die Chancen auf (Vize- &) Meistertitel sind am heutigen Tag objektiv betrachtet nur noch theoretisch, was zwar schade ist, aber für die RealistInnen unter den schwoazen Fans bestimmt nicht der enttäuschende Aspekt sein dürfte. Dennoch birgt diese Etappe in der Ligasaison einen guten Zeitpunkt, um die Arbeit von Nestor El Maestro im Vergleich zu seinen Vorgängern und die mittelfristige Entwicklung des Teams unter Günter Kreissl genauer zu beleuchten. Zwar ist die Zielsetzung mit einem EL-Qualifikationsplatz erreichbar, für viele Sturmnetz-Kommentierenden aber gar nicht wünschenswert, da man ein weiteres frühzeitiges Ausscheiden befürchtet. Letztendlich steht aber zu diesem Zeitpunkt eine Frage über allem.

Wo steht der SK Sturm eigentlich?

Wenn man die Kommentare und Wortmeldungen vom Gros der SK Sturm-SympathisantInnen im Sturmnetz (inklusive der sozialen Medien) sondiert, bekommt man den Eindruck, dass die meisten Leute vor allem sportliche Stagnation bemängeln, sich also nicht wirklich etwas verschlechtert hat, aber eben auch nichts verbessert. Gepaart mit der Tendenz der Grazer Fangemeinde, sich die Lage schlechter zu reden, als sie ist, wenn sie nicht gut ist (und vice versa in den positiven Momenten), hat sich ein hoher Grad an Frustration gegenüber vielen Spielern, Günter Kreissl und dem Trainerteam aufgestaut.

Wer darf jetzt eigentlich frustriert sein? © Martin Hirtenfellner Fotografie

Wirft man einen Blick auf die Zahlen nach den ersten 22 Runden der Vorsaison, wo Sturm bis einschließlich Runde sieben von Heiko Vogel, dann bis Runde 14 interimistisch von Günter Neukirchner betreut wurde und danach unter Roman Mählich die Saison zu Ende spielte, so erreichte Sturm 31 Punkte bei einem Torverhältnis von 26:23, die den dritten Rang vor Beginn der Meistergruppe bedeuteten. Demgegenüber steht nun 2020 Nestor El Maestro mit dem marginal besseren Punktestand von 32 bei einem Torverhältnis von 37:28, wenngleich das nur für den fünften Platz reichte.

Während also zu diesem Zeitpunkt der Vorsaison der SK Sturm 1,18 Tore pro Spiel erzielte, erhöhte sich dieser Wert unter Nestor El Maestro auf 1,68 Tore. Damit man das alles in einen (wegen des neuen Meisterschaftsmodus mäßig vergleichbaren) sportlichen Kontext setzen kann: Im Jahr davor stand Sturm nach 22 Runden (ab Runde 21 war bereits Heiko Vogel nach Franco Foda am Ruder) mit 44 Punkten in der Tabelle auf Rang zwei und hatte ein Torverhältnis von 39:26 (1,77:1,18 pro Spiel). Diese Zahlen werfen eine neue Frage auf.

Was hat sich also seit dem Ende der Ära Franco Foda verändert?

Geht man nach den Statistiken, so hat Nestor El Maestro das geschafft, was man nach der Abwärtsspirale unter Heiko Vogel und dem schwachen Abschneiden unter Roman Mählich dringend benötigt hat: NEM hat die Mannschaft des SK Sturm Graz wieder stabilisiert und auf ein ähnlich offensives Niveau wie unter Franco Foda gebracht. Das mag durchaus solide klingen. Trotzdem steht der SK Sturm Graz nun in der Tabelle schlechter da, leidet seit dem Abgang von Heiko Vogel unter sinkenden ZuschauerInnenzahlen und wurde von der Konkurrenz nicht nur eingeholt, sondern überholt.

Letzteres liegt vor allem daran, dass der SK Sturm seine Heimstärke verloren hat. Stand man nach 22 Runden 2018 noch auf Platz eins der Heimtabelle (22:9 Tore in 11 Spielen), so fand man sich 2019 gar nur noch auf Platz sechs wieder (15:12). 2020 steht man in der Heimtabelle aktuell auf dem siebenten Rang bei 16 erzielten und 15 erhaltenen Treffern. Das Problem ist zudem, dass man auswärts zwar die Punkteausbeute gegenüber 2018 (18) und 2019 (15) in diesem Jahr halten konnte (18), aber sich dann summa summarum eben eine Abwärtsspirale ergibt.

Der SK Sturm war in seinen erfolgreichsten Saisons traditionell von seiner Heimstärke abhängig. Davon kann Franco Foda ein Lied als Trainer und als Spieler singen, denn nicht zuletzt die erfolgreiche Champions League-Gruppenphase vor 20 Jahren kann hier als Beispiel dienen. Der Support der heimischen AnhängerInnen in der Gruabn war auch früher bereits legendär und wurde so im Jubiläumsbuch festgehalten, dokumentiert und durch einige Zitate und Zahlen untermauert. Die Ultras sind auch heute eine (international) anerkannte Rückendeckung für Siebenhandl & Co und die Nordkurve Graz wird immer wieder von (Gegen-)Spielern wegen ihrer Leidenschaft, Choreos und Lautstärke erwähnt. Selbst in weniger erfolgreichen Zeiten hält der Kern hinter dem Tor seiner Mannschaft aus voller Kehle die Treue (mit Ausnahme einiger Minuten während der desaströsen Vorstellung gegen Mattersburg) und geht sogar zum Stadion, wenn er nicht hinein darf (wie gegen Haugesund im Sommer).

Dass die Längsseite bei üppigen Ticketpreisen und den geringeren Erfolgsaussichten zunehmend ausbleibt, ist zwar bitter, aber verständlich. Erst recht, weil der Schnitt der Heimtore von 2,0/Spiel auf 1,45/Spiel fiel und fünf dieser Partien verloren wurden. Gepaart mit dem konstanteren Abschneiden der sportlichen Konkurrenz, die die Liga spannender gemacht hat, sieht es tabellarisch deshalb düsterer aus. Kurzum: Der SK Sturm ist nicht schlechter geworden, aber die Konkurrenz eben besser. Das ist schade, denn wirtschaftlich wären die Parameter für gute, kreative Arbeit im sportlichen Bereich gegeben.

Der SK Sturm ist nicht schlechter geworden, aber die Konkurrenz eben besser.

Ja, die spielerische Ausrichtung des SK Sturm ist reaktiv, vorsichtig und verwaltend. Das sollte aber nicht weiter verwundern, schließlich ist das seit Franco Foda 2006 fast ununterbrochen der Fall gewesen. Peter Hyballa und Heiko Vogel sind an dieser Stelle zwei neunmonatige Ausnahmen in besagtem Zeitraum. Ja, der SK Sturm spielte unter Ivica Osim attraktiven Fußball und begeisterte die ZuschauerInnen spielerisch, aber diese Ära war eine Ausnahme und nicht die Regel. Der Verein steht vor allem für Leidenschaft, Aufopferungsbereitschaft und all die anderen Tugenden, die man heute im Leitbild findet. Wir geben eben „Vuigas“ und spielen nicht Tiki-Taka. Wir sind „schnöll und stoak“ und nicht elegant mit Spielwitz. Daran ist nicht Günter Kreissl schuld. Er hat mit Heiko Vogel versucht, dies ein wenig zu ändern, aber nicht den Mut bewiesen, dranzubleiben, sondern sich mit dem Vorstand darauf geeinigt, wieder den bekannten Weg einzuschlagen.

Die Massen in Graz erinnern sich zwar gerne an magische Dreiecke und Galanächte zurück, fordern aber vor allem Ergebnisse in der Gegenwart. Der sportliche Pragmatismus ist leider in den vergangenen zwanzig Jahren wieder zur Grazer Tugend geworden und dem muss man sich als Sturm-Fan stellen, ob man will oder nicht. Der wirtschaftliche Zusammenbruch in den 00er-Jahren sorgte für kleinere Brötchen im spielerischen Bereich und da man (aus logischen Gründen) nun vor allem wirtschaftlich „stabil“ bleiben möchte, wird auch „stabil“ Fußball gespielt. Die Eitelkeit bringt den verwöhnten Fußball-Fan dadurch in die ambivalente Situation, dass das auf Dauer natürlich unzufriedenstellend ist. Mich bringt diese Situation aber vor allem zu folgendem Schluss.

Man braucht keine Not für gute Tugend.

Als Autor dieses Textes, verlässt man den analytischen Standpunkt, wenn man über die Ausrichtung des Spiels des eigenen Teams zu philosophieren beginnt. Was definitiv auszumachen ist, ist die vehementere Forderung vieler KommentatorInnen unserer Medien, die zunehmend eine verstärkte Eingliederung der Nachwuchsspieler in die erste Elf fordern. Es erinnert subjektiv sehr stark an jene Phase, als Mischa Petrovic, der Mitte der 90er die Amateure betreute und großteils unter Ivica Osim sein Trainerhandwerk lernte, wirtschaftlich bedingt sehr viele junge Spieler hochziehen musste, die heute kurz vor dem Karriereende stehen, oder bereits ihre aktive Zeit beendet haben. Das Team, ergänzt durch spannende Spielerpersönlichkeiten wie den filigranen Bojan Filipovic, den sehr späten Frank Verlaat und den allseits beliebten Adam Ledwon (RIP), war mitreißend und spannend anzusehen, auch wenn der größte sportliche (und emotionale) Erfolg ein verhinderter Abstieg war. Die Zeit, so meinen viele Supporter, wäre heute wieder reif, gerade in diesem sportlichen Vakuum anzusetzen und die starke Generation an Spielern bei den Amateuren jetzt in den Profi-Betrieb einzugliedern. Es deutet sich ein sportlicher Kader-Umbruch an und, auch wenn Günter Kreissl ihn fast jeden Sommer herbeigeredet hat, so bleibt zu hoffen, dass er diesmal auch wirklich die Alterstruktur nach unten drückt und den Mut beweist, nicht bei der ersten schwierigen Situation den Schwanz einzuziehen. Der Präsident ist von dieser Verantwortung nicht ausgenommen.

Wahlkampf is over – Zeit für Verantwortung. (c) Martin Hirtenfellner Fotografie

Nestor El Maestro mag einen guten Draht zu einem Team haben, wo viele gestandene Profis in einem ähnlichen Alter sind wie er selbst. Ein richtig guter Trainer, schafft es aber generationenübergreifend zu denken, zu arbeiten und Spieler zu verbessern, die vielleicht erst ihre ersten Schritte im Profi-Bereich machen. Es braucht den Mut auf der Trainerbank und es braucht den Rückhalt einer mutigen sportlichen Leitung. Die Zukunft bei Sturm muss den Shabis, den Winnies, Trummers, Kochs und Geyrhofers gehören, auch wenn wir mit Thorsten Röcher und Jakob Jantscher schon tolle Momente erlebt haben. Das Ziel von Nestor El Maestro muss es sein, die Fans wieder auf seine Seite und damit zurück ins Stadion zu ziehen. Das geht nur über Identifikationspotenziale, einen ehrlich gemeinten Kader-Umbruch und im Idealfall auch über einen Umbruch im Denken bei der sportlichen Leitung. Nicht nur Spieler können ausgetauscht werden, auch anderes Personal muss sich den eigenen Statistiken und Verfehlungen stellen. Die Statistiken seit dem Cup-Sieg 2018 zeigen eine Abwärtsspirale und alle Verantwortlichen müssen sich diesbezüglich hinterfragen. Der SK Sturm hat eine rosige Zukunft vor sich, wenn er seiner Zukunft auch die Einsatzminuten gibt und mutige Entscheidungen trifft. Dario Maresic hat bewiesen, dass die Jungen aufblühen, wenn sie die Zeit bekommen. Aber man sollte sie auch bewusst und mutig einsetzen und nicht nur aus der Not eine scheinheilige Tugend machen. Ein Zyniker würde an dieser Stelle fragen: Wenn ich die Wahl habe, ob ein Eingekaufter die Chancen vernebelt, oder in der Luft hängt, oder zumindest einer aus dem Eigenbau, wen würdest du nehmen? … Und da frage ich mich vor allem: Was fragen sich eigentlich die Verantwortlichen?

1 Kommentar

  1. Schworza99 sagt:

    Man müsste sich halt festlegen ob man offensiv/defensiv spielt, ob man Ausbildungsverein ist oder nicht etc…quasi ein Leitbild. Schade, sowas bräuchten wir hust hust hust.

    Vogel zu entlassen war der größte Fehler den Kreissl und Jaul machen hätten können. War klar wieder von offensiv zu defensivem Fußball zu wechseln wird die Fans nicht freuen. Zusätzlich war Vogel bei der Mannschaft beliebt. Man hat kurzfristig Panik bekommen und jetzt ernten wir die langfristigen Folgen…

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