Piefkecorner: Wenn ich hier stehe …
Oft sind die schwersten Phasen eines Vereins jene, die einen Fan am stärksten an seinen Klub schweißen. Zumindest bei mir ist es so. Natürlich habe ich Tränen der Freude vergossen, als Sturm vor 20 Jahren zum ersten Mal in die Champions League einzog und mein Volksschulherz den Takt eines Renault Twingo-Zylinderkolbens bei 180 auf der Autobahn schlug. Standesgemäß schrie ich mir vor Freude die Stimmbänder wund, als Sergej Yuran damals Torhüter und Verteidiger der Glasgow Rangers aussteigen ließ und lässig einschob. Jedes Härchen stellte sich mir auf, wenn Ivica Vastic geniale Pässe aus dem Knöchel schüttelte. Und nichts wollte ich lieber, als ehrfürchtig Ivica Osims Haltegriff an der Trainerbank berühren. Aber meine wahren Helden (das ist natürlich auch, aber nicht nur, meinem Alter geschuldet) sind bis heute andere.
Die Bundesliga-Saison 2006/07 war die Spielzeit, die mich als Sturm-Fan bis heute prägt. Nach 13 Punkten Abzug landete die Mannschaft auf dem siebten Platz. Es war die einzige Saison in der meine Eltern mir, trotz meiner erst 14 Jahre, ein Abo geschenkt hatten, alle anderen Dauerkarten musste ich von meinem eigenen Geld bezahlen. Bis heute vermute ich, dass sie sich der Bedeutung dieses Geschenks für mich kaum bewusst waren. Ich verpasste kein Heimspiel.

(c) Martin Hirtenfellner Fotografie – Jürgen Säumel, einer der damaligen „Jungen Wilden“
Eine dank Mischa Petrovic sehr eingespielte Mannschaft zeigte unter Franco Foda Kampfgeist und unendlichen Siegeswillen. Hannes Kartnig wurde endlich gegangen. In der damaligen Südkurve rückte man zusammen und sang sich die Seele aus dem Leib, Hans Fedl hielt eine legendäre Ansprache vor dem Heimspiel gegen Altach und führte den Verein gemeinsam mit Hans Rinner durch die schwerste Zeit in der Klubgeschichte. Unendliche Male studierte ich Spielplan und Tabelle, rechnete während der Woche mit den Minuspunkten Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten und Wunschträume hoch und stellte mich an den Spieltagen in die Kurve um das zu geben, was ich von jedem Spieler der Mannschaft sehen wollte: vollen Einsatz. Ich stand da wie benommen.
Eigentlich war das alles vollkommen irre. Wegen eines Sportvereins die ganze Kernfamilie dazu zu zwingen, den Kalender nach dem Heimspielplan zu richten, das machten doch sonst nur die ganz verrückten Leute auf RTL II. Aber das war mir damals vollkommen gleich, solange Bojan Filipovic den entscheidenden Pass in die Spitze spielte. Wenn Christoph Leitgeb den Routiniers zeigte, was Spielwitz im Mittelfeld bedeutete, dann war es gut. Weil Jürgen Säumel verloren geglaubte Bälle behauptete, war ich glücklich. Hauptsache Adam Ledwon grätschte Konterangriffe kaputt und die Kurve rief Klausi Salmutters Namen wie in Trance.
Klar waren da auch schräge Leute dabei. Zum Beispiel Lamotte, ein Deutscher. Oder diese aus meiner jugendlichen Sicht vollkommen überschätzten Mark „Eisenfuß“ Prettenthaler und Thomas „Pferdelunge“ Krammer. Und natürlich musste Amadou Rabihou den Ball wieder aus zwei Metern in die Wolken und nicht ins Netz jagen – es war mir trotzdem egal. Sie alle spielten in der schlimmsten Saison für den Klub und ich liebte sie dafür.
Jeder Torschuss bedeutete Gefahr, jedes Tor ein Licht am Ende des Tunnels und jeder Punkt … minus zehn, minus sieben … minus drei … Jeder Sieg war wie eine Meisterschaft. Das war ein Jahr, das keinen kalt ließ. Das war eine Mannschaft, die keinen kalt ließ. Sie spielten um ihr Leben. Wir sangen um unser Leben. Und immer diese Angst im Hinterkopf: „Alles, nur kein Abstieg! Bitte alles, nur kein Konkurs.“
Heute schaue ich der Mannschaft beim Spielen zu und denke mir Vieles. Aber selbst wenn etwas richtig schlecht läuft, wenn ein Pass wieder ins Leere geht, eine Flanke ins Niemandsland, ein Schuss in die Wolken, denke ich weder an Abstieg, noch Konkurs. Es ist schön, zu wissen, dass die Lizenz ohne Probleme erteilt werden wird. Den Leuten, die für den Verein arbeiten, denen kann man trauen. Vielleicht bin ich nicht immer mit allen sportlichen Entscheidungen einverstanden, aber es ist Sport und der besteht eben aus einem Wechsel zwischen Auf und Ab. Sturm veröffentlicht seinen Geschäftsbericht seit bereits drei Jahren und macht seine Bilanzen so allen zugänglich. Es ist seit diesem Neuanfang 2007/08 so viel so gut gelaufen und in die richtige Richtung weitergegangen. (Wäre Klausi Salmutter gar geblieben, Klublegende und Kapitän geworden, ich hätte sogar alles für fast perfekt befunden.)
Aber Spaß beiseite: Ein paar Spielertransfers machen mir schon lange nichts mehr kaputt. Oder ein paar Spiele ohne Sieg. Schiedsrichterleistungen und falsche Elfmeterpfiffe sowieso. Ich habe beim SK Sturm Graz gelernt, was Zusammenhalt heißt und daran denke ich auch in schwierigen Phasen zurück. Zum Beispiel wenn ich in Bochum keinerlei Bindung zwischen Verein und Fans sehe. Wenn in Dortmund die Touristen das Stadion erobern und die Preise steigen. Oder wenn sich die Fans wiederholt für die Klubführung halten wie bei Rapid Wien. Ich habe (auch durch Sturm) gelernt, dass Leidenschaft, Zusammenarbeit, Offenheit und Transparenz wichtig sind. Dafür steht mein Verein heute, dafür steht die Nordkurve Graz und dafür stehe auch ich.
Danke für diesen sehr gelungenen Artikel!
Es wäre natürlich schön, mal wieder einen Meistertitel und den Einzug in einen europäischen Bewerb zu sehen. Aber wenn das noch etwas dauern muss, dann soll es halt dauern.
Und vielleicht schweißt diese schwere Phase die Mannschaft auch mehr zusammen, als es vor 1-2 Jahren mit den sehr guten Saisonstarts der Fall war. Dann können wir auch wieder mal wichtige Verträge verlängern, einfach weil die emotionale Bindung am dem Verein größer und das Ego kleiner ist.
Was mich verwundert ist, dass die Saison 2006/07 in vielen Köpfen stärker präsent ist als das, was drei Jahre davor los war. Kommt mir zumindest immer wieder so vor, wenn ich mit Leuten rede.
Danke, big respect, sehr gut geschrieben.
Sturm Graz ist so ein großer Verein, mit soviel Emotion und Herzblut.
Aber was in den letzten Monaten, seit dem Cupsieg in Klagenfurt passiert ist, nicht mehr normal, sorry.
Die Erwartungshaltung in Graz ist halt immens, nach der Dürreperiode unter Foda, Goldbrich.
Schlußendlich geht es halt nur um Geld, ganz einfach, Angebot und Nachfrage, Vereinstreue, vergiss es.
Sturm Graz ist kein normaler Verein, von der Euphorie, Cupsieger 2018 bis hin zum Ausscheiden gegen die Ziprioten mit einem Black Out von einem Mann, der zu einem Sturmspiel mit einem rosaroten Polo aufmarschiert.
Sorry aber, kannst nicht erfinden, sad but true.
Die einzige Konstante bei Sturm, sind die Fans, die Geschichte lehrt uns, diese sogenannten Sturmspieler scheissen auf Sturm Graz, ich denke da an diesen Deni Alar, diesen Röchi, Edwonschi, Jamie Jeggo, Ursula „Porno“ Matic, Potzi, ich habe großen Respekt vorm Hierli und Daki, ein großes Danke, warum? Weil sie bei Sturm unterschrieben haben, danke!
So ein Sturmoriginal wie Mario Haas wird es nie mehr geben, leg ich meine Hand ins Feuer, die Zeiten ändern sich!
https://youtu.be/rQPRuQudZ4o
Selbst Super-Mario wäre aus Frankreich wohl nicht zurückgekehrt, wenn er dort mehr Erfolg gehabt hätte.
Aber stimmt schon, unser Nachwuchs ist extrem wichtig und auch damals waren sehr viele Nachwuchsspieler dabei oder solche, die schon früh zu Sturm gekommen sind.
Solange Sturm nicht in einer attraktiveren Liga spielt, werden uns gute Spieler trotzdem verlassen. Ich wäre ja schon langsam dafür, dass wir wie im Eishockey die besten Mannschaften aus Mitteleuropa in einer Liga vereinen. Dann würden wir halt zum Beispiel statt Altach gegen Sparta Prag spielen. Das wäre spannender für Fans, gewinnbringender für die Teams und interessanter für die Spieler.
Das traurige is, dass bereits der Sturm Nachwuchs von den Salzburgern quasi abesaugt wird! Bestes Beispiel Romano Schmidt oder die beiden U15 Spieler.
Auch ein Hannes Wolf kommt aus Graz oder aus der Umgebung!
Da muss man dringend entgegensteuern!!
Sonst gibts keine jungen Wilden mehr in Zukunft bei Sturm!
@bozo – danke für das supervideo, hat mich unweigerlich auch an hyballa erinnert, der es nicht mal geschafft hat, ihm einen würdigen abschied zu bescherren, aus lauter selbstverliebtheit.
Danke für diesen Beitrag, ich hoffe manche denken darüber nach.
Meine Erinnerungen gehen weiter zurück, jemand in der Schule schrieb auf meinen Rucksack, den ich von der Raiffeisenbank zum Weltspartag bekam, unter das Raika Logo „Sturm Graz“ (war ende der 70er Jahre).Ich begann in den Zeitungen nachzulesen und interessierte mich immer mehr für den Verein. in den 80ern nahm mich das erste mal ein Verwandter mit in die Gruabn, für einen Obersteirer damals fast eine Weltreise.
Da ist es passiert, ich wurde ein „schwoaza“ Andy Pichler war mein Hero.
Eigentlich wurde ich wegen Kommerz zum Sturm Fan, Ironie in Perfektion ;-))
Es sind schon so viele gekommen und gegangen, gute und schlechte, solange sie hier sind gehören sie zur Sturmfamilie und sollten mit Respekt behandelt werden.
In diesen Sinne ois für die schwoazn
swg
Richtig geiler Artikel!!!