Tegetthoff: „Wenn Herz über Geld die Oberhand behält, wäre das schon cool“
Die „Stille Zeit“ ist nur anderswo wirklich still. SturmNetz.at geht im Advent in die Vollen! Wir lassen bis zum Heiligen Abend 24 Prominente zu Wort kommen und sprechen mit ihnen über Sturm, Fußball, Gott und die Welt. Der Grazer Schriftsteller und Erzähler Folke Tegetthoff gilt als Begründer einer neuen Erzählkunst, die klassische Elemente der phantastischen Literatur mit einer zeitgenössischen Sprache und Symbolik vereint. Mit seinen Büchern will er beispielsweise zeigen, dass das Märchen weder herzige Unterhaltung für die Kleinen noch unerreichbare Traumwelt für die Großen ist. Weil bekanntlich der Fußball auch immer wieder Märchen schreibt, haben wir mit dem einstigen Sportmuffel über kickende Söhne, das magische Dreieck, Zaubermeister Osim und noch viel mehr gesprochen. Und auch darüber, wie schön es wäre, wenn am Ende der diesjährigen Bundesliga-Saison Herzblut gegenüber Geld die Oberhand behalten würde.
Folke, du wurdest 1954 in Graz geboren. Welchen Stellenwert hat der Fußball in deiner Jugend eingenommen?
Eigentlich gar keinen. Ich war wohl einer jener wenigen Buben, die nur ganz selten Fußball gespielt haben. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ich in einem Hochhaus aufgewachsen bin und wenn ich im Hinterhof dann doch einmal gekickt habe, geschah dies auf Betonboden. Ich hatte auch eher alte Eltern, die noch dazu sehr unsportlich waren und daher ergab sich für mich viel zu selten die Gelegenheit, Sport zu betreiben.
Dann kann man wohl davon ausgehen, dass dir die Frage „Sturm oder GAK?“ keine schlaflosen Nächte bereitet hat.
Nein. Diese Frage hat sich für mich gar nie gestellt.
Dank deiner Märchen, auch für Erwachsene, bist du berühmt. Welchen Titel würdest du der Geschichte eines Fußballvereins geben, der finanziell am Boden liegt, sich aufrappelt, Europa aufmischt, um einige Jahre später erneut finanziell k. o. zu gehen, sich nochmals erfängt und Meister und Cupsieger wird?
(lacht) Hans im Glück! Ich denke, das würde gut passen.
Und wo siehst du generell Querverbindungen von Fußball und Märchen?
Ich bin nicht besonders fußballaffin, aber Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften schau ich mir mit sehr großer Freude an. Mich fasziniert die Emotionalität, die hinter diesem Sport steckt. Fußball ist zugleich Einzel- als auch Teamsport. Es spielt der blanke, pure Mensch. Beim Eishockey beispielsweise, gibt es zumindest noch einen Schläger. Ich sehe auch durchaus eine Verbindung zum Märchenhaften: Da kämpft ebenfalls ein Held, der muss sich bewähren, etliche Aufgaben bewältigen und wenn alles gelingt, kommt es zu einem Happy End. Es ist zwar nicht so, dass ich wahnsinnig große Sehnsucht habe, ein Stadion zu besuchen, aber ich verfolge immer die Geschehnisse rund um Sturm, weil mich diese emotionale Komponente interessiert.
Du bist vor kurzem zum ersten Mal Großvater geworden und hast in deinem aktuellen Buch „Let`s Chat Bayby!“ 185 WhatsApp-Nachrichten an deinen Enkelsohn verfasst. Wenn Theo dich in einigen Jahren bittet, ihn einmal auf den Fußballplatz zu begleiten, würde dich das dann zu einem Besuch in Liebenau bewegen?
Ja natürlich. Ich hab zwar, wie schon erwähnt, als Kind nicht viel Fußball gespielt, umso mehr dann allerdings mit meinen eigenen Kindern. Da gab es legendäre Schlachten in unserem Garten. Mein Sohn Floris hat sogar einige Jahre bei einem Klub gespielt und ich war der, der ihn zu den Matches gefahren hat. Und ich freu mich schon riesig, wenn Theo auch dieses Alter erreicht und ich mit ihm kicken kann. Im Stadion selbst war ich erst zwei Mal und war wirklich davon fasziniert. Aber irgendwie bin ich hängengeblieben und es hat noch nicht für weitere Matchbesuche gereicht.
An besonderen Tagen spricht man davon, dass der Fußball seine ganze Magie entfaltet. In Graz schwärmt man heute noch vom magischen Dreieck. Solche Begrifflichkeiten müssten einem Schriftsteller doch auch gefallen?
Klar. Etwas Magisches entsteht zumeist trotzdem erst durch die Zuseher. Erst sie laden diese Emotionalität so richtig auf. Es ist durchaus was Märchenhaftes, wenn – bei mir würde man sagen vom Leser, im Fußball vom Zuschauer – so etwas Magisches erst erschaffen wird. Ich meine damit, wenn drei Menschen in einem Team gut zusammenspielen, ist das ja noch nichts Außergewöhnliches. Das Zauberhafte wird aber von außen hinein getragen. Intern wird dieses Zusammenspiel im Training ja tagtäglich erprobt, das Magische daran entsteht erst durch die Betrachtung des Zusehers. Es ist schon faszinierend, wenn aufgrund einer sportlichen Leistung, das Wort Magie ins Spiel kommt. Magie heißt Zauberei, etwas Übernatürliches, etwas nicht Erklärbares. Das bedeutet dann, diese drei Menschen machen Dinge, die man eigentlich nicht für möglich gehalten hat. Wir schauen ihnen beim Spielen zu und die machen so viele Tore, dass wir meinen, das kann gar nicht mit rechten Dingen zugehen. Daher nennen wir es dann Magie. In Wahrheit ist es aber nichts Übernatürliches, sondern nur ein Trick. Wie in der Zauberei. Der Zauber findet immer in den Köpfen der Betrachter statt. In den Köpfen der Fans. In einem menschenleeren Stadion würden auch die allerbesten Tricks keine Magie entfalten.
Bei Sturm sind es jedes zweite Wochenende tausende Besucher, mit deinen Büchern – die in zwölf Sprachen übersetzt wurden – erreichst du ein Millionenpublikum. Auch der Fußball gilt mittlerweile als Magnet für Millionen. Siehst du da auch irgendwelche Parallelen?
Zuallererst die Emotion. Davon lebt das Ganze. Und diese Emotionalität ist ganz eng verbunden mit einer Identifikationsmöglichkeit. Diese findet schon daher statt, dass es wahrscheinlich keinen Buben gibt, der nicht irgendwann einmal einen Ball am Fuß hatte. Zudem sind sowohl im Fußball, als auch für meine Märchen, Fantasie und Intuition ganz wichtige Parameter. Wenn ich einem Messi zuschaue, wird mir klar, das kann nicht Ratio sein. Kein Mensch kann erspüren, wie und wo ein Ball hinfliegt, um goldrichtig zu stehen und die Kugel dann reinzudrücken. Das ist reine Intuition und Fantasie. Messi hat die Gabe, sich Dinge vorzustellen und nur so entsteht das Genie. Das unterscheidet dann absolute Topspieler vom Rest.
Du hast einmal gesagt, dass ein Märchen keine Bühne braucht, keine Show. Es gehe nur darum, dass einer aufsteht und ein anderer hört zu. Auch viele Fußballfans bekritteln, dass die Jagd nach dem runden Ball immer stärker zur reinen Unterhaltungsindustrie verkommt, das Hauptaugenmerk auf das Spiel so manches mal verloren geht und der Eventcharakter steigt.
Ich kenne dieses Problem auch aus meiner Branche. Viele Leute glauben ja, es reicht ein Buch zu schreiben und fertig. Dem ist aber leider nicht so. Man muss es auch extrem gut vermarkten, damit es am Markt reüssieren wird. Jenen Leuten, die bekritteln, dass das Business im Vordergrund steht, muss man sagen: Wenn ihr euch damit begnügt, Frannach gegen Heiligenkreuz am Waasen zu sehen, kann man gut und gerne auf die Vermarktung verzichten. Will man allerdings einen Messi, Ronaldo, aber auch die Fußballer von Sturm Graz, live oder vor dem Fernseher spielen sehen, muss eine gigantische Maschinerie in Gang gesetzt werden. Diese Eigendynamik lässt sich nicht mehr aufhalten. Je mehr Menschen so etwas sehen wollen, umso höher werden auch die Ansprüche. Viele fragen sich, wie es möglich ist, dass etwa Placido Domingo für einen Auftritt in der Oper 100.000 Euro erhält. Ganz einfach: Die Menschen wollen die perfekte Stimme hören. Das ist ein Teil unserer gesellschaftlichen Entwicklung. Der Konsument fordert das. Er will genau den hören, der eben das hohe C so singen kann, wie eben nur der Domingo. Und das hat dann seinen Preis.
Einzigartig war wohl auch der ehemalige Sturmtrainer Ivica Osim, der nicht nur als „Der Philosoph“ bezeichnet wurde, sondern so manches Mal auch als „Zaubermeister“. Gibt es in deinen Büchern eine ähnliche Figur?
Ich bin ja prinzipiell sehr realistisch und das Märchen ist für mich Teil der Wirklichkeit. Meine Märchenhelden haben immer beide Beine am Boden und fliegen nicht. So sehe ich auch Ivica Osim. Er ist ein total rationaler Mensch und hat überhaupt nichts von einem Zaubermeister, wie es die Leute gerne interpretiert haben. Osim hat eine großartige Menschenkenntnis und hat es bei Sturm verstanden, Leute zu führen und zu motivieren. Seine Erfolge beruhten auf einer Mischung aus Emotion, Intuition und Ratio. Das war für mich das Faszinierende an Osim. Mich hat das anfangs auch gestört, wenn er zum Philosophen hochstilisiert wurde, weil für mich ein Philosoph ein Schriftsteller, wie ich es bin, ist. Ich hab mich dann mit ihm intensiver beschäftigt, mir seine Interviews angehört, dann wurde mir klar, warum sich unter ihm so etwas wie ein magisches Dreieck erst entwickeln konnte. Weil er ein ganz rationaler Denker ist, so wie ich beim Schreiben von Märchen. Meine Märchen sind ganz logisch aufgebaut, da findet sich nichts Unlogisches. Und auch der Fußball folgt einer inneren Logik. Die Magie der ganz großen Trainer besteht nicht darin, dass sie irgendwelche Zauberstücke können, sondern die wichtigen Komponenten Emotion, Intuition und Ratio zusammenführen können. Und das konnte er.
Als Erzähler tourst du quer über alle Kontinente. Ist es schon einmal vorgekommen, dass irgendwo in der Welt – nachdem du deine Herkunft verraten hast – Graz sofort mit Sturm in Verbindung gebracht wurde?
Natürlich, immer wieder. Erst vor kurzem war ich auf Tour in China und da hat mich jemand auf Sturm angesprochen. Das war für mich total absurd. Auch im Iran ist mir das passiert. Keine Ahnung, wie so etwas überhaupt möglich ist.
Das liegt wohl an den ehemaligen Sturm-Spielern Pashazadeh und Minavand.
Okay. Jedenfalls passiert mir das wirklich oft, dass ich irgendwo auf der Welt auf Sturm angesprochen werde.
Gab es auch schon Berührungspunkte zu einem Spieler oder Verantwortlichen des SK Sturm?
Außer zum ehemaligen Präsidenten Kartnig, der mich einmal zu einem Sturm-Spiel eingeladen hat, eigentlich noch nicht. Allerdings habe ich anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2008 im Landestheater St. Pölten ein Programm entwickelt. Ein Abend, der völlig im Zeichen des Fußballs stand, und der ausschließlich von Frauen besucht werden durfte. Acht Fußballfans wurden als Darsteller eingeladen, darunter auch der jetzige Erzbischof von Salzburg, Franz Lackner, der ja, so weit ich weiß, ein riesen Sturm-Fan ist und über Fußball als Religion gesprochen hat. Frenkie Schinkels war auch mit dabei, eine österreichische Nationalteamspielerin und so weiter. Ich habe die Titelgeschichte gemacht und mein „Märchen vom Fußball“ präsentiert. Es war für mich einer der tollsten Abende, die ich bisher auf der Bühne erleben durfte.
Glaubst du, wird Sturm auch im Frühjahr 2018 wieder einmal ein Märchen schreiben und den Meistertitel nach Graz holen?
(lacht) Ich muss sagen, selbst wenn ich im Ausland bin, schau ich mir immer die Tabelle an, um zu sehen, wo Sturm gerade steht. In den letzten beiden Wochen war ich ganz intensiv unterwegs, muss daher ein bisschen was verpasst haben, weil ich ganz überrascht war, als ich sah, dass Sturm wieder ganz oben ist. Darüber freue ich mich schon sehr und es wäre natürlich der absolute Hammer, wenn sie es schaffen würden, Meister zu werden. Ich bin sehr gespannt, wie man den Abgang von Franco Foda – der irgendwie auch eine ganz besondere Figur zu sein scheint – verkraften wird. Foda scheint in letzter Zeit ja enorm an Profil gewonnen zu haben.
Vermutlich kann das dann auch nur mit viel Emotion gelingen.
Ja, das wäre eine ganz emotionale Geschichte. Herz würde Geld besiegen. Das würde dann sehr, sehr viele Menschen freuen. Auch Menschen, die nicht unbedingt Sturm-Fans sind und auch Menschen, die sich gar nicht so sehr für Fußball interessieren. Eine Mannschaft, die mit sehr viel Herzblut geführt wird, behält über eine Mannschaft, die meint, man kann sich mit Geld alles kaufen, die Oberhand. Das wäre wirklich cool.
Folke, vielen Dank für das lange Gespräch und schon jetzt frohe Weihnachten.
Danke und auch. Hat mich sehr gefreut.
Sehr schönes Gespräch!! Und sehr schöne, tatsächlich mit Ratio, Intuition und Emotion getätigte Versuche einer Erklärung. Dankeschön!
Nur so a persönliche Anmerkung:
Ich find den Namen seines Sohns, Floris, einfach echt Hammer 🙂