Mentalitätsmonster
Aus solchen Tiefs zieht man sich nur gemeinsam.
Die Kinder in der Altstadt kennen deinen Namen, manche haben ein Trikot mit deiner Rückennummer. Wenn sie im Turnunterricht ein Tor erzielen, imitieren sie deinen letzten Torjubel. Wenn du am Wochenende das Feld betrittst, werden alle Augen auf dich gerichtet sein. Sie werden deinen Namen schreien. Den Namen deiner Kollegen. Den Namen deines Vereins. Zehntausend Leute brüllen dann, um dich zu pushen. Um das ganze Team nach vorne zu peitschen. Diese eingeschworene Truppe. Du spielst bei einer der besten Mannschaften des Landes. Alles andere als drei Punkte heute wären zu wenig. Sie fordern Mut, Willen, Einsatzbereitschaft und im Idealfall auch noch, dass es gut aussieht, was deine Kollegen und du am Feld fabrizieren. Von elf gegnerischen Teams sind neun gegen dein Team in der Außenseiterrolle, haben nichts zu verlieren. Sie können deine Fehler ausnützen. Bestrafen. Darauf warten sie nur, weil sie wissen, dass sie in dieser Spielzeit kommen. Es gab ein paar Niederlagen. Unentschieden. Kaum Erfolge. Hinten passieren zu viele Unkonzentriertheiten. Vorne will der Ball nicht rein. Letzte Saison ist dir mehr gelungen. Du stehst in den Katakomben und wartest darauf, dass der Schiedsrichter alle nach draußen führt und hast das alles im Kopf. Dir wird schlecht. Raus auf den Platz und du hörst den Lärm. Deine Beine werden weich. Diese Erwartungshaltung an dich. Diese Erwartungshaltung von dir selbst. Anpfiff. Fokus auf das Wesentliche. Fußballspielen. Denk nur von Minute zu Minute. Von Ballkontakt zu Ballkontakt. Fuck. Wieder ein Fehlpass beim Rausspielen. Grätsche. Geklärt. Mund abputzen und weitermachen. Aus solchen Tiefs zieht man sich nur gemeinsam. Das sagt der Kapitän. Das sagt der Trainer. Das sagt der Sportchef. Die Journalisten. Die Fans. Die Eltern. Alle sagen das, also muss es stimmen. Du machst nichts anders als im Vorjahr. Trotzdem klappt die Hälfte nicht.
Was ist bloß los mit dir?
Wieso klappt das nicht?
Wo ist die Leichtigkeit hin?
SCHNITT
„Zum Einen sage ich ganz ehrlich ich bin nicht der Größte, aber ich fühle mich richtig breit hier. Ich fühle überhaupt keinen Druck im Moment. Überhaupt nicht. Ich hab das schon einmal erwähnt, dieser Druck, der hier vielleicht entsteht, den hätte ich gerne die nächsten Jahre, weil es für mich eine tolle Geschichte ist mit dieser Mannschaft bei Sturm Graz zu arbeiten und Trainer zu sein. Immer her mit dem Druck. Herrliche Geschichte. Also ich weiß nicht, was passieren kann, dass ich so viel Druck verspüre, dass ich das nicht mehr aushalte. Ich bin wirklich komplett stressbefreit und glaube, dass ich das gut aushalten werde. Fühle mich nicht unter Druck gesetzt. Das andere, das ändert sich auch nicht von Pressekonferenz zu Pressekonferenz in unserer Situation“, sagte Neo-Trainer Roman Mählich wortwörtlich und sehr selbstbewusst bei der Pressekonferenz zum Thema Druck von außen vor seinem ersten Bewerbsspiel gegen den SCR Altach. Dann fügte Roman Mählich zwei entscheidende Dinge seiner ersten Ansprache zur Mannschaft hinzu: „Wir haben zwei Punkte gesagt. Vergangenheit ist abgehakt. So. Unser gemeinsamer Saisonstart ist am kommenden Sonntag in Vorarlberg mit unserem ersten gemeinsamen Spiel. Wir werden nicht daran denken, was nächste Woche sein wird, oder in zwei Wochen, oder in drei Wochen. Was möglicherweise nächstes Jahr, nächstes Frühjahr sein wird, irgendwann einmal im April. Wir konzentrieren uns täglich, und ich glaube das ist das Entscheidende, jeden Tag für sich, darauf, voll bei der Arbeit zu sein, Trainingsinhalte umzusetzen, und dann werden wir am Spieltag da sein und dann werden wir gute Möglichkeiten haben, das Spiel zu gewinnen. Das ist die Herangehensweise.“
Roman Mählich hat etwas sehr Wichtiges gemacht, das nur ein neuer Trainer machen konnte. Die Möglichkeit, bei Null anzufangen, die hatte Heiko Vogel nicht mehr. Der neue Trainer machte augenscheinlich etwas, das die Mannschaft unfassbar dringend brauchte und nur er machen konnte: Er setzte die Ziele glaubhaft neu und etablierte einen neuen Startpunkt, um die negativen Erlebnisse der bisherigen Saison in den Hintergrund zu rücken. Das berühmteste Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung dieses mentalen Resets aus Grazer Sicht dürfte hierfür wohl die vielzitierte „Schoko-Tabelle“ von Walter Schachner aus der Vize-Meistersaison 2002/03 beim ungeliebten, roten Stadtrivalen sein. Vom vorletzten Platz zum Vize-Titel.
Gegen Altach machte sich bis zum vergangenen Sonntag so etwas wie Aufbruchstimmung breit und die Schwoazen taten das, was man von ihnen nicht mehr gewohnt war – sie gewannen ein Spiel. Ohne zu überzeugen. Mit weniger Ballbesitz als die Vorarlberger. Aber Sturm Graz gewann ohne ein Gegentor zu erhalten, mit zwei Toren Unterschied und spielte drei Punkte nach Hause. Auf den Schönheitspreis verzichten wir diesmal getrost.
SCHNITT
Aus solchen Tiefs zieht man sich nur gemeinsam. Das sagt der Kapitän. Das sagt der Trainer. Das sagt der Sportchef. Die Journalisten. Die Fans. Die Eltern. Alle sagen das, also muss es stimmen. Du machst nichts anders als im Vorjahr. Und dann gewinnst du endlich wieder ein Ligaspiel und hast im nächsten die Wölfe zuhause auf der eigenen Seite der Pack zu Gast. Vergangenheit ist abgehakt. So. Das erste gemeinsame Saisonspiel wurde gewonnen. Nächste Woche kommen die Kärntner und da wirst du am Spieltag da sein und dann wirst du gute Möglichkeiten haben, das Spiel zu gewinnen. Das ist die Herangehensweise. Die Kinder in der Altstadt kennen deinen Namen, manche haben ein Trikot mit deiner Rückennummer. Wenn sie im Turnunterricht ein Tor erzielen, imitieren sie deinen letzten Torjubel. Wenn du am Wochenende das Feld betrittst, werden alle Augen auf dich gerichtet sein. Sie werden deinen Namen schreien. Den Namen deiner Kollegen. Den Namen deines Vereins. Zehntausend Leute brüllen dann um dich zu pushen. Um das ganze Team nach vorne zu peitschen.
Super Artikel! Wer jetzt noch zweifelt, dass die Ablöse Vogels durch Mählich Sinn macht, dem ist nicht zu helfen. „Wieder bei Null“ beginnen zu können bedeutet auch, dass Spieler, die vom bisherigen Trainer aus nicht immer nachvollziehbaren Gründen übergangen wurden, eine neue Chance bekommen. Sandi Lovric hat sie genützt.