Purple: „Sturm ist Rock ’n‘ Roll“

SturmNetz-Advent Tag 13 mit Hans-Jörg Sitner alias Purple

Die „Stille Zeit“ ist nur anderswo wirklich still. SturmNetz.at geht im Advent in die Vollen! Wir lassen bis zum Heiligen Abend 24 Prominente zu Wort kommen und sprechen mit ihnen über Sturm, Fußball, Gott und die Welt. Gut, ein Prominenter im herkömmlichen Sinn ist unser Gesprächspartner diesmal vielleicht nicht. Eine Kultfigur und ein echter Schwoaza aber allemal!

Freitag, 15:00 Uhr – bei einem Häferl Verlängerten warte ich in der „Dampflok“, jener Lokalität, die ich ansonsten nur nach Heimspielen meines SK Sturm besuche und das dann auch nicht, um nur Kaffee zu trinken. Mit einem Blick über meine Schulter – der Stadionvorplatz, der Stadionturm und unser aller zweites Wohnzimmer. Kaum ein Ort eignet sich besser, um über den SK Sturm, Gott und die Welt zu sprechen. Es riecht nach Gebackenem – eine illustre Runde feiert im Hinterzimmer mit Bier und Backhenderl. Vorne an der Bar hat man sich bei einem Zigaretterl einiges zu erzählen.

Die Tür geht auf. Herein kommt ein etwas in die Jahre gekommener (sorry, Purple) langhaariger Mann mit Lederjacke, purpurnem Schal und einem E-Gitarren-Button am Revere. Noch bevor er Platz nehmen kann, wird er von einem der anwesenden Gäste erkannt und freudig begrüßt.

Purple, so lautet sein Name, wenngleich in seinen Reisedokumenten wohl eher Hans-Jörg Sitner stehen dürfte. Der 56-jährige Lehrer, Vollblutmusiker und Leader der Band „Purple & The Ghostbusters“ ließ sich von seinem ersten Deep Purple-Konzert so mitreißen, dass ihm schließlich dieser eingängige Spitzname verliehen wurde. Dies geschah, wie könnte es auch anders sein, auf dem Fußballplatz. Zum ersten Training beim Postsportverein tauchte er nämlich in einem gelben Shirt der Kult-Rock-Band auf:

„Du weißt ja, wie das ist. Keiner kennt sich am Anfang und wenn dann einer ein grünes Shirt angehabt hat, war er „der Grüne“ und wenn einer ein blaues Leiberl anhatte, war er „der Blaue“. Auf meinem Shirt stand hinten „Deep Purple“. Das war als Rufname zu lang. Deswegen nannte man mich dort schlichtweg „Purple“. Dann waren einige Schulkollegen beim Training dabei, die mich schließlich auch in der Schule so nannten und irgendwann nannte mich die gesamte Klasse so, später sogar die Professoren in der Oberstufe. Heute kennen mich Leute auf der ganzen Welt mit diesem Namen. Ich war DJ im Q und im Kulturhauskeller und ich war, das sage ich in aller Bescheidenheit, eine Szenefigur, einmal abgesehen von der „High Snobiety“, der ich als Arbeiterkind und mit meinem Aussehen nie angehörte. Ich bin ein bodenständiger Mensch und habe Handschlagqualität. Ich stehe zu dem, was ich sage, und ich tue, was ich sage.“

Du bist ja Schwarz-Weißer durch und durch. Wie bist du das eigentlich geworden?

Ich bin am Augarten aufgewachsen und wenn du dort ein Roter (GAK-Fan, Anm.) warst, dann hast du nicht mitkicken dürfen. Da ist einem nichts anderes übrig geblieben. Man musste ein Schwoaza werden und dort, wo der SK Sturm gegründet worden ist, beim Augartenwirt, haben wir nach dem Fußballspielen dann immer Wasser getrunken. Etwas anderes haben wir uns nicht leisten können. (lacht) Man wechselt sein Auto, man wechselt den Kleidungsstil, die Musikrichtung, du wechselst vielleicht deine Frau, aber deinen Fußballverein nicht. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ist man einmal Schwoaza, ist man immer Schwoaza.

Sturm ist richtig urtümlich, nicht künstlich. Sturm ist für mich heute immer noch, egal wie viel dort verdient wird, ein Arbeiterverein.

Wie viel Rock steckt in Sturm Graz?

Für mich rockt Sturm. Klar, heute rockt eh schon alles. Die Helene Fischer rockt das Happel-Stadion, der Gabalier rockt Schladming … gut, lassen wir das. Sturm ist Rock ’n‘ Roll. Sturm ist richtig urtümlich, nicht künstlich. Sturm ist für mich heute immer noch, egal wie viel dort verdient wird, ein Arbeiterverein. Sturm stand immer für Kampfkraft, dafür, nie aufzugeben. Für technisch vielleicht nicht so perfekten Fußball, aber dafür, immer 120 % zu geben und da sehe ich Parallelen zum Rock ’n‘ Roll, denn der ist geradlinig, ohne Schnörkel und am Beginn relativ schnell erlernbar – je besser du dann aber wirst, desto besser ist deine Performance auf der Bühne, mit der du die Massen schließlich begeisterst. Kennst du den Unterschied zwischen einem Jazz-Gitarristen und einem Rock-Gitarristen? Der Rock-Gitarrist spielt drei Akkorde vor 1000 Leuten und der Jazz-Gitarrist 1000 Akkorde vor drei Leuten. (lacht)

(c) SturmNetz.at

Gerdi Springer hat zu seiner Sturm-Mannschaft sinngemäß gesagt: „Ihr seid kein Rapid und keine Austria. Was ihr könnt, das ist kämpfen.“

Ja, auch die legendäre Truppe in den 70er-Jahren – ich will jetzt keinem zu nahe treten – aber der Rudi Schauss war kein „Brillanzkicker“ oder der Fredi Wirth, auch der „Granatenfredl“ (Alfred Murlasits, Anm.) – alles gute ehrliche Kämpfer. Murlasits Tochter war übrigens meine Schülerin, Eva Murlasits. Dem Fredl geht es ja nicht mehr so gut, aber als ich sie bat, ihm auszurichten, ihr Klassenvorstand sei ein echter Schwoaza, hat er lächeln müssen. Aber um noch einmal auf den Rock ’n‘ Roll zurückzukommen: Sturm ist Rock ’n‘ Roll. Da sehe ich ganz klare Parallelen. Man könnte sagen: Rock ist simpel, Sturm ist simpel! Das stimmt aber nicht. Gerade die einfachsten Dinge sind oft die schwierigsten. Wenn du an Malcolm Young denkst, der gerade erst gestorben ist: Was AC/DC ausmacht, ist alleine der Rhythmus und Young hat den Teppich gelegt, auf dem sein Bruder Angus Young gehen konnte.

Das führt mich zu meiner nächsten Frage: Malcolm Young hat den Sound von AC/DC erfunden. Wer hat deiner Meinung nach den Sturm-Sound erfunden?

Das ist schwer zu sagen. Ich beobachte Sturm seit den Sechzigern. Ganz toll waren die Jahre mit Otto Baric. Der hat den Leuten nämlich das erste Mal das Gefühl gegeben, dass Sturm eh auch Fußball spielen kann. Ich war damals beim entscheidenden Spiel in der Gruabn, in dem der SK Sturm gegen Rapid den Meistertitel verspielte. Oder im Cup-Finale, in dessen Hinrunde Sturm auswärts 1:4 verlor und zuhause nur 3:1 gegen Innsbruck gewann. Da wurde gezeigt, dass man auch ohne viel Geld so große Erfolge feiern kann. Aber der Herr Osim, und ich sage „Herr“, weil ich so viel Respekt für ihn empfinde, hat dem Sturm-Herz schon einen Turbo eingepflanzt. Die Philosophie Fodas ist ja in Osims Philosophie begründet. Früher ging man auf den Sturm-Platz, um elf Spieler kämpfen zu sehen. Sturmgeist, Herzblut – das war alles drin. Russ, Reiter, Wirth – das waren alles brave Rackerer. Osim hat Sturm dann eine spielerische Note verliehen, so dass es richtig geil war, ein Sturm-Match zu sehen. Da war der Sturmgeist dabei und auch eine künstlerische Komponente. Der „künstlerische Ausdruck“ war in den Sechziger-, Siebziger und Achtzigerjahren ja eher bescheiden. Spielerisch exzellente Kicker wie Kjeld Seneca, der dann zu Bayern München ging, waren ja immer schnell einmal weg. Osim hat diese spielerische Philosophie „ausgesät“, Foda hat den Acker weiter bestellt und jetzt wünsche ich mir einen Trainer, der dies fortführt.

Gehen wir etwas weg vom SK Sturm: Wie kamt ihr auf den Namen Purple & The Ghostbusters?

Meine Bandkollegen und ich haben uns überlegt, welcher Name eingängig war und meine Band meinte, dass Purple auf jeden Fall vorkommen müsste, weil mich viele Leute kennen und das hat dann funktioniert. Mittlerweile ist Purple & The Ghostbusters eine Trade Mark. Wir haben schon in ganz Österreich gespielt und im benachbarten Ausland. Ich selbst habe schon in ganz Europa gespielt, in den USA und auch jedes Jahr in Griechenland.

Alleine mein Auftreten mit langen Haaren, Lederjacke usw. sorgt da schon einmal für den einen oder anderen Überraschungsmoment.

(c) Martin Hirtenfellner Fotografie

Dein Brotberuf ist jener des Lehrers. Wie viel Rock nimmst du in die Klasse mit?

Ganz viel. Alleine mein Auftreten mit langen Haaren, Lederjacke usw. sorgt da schon einmal für den einen oder anderen Überraschungsmoment. Das funktioniert, weil ich einen Chef habe, dem das recht ist, so lange meine Arbeit in Ordnung ist. Ich bin ein ehrlicher Mensch, habe Handschlagqualität und diese Werte, die ich auch von meinen Eltern mitbekommen habe und die ich als Erwachsener lebe, die bringe ich auch in die Klasse mit und die Kids haben vor mir großen Respekt, auch aufgrund der Tatsache, dass ich ihnen maximales Verständnis entgegenbringe, aber eben auch große Ehrlichkeit. Sie wissen, was ich von ihnen will, ich sage ihnen das auch und sie können sich darauf einstellen. Es gibt einfach keine böse Überraschung. Ich bin nach 35 Jahren immer noch sehr gerne Lehrer. Ich bin Musiker, mein Leben ist abwechslungsreich und das ist, glaube ich, auch eine wichtige Voraussetzung, um ein guter Lehrer zu werden. Ebenso wichtig ist es, sich auf dem Erreichten nie auszuruhen.

Du hast ja auch eine Tochter, die schon in deine Fußstapfen tritt.

Ja, da hat die Familie schon stark abgefärbt, ihr leider schon verstorbener Onkel Fred Gallagher, ein New Yorker Profimusiker, ich natürlich, ihre Tante … wir waren zusammen bei AC/DC in Spielberg, bei Deep Purple in Stuttgart, bei Alter Bridge in der Brixton Academy, wir fliegen nach London, um Robert Plant in der Royal Albert Hall zu sehen. Ich habe ihr einen Weg von vielen gezeigt und wenn sie ihn jetzt gehen möchte, muss sie das selbst tun.

(c) Privat – Purple mit Jon Lord (Deep Purple)

Du bist ja viel unterwegs und zwar in Europa und auch weltweit. Was kannst du mit dem Begriff Heimat anfangen?

Wenn ich „Hoamat“ in einem Lied höre, da drehe ich schon durch. Ich bin gerne in Österreich, keine Frage. Aber da bin ich gerne, weil ich europa- und weltweit einen Vergleich anstellen kann. Ich habe in London gelebt, fliege jetzt nach Bangkok – das ist wirklich super. Ich habe viele Plätze dieser Welt besucht, an denen ich mit tollen Leuten und toller Stimmung zu tun hatte, aber von der Gemütlichkeit und Überschaubarkeit und auch vom Bildungs- und Unterhaltungsangebot her, ist Graz eben richtig geil. Und jetzt komme ich zu einem Punkt, den ich zwar ungern anspreche, aber es passt gerade: Graz ist auch eine Stadt, die zwei Profivereine verträgt! Wenn mir jetzt das Spiel gegen den WAC als Pack-Derby verkauft wird oder das gegen den KSV als Steirer-Derby – das ist gar nichts! Für ein Derby braucht es die Konkurrenz in der Nachbarschaft. Früher hat man nach einem Sturm-Kick auch gleich nachgesehen, wie die Roten gespielt haben und wenn wir gewonnen haben, war es schon egal, wie sie gespielt haben. Wenn wir aber verloren, hofften wir, dass das auch den Roten passiert war, damit das eigene Leid wenigstens gelindert wurde (lacht).

(c) SturmNetz.at

Zu diesem Thema passend: Du hast mir vor unserem Gespräch heute ja etwas gezeigt, das du immer in deiner Brieftasche trägst …

Ja, vor dem letzten echten Grazer Derby wurden vor dem Stadion Anstecknadeln mit den Logos des SK Sturm und des GAK verteilt. Die trage ich immer bei mir. Das Ergebnis konnte darauf natürlich nicht eingraviert werden, der SK Sturm hat das Spiel nämlich mit 1:0 durch einen ordinären Spitz von Mario Haas gewonnen. Besonders schön war dann, dass Haas zu uns rannte, um seinen Treffer zu feiern und wir saßen direkt neben den GAK-Fans. Immerhin hat er denen nicht seinen Allerwertesten gezeigt, wie Gustl Starek anno dazumal, der dann auch elf Spiele Sperre dafür kassiert hat, sondern nur seine Rückennummer (lacht). Eine unvergessliche Szene!

Da sind wir uns wohl einig: Graz braucht ein Derby.

Ja und ich wünsche mir, es noch zu erleben, dass Sturm und die Roten in der Bundesliga wieder aufeinandertreffen. Keine Niederlage hat so wehgetan wie eine gegen den GAK und kein Sieg war so süß wie einer über die Roten. Als Bub war ich bei diesem berühmten 4:4 in Liebenau (Bundesstadion), da ging es um das 100. Derby-Tor und der Schütze dessen bekam einen Ford Escort geschenkt. Das war der Mario Zuenelli vom GAK. Dann gingen die Roten mit 2:0 in Führung. Dann machte Sturm den Anschluss- und bald darauf den Ausgleichstreffer, ging 3:2 in Führung, machte sogar das 4:2. Dann kam der GAK wieder ran und besonders witzig war, dass die Fangruppen bei diesem Hin und Her abwechselnd ihre Fahnen verbrannt haben, weil sie immer gedacht haben: „Jetzt verlieren wir!“ Früher mussten GAK-Fans nach einer Derby-Niederlage in den Sturmtreff kommen und dort eine Runde ausgeben. Das war eine Hetz! Heute machen mir ein paar wenige radikale Fans zwar Sorgen, aber auch heute ist es möglich, und da bin ich auf unsere Fans stolz, dass z. B. Rapid-Anhänger sich am Stadionvorplatz bewegen – die werden zwar ein paar Kommentare abbekommen, aber das war es dann auch schon.

Kommen wir noch auf den Spieltag zu sprechen: Stell dir vor, der SK Sturm würde dich anrufen und bitten, den DJ im Stadion zu spielen. Was würdest du für uns auflegen?

Für mich ist erstaunlich, wie sehr auch junge Menschen immer noch auf Classic Rock stehen. Da kommen immer wieder sehr einprägsame Riffs vor, das ist so mitreißend wie die Spielart des SK Sturm auch. Die Sturm-Hymne „Vollgas“, die von Andy Thalhammer geschrieben wurde, da ziehe ich meinen Hut! Dem ist es gelungen, den Geist dieses Sportes in eine Melodie einzubauen. Ein Heimspiel ohne dieses Lied ist für mich nicht mehr vorstellbar! Das gehört einfach zu diesem Ritual vor dem Spiel dazu, zu diesem Zeremoniell, wie auch die Präsentation von Lucky Krentl! Ich würde natürlich vorher noch „Highway To Hell“ von AC/DC auflegen und „What Ever You Want“ von Status Quo.

Er (Foda) hat sich als Spieler und als Trainer unbestritten seine Meriten erworben.

Franco Foda verlässt den SK Sturm nun bald. Welches Lied würdest du ihm mit auf den Weg geben?

Ich bin ein positiver Mensch und er hat sich als Spieler und als Trainer unbestritten seine Meriten erworben. Er hat als Spieler und als Trainer Titel geholt. Er hat seine Erfolge gefeiert, ist seinen Weg gegangen, deshalb würde ich sagen: „ Ein Hoch auf ihn, ein Hoch auf seine Mannschaft, ein Hoch auf uns!“

Was wünscht du dir für den SK Sturm?

Wenn wir zur Winterpause ganz oben dabei sind und das am Ende der Saison auch noch so ist, dann nehme ich das mit Freude (lacht).

Danke für dieses ausführliche Interview.

Ich danke auch, es war mir eine Freude!

2 Kommentare

  1. Chris_19o9 sagt:

    Keep on Rocking, Purple! Schön dein Schüler gewesen zu sein!

  2. wama sagt:

    geiles interview  – purple, wie er leibt und rockt! keep on rocking, lg walther

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