Roth: „Ein Sturmanhänger ist treu, zugleich Realist und Träumer, verrückt und bodenständig“
Die „Stille Zeit“ war bei uns nie wirklich still. SturmNetz.at ging im Advent in die Vollen und hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis zum Heiligen Abend 24 Prominente zu Wort kommen zu lassen und mit ihnen über Sturm, Fußball, Gott und die Welt zu sprechen. Den Kehraus, und zugleich auch so etwas wie den Höhepunkt, bildet heute einer der bedeutendsten zeitgenössischen, deutschsprachigen Schriftsteller. Der gebürtige Grazer Gerhard Roth bezeichnet sich selbst als „ein vom Schreiben im besten Sinne Besessener“. Im Mittelpunkt vieler seiner Romane steht der sich vergeblich abmühende Held, dem die Welt als ein quälender und nicht haltbarer Zustand erscheint. Er ist aber auch seit beinahe sieben Jahrzehnten ein leidenschaftlicher Sturm-Anhänger und lässt sich fast kein Heimspiel seiner Blackys entgehen. Wir haben mit ihm über seine Sozialisation zum Sturmfan, über innerfamiliäre Derbys, legendäre Schlachten, einer fiktiven Startelf mit poetischen Zügen, warum er Günter Kreissl voll und ganz vertraut und noch viel mehr gesprochen.
Herr Roth, Sie sind 1950 das erste Mal auf den Sturmplatz gegangen – aus Gösting kommend, am eigentlich viel näher an Ihrem Geburtshaus liegenden GAK-Platz vorbei. Wie sind Sie eigentlich als Kind zum Anhänger des Sportklub Sturm sozialisiert worden?
Mein Großvater – ursprünglich ein Glasbläser, dann Glasmacher – der schon als Kind in Tag- und Nachtschichten hatte arbeiten müssen und deshalb nur vier Klassen Volksschule besuchen konnte – war ein Sozialdemokrat und Sturm-Anhänger. Der GAK war für ihn ein Verein der „Reichen“, der Akademiker, Hofräte und Geschäftsleute, die auf die Arbeiter herabsahen. Auch hatte sich der GAK bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen geweigert, gegen den jüdischen Klub Hakoah anzutreten. Das Publikum in der Körösistraße war für ihn zudem auf „entwaffnende Art ordinär“ gewesen. Es habe auf Hochdeutsch ihnen unliebsame, gegnerische Spieler als „Proleten“ und „Saujuden“ beschimpft. Übrigens hat der GAK bis heute seine Vergangenheit nie aufgearbeitet, Sturm mittlerweile schon… Dieser Großvater hat mich zusammen mit meinem Vater, den er bereits zum Sturm-Anhänger gemacht hatte, mit acht Jahren auf den Grazer Sportklubplatz – gegenüber der Messe – mitgenommen. Der Sturm-Platz war zu dieser Zeit gerade gesperrt. Sturm besiegte Wiener Neustadt mit 9:0, fünf Tore erzielte dabei allein Durek. Es war gerade eine Phase, in der ich die „Erwachsenenwelt“ kennen lernen wollte. Zu meinem Vater, einem Arzt, kamen in Gösting zahlreiche Patienten in „unser“ Haus, welches auch als Praxis diente. Darunter viele Alkoholiker, Invalide, geistig Behinderte und „Raufer“ mit ziemlich schlimmen Verletzungen. Es war die Nachkriegszeit, in der nach der Dunkelheit des Nationalsozialismus und Krieges allmählich die Morgendämmerung anbrach. Alles sprach nur vom eigenen Elend. Ich fragte mich, was bloß mit den Erwachsenen los sei. In der Gruabn fand ich viele Antworten. Besonders hinsichtlich Aggressionen und Begeisterung des Publikums. Explodierende Stimmung und Freude, aber auch Wut, Streit und mitunter bedrohliche Gewaltausbrüche, die mich irritierten. Doch war es jedes Mal für mich ein Abenteuer, dabei zu sein. Gleichermaßen aber auch eine Befreiung von Kindesängsten, die aus Erfahrungsmangel entstehen. Da mein Großvater ja Arbeiter war und eine große Anzahl an Geschwistern hatte, hielt ich mich fast nur unter „einfachen“ Leuten auf. Heute bin ich froh darüber, denn ich habe dadurch erfahren, dass mir jeder von ihnen in gewissen Dingen überlegen war.
Ist Ihrem Großvater diese schwarz-weiße Sozialisation bei allen seinen Nachfahren geglückt?
Mein älterer Bruder Paul bevorzugte trotz allem den GAK. Wir gerieten uns jedoch nur vor, während und nach einem Derby in die Haare. Oft gingen wir auch zu den Spielen beider Vereine. Ich lernte allmählich, dass mein Bruder und ich die selbe Krankheit – nur mit unterschiedlichem Ausschlag – hatten. Er einen roten, ich einen schwarzen Ausschlag auf der weißen Haut. Aber das Fieber vor einem Match, die Unruhe beim Spiel selbst und die Reaktionen nach einem Spiel waren dieselben. Besonders einen Feind hatten wir gemeinsam – die Schiedsrichter. Sie protegierten, wie auch heute noch, gerne die großen Wiener Vereine. Das Foul eines Sturm-Spielers war etwas ganz anderes als das eines Spielers von einem Wiener Großverein. Besonders deutlich wurde das bei Elfmetern. Wenn wir vorne lagen, mussten wir immer mit einem Penalty gegen Sturm rechnen. Auch heute noch kann sich ein Schiedsrichter aufführen, wie zuletzt Manuel Schüttengruber, im Spiel der Wiener Austria gegen Sturm. Bei einem brutalen Foul eines Austria-Spielers an Linksaußen Thorsten Röcher, das vor seinen Augen passierte, sah er nichts, was ihn wenigstens zu einer Gelben Karte greifen hätte lassen. Und auch nicht das Hands eines Austria-Spielers im eigenen Strafraum. Ich will keine Stimmung gegen die Wiener Vereine machen, ich lehne auch die Beschimpfungen „Wiener Schweine“ oder „Bullenschweine“ unseres großartigen Nordkurvenchors ab. Die Wiener und Salzburger Fans, haben – wie schon mein Bruder – dieselbe Krankheit wie wir, nur eine andere Farbe des Ausschlags.
Hass hat nichts mit Fußball zu tun. Hass ist immer Schwäche.
Sie haben diesbezüglich in Graz ja auch schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht.
Vor ein paar Jahren, nach einem Match gegen die Wiener Austria, wurde mein Auto mit Wiener Kennzeichen – ich lebte und arbeitete jahrelang in der Bundeshauptstadt, fuhr aber zu jedem Heimspiel nach Graz – angehalten und ein paar Sturm-Fans pöbelten mich an. Ich stieg ziemlich sauer aus, aber es wurde gleich drauf wieder friedlich.
Es gibt wohl bis heute nichts, was Sie von einem Besuch eines Heimspiels abhalten würde?
Noch heute bin ich ein Sturm-Anhänger, der nach Möglichkeit kein Heimspiel versäumt. Wenn sich ein Besuch im Stadion nicht ausgeht, ich keinen Freund erreichen kann, Sky irgendwo im Himmel versickert oder auch SturmNetz hinter Wolken versteckt ist, versuche ich zumindest via Teletext am Laufenden zu sein.
Viele weitere Protagonisten des Forum Stadtpark, einer Grazer-Künstlergemeinschaft, der auch sie entstammen – wie beispielsweise ein Peter Handke oder ein Wolfgang Bauer – hatten bzw. haben allerdings eine Leidenschaft für den Fußball. Eher ungewöhnlich, galt doch das gesamte Ballesterern in der Nachkriegszeit eher als Sport für den kleinen Mann.
Sowohl Pier Paolo Pasolini als auch Albert Camus spielten Fußball. Wir sahen Fotografien von ihnen in Dressen. Als wir davon erfuhren, war das wie eine Bestätigung der eigenen Erfahrung.
Peter Handkes literarisches Ready Made „Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg 1968“ zeigt eine Startelf, die ohne inhaltlich verändert worden zu sein, zum Gedicht umfunktioniert wurde. Inwiefern ist eine Aufstellung einer Fußballmannschaft auch Poesie?
Allmählich verwandeln sich die meisten Erinnerungen in Poesie – himmlische oder höllische, das ist auch bei den Namen von Spielern der Fall. Handke ist mit dieser Aufstellung ein echtes Sprachkunststück gelungen.
Wenn Sie eine Aufstellung mit ehemaligen Sturmspielern mit poetischen Zügen basteln müssten, wie würde diese aussehen?
Ich nehme sprechende Namen: Sauruck im Tor, Standfest, Russ, Schilcher, Gigerl in der Verteidigung, Schuh, Rauch im Mittelfeld sowie Stumpf, Kaiser, Klug und Haas im Sturm. Auf die Bank würde ich Gratzei, Wolf, Theuerweckl, Niederkirchner, Fuchs und Kaltenegger setzen.
Hat der Sportklub Sturm Sie in Ihrem bisherigen literarischen Schaffen schon des Öfteren beeinflusst?
Ich liebe Shakespeares Theaterstück „Sturm“. Weil ich bei Sturm in der Gruabn vieles fand, was auch bei Shakespeares Dramen vorkommt: Magie, Spannung, Verschwörung, Überraschendes, Glück, Unglück, später auch Intrigen, Täuschung und List. Fußballvereine, Funktionäre, Spieler, Schiedsrichter, aber auch Journalisten und Zuschauer sind – alle zusammen – ein Lebensgleichnis. Es gibt auf dem Spielfeld Ungerechtigkeiten, Glück, Unglück, Begeisterung, Niedergeschlagenheit, Hoffnung. Das ist mir als Schüler und Student immer klarer geworden und hat die Faszination nur noch vergrößert. Fußball hat außerdem meine Phantasie angeregt. In den ersten zwei Klassen in der Mittelschule, die ich – bevor wir von Gösting weggezogen sind – im Kepler-Gymnasium verbrachte, hatte ich den Fußweg vom Geidorfgürtel zum Glacis bis zur 2er-Haltestelle am Stadtparkrand und weiter vom Mühlgang bis zur Schule zu absolvieren. Da wir auch Nachmittags-Unterricht hatten, war es im Spätherbst sowie im Winter und zu Frühlingsbeginn auf dem Heimweg oft schon dunkel. Daher vertrieb ich mir die Zeit, indem ich beim Gehen an Sturm-Spiele dachte, die verloren gegangen waren und die ich als fiktiver Radioreporter des ORF übertrug. Ich sah die Gruabn vor mir und in meinem Kopf siegte immer Sturm und sei es erst durch Tore, die ich erfand. Manchmal, wenn dies nicht gelingen wollte, war ich plötzlich selbst ein Sturm-Spieler und rettete als Tormann mit Paraden unhaltbare Schüsse oder erzielte als Stürmer sogar den Ausgleich und das Siegestor. Das Publikum in mir raste und ich genoss die von mir erfundene Liebe, die mir entgegenströmte. Manchmal, wenn ich als Reporter zu laut mit mir selbst sprach, erregte ich sogar die Aufmerksamkeit von anderen Fußgängern, woraufhin ich davonlief. Ich war wirklich durch und durch ein Fußballnarr von Sturm.
Wie würden Sie einen echten Sturm-Anhänger charakterisieren?
Mein langjähriger Freund Peter Fritsche war ein „echter“ Sturm-Anhänger. Er hatte das Sturm-Gen. Wir waren so um die Mitte 20, Sturm spielte damals entweder gegen den Abstieg oder um den Aufstieg und wir ließen kein Spiel aus. Sowohl Peter als auch ich waren vor jedem Spiel abergläubisch. Einmal gingen wir beispielsweise ohne Armbanduhr zum Spiel, weil wir das vorherige mit den Uhren an unseren Handgelenken verloren hatten. Zu Beginn der Herbstmeisterschaft, in einer Saison, in der wir um den Wiederaufstieg kämpften, trug Peter einen braunen Sommeranzug. Er nahm sich vor, diesen Anzug so lange zu tragen, bis wir einmal verlieren würden. Und siehe da, Sturm verlor kein Spiel. Da Peter – auch als es kühl und kalt wurde – die Matches weiterhin aus Aberglauben im Sommeranzug verfolgte, fing er an, sich so gut es ging auf der Stehplatztribüne zu bewegen, um durchzuhalten. Erst bei einem 2:2 gegen St. Valentin im winterlichen Graz – die Linienrichter liefen damals in der Gruabn wie auf einem Seil zwischen den Schneehaufen und der Zuschauertribüne hin und her – entschloss sich mein Freund, auch im Ärger über den Punkteverlust, sich zukünftig wieder warm anzuziehen, wenn er das nächste Mal die Gruabn besuchen würde.
Hat Peter danach auf andere Rituale zurückgegriffen?
Ja. Peter hatte einen weiteren Trumpf im Ärmel. Eine Pfeife, die immer gestopft war und die er bei jedem Elfmeter oder Freistoß in Strafraumnähe anzündete. Immer wieder gab es Erfolgserlebnisse. Das Unvergesslichste war nach dem Wiederaufstieg beim Spiel gegen den GAK in der Körösistraße. Nach ungefähr einer halben Stunde gab es für Sturm einen Freistoß an der Strafraumgrenze. Peter zündete die Pfeife an und „Granatenfredl“ Murlasits traf ins Kreuzeck. Wir umarmten uns und stießen Freudenschreie aus. Die GAK-Fans betrachteten uns leicht pikiert, darunter auch ein Bekannter von Peter. Es kam zu einem heftigen Streit, dann riss dieser Bekannte Fritsche wütend die Pfeife aus der Hand und warf sie auf die Laufbahn. Wir überlegten, wie wir die Pfeife wieder an uns bringen könnten. Unten lief gerade ein Eisverkäufer mit weißer Schürze und weißer Haube vorbei, den alle nur – nach dem Olympiasieger im 10.000-Meter-Lauf – „Zatopek“ nannten und der immer wieder den selben Spruch rief: „Eis, Eis, Eis – macht die Liebe heiß!“ Auf den Unterarmen trug er den Behälter mit den Eislutschern. Er bückte sich rasch, hob die Pfeife auf, steckte sie ein und eilte davon. Alle Zurufe waren vergebens. Auch als sich Zatopek einmal auf den Sturm-Platz verirrte und Fritsche ihn anschrie, er möge ihm die Pfeife zurückgeben, machte er sich blitzschnell aus dem Staub. Zumindest das Auswärtsspiel gegen den GAK konnten wir dank der Zauberpfeife noch gewinnen: Reisinger erzielte kurz vor Schluss noch das 2:0 und es war der erste Sturm-Sieg in der Staatsliga A am GAK-Platz.
Und wenn man den Sturmfan generell mit ein paar Wörtern beschreiben müsste?
Ein Sturm-Anhänger hat auf alle Fälle das Sturm-Gen: Er ist treu, zugleich Realist und Träumer, verrückt und bodenständig.
In Ihrem neuesten Werk, „Die Irrfahrt des Michael Aldrian“, ist Ihnen – so Kritiker – etwas gelungen, was Sie schon immer für lebenswichtig hielten: Ein Stück Pubertät ins weitere Dasein hinüberzuretten, um nicht schon vor dem Tod zu sterben. Ist das mit dem Dasein eines lebenslangen Fußballfans ähnlich?
Der Psychiater und Autor Michael Lehhofer hat einem gemeinsamen Freund gesagt, ich führte bei einem Fußballspiel von Sturm das Kind in mir spazieren. Dazu kann ich nur nachdenklich nicken.
Ihre Freundschaft zu Ivica Osim ist allseits bekannt, daher erübrigt sich die Frage, welche Persönlichkeit aus der langen Sturm-Historie Sie am meisten fasziniert hat. Gab es mit anderen Sturm-Protagonisten ähnlich intensive Berührungspunkte?
Viele Jahre lang habe ich die Sturm-Spieler und Sturm-Trainer ausschließlich von Weitem gesehen. Nur Otto Mühlbauer begegnete ich hin und wieder, weil er nicht weit von uns wohnte und ein Patient meines Vaters war. Näher bekannt wurde ich erst mit Walter Fuchs, dem eisernen Friedensrichter im Mittelfeld, der den Gegnern ihre Härte „abkaufte“. Wir verehrten ihn, weil er nach jedem schweren Foul an einen Sturm-Spieler „mit gleicher Münze“ zurückzahlte. Er war eine unermüdliche Kampfmaschine. Fritsche und ich trafen ihn öfters zufällig im ehemaligen Steirerhof am Jakominiplatz. Wir tranken mit ihm Bier, fragten ihn aus und hörten andächtig zu. Auch zu Robert Kaiser gab es Kontakt: Der begeisternde Mittelstürmer, mit dem wir unter Trainer Gerdi Springer einmal zu Hause in einem unvergesslichen Spiel gegen die Wiener Austria mit 6:3 gewinnen konnten, hatte plötzlich Ladehemmung. Das ging einige Zeit so dahin. Eines Tages stand in der Zeitung, dass Kaiser krankheitsbedingt im Hansa-Sanatorium liege. Fritsche und ich fuhren spontan hin. Der Stürmer erzählte uns, dass er in zwei Tagen entlassen würde und bereits am Wochenende wieder spielen könne. Rasch kam die Sprache auf sein Formtief und ich riet ihm ernsthaft, die alten Socken und Stutzen wegzuwerfen und sich neue zu besorgen. Er tat es und tatsächlich schoss er mit ihnen im nächsten Heimspiel das 1:0. Vor Freude lief Kaiser zur Stehplatztribüne, weil wir ihm im Sanatorium erzählt hatten, dass dies unser Stammplatz sei und winkte uns zu.
Vor allem wegen Ivica Osim hat Wolfgang Bauer die Farben gewechselt.
Für Sie unvergessen, glauben Sie, kann sich Kaiser auch noch an diese Schnurre erinnern?
Anlässlich der 100 Jahre-Sturm-Graz-Feier traf ich Robert Kaiser in einem Restaurant, sprach ihn darauf an und er konnte sich zu meiner Freude noch gut an diese Geschichte erinnern. Da fällt mir auch noch die Geschichte mit Fritz Gigerl ein, einem großgewachsenen Verteidiger, der von Austria Graz gekommen ist. Im November 1951 fuhren mein Vater und ich mit dem Anhängerklub zum Auswärtsspiel in Kapfenberg. In der 51. Minute gab es auf Höhe der Mittelline ein schweres Foul an einem Sturm-Spieler und der gesamte Auswärtsblock schrie sofort:“Gigerl, Gigerl!“ Fritz Gigerl, der einen gefürchteten scharfen Schuss hatte, richtete sich den Ball her, während sich Kapfenberg-Goalie Matschek demonstrativ an den Torpfosten lehnte und die Arme verschränkte. Doch da war der Ball schon unterwegs und ehe es der Torhüter begriff, schlug er wie ein Meteor unter der Latte ein. Dass dieser Treffer den Umschwung im Spiel einleitete, wir noch mit 3:2 gewinnen konnten, verleiht dieser Episode das Siegel der Unvergesslichkeit. Ich traf Gigerl nach Jahren noch öfter in Begleitung seines Enkelkindes in der Herrengasse und wir sprachen immer über diesen Freistoßtreffer. Aber auch über einen verschossen Elfmeter im Heimspiel gegen die Admira und weitere Episoden, die sich mir eingeprägt hatten.
Eine besondere Freundschaft besteht ja auch zwischen Ihnen und Hans Rinner.
Nachdem ich fast 60 Jahre bezahlender Sturm-Anhänger war, lud er mich – als er noch Sturm-Präsident war – regelmäßig in das Stadion ein. Schon der damalige Landesrat Hirschmann hatte Wolfgang Bauer und mich einmal als Geburtstagsgeschenk ein Jahr lang in die VIP-Lounge eingeladen. Bauer war ja langjähriger GAK-Anhänger, aber unter Osim und vor allem wegen Osim hat Wolfi die Farben gewechselt. Von da an hat er immer abgestritten, jemals GAK-Anhänger gewesen zu sein.
Jener Ivica Osim hat einmal gesagt: „Ein Menschenleben ist zu lang, um optimistisch zu sein.“ Sie verfolgen die Geschehnisse rund um den Sportklub Sturm schon beinahe sieben Jahrzehnte, vor Osim war die Geschichte des Klubs eine über ewige Niederlagen oder knappes Scheitern. 87 Jahre alt musste der Verein werden, um den ersten nationalen Titel einfahren zu dürfen. Geht man mit dieser Erfahrung automatisch davon aus, dass auch in dieser Saison im Frühjahr ein Rückfall eintreten wird?
Wir erleben derzeit eine sehr gute Phase. Christian Jauk hat sich als Präsident von seiner Gutmütigkeit – die ihm viel Undank eingebracht hat – befreit und ist unersetzlich geworden. Gemeinsam mit Hans Rinner, Franco Foda, Hans Fedl und einigen anderen Persönlichkeiten hat er Sturm in der großen Krise gerettet. Jauk ist ein intelligenter Mensch, der Vertrauen braucht, um seine Möglichkeiten voll und ganz auszuschöpfen. Vor allem hat er den besten Sportdirektor Österreichs engagiert. Günter Kreissl ist penibel, genial, einer der das Fußballgetriebe durchschaut wie kaum ein anderer. Auch Franco Foda ist längst zur Sturm-Legende geworden, so wie es die Nordkurve bei seinem letzten Heimspiel auf einem Spruchband formuliert hat.
Fußball ist ein Spiel und nicht Mathematik. Ein Spiel beinhaltet irrationale Momente, das Unvorhersehbare macht erst die Spannung aus.
Herr Roth, Sie haben sich für diverse Werke mit Bienen beschäftigt, sind von diesen Tieren fasziniert und vom Verband der Bienenzüchter sogar zum „Ehrenimker“ ernannt worden. Roman Mählich galt als aktiver Spieler, als eine echte „Arbeitsbiene“. Hätten Sie sich Mählich als neuen Sturm-Trainer auch gut vorstellen können oder ist Vogel genau der Richtige?
Das kann ich nur aus der Perspektive eines Zuschauers beurteilen. Ich glaube, Heiko Vogel ist eine sehr gute Wahl. Ich vertraue da ganz einfach Günter Kreissl. Fußball ist ein Spiel und nicht Mathematik. Ein Spiel beinhaltet irrationale Momente, das Unvorhersehbare macht erst die Spannung aus. Das bezieht sich auch auf das Engagement von Spielern, Trainern und Sportdirektoren.
Zum Abschluss unseres Adventgesprächs, natürlich noch die Frage: Was wünschen Sie Ihrem Herzensverein für das kommende Jahr?
Ich wünsche mir, dass wir am Ende der Saison einen der ersten beiden Plätze einnehmen. Man muss im Fußball auch träumen dürfen. Ohne Traum sind wir ein Niemand. Denn selbst wenn es ein böses Erwachen gibt, ist es besser geträumt zu haben, als stets an Murphys Überzeugung – „Everything what can go wrong – will go wrong…“ („was schief gehen kann, geht auch schief“) zu denken.
Herr Roth, vielen Dank für das ausführliche Gespräch, frohe Weihnachten und alles Gute im neuen Jahr.
Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen und Ihren Kollegen ebenfalls alles erdenklich Gute und bedanke mich für Ihre Arbeit. Ich bin ein leidenschaftlicher Leser von SturmNetz und mache selbst bei den Spielerbewertungen mit.
Es ist tatsächlich schwer zu glauben, wie gut dieses Interview ist. Gratulation SturmNetz!
Es hat ganz schön geprickelt in meinem Bauchnabel. Wunderschönes Interview!
große klasse – große historie – große liebe!!!!
Einfach nur faszinierend..was er über Sturm und Fußball in Graz weiß! Wunderschöne Anekdoten!
Hoffentlich schreibt der Herr Roth mal ein Buch über seine Erfahrungen mit Sturm..!
Danke SturmNetz und frohe Weihnachten euch und allen Sturm Fans!!!
Ich weiß nicht, wem ich mehr gratulieren soll.
Dem Herrn Roth, der die Worte gesprochen und formuliert, oder dem Team von Sturmnetz, die sie niedergeschrieben haben.
Vielen Dank jedenfalls für das großartige Interview.