Schwarz-weiß in Brasilien

Die Heimat von Pelé und Neymar Junior

Der totale Verkehrsinfarkt, Hupkonzert inklusive. Aber der Ton ist irgendwie anders als bei uns zuhause. Er ist begeistert, aufgeregt. Klar, es sind auch mehr Vuvuzelas als Autohupen im Spiel. Jeder hat damit gerechnet, dass es ab Mittag kein Weiterkommen mehr gibt in den Straßen von São Paulo, keiner ist sauer. Alle, aber auch wirklich alle, 90-jährige Omas inklusive, tragen die gelben Shirts der Seleção. 95% davon haben die Rückennummer 10. Neymar, eh klar.

Es sind die Stunden vor dem Auftaktspiel zur Fussball WM 2014. 3 Tage vorher bin ich samt Frau und 6-jähriger Tochter in São Paulo gelandet. Wir werden ein bis zwei Jahre hierbleiben und freuen uns auf das neue Leben. Meine neuen Arbeitskollegen haben uns auch gleich zur Grillparty eingeladen, Fußballschauen inklusive. Zur Hymne stehen alle auf und singen inbrünstig mit. Das wäre in Österreich schwer vorstellbar und irgendwie muss ich das jetzt auch nicht haben.

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(c) SturmNetz.at

Etliche Caipirinhas später ist Kroatien besiegt. Und wir wissen quasi aus erster Hand, dass Grillen in Österreich nur eine letscherte Parodie von einem brasilianischen Churrasco ist. Da sind uns die Brasilianer ungefähr so weit voraus wie wir ihnen beim Skifahren.

Corinthians São Paulo, das wäre jetzt der Verein, den ich unterstützen muss. Alles andere wäre quasi gleichbedeutend mit einer Ausladung für alle weiteren Grillereien. Der Hausherr macht mir damit auch gleich klar, dass Fußball hier kein Nebenthema ist. Für niemanden. Und er hat ja Recht. Fußballschauen macht sowieso nur Spaß, wenn man Farbe bekennt.

Bevor ich allerdings ein Glaubenbekenntnis ablege, forsche ich noch ein wenig nach. Höre mich um. Lass es auf mich wirken.

In São Paulo hast du 4 Vereine zur Auswahl. Bei gut 22 Millionen Einwohnern im Großraum ist das auch angemessen.

Corinthians, das ist der Klub des Volkes, der Arbeiter, der Mittel- und Unterschicht. Die Farben sind schwarz-weiß. Den knallroten Anker im Logo finde ich allerdings völlig unpassend. Wie kann man nur!?

Der Erzrivale, der FC São Paulo, ist hingegen der Verein der Oberschicht. Die Vereinsfarben sind rot-weiß-schwarz, wobei das Schwarz quasi nur zur optischen Veredelung verwendet wird. Für mich ist der FC São Paulo so rot wie sein Stadion in Morumbi, die Fanshops und die meisten Dressen.

Palmeiras, das ist der Verein der großen italienischen Community der Stadt. Bis zum zweiten Weltkrieg hieß der Verein Palestra Italia. 1942 musste umbenannt werden, da man keine Begriffe eines Kriegsgegners verwenden durfte. Aus Palestra Italia wurde Palmeiras (wegen der Anfangsbuchstaben nehme ich an) und aus rot-weiß-grün wurde grün-weiss.

Und dann ist dann noch der FC Santos. Santos ist die Hafenstadt, gut 50 km entfernt, unten am Meer. Sas zählt man hier auch noch irgendwie zu São Paulo – man denkt hier eindeutig in anderen Dimensionen. Ausserdem spielt der Klub viele Heimspiele in einem der großen Stadien von São Paulo. Das muss sein, wegen der Einnahmen.

Santos, das ist der Verein, in dem Pelé und Neymar groß geworden sind. Pelé hat hier bis zu seinem fünfunddreissigsten Lebensjahr gespielt. Dann ist er nach New York, zum Geldverdienen. Neymar hat schon mit 21 seine Sachen gepackt. Santos ist generell ein Verein, der in schöner Regelmäßigkeit Superstars hervorbringt und davon leider kaum profitiert. Weil das mit den Transferrechten hier so ein Thema ist. Windige Hintermänner und so weiter.

Meine Recherchen bringen dann Folgendes zutage:

Corinthians hat sympathische Farben, einen klingenden Namen, ein wunderbares Logo (die Farbe vom Anker ausgenommen) und viele Fans. Das sind aber auch oft Leute, deren sonstiges Leben wirklich trist ist. Da geht’s oft weniger um Fußball, sondern mehr ums Kompensieren der eigenen Problemen. Die Aggressionen und Gewaltausbrüche der Corinthianos sind legendär und gefürchtet. Das mag ich gar nicht, auch wenn die Steaks vom Kollegen genial sind.

FC São Paulo ist rot. Das verursacht so eine innere Blockade bei mir. Schwer vorstellbar.

Palmeiras ist grün. Ah net wirklich meine Farbe. Außer bei meinem Zweitklub daheim, der Austria in Luschnou. (bzw. 'Lustenau' für die Nicht-Luschnouer). Danke Ossi!

Bleibt also Santos. Schwarz-weiß, das passt perfekt. Der Verein hat eine lange und intensive Historie. Nach einem Besuch im Pelé-Museum habe ich mich dann endgültig entscheiden. Santos, das ist mein Verein in Brasilien. Das ist der SK Sturm Südamerikas.

Einer der Santos Fanshops in São Paulo ist dann praktischerweise auch in der Nähe. Die Leute sind unglaublich nett und hilfreich. Klar, sie sind auch neugierig, warum ich als Gringo auf die Idee komme, Santos-Merchandise zu kaufen. Ich erzähl ihnen die Story und sie freuen sich ehrlich drüber. Brasilianer sind übrigens generell unglaublich offen und freundlich, nicht nur wenn sie dir was verkaufen wollen. Tolle Leute.

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Einer der Jungs (der im gelben T-Shirt) hat plötzlich eine Eingebung. Er kramt aus einem versteckten Regal ein dickes Buch heraus. Es ist der Santos-Almanach, in dem jedes einzelne Spiel seit der Vereinsgründung am 14. April 1912 dokumentiert ist. Und siehe da, es gab auch schon drei Spiele gegen österreichische Klubs. Warum das Spiel gegen die Wiener Austria justament in Moçambique ausgetragen wurde, wäre eine separate Recherche wert. Und, schau einer an, Österreich ist eines der ganz wenigen Länder, die eine positive Bilanz gegen den Santos FC aufzuweisen hat. Man klopft mir anerkennend auf die Schulter. Bizarr unverdient, aber ich nehm das Lob trotzdem gern entgegen.

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Der Nickname von Santos ist „Peixe“. Fische also, wegen Hafen und so. Ich find’s ja wirklich nett, wenn ein Fußballteam auch ein passendes Symbol hat. „Peixe“ hört man in den Klubetagen allerdings anscheinend nicht so ganz gerne. Das offizielle Maskottchen ist deswegen ein Orca und heißt „Baleão“, also „Großer Wal“. Säugetier statt Fisch also. Und Orcas sind eigentlich Delfine. Der Baleão wird sich wohl nie durchsetzen. Er ist quasi der Tomislav Barbaric der Fußball-Maskottchen.

Als Santos-Fan kriegst du in São Paulo wenig Gegenwind, leider nicht einmal im Spaß. Die große Rivalität zu anderen lokalen Vereinen gibt’s nicht. Vielleicht liegt das auch daran, dass die großen Erfolge angeblich schon länger her sind. Das sagen zumindest die Nicht-Santistas hier.

Umso mehr hat es mich gefreut, dass MEIN Verein 2015 die Meisterschaft von São Paulo gewonnen hat. Zum sechsten Mal seit 2000 – von wegen erfolglos! Die letzte brasilianische Meisterschaft war allerdings schon 2004.

Santos zuzuschauen macht aktuell auch viel Spass. Immerhin. Vollgas-Fussball a lá Leverkusen, halt mit mehr Gustostückerln und weniger taktischer Diszplin. Wir sind schließlich in Brasilien. Nach dem Erfolg in der São-Paulo-Meisterschaft tun sie sich aktuell in der brasilianischen ersten Liga leider ein bissl schwer. Die Abstimmung in der Defensive halt. Aber das wird schon wieder, immerhin haben sie die Corinthians geschlagen.

Wo sind jetzt also die Parallelen zum SK Sturm?

Santos ist schwarz-weiß, so wie Sturm. Besser geht´s nicht.

Santos hat unglaublich sympathische Fans, so wie Sturm.

„Peixe“ gefällt mir deutlich besser als „Schwoaze“. Es ist einfach origineller, so wie der Geissbock vom FC Köln. Ich wünsch mir schon lange ein passendes Symbol für den SK Sturm. Einen schwarzen Panther zum Beispiel. Der ist schnell, gefährlich, kraftvoll, elegant, passt farblich perfekt und schön steirisch wäre er irgendwie auch…

Santos war ab und an mal Meister, so wie Sturm.

Santos ist eine Mannschaft, mit der man immer rechnen muss. So wie Sturm.

Santos hat auch international schon mehrmals aufgezeigt, so wie Sturm.

Santos hat leider kein adäquates Stadion, so wie Sturm. Ins „Vila Belmiro“ passen 21.000 Zuschauer. Es wurde allerdings bereits 1916 gebaut und erst 1997 einigermassen renoviert.

Das Vereinslogo von Santos müsste auch mal modernisiert werden. Nicht neu erfunden, sondern einfach zeitgemäss adaptiert. So wie bei Sturm, zumindest meiner Meinung nach.

Santos ist bekannt dafür, regelmäßig Superstars hervorzubringen. Ein aktueller Kandidat aus dem eigenen Nachwuchs ist Gabriel. Der hoch veranlagte 8er hat mit grade mal 18 Jahren schon einen Marktwert von 8 Mio. und einen Vorvertrag bei Barcelona. Mir wär´s durchaus recht, wenn sowas bei Sturm in naher Zukunft auch mal passiert. Sandi, bleib noch ein bissl!

Achja, und zum Grillen darf ich immer noch kommen. Das Santos T-Shirt muss ich halt zuhause lassen. Die Weltklasse-Steaks mit Caipirinha-Begleitung sind dieses Opfer aber allemal wert.

 

 

2 Kommentare

  1. gabrielzoll sagt:

    Echt toller Beitrag, weiter so
    Danke

  2. ultrasneverdie sagt:

    was mal cool wäre, ein interview mit einem gestandenen fanklub abseits der „3 grossen“. zb der bastion nord, die jungs und mädels sind seit 2003 dabei und haben sicher eine gute sicht auf das geschehen hinter dem torwart.

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