Mind the Gap!
Der ÖFB beschloss am 17. April im Verbund mit den Klubs der Frauen-Bundesliga und der 2. Frauen-Bundesliga in zwei informellen Videokonferenzen den Saisonabbruch. Als Hauptgrund wurde die fehlenden finanziellen Mittel im Frauenfußball genannt. Dies folgte nur einen Tag nachdem die SpielerInnen-Gewerkschaft FIFPro ein Statement veröffentlichte, in dem sie auf das Ungleichgewicht im Weltfußball aufmerksam machte. In eine ähnliche Kerbe schlug auch Jasmin Eder vom SKN St. Pölten, die bisher als einzige Nationalteamspielerin öffentlich ein Statement über Facebook abgab. Was alle Personen aus dem Frauenfußball jedoch eint, ist die Tatsache, dass bei der Entscheidung zum Saisonabbruch in Österreich keineR eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen als Ursache nannte. Diese Vorwürfe wurden nur von Außenstehenden erhoben.
„Wir hätten nicht die Möglichkeiten“
Im aktuellen Gespräch des SK Sturm-Medienverantwortlichen Alexander Fasching mit dem Sturm Damen-Trainer Christian Lang wurde die absurde Situation im österreichischen Frauenfußball mit folgender Frage am besten zusammengefasst: „Wie sieht denn der Ablauf aus, weil bei euch ist es ja eine ganz spezielle Situation, denn ihr habt ja seit mindestens einem halben Jahr kein Bewerbsspiel gehabt?“ Die Antwort von Lang war bezeichnend einfach wie ehrlich: „Natürlich ist es bitter. Für die Mädels, aber auch für den Trainerstab.“ Es folgten Ausführungen über Zoom-Trainings, Wochenpläne und später auch die nachvollziehbare Aussage, dass er den Trainerjob vermisse. Dass aufgrund der verzwickten finanziellen Lage laut mehreren Spielerinnen die Trainingseinheiten derzeit nur empfohlen und nicht verpflichtend sind, sollte nicht unter den Teppich gekehrt werden. Jasmin Eder von den Tabellenführerinnen aus St. Pölten fand noch klarere Worte zur Situation im österreichischen Frauenfußball und spricht damit wohl den meisten Fans aus der Seele: „Das tut alles weh.“
Während also bei den Sturm-Damen und auch im Rest der Frauen-Bundesliga alle Uhren still stehen und die FIFPro vor allem auf die fehlenden Absicherungen der Frauen im Fußball aufmerksam machte, monierte der ÖFB (Anm. im Gegensatz zu den Herren bei den Frauen für die Bundesliga zuständig) die Unmöglichkeit einer Finanzierung der Corona-Tests, die bei einer Durchführung aller Spiele für alle Klubs nötig geworden wären. Von Seiten der Sportpolitik sieht Top-Spielerin Jasmin Eder den Frauenfußball jedenfalls fair behandelt: „Ja, die beiden höchsten Spielklassen im Männer- und Frauenfußball sollen und müssen in jedem Punkt die gleiche Wertschätzung und Anerkennung bekommen, denn wir Spielerinnen haben schließlich auch den gleich hohen (Trainings-)Aufwand. Aber was die finanzielle und organisatorische Struktur betrifft, sind wir eine Amateurliga und deswegen nicht mit der tipico Bundesliga zu vergleichen!“ Und weiter: „[Wir] hätten auch nicht die Möglichkeit gehabt, den Bewerb mittels ‚englischen Wochen‘ zu verkürzen bzw. zu Ende zu bringen, weil wir Spielerinnen – neben dem Fußballspielen, neben vier bis sechs Trainingseinheiten pro Woche, neben den Auswärtsfahrten durch das ganze Land – studieren sowie Teil- oder Vollzeit arbeiten gehen, um unser Leben zu finanzieren.“
Die angekündigten Überbrückungshilfen für den Amateurfußball werden so gesehen auch für einige Vereine der obersten Ligen der Frauen überlebensnotwendig. Auch eine Spielerin des SK Sturm gab in einer kurzen Anfrage an, dass sie das Statement von Jasmin Eder stark und treffend findet. Frauenfußball-Experte Philipp Eitzinger vom Blog ballverliebt schätzte in einem kurzen Austausch mit Sturmnetz den Abbruch ebenfalls als „alternativlos“ ein. „Während es bei der Herren-BL wohl teurer wäre, auf das TV-Geld zu verzichten, als die Tests zu bezahlen, ist bei den Frauen schon der reguläre Alltag für die meisten eigenständigen Klubs ein Drahtseil-Akt“, meint Eitzinger. Der SK Sturm ist im Alltag des österreichischen Frauenfußballs leider eine der heimischen Ausnahmen.
Die ewige Krux mit dem Geld
Da es im österreichischen Klubfußball der Frauen derzeit keine Vollprofis gibt, sind Gehaltszahlungen für die Vereine die geringsten Probleme. Dass viele der Frauen jedoch aufgrund fehlender schriftlicher Verträge und dem damit einhergehenden Arbeitnehmerinnenschutz Einkommenseinbußen hinnehmen müssen und in der Folge Lebenserhaltungskosten nicht bezahlen können, wurde bei der ÖFB-Pressekonferenz nicht thematisiert. Vom SK Sturm ist der Redaktion bekannt, dass nur wenige Spielerinnen in dieser Krisenzeit Zahlungen vom Klub erhalten. Keine der Spielerinnen beim SK Sturm, den aktuellen österreichischen Vize-Meisterinnen, könnte ohne Unterstützungen aus der Familie oder einem Nebenerwerb vom Fußball alleine leben.
Dass es in dieser Spielzeit erstmals kein Meisterteam und keine Cupsiegerinnen geben wird, dürfte in Anbetracht dieser eklatanten wirtschaftlichen Mängel im Frauenfußball in den Hintergrund rücken. Die Aussendung der FIFPro ist nicht zu unterschätzen, oder wie es Philipp Eitzinger formuliert: „[Die Aussendung] ist nichts anderes als ein schön formulierter Hilferuf der Aussage ´Lasst uns nicht sterben`!“
Einfach gesagt: Die Coronakrise wird zeigen, wie ernst es Vereine und Verbände mit der Förderung und Entwicklung des Frauenfußballs meinen. Nicht nur beim SK Sturm muss man nun genau hinschauen, wie es weitergeht. Die Rufe nach Solidarität unter den Vereinen werden immer lauter, bemerken doch viele größere Klubs endlich, dass man ohne Vielfalt keinen Liga-Betrieb aufrecht erhalten kann. Dass reine Frauenfußball-Klubs diese Krise überleben können, bezweifeln einige Beobachter und Beobachterinnen im deutschsprachigen Raum. Ins Hintertreffen gerieten einige der Klubs bereits in den jüngeren Jahren. Das beweisen unter anderem der Abstieg des LUV Graz aus der Frauenbundesliga, der ewige Kampf um Existenz und Klassenerhalt des FC Südburgenland und die immer größer werdende Lücke zur Spitze der Turbine Potsdam beispielhaft. Diese Prozesse werden sich, durch die finanziellen Probleme hervorgerufen, aufgrund von Corona vermutlich beschleunigen.
Auch die Schere zwischen den kleinen und großen Klubs dürfte weiter aufgehen. „Ich bin recht sicher, dass die großen Klubs in Europa – von Barcelona über Lyon und PSG sowie Wolfsburg und Bayern bis zur Premier League – den Frauenfußball nicht untergehen lassen werden, aus zwei Gründen: Erstens kostet er den Klubs, im Großen und Ganzen betrachtet, fast nichts und zweitens ist er auch einfach ein Image-Ding“, meint Eitzinger im Hinblick auf die Damenteams, die bereits jetzt in bestehende Männerfußballklubs integriert wurden. Ähnlich ist auch die Haltung des SK Sturm in dieser Belange zu erwarten. Eine Budget-Reduktion ist zwar praktisch nicht möglich (ist das Budget seit der Gründung doch dasselbe geblieben), eine Erhöhung gilt aber derzeit mehr denn je als unwahrscheinlich. „Dazu braucht es Sponsoren und Partner, die sich zum Frauenfußball bekennen und ihn auch finanziell unterstützen“, so Jasmin Eder in ihrem Statement. Und es brauche (nicht nur) ihrer Ansicht nach auch Medienvertreter, die den Frauenfußball ins Rampenlicht rücken und somit weiter pushen.
Was muss und was wird passieren?
Fallen lassen wird der SK Sturm die Frauen-Sparte jedenfalls nicht, dies betonte auch Geschäftsführer Tebbich unlängst bei Radio Helsinki. „Dass die großen Klubs in Österreich mit großer Mehrheit den Frauenfußball bisher sehr stiefmütterlich (Austria) oder gar nicht (Rapid, Salzburg) behandeln, wird sich durch Corona mittelfristig sicher nicht verbessern“, schätzt Eitzinger die Lage eher nüchtern ein.
Auf die Frage, welche Verbesserungen er sich im österreichischen Frauenfußball wünschen würde, schlug Sturm-Trainer Lang im eingangs verlinkten Interview übrigens in eine ähnliche Kerbe: „Ich hätte gerne eine gemeinsame Strategie, dass jeder Bundesliga-Verein ein Frauen-Team stellt. Ich glaube, das muss einfach ein Schritt sein, der kommt.“
Dass Corona verzögernde Auswirkungen auf Entwicklungen im Frauenfußball hat, möchte Lang verhindert sehen. Die Zeit, die man nun bekommt, um sich mit Maßnahmen in den verschiedensten Bereichen zu beschäftigen, würde er gerne auch von allen Klubs in Österreich (auch für den Frauenfußball) gut genutzt sehen und erwähnte auch, dass immer mehr Frauen die TrainerInnenausbildung beim ÖFB durchlaufen, was sich in Zukunft positiv auf die BetreuerInnenstäbe auswirken werde.
Dass auf internationaler Ebene der Frauenfußball nach dem Aufwind der WM des vergangenen Jahres und der Entwicklungen in England und Spanien nun ebenfalls wieder bedeutend weniger Aufmerksamkeit zu befürchten hat, dürfte nicht zuletzt an der Verschiebung der Herren-EM und von Olympia (von 2020 auf 2021, Anm.) liegen. In Folge dieser Verschiebung wird eine Verlegung der Frauen-EM in England von 2021 auf 2022 als sehr wahrscheinlich gehandelt, ein Jahr, in dem eigentlich auch eine Herren-WM geplant wäre und der olympische Frauen-Bewerb im Fußball eine ungleich höhere Bedeutung hat als jener bei den Herren. Drei europäische Nationalteams hätten in diesem Fall 2021 eine doppelte Turnierbelastung. Kollege Eitzinger hält die Verschiebung nicht nur im Hinblick auf die Endrunde für vernünftig: „So kann man ohne Stress die unterbrochene Qualifikation fertig spielen.“
Und auch die FIFA sah sich nach dem Statement der FIFPro am Zug und sorgte zum ersten Mal seit langem für positive Schlagzeilen, da sie sich zum geplanten Investment in den Frauenfußball bekannte. Ein schönes und wichtiges Zeichen, wenn man bedenkt, dass die FIFPro in ihrer Aufgabe als Gewerkschaft den Finger in eine klaffende Wunde legen musste, die nun vom Weltverband nicht weggeredet, sondern angesprochen wurde.
Die Aussichten für den Frauenfußball waren schon besser. Der Optimismus aller Beteiligten sowie das Bekenntnis der FIFA zum Investment in die Sparte überstrahlt die triste Situation allerdings und lässt darauf hoffen, dass sich im Herbst auch die österreichischen Klubs in der Frauen-Bundesliga wieder zumindest in alter Stärke matchen werden. Jasmin Eder formulierte es in ihrem Statement so: „Es ist immer einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Wieso fängt nicht jeder erst bei sich selbst an? Jeder Zuschauer zählt und hilft nicht nur den Vereinen, sondern auch uns Athletinnen, Anerkennung zu erfahren, für alles, was wir leisten.“ Ein ehrlicher Aufruf in einem Statement, das schön aufzeigt, dass der Gender Pay Gap ein Problem ist, aber eben nicht das einzige. Dass ein Schulterschluss zwischen Medien, Sponsoren und Fans in diesen Zeiten am wichtigsten für die Vereine und Spielerinnen wäre, das muss allen Interessierten spätestens jetzt klar sein und auch die Verbände müssen weiter in die Pflicht genommen werden…
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EDIT: In England soll zwar weitergespielt werden, doch die Spielerinnen stehen vor großen finanziellen Unsicherheiten, berichtet Forbes online.
EDIT: Laut einem Bericht von Spiegel Online werden 7,5 Millionen Euro aus eigenen Mitteln von Bayern, Leverkusen, Dortmund und Leipzig für eine Soliaktion verwendet, von der die dritte Herren-Bundesliga und die Frauen-Bundesliga in Deutschland profitieren.
EDIT: Die UEFA gab am 23. April bekannt, dass die Women’s Euro 2021 auf Juli 2022 verschoben wird.
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