Möglicher Gegner in CL-Quali: Olympique Marseille
Nach dem Einblick in den portugiesischen Klub SC Braga und in den niederländischen Klub PSV Eindhoven, werden wir uns in dieser Ausgabe – der Serie der möglichen Sturm-Gegner in der kommenden CL-Quali – mit dem französischen Kult-Verein Olympique Marseille beschäftigen.
73 Punkte und Platz 3 in der Ligue 1 hinter PSG und Lens, ein Cup-Viertelfinal-Ausscheiden nach Elfmeterschießen gegen Annecy, dazu sechs Punkte in der Champions-League-Gruppe D die nur für Platz 4 reichten. Alles in allem kann man die Saison wohl als ok bezeichnen, aber anscheinend nicht gut genug für Igor Tudor. Auch wenn die genauen Gründe, warum sich der Kroate nach nur einer Saison bereits wieder von Olympique Marseille verabschiedete, nicht bekannt sind. Offiziell hieß es nur: „Berufliche und private Gründe“. Andererseits schaffte nur Rudi Garcia zwei Saisonen, seitdem der amerikanische Geschäftsmann Frank McCourt „l´OM“ 2016 übernommen hat, daher ist der kroatische Ex-Internationale mit einer Saison durchaus im Schnitt.
1899 wurde der ursprünglich Football Club de Marseille heißende Klub von René Dufaure de Montmirail gegründet. Den ersten Meistertitel gewann man dann schon als Olympique Marseille im Jahr 1937. 8 bis 9, dazu später noch mehr, Titel sollten folgen, der letzte 2010, dazu 10 Pokalsiege, 3 Supercups, 3 Ligapokale und ein Coup de Drago. Der Coupe Charles Drago hat sich eine kurze Erklärung verdient, denn hierbei handelt es sich um eine „französische Spezialität“ bei der zwischen 1952 und 1964, Erst- und Zweitliga Mannschaften gegeneinander spielten, die im Coupe de France vor dem Viertelfinale ausgeschieden waren. Auf europäischer Ebene erreichte OM 1991 das Finale des Pokals der Landesmeister, 1993 die erste Champions League und 2005 den UEFA-Inter-Tot-Cup. Dazu wurde 3-Mal das UEFA Pokal-Finale erreicht – zuletzt 2018 nach einem Halbfinal-Sieg gegen die Red Bull Abteilung aus Salzburg.
Alle wichtigen und berühmten Spieler von OM aufzuzählen, würde wohl den Rahmen sprengen, die schillerndste Zeit erlebte Olympique wohl unter Bernard Tapie, der von 1986 bis 1994 Aktionär und Präsident bei OM war. Gegen Tapies Lebenslauf wirkt jener eines gewissen Hannes Kartnig langweilig. Formel 3 Fahrer, Radrennstallbesitzer, Entertainer, Politiker und natürlich Unternehmer, um nur die wichtigsten Punkte zu nennen. Unter seiner Ägide gewann OM fünf Meisterschaften, wobei der letzte Titel 1993 wegen Bestechungsgelder vor dem Spiel gegen US Valenciennes aberkannt wurde. OM musste aus diesem Grund 1994 in die zweite Liga und Tapie wurde 1997 in zweiter Instanz zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt. In seiner Zeit spielten klingende Namen wie Fabien Barthez, Marcel Desailly, Didier Deschamps, Jean-Pierre Papin und Rudi Völler für OM, ein gewisser Franz Beckenbauer war technischer Direktor.
Der zweite Rückblick in die Vergangenheit von OM aus Sturm Graz-Sicht muss natürlich ins Jahr 1999 führen. Denn hier trafen der amtierende österreichische Meister und französische Vizemeister in der Champions League Gruppe D aufeinander. Im Stade Vélodrome gab es zum Gruppenauftakt einen 2:0-Heimsieg für OM, Tore erzielten zwei weitere klingende Namen des europäischen Fußballs die für Marseille tätig waren, Robert Pirès und Fabrizio Ravanelli. Am 27.10.1999 kam es zum Rückspiel in Graz, in einer mitreißenden Partie brachte Mittelfeldstaubsauger Roman Mählich mit seinem ersten und einzigen Champions-League-Treffer die Mannschaft von Jahrhunderttrainer Ivica Osim in Führung, den Christophe Dugarry durch seinen ersten Treffer, kurz nach seiner Einwechslung in der Anfangsphase der zweiten Halbzeit, ausglich. Auch das 2:1 durch Tomislav Kocijan konnte Dugarry nochmal ausgleichen. Dem zweiten Treffer durch Kocijan konnte Marseille nichts mehr entgegensetzen, so stand es am Ende 3:2 für Sturm und der zweite CL-Sieg in Folge konnte eingefahren werden.
Nun aber ein genauerer Ausblick auf die aktuelle Mannschaft, der einer der großen Namen der letzten Saison – nämlich Alexis Sanchez -, heuer nicht mehr angehören wird. Nachdem er 2022/23 in 44 Spielen 18-Mal getroffen hat, zieht es den bald 35-jährigen Chilenen Gerüchten zu Folge in die Wüste. Der 36-jährige französische Ex-Internationale Dimitri Payet wird hingegen vermutlich auch nächstes Jahr im Kader stehen, genauso wie nach aktuellem Stand der Dinge Ex-Arsenal-Spieler Mattéo Guendozzi und Ex-Roma Flügel Cengiz Ünder. Verpflichtet wurden bisher Ex-Hojlund Kollege Ruslan Malinoskyi, den man schon im Frühjahr von Atalanta Bergamo ausgeliehen hatte sowie Geoffrey Kondogbia von Atletico Madrid.
Aber der neue Trainer Marcelino, der angeblich nicht die erste Wahl der OM-Verantwortlichen war, wird sicher die Möglichkeit erhalten, den Kader noch etwas an seine Vorstellungen anzupassen. Für den 57-jährigen Marcelino García Toral wird es die erste Trainerstation außerhalb Spaniens sein. In seinem Heimatland brachte es der seit 1995/96 als Trainer tätige Spanier auf einen Pokalsieg mit Valencia und einem Superpokalsieg mit Atletic Bilbao, für die er bis Ende der Saison 2021/22 tätig war. Generell bevorzugt er in der Grundausrichtung ein 4-4-2 zumeist mit Doppel 6.
Im Defensivverhalten ist es das Ziel, dieses 4-4-2 normalerweise sehr kompakt zu gestalten. Das Team verschiebt im Verbund horizontal und vertikal, wobei das Mittelfeld sehr eng steht und die Stürmer sich ebenfalls tiefer fallen lassen, damit es dem Gegner schwer gemacht wird, durch die Mitte zu spielen. Wenn das funktioniert, die Mitte zu ist und der Gegner gezwungen wird, weit auf die Flügel zu spielen, rücken die Außenverteidiger aus der 4er Kette auf und versuchen den Ball zu erobern.
Anders gestaltet sich das Defensivverhalten, wenn ein hohes Pressing gespielt wird: Hier unterstützen die beiden Außen-Mittelfeldspieler die Stürmer, um im Block zu attackieren, zumindest einer der beiden 6er bleibt tief, um etwaige lange Pässe wegzuverteidigen. Eine interessante Variante ist hier, dass die vier Verteidiger im Normalfall trotzdem auf einer Linie bleiben.
Eines ist bei beiden Verteidigungssystemen dasselbe, und zwar das Ziel nach der Balleroberung. Und das lautet: im Konter so schnell wie möglich nach vorne spielen und eine Torchance kreieren. Der erste Pass nach Balleroberung soll immer nach vorne gehen und wenn möglich soll nach drei Pässen ein Abschluss erfolgen. Somit geht es hier um Tempo und hohes Risiko – mit dem berühmten spanischen Kurzpassspiel darf man bei Marcelino daher eher nicht rechnen.
90 Minuten auf Konter warten kann man natürlich nicht, aber auch im Ballbesitz gibt es kein Kurzpassspiel, sondern schnelles Direktspiel. In dem Fall aber nicht mit Kompaktheit, sondern hier wird versucht das Spielfeld breit zu machen und das Spiel weit zu gestalten. Eine beliebte Variante ist es hier, dass die Außenspieler im Mittelfeld nach innen ziehen, die Außenverteidiger aufrücken und diese versuchen dann in die Mitte zu flanken.
Es ist aktuell noch ziemlich unklar, ob OM jetzt schon die Spieler hat, um Marcelinos Spielidee umzusetzen, auch weil Tudors Spiel komplett anders ausgerichtet war. Marcelino ist aber eher nicht dafür bekannt, dass er von seiner Taktik abweicht (auch wenn er früher mal ein 4-2-3-1 in der Grundausrichtung bevorzugt hat). Auch bei seinen Pressing-Vorgaben richten sich seine Mannschaften nicht unbedingt nach der taktischen Ausrichtung des Gegners, daher bieten sich durchaus Möglichkeiten, wenn man über die Blöcke kommt. Im Angriff sollte Sturm die Geschwindigkeit haben, um zu Möglichkeiten zu kommen und auch dahinter sollte die Spielstärke vorhanden sein, um gegen eine Mannschaft, die Marcelinos durchaus nicht einfaches System noch nicht verinnerlicht hat, zu Chancen zu kommen.
Alles in allem könnte man bei einem Duell mit OM durchaus Chancen für die Schwoazen sehen. Natürlich bleibt OM Favorit, aber die Außenseiterrolle würde Sturm auch gegen die beiden anderen bisher präsentierten Gegner bleiben.
Wie sich das gegen den letzten potentiellen Kandidaten gestaltet, erfahrt ihr dann nächste Woche, wenn wir uns zum Abschluss einem weiteren „alten Bekannten“, den Glasgow Rangers, widmen.
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