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Der erste große Auftritt der Blackies in Europa

15 Jahre alt war er schon, der Fußball-Europapokal, als Sturm die Ehre zuteil wurde, an diesem erstmals teilnehmen zu dürfen. 1967 noch beinahe abgestiegen, ging es in Graz danach stetig bergauf und gipfelte in der Saison 1969/1970 mit dem sensationellen dritten Platz in der Nationalliga, welcher gleichbedeutend mit der Qualifikation für den Messestädte Pokal sein sollte. Dieser Wettbewerb entsprach in etwa dem späteren UEFA-Cup beziehungsweise der heutigen Europa-League und wurde 1970 letztmalig ausgetragen.

Maßgeblichen Anteil an dieser Leistungsexplosion hatte zweifellos Trainer Gerdi Springer: Im Oktober 1967 aus Klagenfurt gekommen – wo er zeitweise sowohl als Fußball- als auch als Eishockeytrainer erfolgreich war – führte er bei Sturm Graz in vielen Bereichen ein neues Zeitalter ein: Klipp und klar definierte er sich als Alleinverantwortlicher in allen sportlichen Belangen, führte Leistungsprämien anstatt eines vorher üblichen Fixums ein, legte einen für alle Spieler gültigen Zapfenstreich fest, vor allem aber achtete er auf die körperliche Konstitution der Spieler. Seine Vorliebe zu Inter Mailand und harten, disziplinierenden Methoden, brachten ihm – in Anlehnung an den damaligen Startrainer Helenio Herrera schnell den Beinamen „Karawanken-Herrera“ ein. Schon ab seiner zweiten vollen Saison greifen diese Maßnahmen: So wird etwa Austria Wien in einer denkwürdigen Partie in der Gruabn mit 6:3 besiegt und Sturm erreicht in der Staatsliga Tabellenregionen, die man in Graz bislang nur vom Hörensagen kannte. Als man jedoch im Cup-Semifinale an Wacker Innsbruck scheitert, liebäugelt der Kärntner mit einem Offert von Rapid, fährt unentschuldigt zu Verhandlungen nach Wien und wird bei seiner Rückkehr am Grazer Hauptbahnhof von einer Abordnung des Vereinsvorstandes empfangen, die ihm noch am Bahnsteig über seine Entlassung informieren. In den letzten beiden Runden betreut Gustl Rumpf interimistisch die Mannschaft und es wird letztendlich Rang drei, gleichbedeutend mit der bis dahin besten Platzierung in der Vereinshistorie.

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Gerdi Springer (c) Foto-Fischer-Graz

In der Saison 1970/1971 sitzt statt dem „Peitschenknaller“ Springer der Ungar Janos Szep auf der Betreuerbank. Im Vergleich zum Kärntner ein völlig konträrer Trainertypus: Szep war für alle Spieler eine Art väterliche Figur und legte viel mehr Wert auf das spielerische Element. Und so ging man auch zuversichtlich in das erste europäische Jahr in der Geschichte des Sportklub Sturm: Nachdem in der ersten Runde Ilves Tampere aus Finnland nach einer eher unerwarteten 4:2-Auswärtsniederlage daheim mit 3:0 besiegt werden konnte, wartete man in Graz gespannt auf die Auslosung zur zweiten Runde. Und die Freude war riesengroß, nachdem bekannt wurde, dass ausgerechnet Titelverteidiger Arsenal London das Liebenauer-Stadion beehren wird. Aus wirtschaftlichen Gründen wird von den Klubverantwortlichen noch das Heimrecht getauscht, da man befürchtete, im Highbury dermaßen unter die Räder zu kommen, dass das Rückspiel für die Engländer nur mehr eine lästige Pflicht werden könnte und ein etwaiger Zuschaueransturm dadurch ausbleibt.

Es war eine echte Mannschaft mit Weltruf die da für ein Bewerbsspiel nach Graz kam: Namen wie Ray Kennedy, damals die große englische Stürmer-Hoffnung, Linksaußen George Armstrong, Verteidiger Peter Storey oder Rechtsverbinder John Radford waren auch den fachkundigen Fußballfans in Graz zumindest aus diversen Zeitschriften ein Begriff. Zu sehen bekam man solch eine Kategorie von Spielern in jener Zeit, als der internationaler Fußball nicht einmal ansatzweise diese mediale Omnipräsenz wie heute hatte, freilich zumeist nie. Alleine der Name ARSENAL war damals gefühlt nicht nur eine andere Welt, sondern erschien milchstraßenweit entfernt von der harten After-Work-Fußballergeneration, die damals im Sturmtrikot dem rundlichen Spielgerät hinterherlief.

sturm arsenal 2Daher überraschte auch niemanden, dass dieses Duell ganz Fußball-Graz schon Tage vor der Austragung in den Bann zieht. Trainer Janos Szep sprach vor dem Duell von „einer Mannschaft mit einem Kader von 15 Amateuren und einer Fußballerfabrik mit 42 Vollprofis“ und er bezifferte die Chancen auf den Aufstieg mit zehn Prozent. Zudem zog eine ungewohnte Hektik in das noch sehr beschauliche Sturm-Sekreteriat ein, das zu jener Zeit von einer Teilzeitangestellten betrieben wurde und maximal an drei Tagen die Woche für zwei Stunden seine Pforten öffnete. Englische Schlachtenbummler belagerten das Telefon, weil sie wissen wollten „ob es am Spieltag so nahe an den Alpen schneien wird“ und baten um Hinterlegung eines in England unter Sammlern beliebten Stadionprogramms. Aus diesem Grund wurde auch eine Extra-Nummer des Sturm Echos gedruckt, in denen die eigenen Anhänger schon vorab gebeten wurden „bei einer zu erwartenden Niederlage nicht all zu böse auf die Mannschaft zu sein„. Nichtsdestotrotz sprengte der Run auf die Eintrittskarten alle Erwartungen, wen wundert es da noch, dass sich 120 Soldaten freiwillig zum Ordnerdienst meldeten –  als Dankeschön wanken „freier Eintritt und eine Jause„. Für einen Abend galt für die Präsenzdiener somit „Kanoniere statt Sturmgewehr“, eine wahrlich nachvollziehbare Entscheidung der jungen Wehrmänner. Im letzten Augenblick wurden auch noch drei zusätzliche Sitzreihen direkt auf der Laufbahn des alten Liebenauer Stadions aufgestellt, um die Kapazität des Stadions zu erhöhen. Fans quasi als Field-Reporter, lange vor Peter Hackmair.

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(c) Foto-Fischer-Graz

Als das Match auf tiefem Boden angepfiffen wird, sehen 22.000 Zuseher im weiten Rund eine Sturmmannschaft, die sich von Beginn an voll ins Zeug legt und dabei Tempo und Kampfgeist ins Spiel bringt, mit denen die millionenschweren Kicker (in Schilling) aus London nicht gerechnet haben. Sturm beherrscht zu Beginn das Spiel, doch gegen die knallharten englischen Innenverteidiger reicht es noch nicht zu echten Torchancen. Das Tor des erst 18-jährigen Fritz Benkö, der die verletzten Türsteher Damir Grloci und Dr. Günther Paulitsch ersetzten muss, hingegen, bleibt anfangs Londoner Tabuzone. Gegen Ende der ersten Halbzeit starten die Kanoniere jedoch immer öfter blitzschnell vorgetragene Konterstöße, werden dabei immer gefährlicher und so ist man im Sturmlager zufrieden, als der Referee beim Spielstand von 0:0 zum Pausentee pfeift. Doch dann die 50. Minute: Nach einem Eckball, ausgeführt von Heinz Zamut kommt der Ball zu Helmut Wagner, der den Ball wieder zu Zamut ablegt. Dieser kann sich gegen seinen nordirischen Gegenspieler Pat Rice, noch heute Co-Trainer bei Arsenal, durchsetzen und trifft aus halblinker Position aus 25 Metern genau ins Kreuzeck. Dieses Traumtor schockt Arsenal dermaßen, dass sie von nun an vollends von der Bildfläche verschwinden. Den englischen Verteidigern ist es zu verdanken, dass die Engländer nicht höher in Rückstand geraten, aber auch dem tschechoslowakischen Schiedsrichter Bohumil Smeykal, der in der 54. Minute ein reguläres Tor von Robert Kaiser aus unerfindlichen Gründen seine Gültigkeit verwehrt.

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Heinz Zamut, Goldtorschütze im Hinspiel. (c) Foto-Fischer-Graz

Der schier unendlichen Freude tut diese Fehlentscheidung aber keinen Abbruch. Den Spielern ist zwar klar, dass dieser Pfiff die Ausgangsposition doch einigermaßen verschlechterte, doch im ersten Jubelrausch wird an das Rückspiel noch gar nicht gedacht. Noch heute sprechen die damaligen Helden in Schwarz-Weiß von einem unglaublichen Glücksgefühl, welches jeden einzelnen von ihnen durch Mark und Bein ging.

arsenal sturmMit dem Aufstieg wird es aber nichts. Im mit 45.000 Besuchern gefüllten Highbury-Stadion wächst zwar der junge Ersatzgoalie Benko über sich hinaus, aber das allein reicht nicht. Zwar bedrohen einige Weitschüsse des legendären „Granatenfredl“ Alfred Murlasits das Gehäuse von Arsenal-Keeper Bob Wilson, doch die Kanoniere sind an diesem Abend eine Klasse stärker als Sturm und auch eine Klasse stärker als in Graz. Und trotzdem bedarf es in der 95. Minute für Arsenal eines Elfmeters nach einem angeblichen Handspiel von Franz Reiter um das Spiel noch in der regulären Spielzeit mit 2:0 für sich zu entscheiden. Stört man den wackeren Franz heute beim Preferanzen in der Murfelder Sportplatzkantine und wirft ihm das Stichwort Arsenal zu, erschallt aus dem Munde des heute 73-Jährigen ein lapidares „Nie im Leben wor des a Elfer„. Peter Storey, 19facher englischer Internationaler, später Bordellbetreiber und wegen der Produktion von Falschgeld zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt, verwandelte und Schiedsrichter Theodor Boosten aus Holland fand am Bankett nach dem Spiel klare Worte: „Wer denn ist Arsenal, und wer bitteschön Sturm?“ Herr Referee, Arsenal war jene Mannschaft die in dieser Saison ihren achten von bis heute insgesamt dreizehn Meisterschaftstitel einfuhr, im selben Jahr zum ersten Mal in ihrer Historie das Double gewann, im Europapokal allerdings im Viertelfinale aufgrund der Auswärtstorregel am 1. FC Köln scheiterte. Sturm hingegen belegte in dieser Saison in der nationalen Meisterschaft nur den 12. Rang. Trotzdem ist jener Gedankengang des Referees bis heute nicht nachvollziehbar. Ob ein gewisser Herr Romualdas Yuschka 1984 oder Herr Miroslav Radoman 1999 auch so gedacht haben wie dieser holländische Referee im Jahre 1970 im altehrwürdigen und mittlerweile abgerissenen Highburry  wird hier nicht zum Thema werden. Aber eventuell ein anderes Mal. Der „Memorial Garden“ jedenfalls, der heute im Bereich des damaligen Spielfeldes steht, erinnert nicht an Schiri Boosten, sondern bietet unter anderem Platz für die Urnen von 500 beigesetzten Arsenal-Anhängern.

 

Spieldaten Hinspiel, Messestädte-Cup, 2. Runde:

Sturm Graz – Arsenal London 1:0 (0:0) 

Sturm: Benko – Solleder, Reiter, Schilcher, Russ – Wagner, Fuchs – Albrecht, Kaiser, Murlasits, Zamut

Arsenal: Wilson – Rice, McNab, McLintock, Kelly – Roberts, Storey, Graham – Armstrong, Kennedy, Radford

 

Spieldaten Rückspiel:

Arsenal London – Sturm Graz 2:0 (1:0)

Arsenal: Wilson – Rice, McNab, McLintock, Kelly – Roberts, Storey, Graham – Armstrong, Kennedy, Radford

Sturm: Grloci (40. Fritz Benko) – Solleder, Reiter, Schlicher, Russ – Wagner (74. Willhelm Huberts), Fuchs – Albrecht, Kaiser, Murlasits, Zamut

 

1 Kommentar

  1. Bozo 07 sagt:

    Schön was damals …

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