Wenn alle Dämme brechen …

Spielbericht: SK Sturm Graz vs. SK Rapid Wien

Vor dem Spiel

Seit Tagen kribbelt es in den Bäuchen tausender Grazer, nun ist es endlich soweit! Das Spiel der bisherigen Saison geht über die Bühne und bereits im Vorfeld der Partie ist es ein geschichtsträchtiges. Noch am selben Tag hat das letzte verfügbare Ticket seinen oder seine KäuferIn gefunden, der Cup-Schlager gegen den SK Rapid Wien ist ausverkauft! Damit geht die Partie gegen die Grün-Weißen als bestbesuchtes Heimspiel der Blackys in einem österreichischen Cup-Bewerb in die lange Vereinshistorie ein – noch vor den 11.000 Besuchern 1946 gegen Wiener Neustadt und dem bisherigen Spitzenreiter aus dem Jahr 1976 gegen Wacker Innsbruck vor 12.000 Zusehern. Schon zwei Stunden vor Ankick ist die Stimmung einzigartig, Massen an Grazer Fans stehen für den Mannschaftsbus des Tabellenzweiten mit Schlachtgesängen und Bengalos Spalier! Es gibt nur ein Motto: ALLE WOLLEN INS CUPFINALE!

Auch Coach Heiko Vogel ist die Wichtigkeit dieses Spiels bewusst und er schickt seine wohl beste Formation auf das Spielfeld. Gegenüber dem überzeugenden 3:0-Erfolg gegen den SV Mattersburg in der Liga verändert der Deutsche seine Startelf nur auf zwei Positionen, ersetzt den zuletzt fehleranfälligen Sandi Lovric durch Kämpfernatur James Jeggo und nimmt sich das Privileg, Traumtorschütze Emeka Friday Eze von der Bank bringen zu können. Für ihn stürmt an vorderster Front Landsmann Bright Edomwonyi. Ansonsten befinden sich die selben neun Akteure in der Startformation, Stefan Hierländer bekleidet wieder die Position als offensiver linker Außenverteidiger. Marvin Potzmann, der ebenso als Linksverteidiger einsetzbar wäre und laut diverser Medienberichten bereits beim Halbfinalgegner unterschrieben haben soll, darf in der Halbzeitpause Autogramme schreiben.

Die Mannschaft wurde vor Spielbeginn frenetisch gefeiert. © Martin Hirtenfellner Fotografie

Halbzeit 1

Und dann geht es los und das Stadion Liebenau wird zur größten Gänsezucht Österreichs. Jedem der 15.750 Besucher stehen die Haare zu Berge, aufgrund der Aufregung, der Emotion, der Geilheit. Auf beiden Seiten sind die Choreografien der Fans großartig. Es erfolgt ein Ehrenankick, niemand hier bekommt mit, wer ihn ausführt. Dann geht es wirklich zur Sache, der Sportklub Sturm hat Anstoß und die Kulisse ist dem Spiel mehr als würdig. Nach nicht einmal drei Minuten – keine nennenswerte Aktion wurde bisher herausgespielt – steht bereits das gesamte Stadion auf. Für den SK Sturm. DEN Verein, den einzigen. Lange dauern sollte es aber nicht, bis zur ersten heißen Situation im Spiel. Rapid hebelt die Grazer Abwehr mit einem hohen Ball aus, Philipp Schobesberger nimmt sich den Ball gut mit, kann Jörg Siebenhandl aus spitzem Winkel  jedoch nicht überwinden. Nur kurz später hat Thorsten Röcher die Führung am Fuß, hat in der Mitte plötzlich eine Menge Platz, sein Abschluss außerhalb des Sechzehners fällt aber zu überhastet aus und landet im Toraus.

Schlag auf Schlag geht es in Liebenau, das Spiel wird in der Anfangsphase seinem Ruf gerecht. Peter Zulj schließt am rechten Strafraumeck ab, für seinen Flachschuss muss sich Richard Strebinger gehörig strecken. Wie im Tennis geht es hin und her, bis zu dieser Zeile wurden erst 10 Minuten gespielt. Boli Bolingoli kommt plötzlich über links an den Ball und sein Schuss streift nur hauchzart am langen Eck vorbei. Vor dem Rapid-Sektor versucht es im Gegenzug Jakob Jantscher aus der Distanz, sein unpräziser Schuss wird noch von einem Verteidiger gefährlich abgefälscht, geht aber neben den Kasten. Es ist unglaublich, dieses Spiel bereits nach 15 Minuten absolut denkwürdig. Jantscher bringt den Ball nach einer traumhaften Kombination zur Mitte, wo der völlig freistehende Deni Alar aus 7 Metern direkt in die Arme von Strebinger köpfelt. Dann geht ein Raunen durchs Stadion: Stadionsprecher Lucky Krentl gibt bekannt, dass der SV Mattersburg im zweiten Halbfinale nach 120 torlosen Minuten das Elfmeterschießen gegen den amtierenden Meister RB Salzburg verliert. Somit steigt das Finale des ÖFB-Cups am 9. Mai um 20:30.

UND DANN GIBT ES KEIN HALTEN MEHR!!! Es ist wieder Siebenhandl, der den Assist liefert und es ist unglaublich! Der Goalie fängt einen Eckball herunter, schaut und schaut und sieht, dass der pfeilschnelle Edomwonyi startet. Dann kommt der Abschlag und er wird länger und immer länger und jeder Optimist sieht schon, was kommen wird. Edi läuft Stephan Auer und Bolingoli davon, nimmt sich den Ball PERFEKT herunter und schließt noch im selben Atemzug ab! Das Stadion steht Kopf! Nur wenige Minütchen später fasst sich Zulj ein Herz, schließt aus der zweiten Reihe ab und zwingt Strebinger zu einer Parade. Es ist so heiß hier! Die Stimmung ist nurmehr geil, das ganze Stadion steht und klatscht und singt und trampelt und was weiß der Teufel alles! Eine halbe Stunde ist gespielt, da versucht es Thomas Murg mit einem Schlenzer, Assistgeber Siebenhandl hat damit aber keine Mühe. 

Und es ist einfach ein Spitzenspiel, es ist ein Topspiel, es ist geil! Ein weiter Ball von Zulj, wieder auf Edi, doch Lucas Galvao ist vor ihm dran. Sein Klärungsversuch geht aber aufs eigene Tor und erinnert an Eze vom Wochenende, diesmal klatscht der Ball jedoch an die Latte und Strebinger wuchtet die Kugel zur Ecke! Bis kurz vor Halbzeitpfiff gibt es ein kurze Verschnaufpause, nach 43 Minuten kommt Rapid noch einmal brandgefährlich vor das Tor. Schobesbergers Eckball kann Maximilian Hofmann zum Glück der Grazer nicht aufs Tor köpfeln. Um 21:17 Uhr pfeift Robert Schörgenhofer zur Pause. Um der Länge des Spielberichts Willen soll an dieser Stelle analysetechnisch nicht zu weit ausgeschweift werden. Es ist ein Kampf. Ein Kampf, den beide Parteien annehmen. Hart geführte Zweikämpfe, tolle Kombinationen und unendlich viele Emotionen machen dieses Spiel zu einem unglaublichen. Die Leute erheben sich von ihren Sitzen und im selben Moment freuen sich alle bereits auf Durchgang zwei (und darauf, dass das Boccia-Halbzeitevent ein Ende findet).

Absolvierte ein überragendes Match – Bright Edomwonyi. © Martin Hirtenfellner Fotografie

Halbzeit 2

Welcher genauso intensiv beginnt, wie der gesamte erste. Nur wenige Minuten sind gespielt, da bekommt Sturm einen Eckball zugesprochen. Röcher köpft den Ball zum vermeintlichen 2:0 in die Maschen, das gesamte Stadion bebt. Doch dann ein Pfiff, der Linienrichter hat ein Vergehen gesehen und liegt damit richtig: Peter Zulj blockiert Richard Strebinger und steht dabei in der verbotenen Zone. 57. Minute, dieses Spiel hat so viel zu bieten. Flache Flanke in den Sturm-Strafraum, leicht abgefälscht, es herrscht Verwirrung, Rapid kann den Ball nicht über die Linie drücken. Kurz darauf gelingt doch der Ausgleich. Der eingewechselte Giorgi Kvilitaia scheitert zunächst noch am überragenden Siebenhandl, den Nachschuss verwandelt Louis Schaub. Der Gästesektor brennt, es ist wieder alles offen.

UND DANN IST ES WIEDER EDI UND DIE FREUDENTRÄNEN STEHEN ALLEN IN DEN AUGEN!!!! Wie geil kann ein Fußballspiel sein, es ist unpackbar! Und wieder nach einem Eckball für Rapid! Ein Befreiungsschlag, nachdem die Gäste die Kontrolle über das Spiel ergattert haben! Zulj setzt sich an der Mittellinie robust durch, wartet, wie sonst auch immer. Im absolut richtigen Moment spielt er denn Ball auf den heranstürmenden Edomwonyi, der bleibt am Ball und netzt, allen Abwehrversuchen Strebingers zum Trotz, zum vielumjubelten 2:1 ein! Das Spiel seines Lebens, der Typ spielt so stark an diesem Abend! Wie sehr kann ein Baby dich bestärken? Muss man erst Snapchatfilter darüberlegen? Es ist auch komplett egal, Sturm führt! Im Gegenzug fällt das vermeintliche 2:2, die Abseitsfahne geht aber (wieder zurecht) hoch! Das Stadion steht wieder Kopf, es ist so unglaublich geil! 

Es geht weiter, hier gibt einfach es keine Verschnaufpause. Alars Schuss im Strafraum wird geblockt! Es ist kurz nach 22:00 Uhr, die Rapidviertelstunde bricht an und der eingewechselte Manuel Thurnwald hat den Ausgleich am Fuß! Sein Schlenzer aus einigen Metern verfehlt sein Ziel zu deutlich! 80. Minute, Edi flankt, Alars Kopfball vom Elferpunkt ist gut angetragen, fällt aber zu locker aus. Und in der 84. Minute ist der neuerliche Ausgleich da. Diesmal trifft Rapid nach einem eigenen Eckball, Kvilitaia köpft ein. Die Sturmfans lassen sich das überhaupt nicht anmerken, bejubeln vielmehr den aus dem Spiel gehenden Edomwonyi. Eze kommt für ihn in die Partie. Die neue Achterbahn im Prater ist ein Dreck gegen diese Partie. Eine Minute vor Ende der regulären Spielzeit hat Schaub die Riesenmöglichkeit auf die erstmalige Rapid-Führung, Siebenhandl kommt rechtzeitig aus dem Tor und wehrt den Schuss ab.

© Martin Hirtenfellner Fotografie

Verlängerung

Das war es auf beiden Seiten, dieses Spiel sollte tatsächlich in die Verlängerung gehen. Nerven hat hier keiner mehr. Zwei Minuten in der Verlängerung gespielt und Rapid hat die Topchance auf die Führung, Kvilitaia findet nach einem Ausrutscher von Dario Maresic in Siebenhandls Fuß seinen Albtraum. Dann ist es wieder Sturm mit der Großchance! Diesmal nach einem Eckball, Lukas Spendlhofer kommt aus kurzer Distanz zum Kopfball doch Strebinger fischt das Ding irgendwie raus. Niemand weiß hier, wie ihm das gelang. ES IST GANZ EINFACH DAS UNGLAUBLICHSTE SPIEL, DAS SICH IN DEN LETZTEN JAHREN JEMALS HIER EREIGNET HAT!!!!! Emeka Eze lässt alle hier die Stimme verlieren, morgen wird Graz so leise sein, wie lange nicht! Hierländer chipt die Kugel auf Röcher, der mit einem unmenschlichen Sprint nach 101 Minuten im Spiel (!!!) und bringt die Flanke perfekt zur Mitte – der Nigerianer köpft unhaltbar zum 3:2 ein! Dann sind die ersten der letzten 15 Minuten aus, die Ereignisse, wie schon im ganzen Spiel, überschlagen sich, sogar das Bier in der Kurve ist ausgegangen.

Und es nimmt kein Ende, es nimmt einfach kein Ende. Eze nach Seitenwechsel mit einer überragenden Aktion im Zusammenspiel mit dem eingewechselten Philipp Huspek, ein Rapidler haut sich im Anschluss vom Fünfer fast die Kugel in die eigenen Maschen. Es herrscht jetzt nur mehr pure Hektik. Rapid muss riskieren, Sturm stellt fast das gesamte Offensivspiel ein. Aber nur fast. Tolle Verlagerung auf Huspek, der bedient Eze ideal, sein Abschluss vor Strebinger geht aber in die Zuschauerränge. Dann liegt Zulj am Boden, die Kräfte zehren. Sandi Lovric kommt ins Spiel. Aber auch bei Rapid, die einen Tag weniger regenieren konnten, fordert das Spiel Tribut. Boli Bolingoli muss raus, Mario Sonnleitner ersetzt ihn und wird mit einem heftigen Pfeifkonzert bedacht. Christian Schulz kommt ins Spiel, Alar geht. So auch Hofmann, der in der Nachpielzeit mit Gelb-Rot ausgeschlossen wird. 

UND DANN BRECHEN HIER ALLE DÄMME!!!!! ES IST GESCHAFFT, JEDER HIER HAT TRÄNEN IN DEN AUGEN, ES IST GETAN!!!! STURM SPIELT IM CUP-FINALE UND ES IST WUNDERSCHÖN!!! DIESES SPIEL HATTE ALLES, WAS ES BRAUCHT!! Und der Autor hat nun keine Kraft mehr, es ist vorbei!!! Dieser Bericht ist viel zu lange, lesen sollte ihn aber sowieso kein Sturm-Fan brauchen, weil wer dieses Spiel verpasst hat, hat ein Jahrzehntserlebnis verpasst. Es spielt Gert Steinbäckers „Steiermark“. Es ist nur mehr schön. Wir sehen uns in Klagenfurt.

Spieldaten

 

7 Kommentare

  1. Schworza99 sagt:

    BRAVO.

    So einen Cup Fight hab ich von Sturm auch noch nie gesehen. Kollektiv gute Leistung, trotzdem muss man einige Akteure herausheben.

    Siebenhandel mit vielen Glanztateny auch wenn er sich bei einem Gegentreffer verschätzt hat.

    Bright ohne Worte. Der Typ funktioniert einfach bei uns. Und er hat das Torjäger Gen, auch wenn er es in der Vergangenheit zu selten gezeigt hat. Seine Kritiker dürften jetzt alle verstummt sein.

    Und auch Eze enorm wichtig für die Mannschaft. Hätte wahrscheinlich Rot bekommen müssen, aber sein Temprament wird der Vogel schon zügeln. Endlich wieder ein Stürmer der Tore mit den Kopf macht. Bitte gleich verlängern Günter! Aber wem will ich Transfertipps geben, der sitzt wahrscheinlich schon in Kopenhagen im Cafehaus…

    Auch den Trainer darf man nicht vergessen. Nicht jeder hätte Bright nach Ezes Leistungen gebracht. Vogel tut der Mannschaft gut und sie tut ihm gut. Da kamen einem fast die Tränen wenn die Kurve mit Vogel feiert (während die Gästefans schon den Kopf vom Vater vom ehemaligen Sturm Spieler fordern 😉

    Auch Rapid muss man loben. Kann halten von den Grünlingen was man will, mir is ein volles Stadion und ein toller Fight lieber als 10 Auswärtsfans und ein Wolf der trotz höherer Qualität öfter auf den Boden fällt als der Ball…

    Am Beispiel Potzmann kann man gut sehen wie man sich nicht vom Verein verabschieden sollte, hat sich über den historischen Finaleinzug gefreut als ob er ne Gratis Darmspiegelung bekäme…hoffentlich steht er im Finale nicht im Kader. Hierländer bringt zumindest bis zum Ende Leistung und will gewinnen. Sollte er gehen geht er im Guten.

    • graz4ever sagt:

      Aber was bitte soll Potzmann „falscher“ gemacht haben, als Hierländer??? Vorausgesetzt beide unterschreiben wirklich bei Grün, was mmg no überhaupt net belegt is, aber denke hätt Potzmann gespielt, hätte er sich sicher auch angestrengt!!!

      DANKE STURM GRAZ FÜR DIESES GEILE SPIEL!!!

      DANKE STURMNETZ für diesen geilen Artikel, wo beim Lesen das Spiel nomal übers geistige Auge flimmert, weil er so leidenschaftlich geschrieben wurde!!!

    • Schworza99 sagt:

      Soweit ich es gesehen habe hat er das Pokal Leiberl in die Hand genommen, ist 3 Schritte ins Spielfeld gegangen und dann verschwunden…gibt Leute die haben heute noch einen Kater aber ich glaube die Nüchternheit beim Finaleinzug hat nicht ein jeder.

      Selbst beim Hierli merkt man: seit der Vertrags Causa spielt er anders als vorher…sag ja nicht mal das sie es bewusst machen aber man darf sich schon mehr über eine Titelchance freuen als der Herr Potzmann, selbst wenn man schon bei Rapid unterschrieben hat…

  2. el fenomeno sagt:

    Also das Spiel gestern hat alles geboten was so ein Cup-Krimi aufbieten sollte und dann noch mit dem besseren Ende für uns…ÜBERWÄLTIGEND. Einzig wo ich euch hier nicht zustimmen kann… den zuletzt fehleranfälligen Lovric??? Der ist meiner Meinung nach weniger Fehleranfällig als Jeggo. Jeggo gegen die Austria war wohl mehr als fehleranfällig? Hat mich gestern auch nicht überzeugt, klar Kampf und Einsatz unumstritten bei Jeggo aber teilweise zu weit weg vom Mann, kein Zugriff aufs Spiel. Hatte 2,3 Balleroberungen und das wars dann auch schon wieder. Egal gewonnen haben wir und nur das zählt. Sonderlob für Siebenhandel, Hierländer, Alar und Edi die waren für mich der entscheidende Faktor. Bravo SCHWOAZE

  3. hias sagt:

    Weiß zufällig jemand von euch, ab wann und wo es Karten fürs Finale zu kaufen gibt ?

  4. wama sagt:

    ein überragendes spiel, das in die sturmgeschichte eingeht und unvergesslich bleiben wird. wenn man die heute wirklich starken grünen in so einem fight über 120 minuten derart niederringt, das so wie ich auch noch live miterleben darf, ist man einfach nur noch unfassbar stolz auf seinen herzensverein.
    riesenkompliment an alle beteiligten, dieses cupfinale habts euch im wahrsten sinne des wortes völlig zurecht verdient!

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