„Mim Flieger wär ma schneller gewesen“
Wie jeder gute Ausflug beginnt auch die Auswärtsfahrt nach Amsterdam mit Zwiebelgeruch. Kurz vor der Abfahrt zum Cupfinale nach Klagenfurt hat sich der Autor dieser Zeilen in Graz noch zwei Kebab reingezogen, das Spiel hat der SK Sturm gewonnen, also gabs keinen Grund, diese kulinarische Tradition vor Amsterdam nicht zu wiederholen. Es war zwar nicht der gleiche Kebabstand, aber man soll ja auch nicht abergläubisch werden.
Natürlich hätt‘ man auch fliegen können (wie die zwei Kollegen, die für SturmNetz im Pressebereich waren), natürlich hätt‘ man sich auch in einen Bus setzen können, aber letzten Endes war es spätestens ab der Ziehung klar, dass sich unsere illustre Fünferrunde in den Golf des Ennstalers zwängen und die Reise per Auto antreten wird. 1150 km, knappe elf Stunden Fahrtzeit (ohne Stau), oder um es mit den Worten unseres Fahrers zu sagen: „eine Klopause sollt‘ reichen“.
Aufgrund von Problemen mit der Arbeitszeitgestaltung (Urlaubstage sind ein knappes Gut) haben wir uns für die Ultrakurzzeitvariante entschieden: Abfahrt von Graz am Dienstagabend, die Nacht durchfahren, Mittwoch in Amsterdam, eine Übernachtung und wieder zurück. Grundsätzlich ein guter Plan, nur das mit dem Schlaf von Dienstag auf Mittwoch ist halt schwierig. Bei der Abfahrt ist die Stimmung gut, auch wenn für die Partie nie wirklich Optimismus aufkommen will. Im Gleinalmtunnel ertönt erstmals der Radetzkymarsch aus dem Autoradio, auf erstaunte Blicke folgen ebenso enthusiastische Klatschphasen. Die Musikbegleitung schwankt generell stärker als die Launen des Grazer Publikums. Auf weiten Auswärtsfahrten frönt der Voitsberger der lange vergessenen Kunst des CD-Brennens. Die Runde nimmt die Musik größtenteils schweigend hin, nur unterbrochen durch permanente „Des woa amoi a Fifa-Liadl“-Anmerkungen bei Nummern, die es garantiert noch niemals in einen FIFA-Soundtrack geschafft haben.
Die erste Klopause findet zum starken Missfallen des Ennstalers dann doch schon in Bayern statt, dann beginnen die Glücklicheren im Auto einzuschlafen. Irgendwann in der Nacht gibt es einen Fahrerwechsel, aber ich hab‘ geschlafen und kann dazu nicht viel sagen. Der Morgen beginnt offiziell mit der letzten Toilettenpause kurz nach Sonnenaufgang in den Niederlanden. Der Ersatzfahrer begrüßt die gerade Aufgewachten mit dem wunderschönen Satz „Wie ihr geschlafen habts, hab‘ ich uns fast umbracht, aber der andere Fahrer hats zum Glück noch rechtzeitig dabremst“ und sorgt damit sofort für vollständige Wachheit. Am Rastplatz wird auch das erste Sturmpickerl hinterlassen, bevor es nochmal auf die Straße geht. Die letzten 150 Kilometer nach Amsterdam sind recht geruhsam, nur der spontan stattfindende Holland-Crashkurs (Holländer sind durchschnittlich die größten Menschen der Welt, der höchste Berg der Niederlande liegt in der Karibik, etc.) sorgt für Erstaunen und Irritation.
In Amsterdam angekommen entern wir zunächst unser Hostel und dann den Bus ins Zentrum. In diesem Bus treffen wir erstmals auf andere Schwoarze, auch die Werbung auf den Infoscreens stimmt schon auf das Spiel ein. 4/5 der Gruppe war eh schon einmal in Amsterdam, daher wird für das verbliebene Fünftel eine Express-Stadtführung organisiert. Die Qualität dieser Führung ist zwar zweifelhaft („He, schau amal auf Google Maps, wo des eigentlich is“), aber für den Königspalast und den Rotlichtbezirk hat’s gereicht, auch wenn der Rotlichtbezirk um 11:00 genauso eine riesige Werbefläche für Reinigungsmittel sein könnt‘ – so viele Glasscheiben mit nichts dahinter sieht man sonst selten. Es folgt ein Besuch im Cheese-Museum, wo zwar sehr viel Käse verkostet, aber nur ein Kühlschrankmagnet gekauft wird. Hier treffen wir auch erstmals auf Verkäufer, die unsere Sturmshirts bemerken, und uns trotz unseres Pessimismus´ viel Glück beim Spiel wünschen. Entweder sie waren einfach freundlich oder in diesem Museum arbeiten nur PSV- und Feyenoord-Fans, die es nach Amsterdam verschlagen hat.
Erstaunlicherweise schafft es die gesamte Gruppe, nicht von einem der siebzigtausend Radfahrer getroffen zu werden, und es wird beschlossen, diesen Erfolg in einem landesüblichen Kaffeehaus zu feiern. Wenig später ruft der Hunger, den wir in der wahrscheinlich größten Touristenfalle nördlich von Wien mit wechselndem Erfolg bekämpfen. Der Vorgarten dieser Pizzeria ruft verbunden mit dem Schlafmangel erstmals interessante Gedanken hervor.
„Fühlt sich an wie auf der Terrasse beim MyKebab daheim“
Nach dem Essen werden wir noch Zeugen eines Auffahrunfalls, bevor wir uns auf den Weg zum von den Fangruppen ausgegebenen Treffpunkt aller Sturmfans am Rembrandtplein machen. Ausgestattet mit einigen Dosen Bier erkennen wir dort, dass auf den größeren Plätzen in der Innenstadt von Amsterdam offenbar überall Alkoholverbot herrscht. Die am Treffpunkt schon vertretene Polizei erwähnt dies auch immer wieder, bleibt aber grundsätzlich sehr entspannt. Vom Rembrandtplein geht es zum Dam, von wo aus der Corteo zum Bahnhof starten soll. Problematischer als das Alkoholverbot ist, dass es in der Stadt über 30 Grad hat, und die Schattenplätze am Dam sehr begrenzt sind. Dies sorgt zwar für einige rote Köpfe, tut der Stimmung aber ansonsten recht wenig Abbruch. Die Vorfreude auf das Spiel ist unter allen Fans greifbar, und die ausgegebene Parole „Natürlich singen wir die Holländer aus dem Stadion, aber in der Stadt benehmen wir uns wie zivilisierte Menschen“ greift gut. Angeführt von einigen Polizeipferden marschieren dann knappe 2000 Sturmfans singend ca. einen Kilometer vom Dam zum Zentralbahnhof, begleitet von begeisterten Touristen und ein paar überraschten Leuten im Ajaxdress.
Am Zentralbahnhof angekommen werden wir in zwei Sonderzüge geschleust, die uns ohne Zwischenhalte direkt zum Stadion bringen sollen. Unglücklicherweise hat man es offensichtlich nicht für notwendig erachtet, die Klimaanlage in diesen Zügen einzuschalten, in den Waggons hat es wohl um die 50 Grad, jeder tropft und selbst die Fensterscheiben waren schon beschlagen. Aber auch in dieser unangenehmen Lage bewahren alle Grazer kühlen Kopf („ganz egal, ois für die Schowazn“), spontan wird auch ein alter Europacupklassiker umgedichtet:
„Europapokal, Europapokal, behindert schwitzen international“
Im Stadion angekommen herrscht große Freude darüber, dass bei internationalen Wettbewerben seit heuer wieder echtes Bier ausgeschenkt werden darf. Während die Mannschaften aufwärmen, ertönt aus den Boxen abwechselnd lauter Eurodance oder Schlager, manche Klischees muss Amsterdam also doch erfüllen. Beim Einsingen kann man die Ajaxfans durchaus noch übertönen, erst als das Vereinslied ertönt und das ganze Stadion mitsingt, ist der Auswärtssektor klarerweise chancenlos, die Lautstärke war dann doch ziemlich beeindruckend. Vor dem Anpfiff gibt es noch eine Schweigeminute für Heinz Schilcher, dabei fällt auf, dass eine Schweigeminute in Amsterdam auch tatsächlich eine Minute dauert, was sehr angenehm ist.
Während des Spiels ist die Stimmung gut, der Support funktioniert also auch ohne Megafone im Stadion. In der Halbzeit sorgt eine verirrte Seele für Aufregung im Auswärtssektor, direkt neben den Sturmfans hat sich nämlich eine Person mit GAK-Fahne postiert, die er in der Pause heftig gestikulierend Richtung Sturmfans schwenkt. Es folgen einige der Situation angemessene Sprechchöre, ehe der offensichtlich verwirrte Mann von den Stadionsecuritys hinausbegleitet wird. Zu Beginn der zweiten Halbzeit ist der Optimismus greifbar, erst der streitbare Elfmeter sorgt für eine gewisse Resignation. Im Stadion wirkt es so, als wären die Ajax-Ultras nicht wirklich lauter als die Sturmfans, erst wenn das ganze Stadion einsetzt, wird es wirklich laut. Besonders auffällig ist dies in der zweiten Hälfte, in einem Moment, in dem die Grazer wohl gerade die lautesten Gesänge hatten, wird auf den Videowalls plötzlich Daley Blind beim Aufwärmen gezeigt, und das Stadion bebt wie sonst maximal beim Torjubel.
Nach dem Schlusspfiff wird die Mannschaft noch ordentlich verabschiedet, dann heißt es warten. Alles in allem werden wir eine Stunde im Stadion bzw. am Stadionvorplatz aufgehalten (soviele Polizeipferde wie wir an dem Tag gesehen haben, gibt’s sonst nur in den süßesten Träumen unseres Innenministers), ehe wir zurück zur Station dürfen. Dennoch funktioniert die Fanteilung nicht besonders, denn trotz der langen Wartezeit treffen wir im Zug sofort auf Ajaxfans, aber auch hier bleibt wieder alles friedlich. Wir entschuldigen uns noch bei einigen Holländern in Zivil, die wegen uns plötzlich eine ungeplante Extrarunde fahren müssen, ehe die schwoaze Menschenmenge im Stadtzentrum in die Nacht entschwindet. Unsere kleine Runde holt sich nur noch ein kleines Abendessen, ehe wir in den Hostelbetten versinken.
Am Donnerstag passiert dann nicht mehr viel, auch die Autofahrt zurück in die Heimat sorgt nicht für große Aufregung. Holland ist halt flach, Nordrhein-Westfalen auch, in Hessen steht ein Schuh auf der Autobahn, und ganz Bayern ist ein einziger Stau, in dem die Rettungsgasse bemerkenswert schlecht funktioniert. Nach insgesamt knapp 25 Stunden im Auto, 2.300 zurückgelegten Kilometern, zwei Gegentoren und einem Liter Cherry Cola endet damit ein Ausflug, der für die Sturmspieler offenbar genauso strapaziös war, anders kann man sich die Leistung gegen Hartberg nicht erklären. Kommenden Mittwoch gibt’s also den Gegenbesuch, ein 3:0 Heimsieg sollt da schon drin sein.
„Ob Madrid oder Rom oder einfach nur Wien, scheißegal wir foan afoch hin“
Wunderbarer Bericht, schön geschrieben, lustig, sehr informativ!
Danke dafür 🙂
Herrlich – Danke für diese Zeilen, ich hab mich schwer amüsiert 😉