Weihnachtsmann und Wettbetrug
Die Stadt Rovaniemi in Lappland hat ungefähr so viele Einwohner wie Villach, ist aber flächenmäßig größer als das ganze Bundesland Kärnten, was sie zu einer der größten Städte weltweit macht. Mit dieser Größe kann der größte örtliche Fußballverein überraschenderweise nicht ganz mithalten. Er trägt den wunderschönen Namen Rovaniemen Palloseura (kurz: Rovaniemi PS, noch kürzer: RoPS), wobei man „Palloseura“ ungefähr mit „Ballgemeinschaft“ übersetzen kann. Als größte Erfolge der Vereinsgeschichte werden die beiden Erfolge im „Suomen Cup“ (finnischer Cup) 1986 und 2013 angesehen, 1987 konnte man im Europapokal der Pokalsieger nach Siegen über Vaduz und Vllaznia Shkodra bis ins Viertelfinale vorstoßen, wo man gegen Olympique Marseille ausschied.
Die Trophäensammlung ist in der 65-jährigen Geschichte des Vereins also noch nicht besonders exzessiv gewachsen, offensichtlichen Österreich- oder gar Sturmbezug gibt es eigentlich auch nicht. So mancher Leser stellt sich hier nun möglicherweise die Frage, warum hier dann überhaupt über diesen Verein berichtet wird. Die Antwort darauf fällt relativ leicht: Rovaniemi ist nicht nur die Hauptstadt Lapplands, eine der wichtigsten Einkaufsstädte Nordfinnlands und der Sitz der „Universität der Arktis“, sondern gilt auch als Heimatort des Weihnachtsmannes. Wer diesen Text relativ zeitnah nach der Veröffentlichung liest und den Zusammenhang trotzdem nicht versteht, dem sei herzlich dazu gratuliert, dass er sein Lesegerät nicht verkehrt herum hält.
Unglücklicherweise ist in Rovaniemi nicht alles eitel Wonne, auch wenn man den sportlichen (Miss)Erfolg außer Acht lässt. Eher das Gegenteil ist wahr. Rovaniemi ist auch ein Symbol für die dunklen Seiten der modernen, durchglobalisierten Fußballwelt.
Wettbetrug x3
Erstmals in Verbindung mit Spielmanipulation und Wettbetrug wird RoPS 2005 gebracht, als ein einzelner malaysischer Zocker durch die 1:5 Niederlage gegen Myllykosken Pallo -47 (kurz: MyPa) mehrere Millionen Euro gewann, was gelinde gesagt relativ unüblich ist. Wichtige Figur dabei war auch ein deutscher Spieler, der vor seinem Wechsel nach Lappland bloß bei deutschen Amateurvereinen spielte, und den Verein nach dem Spiel (und einigen verheerenden Eigenfehlern) recht fluchtartig verließ. Der Spieler bestreitet bis heute allerdings jegliche Vorwürfe.
2006 geriet ein 2:2 gegen den Atlantis FC aus Helsinki in den Fokus der Ermittler, dabei wurde nachgewiesen, dass der Keeper von Atlantis bestochen wurde.
2008 kam es erneut zu außergewöhnlich hohen Wetteinsätzen auf das Ligaspiel gegen VPS Vaasa, danach wurde der estnische Verteidiger Aleksandr Kulik suspendiert. Auch die Vorgeschichte des damaligen Trainers liefert durchaus Grund zur Skepsis, wurde der Este Valeri Bondarenko doch zuvor bereits in der estnischen Mestriiliga wegen Spielmanipulation vorbestraft.
Richtig heftig wurde es dann in den Jahren 2009 – 2011, als der Singapurer Wilson Raj Perumal auf RoPS aufmerksam wurde. Er nahm Kontakt mit einigen Spielern auf – angeblich schleuste er über Mittelsmänner manche erst selber in das Team ein – und manipulierte mit ihrer Hilfe bis zu 24 Spiele, so jedenfalls das Urteil des finnischen Gerichts. Insgesamt wurden neun Spieler gesperrt, zwei Georgier und sieben Sambier. Perumal wurde wegen Wettbetrugs (und wegen fehlender Dokumente bei der Einreise) zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, die Spieler zu Geldstrafen.
Als durchschnittlicher Fußballfan in Mitteleuropa halten sich die Kenntnisse über die finnische Liga in Grenzen, daher stellt sich dem einen oder anderen jetzt vermutlich die Frage, warum sich Wettbetrüger so sehr auf Finnland konzentrieren. Ein Erklärungsversuch ist der, dass sowohl die Veikkausliiga als auch der/die/das Ykkönen (die zweite Liga, in welche man 2010 für eine Saison abgestiegen war) eine Ganzjahrsmeisterschaft ist. Im Juni und Juli haben quasi alle Ligen Europas Sommerpause, Geld will man als Wettbetrüger in diesen Monaten aber trotzdem verdienen. Außerdem ist das Lohn dem fußballerischen Niveau angepasst, so gilt die Veikkausliiga zwar offiziell als Profiliga, wirklich respektable Gehälter sind aber die absolute Seltenheit, sodass es für Manipulatoren keine all zu schwere Übung ist, Spieler mittels finanzieller Anreize auf deren Seite zu ziehen. Im konkreten Fall wurden manche Spieler schon für 500€ pro Spiel bestochen, ein einzelner erhielt sogar 40.000€ für das gewünschte Ergebnis. Ein besonderes Spiel war Perumal insgesamt 80.000€ wert, verteilt auf acht Spieler.
Sportliche Lage
Im Zuge der Aufarbeitung des Skandals durch ein Gerichtsverfahren nach gemeinsamen Ermittlungen von Staatsanwaltschaft, Polizei und Europol und der darauffolgenden Sperren der neun Spieler ging der Mannschaft auch einiges an Qualität verloren, sodass RoPS nach der Saison 2011 zum wiederholten Male in die zweite Liga absteigen musste. Insgesamt hat man seit 2000 sechs Jahre in Ykkönen verbracht, aber nie mehr als zwei am Stück, sodass mit Fug und Recht von einer „Fahrstuhlmannschaft“ gesprochen werden darf. Auch 2012 konnte RoPS den Titel in der zweiten Liga erringen und kehrte postwendend in die Veikkausliiga zurück. 2013 und 2014 rangierte man auf den Plätzen 11 bzw. 10, was bei 12 Mannschaften wahrlich kein Ruhmesblatt ist. Im Jahr 2015 allerdings spielte man sich zeitweise in einen sprichwörtlichen Rausch und belegte letzten Endes den zweiten Platz, nur einen Punkt vom neuen Meister Seinäjoen Jalkapallokerho (kurz: SJK Seinäjoki, SJK) getrennt.
Star des aktuellen Kaders ist der finnisch-russische Angreifer Aleksandr Kokko, der heuer in 30 Einsätzen 17 Treffer erzielen konnte. Ein interessanter Spieler für Sturm? Eher nicht, immerhin ist der gute Mann auch schon 28. Der zweite Stürmer war zumindest mal vielversprechend, Eero Markkanen spielte immerhin bereits bei AIK Solna in Schweden – und bei Real Madrid Castilla, das ihn für 2.3 Millionen Euro verpflichtete. Scheinbar entwickelte er sich aber nicht so wie erhofft, im August verließ er Real nämlich wieder und heuerte im September schließlich in Lappland an. Er erzielte in seinen sechs Einsätzen als Joker immerhin ein Tor, und wird sein Glück im nächsten Jahr wieder bei AIK Solna versuchen. Bei manchen klingelt es vielleicht auch beim Stammsechser Tomas Hradecky, dieser ist nämlich der Bruder vom Frankfurter Keeper Lukas Hradecky.
Für die restlichen Vereine in der Veikkausliiga waren eben jene Saisonen recht angenehm, in denen Rovaniemi eben nur in der Ykkönen spielte. Nicht dass das „Rovaniemen Keskuskenttä“ ein besonderer Hexenkessel wäre, mit seinem Kunstrasen und den beiden Tribünen die Platz für 2.800 Zuschauer bieten (der Rest steht einfach hinter den Toren). Nein, RoPS ist vorallem deshalb ein unbeliebter Gegner, weil er der mit Abstand nördlichst gelegene Verein ist, der in der ersten Liga spielt (und je gespielt hat). Unweit des Polarkreises herrschen dann doch nochmal andere Bedingunen als im eh schon nicht gerade tropischen Helsinki. Im Winter sind Temperaturen um die -15°Celsius keine Seltenheit, was auch die im Jänner oder Februar beginnende Saisonvorbereitung zu einer besonderen Herausforderung macht. Die Finnen sind das vielleicht noch gewohnt, aber im aktuellen Kader stehen eben auch Spieler aus Gambia, Nigeria, Kamerun oder Jamaika. Ideale Einstandsbedingungen sehen jedenfalls anders aus.
Wer sich für das Stadion interessiert, dem sei folgendes Video empfohlen:
Ah ja, Inter Turku, das Team das ihr alle aus https://www.sturmnetz.at/von-finnischen-busunternehmen-und-sturmtrainern-auf-abwegen/ kennt, beendete die aktuelle Saison in der Veikkausliga übrigens auf dem 4. Platz, zehn Punkte hinter Rovaniemi.
Resümee
In Rovaniemi ist es kalt. Wie in Graz. In Rovaniemi ist es wirklich ziemlich kalt. Wie manchmal in der UPC-Arena. In Rovaniemi ist es echt saukalt. Na gut, doch nicht wie in Graz. Über einige Jahre hinweg zog man Wettbetrüger an wie Michael Madl Gelbe Karten. (Hoffentlich) nicht wie Sturm. Das Stadion bietet zwar nicht vielen Leuten Platz, dafür ist es neu renoviert. Nicht wie Sturm. Zwar wurde man noch nie Meister, dafür zeigt die letzte Saison einen sehr deutlichen Aufwärtstrend. Beides definitiv nicht wie Sturm.
Passender für eine Weihnachtsausgabe von FwSnw wäre ja eigentlich der zweite Verein aus Rovaniemi gewesen, der sich mit RoPS das Stadion teilt. Leider pendelt dieser Club aber nur zwischen Kakkonen und Kolmonen, sodass es über ihn derzeit noch relativ wenig zu berichten gibt. Der Name dieses Vereins: FC Santa Claus. Kein Scherz.
SturmNetz.at wünscht allen Leserinnen und Lesern frohe Weihnachten!
Frohe Weihnachten an euch alle!