Schwarz-Weißes Groundhopping anno 1956

„Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen.“ Genau aus diesem Grund blickt SturmNetz in regelmäßigen Abständen zurück in die Historie eines Vereines, der so viele Hochs und Tiefs überwunden hat wie wohl nur wenige andere Klubs, der beispielsweise einst europaweit für Furore sorgte, um kurz danach finanziell in der Gosse zu landen. Ivica Osim brachte es wunderbar auf den Punkt: „Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist aber auch.“ Wir erzählen in dieser Rubrik „Gschichtn“, stürmische Gschichtn eben. 

Zum Auftakt der Frühjahrsmeisterschaft 1956 mussten die Kicker des ältesten Fußballvereins Österreichs, der Vienna, nach Graz. Die Döblinger hatten in der Vorsaison ihren insgesamt sechsten Meistertitel eingefahren, auch im abgelaufen Herbst war der regierende Meister voll im Titelrennen. Wacker, der Sportklub, die Vienna, Rapid und Austria lagen nur durch drei Punkte getrennt an der Tabellenspitze und vieles deutete auf eine an Spannung kaum zu überbietende Frühjahrsmeisterschaft hin. 

Den Nachzügler Sturm hatte man im Hinspiel mit 7:1 von der Hohen Warte gefegt, eine „gmahte Wiesn“ wurde prognostiziert. Doch am Spieltag, dem 26. Februar, glich die Gruabn einer Schlammwüste. Das Spiel wurde abgesagt, die Blau-Gelben mit Superstars wie dem WM-Torhüter 1954 Kurt Schmied, Spielmacher und langjährigen Nationalteamrekordspieler Karl Koller und dem damals erst 17-jährigen Hans Buzek (vor allem seine Tore waren dafür entscheidend, dass sich die Vienna überhaupt regierender Meister nennen durfte) wurden unverrichteter Dinge zum Grazer Bahnhof gebracht, wo es mit dem Zug zurück über den Semmering Richtung Bundeshauptstadt ging. Zuvor wurde ein „Privatspiel“ zwecks der Hetz abgehalten (2:4) und der 7. März als Ersatztermin vereinbart.

Die große Vienna-Mannschaft Mitte der 50er-Jahre: stehend v. l.:Koller, Röckl, Jericha, Nickerl, Buzek, Walzhofer hockend v. l.: Grohs, Schweiger, Schmied, Pichler, Umgeher (c) firstviennafc.at

Doch Anfang März spielte der Wettergott erneut Schicksal. Dem heftigen Schneefall in der Nacht folgte Tauwetter, die Gruabn schwamm fast davon, an ein Fußballspiel war nicht zu denken. Die Absage wurde allerdings erst zu einem Zeitpunkt publik, als sich bereits 6.000 Fans in der Gruabn eingefunden hatten. Es wurde gemurrt, geflucht und geschimpft. Nur heimgehen wollte so recht keiner. Scheinbar mit Erfolg, denn plötzlich keimte Hoffnung auf.

Um den treuen Anhang zu beruhigen, suchte man nach Alternativen. Funktionäre begutachteten den nahe gelegenen Sportklub-Platz und berichteten Schiedsrichter Prybil über durchaus akzeptable Bedingungen. Der Unparteiische gab sich kompromissbereit, schnappte sich das Spielgerät und machte sich auf den Weg zur rund 800 Meter entfernten Sportstätte in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße. Funktionäre und Spieler folgten Prybil, auch die Anhängerschaft brach auf, um den regierenden Fußballmeister doch noch bei der Arbeit beobachten zu dürfen.

Sehr viel Hüte, null Frauen. Der Sturm-Mob Richtung Sportklub-Platz im Jahr 1956 (c) Privat

Dass es einige Zeit dauern kann, wenn sich tausende Menschen über den Jakominigürtel wälzen, hatte der Referee so nicht kalkuliert. Seine Ungeduld stieg. Der Sportklub-Platz präsentierte sich zwar tatsächlich in für damalige Verhältnisse bespielbarem Zustand, doch Prybil verlor die Nerven. Der Legende nach erklärte er den Umzug als zu langatmig und sagte das Spiel endgültig ab, als die letzten Sturm-Fans gerade das Stadion betraten. Offiziell begründete der Schiri die Absage mit der bereits einbrechenden Dunkelheit. Natürlich kochte jetzt die Volksseele, die Anhänger forderten ihr Eintrittsgeld zurück, doch echte Tumulte blieben aus.

Otto Mühlbauer sorgte acht Minuten vor Schluss für den Ausgleich © Micka Messino

Zunächst wurde das Spiel auf den 8. April verlegt, doch auch an diesem Tag sollte es in Graz in Strömen regnen. Gegen den vierten Termin am 18. April erhob Bundestrainer Josef Mölzer Einspruch, da er an diesem Tag einige Döblinger für das Nationalteam benötigte. Erst am 17. Mai 1956 wurde das Spiel Vienna gegen Sturm, mit fast dreimonatiger Verspätung, angepfiffen. Die Begegnung endete mit einem 2:2. Otto Mühlbauer, der treffsichere Routinier, der bereits 29-jährig vom Lokalrivalen Südbahn Graz zu den Blackys gewechselt war und ein Jahr zuvor durch beispielsweise drei Tore gegen den SV Wimpassing maßgeblichen Anteil am sofortigen Wiederaufstieg hatte, gelang acht Minuten vor Abpfiff der umjubelte Ausgleichstreffer. Dieser Punktverlust und wohl auch die damals noch etwas mühsame, viermalige Anreise über den Semmering, waren mit Grund dafür, dass es der Vienna nicht gelang, ihren Meistertitel erfolgreich zu verteidigen. Bis heute war die österreichische Fußballmeisterschaft 1954/55 der letzte Titel des Döblinger Traditonsvereines. 

Einem Titel sehr nahe kam der „First Vienna Football Club“ erst wieder im Jahre 1997, als man mit Siegen unter anderem gegen Austria Wien, GAK und DSV Leoben bis in das Cupfinale einzog, im Endspiel dann allerdings Sturm durch Tore von Ivica Vastic, Jens Dowe bzw. einem Eigentor von Mario Posch mit 1:2 unterlag. Auch Wetterkapriolen sollten einem Meisterschaftsspiel zwischen diesen beiden Klubs nochmals einen Strich durch die Rechnung machen. Am 12. August 1988 waren es erneut 6.000, die sich in der altehrwürdigen Gruabn einfanden, um mitzuerleben, wie Referee Roman Steindl nach 18 Minuten bedingt durch einen sintflutartigen Wolkenguss beim Spielstand von 0:0 abbrechen musste. 32 Jahre nach der Fanwanderung zum GSC-Platz funktionierte es mit der Neuaustragung dieses Mal jedoch wesentlich zügiger. Bereits am nächsten Tag wurde erneut am Sturm-Platz angekickt, nach genau jenen eigentlich bereits gespielten 18 Minuten stand es im Wiederholungsspiel durch Tore von Walter Schachner und Gerald Glatzmayer bereits 1:1. Dabei blieb es dann auch nach 90 Minuten.

Sturm – Vienna 1988 in der Gruabn. Am Bild G. Glatzmayer, F. Feirer und E. Türmer (c) Johann Dietrich

Spieldaten:

Sportklub Sturm Graz – FC First Vienna 2:2 (0:1)

Sturm: Sauruck; Schuh, Horvath, Neuhold; Pichler II, Beran, Kaltenegger, Senekowitsch; Meszaros, Mühlbauer, Payerl

Vienna: Engelmeier; Webora, Röckl, Umgeher; Koller, Schweiger, Grohs, Walzhofer; Buzek, Jericha, Sühs

Tore: 0:1 Jericha (13.), 1:1 Schuh (57., Elfmeter), 1:2 Walzhofer (63.), 2:2 Mühlbauer (82.)

Sturm-Platz 6.000, 17.5. 1956, SR Kainer

Bilanz:

Im Cupfinale 1997 kreuzten sich die Wege des First Vienna Football Club mit jenen des Sportklub Sturm zum 79. und bislang letzten Mal:

Gauliga: 2 Spiele/2 Niederlagen

Staatsliga: 18 Spiele/4 Siege/ 4 Remis/10 Niederlagen

Nationalliga: 14 Spiele/7Siege/3 Remis/4 Niederlagen

Bundesliga: 36 Spiele/17 Siege/11 Remis/8 Niederlagen

Mittlere Play Off: 2 Spiele/1 Remis/1 Niederlage

ÖFB-Cup: 5 Spiele/4 Siege/1 Niederlage

Gesamtbilanz: 79 Spiele/32 Siege/19 Remis/26 Niederlagen/2 annulierte Spiele in der Gauliga. Gesamt-Tordifferenz: 118:127

Fußballer, die sowohl für die Vienna als auch für Sturm aufliefen:

Richard Niederbacher, der Sturm 1983 Richtung Belgien und später Frankreich verließ, spielte im Frühjahr 1986 für die Vienna.

Gottfried Angerer (1988-1991 Vienna, 1992-1993 Sturm), Bernd Dallos (1991-1992 Sturm, 1995 Vienna), Ernst Dospel (2006 Sturm, 2011-2013 Vienna), Bruno Friesenbichler (1991-1993 Vienna, 1993-1995 Sturm), Michael Gruber (1990-1991 und 1995-1997 Sturm, Herbst 1997 Vienna), Thomas Mandl (2004 Sturm, 2012 – 2014 Vienna), Richard Niederbacher (1979-1983 Sturm, 1986 Vienna), Hannes Reinmayr (1990-1991 Vienna, 1995-2001 Sturm), Manfred Reiter (1966-1970 Sturm, 1970-1974 Vienna), Helmut Senekowitsch (1955-1958 Sturm, 1958-1961 Vienna), Ivica Vastic (1991-1992 Vienna, 1994-2002 Sturm), Günther Vidreis (1985-1986 Sturm, 1988-1992 Vienna), Michael Zechner (1997-1998 und 2005-2007 Vienna, 2003-2004 Sturm).

 

 

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