Wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Die acht Tore gegen den FavAC

Die Saison 1992/93, das erste Jahr mit dem Langzeitduo Kartnig/Schilcher an der Klubspitze, war prompt eines der turbulentesten in der gesamten Vereinsgeschichte. Trotz zahlreicher prominenter Abgänge gelang dem Sportklub Sturm zwar ein guter Start in die Meisterschaft, was folgte war aber ein katastrophaler Herbst und der bittere Gang ins Mittlere Play-Off. Diese Relegationsrunde barg die besondere Brisanz, dass es zum letzten Mal eine Meisterschaft mit zwölf Teams geben sollte. Ab der folgenden Saison wurde in Österreich wieder auf die altbewährte Zehnerliga zurückgerudert. Damit war für alle acht Teilnehmer an diesem Mittleren Play-Off zumindest der zweite Platz das Maß aller Dinge. Sturm Graz bestritt diesen Kampf mit einem renommierten Mann in Fußball-Europa, dem Slowaken Ladislav Jurkemik, auf der Betreuerbank. Wurde dieser doch unter anderem als Spieler mit der Tschechoslowakei 1976 in Belgrad Europameister.

Trainer Jurkemik (c) Privat

Bereits am 13. Oktober 1992 hatte der Slowake den glücklosen Robert Pflug als Sturm-Trainer beerbt, konnte aber den bitteren Gang in die „Todesgruppe“ auch nicht verhindern. Der Abstiegskampf begann zudem alles andere als nach Wunsch: Bereits zum Auftakt gab es einen Nuller gegen den GAK, weitere Niederlagen gegen Gegner wie DSV Leoben oder Stahl Linz sollten folgen. In der neunten Runde musste man ins Feindesgebiet Körsösistrasse zu einer Auswärtspartie, die für viele als die letzte Chance galt, um doch noch im Rennen um die zwei Plätze an der Sonne reüssieren zu können. Doch die Blackies wurden vorgeführt, mit 4:0 vom Platz gefegt und vom Erzfeind lächerlich gemacht. Es sollte eine bittere Vergeltung der Roten sein, die jahrelang im Schatten des Lokalrivalen froren. Negativer Höhepunkt dieser Demütigung war – vielen noch in aller schlechtester Erinnerung – als der übermütige GAK-Präsident Harald Fischl nach dem letzten Treffer der Athletiker versuchte, seinem Gegenüber Hannes Kartnig im allgemeinen erzroten Freundentaumel eine brennende Wunderkerze in die Hand zu drücken.

Der damals 21-jährige Günther Neukirchner erinnert sich so an dieses Derby:

„Für uns war es eine der letzten Chancen im Kampf um den Aufstieg noch ein Wörtchen mitzureden, doch wir waren in diesem Spiel von der ersten bis zur letzten Minute die schwächere Mannschaft und die Niederlage fiel auch in dieser Höhe völlig verdient aus. Selbst für uns Spieler war der Abstieg damit mehr oder weniger besiegelt.“

Das Chaos in Schwarz-Weiß war nun perfekt, der Verein begann mit Aufräumungsarbeiten und Kartnig/Schilcher planten schon für das Unterhaus. Hörmann, Calo, Spirk, Thonhofer und Kofler mussten als Kartnigs Sündenböcke herhalten und bekamen ihre Papiere, zudem wurde bei den restlichen Spielern eine Reduzierung der Gehälter um 50 Prozent angedacht. Schließlich drückte neben der sportlichen Misere auch ein Schuldenberg von 30 Millionen Schilling. Das Budget der 1. Liga hätte eine Klasse tiefer und bei einem prognostizierten Zuschauerschnitt von 1500 Besuchern sowie dem GAK als offensichtliche neue Nummer 1 in Graz beim bestem Willen nicht mehr veranschlagt werden können. Zudem verhängte Präsident Kartnig ob der katastrophalen Leistung im Derby über seine Kicker eine 20.000 Schilling-Strafe. Diese Sanktion sollte allerdings später vom ÖFB-Kontrollausschuß für unzulässig erklärt werden.


„Ich hatte damals ein Fixum von 2.500 Schilling, eine 20.000-Schilling-Strafe musste ich nicht bezahlen. Zudem muss ich sagen, dass auch ich bei diesem Derby keineswegs meinen besten Tag erwischt habe, allerdings habe ich auch in diesem Spiel alles gegeben.“ – Günther Neukirchner

Da Jurkemik recht bald verlautbarte, unter solchen Vorzeichen in der nächsten Saison nicht mehr für Sturm arbeiten zu wollen („mit diesem Budget ist ein Wiederaufstieg unrealistisch“), geisterten viele Namen (Hans Krankl, Thommy Parits, Siggi Held, Tibor Nylasi, Alfred Riedl, Mandi Steiner, aber auch schon Milan Djuricic, der zu dieser Zeit noch in Leoben tätig war) durch das Klubhaus in der altehrwürdigen Gruabn. Mögliche Kanditaten, deren Hauptaugemerk darin liegen sollte, ein Amateurteam rund um Legionär Darko Milanic und die jungen Löwen wie Neukirchner, Haas, Prilasnig und Schopp aufzubauen.

Zwar gewann Sturm eine Runde später gegen die SV Ried mit 4:1 und holte auf der Linzer Gugl gegen den LASK einen Punkt, doch drei Runden vor Schluss fehlten noch immer zwei Punkte auf den rettenden zweiten Platz.

Günther Neukirchner in ganz jungen Jahren (c) Privat

Neukirchner: „Der angekündigte Abgang von Jurkemik war für uns Spieler bedauerlich. Immerhin war er ein sehr erfahrener und sehr korrekter Trainer, der jedem von uns weiterhelfen konnte. Da die Mannschaft sich allerdings mit dem Abstieg schon abgefunden hatte, entstand eine gewisse Lockerheit im Training. Vielleicht wurde diese Unbekümmertheit letztendlich zum entscheidenen Vorteil in den ausschlaggebenden Spielen.“

Da kam der FavAC als Gegner gerade recht: Schon das Spiel der U21 musste beim Spielstand von 13:1 für Sturm abgebrochen werden, da sich die Nachwuchshoffnungen der Favoritner nach und nach in die Kabine verabschiedeten. Beim im Anschluss stattgefundenen Spiel der beiden Kampfmannschaften (Hörmann und Thonhofer wurden vor dem Spiel begnadigt), mussten sich die Wiener vor dem Anpfiff sogar Stutzen vom Gegner ausleihen, um überhaupt auflaufen zu dürfen.

Das Spiel der „Ersten“ war gerade wenige Sekunden alt, als die damalige Sturmspitze Günther Neukirchner nach Zuspiel von Arnold Wetl den Ball mit einem satten Flachschuss im rechten Eck versenkte. Die nur noch 800 treuen Sturm-Fans hatten erstmals Grund zum Jubeln, mussten aber danach mitansehen, wie Tormann Harald Fischer – ein Jahr zuvor noch beim FavAC unter Vertrag – mehrere Bälle aus den Ecken holen musste, bis das Sturm-Werkl richtig zu laufen begann. Nach einem Foul des Wiener Schlussmannes Georg Heu verwandelte Damir Muzek den daraus resultierenden Elfmeter zum 2:0 (38.) und nur fünf Minuten später gelang dem Kroaten mit einem 20-Meter-Schuss auch das 3:0. Als abermals Günther Neukirchner kurz nach der Pause nach einem Eckball das 4:0 erzielte, war die Partie gelaufen. Uneingeschränkter Jubel kam aber erst auf, als Platzsprecher Günther Schrey die 2:0-Führung des DSV Leoben gegen den GAK via Stadiondurchsage verkündete. Und als dann auch noch der Rückstand des bis dahin Drittplatzierten LASK gegen den FC Stahl Linz bekannt wurde, waren plötzlich wieder alle davon überzeugt, dass es doch keinen SK Sturm in der zweiten Leistungsklasse geben wird.

„Mir persönlich war diese Nachricht egal, da ich total auf dieses Spiel fokusiert war. Nach meinem schnellen Führungstor gelangen uns sehr schöne Spielzüge, die durchwegs alle mit sehenswerten Treffern abgeschlossen wurden. Nach dem Abpfiff war es allerdings umso erfreulicher, als wir erfuhren, dass wir wieder voll im Kampf um einen Aufstiegsplatz sind.“ – Günter Neukirchner

Die Treffer 5-8 durch Darko Milanic (2x), Markus Schopp und Rupert Marko führten noch zu einer im Aufstiegskampf wichtigen, aufgetunten Tordifferenz für eine an diesem Tag ungemein bissig auftretende Sturmelf. Zwei Runden vor Schluss stand man, bedingt durch die Umfaller des GAK und vom LASK, völlig unverhofft auf Platz 2. Manager Schilcher sinnierte danach von einem „Wunschkonzert“ und Trainer Jurkemik meinte lapidar: „Der Kuchen ist aufgeschnitten, jetzt essen wir ihn auch auf.

Derby in der Gruabn, Darko Milanic im Zweikampf mit Erwin Dampfhofer (c) Privat

Und Sturm ließ es sich in den letzten beiden Runden auch richtig schmecken, gewann 2:1 gegen DSV Leoben und mit 2:0 bei Stahl Linz. Neukirchner: „Wir waren alle sehr positiv eingestellt und wollten uns diese Chance einfach nicht mehr entgehen lassen. Dementsprechend konzentriert bestritten wir unsere letzten beiden Spiele.“
Sturm Graz hatte es somit doch noch vollbracht, blieb erstklassig, der GAK wiederum sollte noch weitere zwei Jahre warten müssen, um wieder Bundesliga-Luft schnuppern zu dürfen. Günther Neukirchner, für den auch bei einem etwaigen Abstieg ein Vereinswechsel nie zur Debatte stand, ist heute noch überzeugt, dass sein Klub bei einem Ausbleiben dieses Wunders schon im nächsten Jahr den direkten Wiederaufstieg geschafft hätte. Der Ehrenkapitän ist sich aber nicht sicher, ob der Verein in diesem Fall bereits Thema für einen gewissen Ivica Osim gewesen wäre. Unter diesem Aspekt muss dieses 8:0 gegen den FavAC als eines der wichtigsten Spiele in der langen Vereinsgeschichte bewertet werden.

*Endstand Mittleres Play-Off 1992/93: 1. VfB Mödling (24), 2. Sturm Graz (18), 3. LASK (16), 4. GAK (15), 5. DSV Leoben (11), 6. FC Linz (10), 7. SV Ried (9), 8. FaVAC (9).

**Ladislav Jurkemniks Nachfolger wurde der Kroate Milan Djuricic, der 1993/94 mit etlichen jungen Löwen im Sturm-Trikot als Tabellensiebenter souverän die Klasse halten konnte, nach der Saison aber von Ivica Osim abgelöst werden sollte.

Spieldaten

Sturm Graz – Favoritner AC 8:0 (3:0)
Mittleres Play-Off, 12. Runde
Samstag, 5. Juni 1993 – Gruabn – 800 Zuschauer – SR: Kastner

Tore:
1:0 Neukirchner (1.), 2:0 Muzek (38./Elfmeter), 3:0 Muzek (43.), 4:0 Neukirchner (54.), 5:0 Milanic (67.), 6:0 Schopp (68.), 7:0 Marko (76.), 8:0 Milanic (77.).

Sturm Graz
Fischer – Schultz – Grassler, Milanic (76. Hörmann) – Thonhofer, Muzek (80. Haas), Marko, Prilasnig, Schopp – Wetl, Neukirchner.

Favoritner AC
Heu – Wallner – Ogbodiegwu, Siegl – Vasiljkovic, Carlsen (50. Hendo), Jerabek, Moitzi, Letocha – Michorl, Bleyer (66. Spitzkopf).

 

7 Kommentare

  1. Dominik Uhl sagt:

    Sehr feiner Artikel. Das Auswärtsderby. Mein erstes und letztes in der Körösistrasse. Danach am Ausgang von feinen alten Herren mit roten Schals beschimpft und ausgelacht worden (14 war ich da). Dann einer der 800 gegen den FavAC. Und was für ein Freude. Ich bin mir sicher jede/r der 800+ Anwesenden wusste nach den 90 Minuten wir steigen auf. Und so war es. Werde ich nie vergessen! Danke dafür.

  2. Fanatiker sagt:

    War sowohle beim Derby 0:4, als auch unter die 800 Zuseher in der Gruabn.

    Im Derby glaube ich, wurde ein gewisser Mario Haas zum ersten Mal eingesetzt….

  3. wama sagt:

    meine erinnerung an das 0-4 debakel bei derby am gakplatz: wir waren sowas von schlecht, mario haas hatte wohl tatsächlich seinen allerersten einsatz für sturm und fiel genauso wie der rest der truppe nur negativ auf. die roten verhöhnten uns auch noch am feld und von den rängen – wahnsinn pur. nach dieser partie waren 9 von 14 playoffrunden gespielt und keiner, wirklich keiner setzte auch noch einen cent auf sturm.

    im kader standen damals bereits viele junge, die dann von djuricin weitergeformt und letztlich vorallem unter ivica osim immer besser wurden: walter hörmann, mario haas, günter neukirchner, gilbert prilasnig, markus schopp, um einige hervorzuheben, die später explodierten.

    das heimspiel gegen den favAC sah ich, noch immer schwer frustriert, nicht, bin mir aber bis heute sicher, dass da irgendwas nicht mit rechten dingen zuging. ein 8-0 gegen einen damals schwer finanziell angeschlagenen gegner ließ so manchen mutmaßen, dass man da vielleicht doch finanziell etwas nachgeholfen wurde in richtung wien. zumal uns durch die beiden umfaller der unmittelbar vor uns liegenden gak und lask auch die unfassbare höhe des sieges zum sprung auf zwischenrang 2 verhalf. man hats aber gottlob nie verifiziert, der unangenehme mief ist aber immer nioch in meiner nase.

    beim anschließenden heimspiel in runde 13 gegen die donawitzer(dsv leoben) vor bereits wieder 5.000 fans war ich wieder live vor ort, und erinnere mich an ein unglaublich spannendes spiel mit glücklichem ausgang – arnold wetl, unser topscorer im playoff,  erlöste uns in letzter minute, der noch blutjunge und viel zu oft im abseits stehende mario haas hatte uns in führung gebracht.

    und noch was interessantes aus dem damaligen playoff: sieger vfb mödling war in diesem playoff das maß aller dinge unter trainer hans krankl und kickern wie zoki barisic, stefan marasek, peter wurz.

     

    • Neukirchner sagt:

      Das darf angesichts dem damaligen Loch in der Klubkassa ausschließen. Ausserdem hat ja niemand mehr damit gerechnet, dass es auch nur den Funken der Chance eines Klassenerhalts gab. Also wozu – rein theoretisch- dann schmieren?

      War einfach ein unfassbares Glück und ein echtes Wunder. Vieles wäre nicht passiert, wäre Sturm damals tatsächlich abgestiegen…

    • Bozo Bazooka sagt:

      Hörmann war wohl eher nicht einer der Jungen.

  4. brent_everett sagt:

    Das war sicher einer der unglaublichsten turnarounds in der österreichischen Fußballgeschichte. Der Gak war im playoff wirklich ungemein stark. Gak Trainer war Milan Miklavic, der damals bereits Pressingfussball spielen ließ. Der Gak hatte ja schon die erste Partie am Sturmplatz 2:0 gewonnen. Damals im Gak Tor Roland Goriupp. Sturm ist eigentlich im playoff als Favorit gestartet, hatte ein kleines Starensemble beieinander – mit Muzek (ein Superkicker, später mit Salzburg im Uefa Cup Finale) Calo Deveric Milanic u Harry Krämer wurde reaktiviert. Sturm kam damals mit dem Druck der Favoritenrolle nicht zurecht (wie immer). Gerüchteweise ist Präsident Kartnig zu Fischl nach Fürstenfeld gefahren um ihm eine Fusion Sturm/Gak schmackhaft zum machen. Siegessicher hat Fischl abgelehnt. Nach dem 0:4 in der Körösistrasse (heute stehen an der historischen Stätte als Hohn nur noch Wohnsilos) war der Druck weg. in einem Testspiel gegen einen Unterligaklub (ich weiß nicht mehr welcher) gegen den Sturm über 20 Tore geschossen hat war irgendwie der Knoten geplatzt, dann das 4:1 gegen Ried u das 8:0 gegen FavAC. Plötzlich lief das Werkl. So stark der Gak damals gespielt hat u so schwach Sturm war – es hat trotzdem gereicht. Wie immer. Gak Kapitän Goriupp wechselte dann zu Sturm. Im Testspiel im Sommer gewann Sturm gegen Gak locker 4:1. Sturm gewann auch das erste Spiel in der Bundesliga gegen Rapid 1:0 u d Gak verlor sein Heimspiel gegen Oberwart (!) 0:2. Und es zieht sich wie ein ROTER Faden durch die Geschichte. Gakler sind notorische Verlierer. Damals wie heute – nach 3 Konkursen (oder waren´s 4 oder 5)… QED

  5. blackfoxx sagt:

    Herrlicher Artikel! eines der Spiele, bei dem ich mich noch an sooo viele Einzelheiten erinnere, so eingebrannt hat sich das damals. Nach dem GAK Derby wollt ich eigentlich gar nicht mehr in die Gruban gehen – irgendwie war´s ein schöner Samstag und mir war fad daheim, also kurz entschlossen zu den 799 anderen auf den Platz 🙂 wie immer links von der Mittelline, aber halt wenige Gleichgesinnte rundherum 🙂 in Zeiten ohne Internet dann ein Jubelschrei nach dem anderen, als vom Platzsprecher die anderen Ergebnisse durchgegeben wurden, dazwischen immer wieder noch ein Sturm-Tor :-).

    die restliche Playoff-Spiele dann wie in Trance erlebt, nach dem letzten Spiel gegen Linz dann  zur Aufstiegsparty ins Trainingszentrum wo der Mannschaftsbus empfangen wurde, da hat es dann spontan Freibier gegeben – Marchano Schultz in Unterhose am Spielfeld hat immer nur geschrien: „singts das Lied über den GAK, singts das Lied über GAK!“ traumhafte Erinnerungen 🙂

    man sollte sich hin und wieder an die Zeit erinnern, wenn wir wieder mal über Platz 2 in der Tabelle jammern…

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