Markus Schupp: „Wenn Popovic in der Kabine loslegte, hieß es in Deckung gehen“
Überpünktlich und mit einem breiten Grinser im Gesicht betritt Markus Schupp frühmorgens das Café Schillerhof. „Zeitlimit haben wir keines“, gibt er gleich vorweg zu verstehen. Sein Dienst beim Roten Kreuz starte erst um 14:00 Uhr. Zu einem Chai Latte erzählt Schupp ausführlich unter anderem über das erste Zusammentreffen mit Hannes Kartnig, seine Zeit beim FC Bayern, Wald- und Wiesenläufe unter Felix Magath und hitzige Diskussionen zwischen Ranko Popovic und Ivica Osim.
Nicht ganz zufällig sitzen wir hier im Schillerhof in der Plüddemanngasse. Mittlerweile ein Café, werden diese Räumlichkeiten wie keine anderen in Graz mit der Goldenen Ära des SK Sturm assoziiert.
Dieses Lokal war tatsächlich innerhalb unserer Mannschaft sehr beliebt. Ich allerdings war ja bereits verheiratet und nicht so oft mit von der Partie. Aber die Harmonie, die innerhalb unserer Gruppe herrschte, war gigantisch und es kam schon vor, dass hier dann und wann die Post ordentlich abgegangen ist.
Für die heutige Generation an Fußballern wohl denkunmöglich.
Klar, die Welt hat sich verändert (zeigt auf sein Mobiltelefon). Schon problematisch, wenn deinem Arbeitgeber ein Bild vom letzten Abend geschickt wird und der dich dann fragt, sag einmal, wo und warum warst du gestern um halb drei in der Früh noch unterwegs? Ich glaube aber schon, dass auch diese Generation Mittel und Wege findet, wenn es passt, sich zu amüsieren. Eventuell eher im privatem Raum.
Markus, du hast einmal erzählt, es kommt kaum vor, dass ein Fußballer nicht dahin wechselt, wo ihm das meiste Geld geboten wird. Galt das auch für deinen Umzug im Sommer 1997 nach Graz?
Ich war in Spanien auf Urlaub, als plötzlich das Telefon klingelte und Hannes Kartnig am anderen Ende der Leitung war. Das war schon sehr witzig. Er hatte mich zuvor noch nie gesehen und bereits nach einem achtminütigen Telefonat meinte er zu mir: „Du bist genau der Richtige, dich brauchen wir“. Ein Treffen wurde vereinbart, schon am Flughafen hat Kartnig auf mich gewartet. Er kam mit einem 8er-BMW vorgefahren – Kennzeichen Sturm 1 – und meinte: „Da schau her!“ Er ging mit mir zu seinem Kofferraum, kramte ein riesen Fotoalbum hervor, aus dem er mir Bilder von seinem Haus präsentierte. Als Kartnig mir dann noch ganz stolz seine Haifische zeigte, hab ich nur gedacht, was ist denn hier los. Will er, dass ich für ihn den Poolboy mache?
Das heißt, ein etwas unorthodoxer erster Eindruck?
Das auf alle Fälle, aber durchaus sympathisch. Kartnig hat mir dann etwas von der Stadt gezeigt und das gerade neu errichtete, enge und überdachte Stadion. Da hab ich mir schnell vorstellen können, darin aufzulaufen. Zwar wurden bei diesem ersten Treffen noch keine Details geklärt, aber ich habe sehr viele positive Eindrücke gesammelt und flog zurück zu meiner Familie in den Sommerurlaub.
Die erste Anfrage aus der steirischen Landeshauptstadt soll damals aber ja schon zuvor vom Stadtrivalen gekommen sein. Wo zu dieser Zeit ja dein Spezi Klaus Augenthaler auf der Trainerbank saß.
Klaus war Co-Trainer während meinen Jahren bei den Bayern und eng mit mir befreundet. Als er in diesem Sommer den GAK übernommen hatte, hat er mich gefragt, ob denn Interesse bestünde, dass ich mit ihm mitkomme. Davon haben die Medien irgendwie Wind bekommen. Und auch der Sturm-Präsident. Kartnig hat sich dann über Markus Schopp, mit dem ich ja schon beim HSV zusammen gespielt habe, meine Telefonnummer besorgt. Schoppi war es auch, den ich gefragt habe, welchen der beiden Grazer Klubs er mir empfehlen würde. Markus meinte nur: „Wenn du nach Graz gehst, dann gibt es nur die Schwoazen. Die haben die größere Tradition und vor allem auch die besseren Fans“. Daher hab ich mich für Sturm entschieden, trotz meiner Freundschaft zu Augenthaler.
Zusammen mit dir kam ja mit Franco Foda noch einer nach Graz, der hier, wie du später, seinen Lebensmittelpunkt finden sollte. Welcher Ex-Kaiserslautern- und Ex-Basel-Spieler war vorher da? Foda oder Schupp?
Schon während der Verhandlungen hat mich Kartnig gefragt, ob ich denn noch einen passenden Defensivspieler wüsste, den er zu Sturm holen könnte. Da ist mir sofort Franco eingefallen. Mit dem hatte ich schon in der A-Jugend von Kaiserslautern zusammen gekickt, später stand er mir in der Deutschen Bundesliga oftmals gegenüber und zuletzt waren wir gemeinsam für den FC Basel aktiv. Ich wusste genau, welch hervorragender Fußballer Franco ist und wie gut er eine Abwehr dirigieren kann.
Das erste Pflichtspiel für die Blackys absolvierten sowohl Foda als auch du dann bei der Stadionneueröffnung in Liebenau beim 4:0-Erfolg gegen den GAK. Wie hast du diesen Tag abgespeichert?
Ich kann mich noch bestens an die grandiose Stimmung erinnern. Ich war zwar aus Kaiserslautern, Hamburg oder München größere Stadien gewohnt, aber diese Enge in Liebenau und dass die Anhänger so knapp dran waren, das war großartig. Das Spiel war sehr intensiv und ich habe schnell kapiert, wie wichtig es ist, dem Stadtrivalen zu zeigen, wer hier das Sagen hat. Zum Glück ist uns das ja gleich in meinem allerersten Spiel eindrucksvoll gelungen. Die ganze erste Saison war ja ein einziges Gänsehauterlebnis. Beinahe jedes Heimspiel war ausverkauft. Ein volles Stadion, das ist genau das, was einen Fußballer pusht und am meisten motiviert.
Trotz einiger Neuzugänge lief das Werkl ja von Anfang an und Sturm konnte in deinen beiden ersten Jahren in Graz gleich die Meisterschaft einfahren. Warum hat das von Start weg so gut gepasst?
Der Spirit, der in diesem Team herrschte, war einfach perfekt. So etwas erlebt man im Laufe einer Profikarriere sehr selten. Wir hatten eine gute Mischung aus einigen erfahrenen Kickern und einigen „jungen Wilden“. Dazu ein sehr ausgewogenes Trainerteam und einen polternden Präsidenten. Irgendwie hat er genau dazu gepasst. Kartnig hat in Graz mehr bewegt als jeder seiner Vorgänger. Zugegeben: Er hat immer viel riskiert und auch oft eine auf die Schnauze bekommen, aber mit ihm kamen die Erfolge.
Zwei so divergente Persönlichkeiten wie Kartnig und Osim im gleichen Boot. Von außen betrachtet fragt man sich, wie das überhaupt so lange gut gehen konnte?
Dafür war vor allem Heinz Schilcher verantwortlich. Der war nicht nur ein hervorragender Manager, sondern auch ein hervorragender Diplomat. Ihm ist es immer wieder gelungen, die Harmonie zwischen den beiden wiederherzustellen. Ich kann mich noch gut erinnern, als der Präsident inmitten eines Spieles – ich denke es war beim Saisonfinale 1999 – vom VIP-Klub herunter auf den Rasen gestürmt ist, sich vor Trainer Osim aufgebaut hat und noch während die Partie lief, angefangen hat, herumzupoltern. So etwas habe ich in Deutschland nie erlebt. Ein Präsident, der vor laufenden Kameras – neben der Spielerbank – Theater macht. Jeder andere Trainer hätte wahrscheinlich „verschwind, hau ab“ gerufen. Nur eines dieser Beispiele, bei denen Franco und ich uns oft angeschaut haben und uns gedacht haben: „Was bitte passiert hier gerade?“
Das habt ihr euch wahrscheinlich auch gedacht, als ihr zum ersten Mal in der Gruabn trainieren durftet. In jenem Stadion, in der eine Saison zuvor noch Bundesliga gespielt wurde.
Unsere Utensilien mussten wir unter der Sitzbank verstauen, manchmal haben uns währenddessen ein paar Mäuse beobachtet. Nach dem Training hieß es, schnell in der Kabine zu sein, da das warme Wasser nur für die ersten Fünf reichte. Im Sommer war es egal, da hab ich gerne kalt geduscht. In den kalten Monaten jedoch habe ich mich stets beeilt. Das sind alles Dinge, die ich so zuvor noch nie erlebt habe. Aber das war mir völlig egal. Diese bereits angesprochene tolle Gemeinschaft, die wir hatten, hat dies alles mehr als wettgemacht.
Was war – im Vergleich zu deinen zwölf Jahren in der Deutschen Bundesliga – bei Sturm noch anders?
Das Angenehmste war, dass hier im Vergleich zu Deutschland nicht immer alles ganz so ernst genommen wird. Nicht nur im Fußball.
Du hast ja bereits mit 15 den Betzenberg erklommen und bliebst zehn Jahre lang im Trikot der Roten Teufel. In deiner letzten Saison wurdest du mit dem 1. FC Kaiserslautern sensationell Deutscher Meister. War dies atmosphärisch dahingehend nicht noch ein Stück drüber als in Graz?
Vielleicht war es am Betze noch einen Tick lauter und natürlich waren aufgrund der Kapazität noch mehr Zuschauer im Stadion. Ich möchte da keine Wertung erstellen. Graz war mit Kaiserslautern durchaus vergleichbar.
Damals gab es ja in Kaiserslautern die ersten Pyroshows im deutschsprachigen Raum. Anhänger des FCK statteten ihrem ehemaligen Spieler Hans-Peter Briegel Mitte der 80er-Jahre einen Besuch in Verona ab und packten dort massenweise Bengalos ein. Mit Bildern dieser „Roten Wand“ am Betzenberg wurde Werbung gemacht, von Leidenschaft und grandioser Stimmung war überall die Rede. Heute wird dies vielerorts verteufelt und kriminalisiert. Als einer, der dieses „Der-Betze-Brennt-Erlebnis“ hautnah miterlebt hat: Wie stehst du grundsätzlich zu dieser Thematik?
Das ist natürlich ein Für und Wider. Wenn es organisiert und kontrolliert – in Absprache mit der Stadionverwaltung und der Polizei – gemacht wird, finde ich es in Ordnung. Letztendlich geht es aber um die Sicherheit aller Besucher, auch jener, die schlicht und einfach nur das Spiel sehen wollen. Es erzeugt natürlich eine sensationelle Stimmung. Bei Abendspielen jedoch kam es schon Mal vor, dass die Partie unterbrochen werden musste, da der Rauch einfach nicht abziehen wollte. Wenn das Flutlicht an war, hat man minutenlang nichts gesehen.
Als frisch gebackener Meister und die Teilnahme an der neu gegründeten Champions League vor Augen, bist du im Sommer 1991 von Kaiserslautern zu Wattenscheid 09 gewechselt, dem Underdog schlechthin. Wie kam es dazu?
Nach sechs Jahren als Profi – 1990 wurden wir ja zudem auch noch Deutscher Cupsieger – wollte ich den nächsten Schritt machen. Ich war im perfekten Fußballeralter, das noch größere Angebot von einem ambitionierteren Verein kam aber nicht rein. Damals war es ja noch viel schwieriger, ins Ausland zu gehen, vor allem dann, wenn man keine A-Nationalteameinsätze vorweisen konnte. Letztendlich war der Grund für meinen Wechsel aber Trainer Hannes Bongartz, den ich schon von Kaiserslautern kannte, mit dem ich noch zusammen gespielt hatte und der dort auch kurzzeitig bereits mein Trainer war. Ich wollte einfach mal weg von der Heimat, weg von der Familie – meine Eltern wohnten nur sechs Kilometer entfernt von Kaiserslautern – und mich bei einem kleineren Verein beweisen und interessant für die größere Aufgaben machen. Dieser Plan ist aufgegangen. Wir haben eine tolle Saison gespielt, wurden sensationell Neunter, ich konnte auf der 10 spielen, mich entfalten und danach hab ich es mir wirklich aussuchen können: Dortmund, Schalke, Leverkusen, Stuttgart, Bremen und so weiter fragten um mich an.
Letztendlich wurden es dann die Bayern, obwohl du angeblich Schalke 04 schon zugesagt hattest.
Günter Netzer war damals Manager auf Schalke. Wir haben uns in Düsseldorf in einem Hotel getroffen und dort auch alles mündlich fixiert. Zwei Tage später rief mich mein Berater an und sagte: „Markus, was glaubst du, wer sich gerade bei mir gemeldet hat?“. Es war Uli Hoeneß und ich war zunächst sprachlos. Bei den ersten Gesprächen, wenn da ein Hoeneß oder Rummenigge mit mir am Tisch sitzt, merkte ich schnell, welches Kaliber mich erwartet. Da musste ich nicht lange überlegen. Auch wenn mir von den Bayern ein viel geringeres Fixum angeboten wurde als von Schalke. Zudem war der Vertrag bei den Bayern extrem leistungsbezogen, 25 Einsätze über mindestens eine Halbzeit mussten da absolviert werden, um an diese Extraprämien zu kommen. Trotzdem musste ich nicht nachverhandeln, mir war wichtig, mit den besten Spielern in einem Team zu stehen und Titel einzufahren. Dies Netzer zu vermitteln, war allerdings nicht so einfach. Ich kann mich noch an den Plärrer erinnern, den er über das Telefon losließ, als mein Berater ihm meine Entscheidung mitteilte. Ich konnte Günter natürlich verstehen, aber ich dachte, so eine Chance würde sich wohl nie mehr ergeben.
Drei Jahre lang hieß es daher für dich „FC Hollywood“. Die vor allem medial aufregendste Station in deiner Karriere?
Glaub ich schon. Leider reichte es nur für einen Meistertitel, die beiden andere Male wurden wir Zweiter und in der Champions League kam das Aus erst im Halbfinale gegen Ajax Amsterdam. Aber Mitspieler wie Kahn, Matthäus, Scholl, Wouters, Jorginho usw. zu erleben, war schon ein Highlight. Was medial abging, war imposant. Wenn du zum Training gefahren bist, hat man links und rechts die Zeitungsständer – gefüllt mit AZ, TZ, Bild, Merkur usw. – gesehen. Tagtäglich haben sich die Blätter mit noch größeren, noch fetteren Schlagzeilen und Bildern förmlich gematcht. Es war auch alles andere als angenehm, wenn du nach einem Spiel in der Bild mit einer Fünf, sprich Versager, benotet wurdest.
Du hast da wohl nicht schon vorab bei Lothar Matthäus interveniert? Der soll ja, der Legende nach, die Noten jedes einzelnen Spieler dem jeweiligen Journalisten selbst diktiert haben.
Lothar hat tatsächlich über seinen Haus- und Hofjournalisten die Noten festgelegt. Sogar schon am Freitag, schon vor dem Spiel. Ich durfte bei Kasernierungen ab und zu mit ihm das Zimmer teilen und da habe ich einmal mitbekommen, wie er am Telefon sagte: „Blunzi, dem Schuppi gibst einen Vierer, nein warte, gib ihm mal einen Dreier“. Das waren damals die Mechanismen. Matthäus hatte so manchen Journalisten voll am Seil.
Nach einer weiteren Bundesliga-Saison in Frankfurt folgte dein Gastspiel beim HSV. Unter Trainer Felix Magath. Mit dem bist du so überhaupt nicht klargekommen. Vor allem die menschliche Komponente hast du damals öffentlich kritisiert und wurdest daraufhin suspendiert. Ein Glücksfall für den SK Sturm, denn nach einem dreimonatigen Intermezzo bei Basel bist du in Graz gelandet.
Magath hat mich geholt, ich habe auch immer unter ihm gespielt. Seine Trainingsmethoden waren aber, ich sage einmal, völlig anders. Er hat dich wirklich jeden Tag gequält. Am Trainingsgelände wurde beispielsweise immer jener Platz gewählt, der am meisten unter Wasser stand. Dort, wo oft gar kein Ball mehr rollte. So etwas wie sportwissenschaftliche Aspekte gab es unter ihm nicht. Kritisiert hab ich Magath allerdings viel mehr ob seiner menschlichen Art. Er kam zum Training, es folgte ein kurzes „Morgen“, dann ist er einfach losgerannt, ohne irgendetwas zu sagen – wir hinterher. Es ging durch Wald und Wiese, irgendwann standen wir wieder am Platz und er sagte nur: „16 Uhr“. Für uns bedeutete das: Unter die Dusche und um vier am Nachmittag wieder da sein. Mehr kam von ihm nicht. Für Magath gab es nur Befehlsgeber und Befehlsempfänger. Wir waren wie Soldaten. Im Trainingslager sind wir mit zwei Medizinbällen unter dem Arm die Kuhweide hochgerannt. Sein Indikator war der Schweiß. Hauptsache man war fix und fertig. Zugegeben, wir waren alle topfit, aber irgendwann im Laufe der Saison war bei jedem der Akku leer. Mit Fußball hatte das nichts mehr zu tun. Ich bin dann an die Öffentlichkeit gegangen – das war ein Fehler – und ich wurde deswegen suspendiert. Aber ganz ehrlich: Ich wollte auch nicht mehr und ich hatte Verständnis, dass der Verein hinter dem Trainer stand. Vier Wochen nach meiner Suspendierung wurde Magath allerdings auch entlassen, da war ich aber schon an den FC Basel verliehen.
Als Spieler gab es kein Zurück mehr zum HSV, zehn Jahre später solltest du dort aber als Trainer anheuern.
Zusammen mit Huub Stevens habe ich 2007 kurz nach dem Rückrundenstart den HSV auf Platz 18 übernommen. Zwei Monate zuvor war ich in Burghausen entlassen worden, nun folgte der nächste Arbeitsplatz fernab von Graz. In der ersten Saison sind wir noch auf Platz 7 vorgestoßen, haben uns über den UI-Cup sogar noch für den Europapokal qualifiziert. Im zweiten Jahr beendeten wir die Saison auf Rang 4. Da Huub zu seiner kranken Frau nach Holland heimkehrte, war klar, dass es das auch für mich in Hamburg war. Diesen großartigen Erfolgen stand gegenüber, dass ich nur alle drei Monate meine Familie sah.
Wie der HSV spielen sehr aktuell viele Traditionsvereine nur in der zweiten oder dritten Liga, dafür „Konstrukte“ wie Leipzig in der ersten. Macht dich das als jemanden, der ausschließlich bei traditionsreichen Vereinen gespielt hat, betroffen?
Nein, ich finde Klubs wie Leipzig oder Hoffenheim haben genauso eine Daseinsberechtigung wie alle anderen auch. Sie haben einen anderen Weg gewählt, sind nicht über eine lange Tradition herangewachsen, sondern über Investoren, die viel Geld und Know-How reingesteckt haben, damit man möglichst schnell etwas entwickeln kann. Das ist nun mal auch ein Weg.
Das sehen einige Fans in Deutschland anders.
Wie Dietmar Hopp von Hoffenheim mancherorts beschimpft wird, dafür habe ich null Verständnis. Das ist meines Erachtens völlig fehl am Platz. Der Mann investiert so viel von seinem wohlverdienten Geld in Deutschland, der könnte auch ganz andere Dinge damit machen. Er investiert es halt in seinen Heimatort Sinsheim, hat damit Arbeitsplätze geschaffen und sehr vielen Menschen die Möglichkeit gegeben, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Ähnlich bei Didi Mateschitz, der investiert auch viel Geld in Österreich.
Und in Red Bull.
Bei Salzburg gab es aber damals nur mehr hopp oder dropp, heute sieht man sie in Österreich nur noch mit dem Fernglas. Die haben eigentlich die Gewalt von einem der Top-8-Erstligavereine in Deutschland. Ich glaube aber auch nicht, dass dieses Modell in Graz funktioniert hätte. Und für die Liga ist es natürlich nicht schön, dass im Grunde der Meister immer schon vor der Saison feststeht.
Du hast nicht nur mit Huub Stevens zusammengearbeitet, sondern auch unter Top-Trainern wie Beckenbauer, Bongartz, Trapattoni, Rehhagel oder Osim gespielt. Wer war der Beste?
Man sagt ja gerne, die Besten sind die, mit denen man auch Erfolg hatte. Das trifft in jedem Fall auf Ivica Osim, Franz Beckenbauer und Hannes Bongartz zu. Dazuzählen möchte ich auch Kalli Feldkamp, mit dem wir bei Kaiserlautern Pokalsieger und Meister geworden sind, auch wenn er ähnlich gestrickt war wie Magath. Osim war neben Beckenbauer unter all den Trainer sicherlich menschlich der herausragendste. Er hatte so viel Fingerspitzengefühl und seine Art mit Spielern umzugehen, war besonders. Er konnte auch mal grantig schauen, auch mal schimpfen, aber du konntest ihm nie böse sein. Es ging nie unter die Gürtellinie. Wenn er einmal lauter wurde, hast du ihm angemerkt, dass es ihm im nächsten Moment selbst leid tat. Unsere zweite Tochter kam bereits in Graz auf die Welt. Trotzdem wollten wir, dass sie in Deutschland getauft wird, da ansonsten über 20 Familienmitglieder hierher kommen hätten müssen. Ich habe Osim gefragt, ob ich denn drei Tage weg kann. Er antwortete: „Gehen Sie, machen Sie, was sie wollen, wissen Sie eh selber, können Sie eine Woche auch bleiben“. Da fiel mir ein Stern vom Herzen. Er hat uns immer verstanden und für alle ein offenes Ohr gehabt. Das Verhältnis zwischen der Mannschaft und ihm war immer super. Natürlich ging es manchmal auch rund. Vor allem wenn er sich mit Vastic, Popovic, Milanic oder Kocijan in deren Landessprachen gefetzt hat. Auch in der Halbzeit, wenn Popovic, der stolze Serbe, einmal losgelegt hat, musstest du in Deckung gehen. Das waren legendäre Gefechte. Osim war aber nie nachtragend und die Sache immer schnell vergessen.
Und einer, der die Zügel nicht immer straff angezogen hat.
Es kam schon mal vor, dass er Roman Mählich morgens vor dem Training in die Augen geschaut hat und dann sagte: „Gehen Sie zehn Minuten laufen, Gemma! Und dann gemma nachhause! Kommen Sie morgen wieder zum Training, Wiederschauen!“ Es gab eben solche Nächte, an denen der Roman mit dem Hannes Reinmayr bis spät nachts im Schillerhof geblieben ist. Osim hat ohne viel zu reden schnell bemerkt, was los ist. Wenn die beiden einmal über die Stränge geschlagen hatten, war allerdings ohnehin klar, dass sie es am Wochenende zurückzahlen werden. Hannes hat dann wieder drei Tore vorbereitet, eines selbst gemacht und der Roman hat 700 Zweikämpfe gewonnen.
Damals gab es das „Magische Trio“, eine routinierte Abwehr und Arbeitsbienen wie es etwa ein Mählich war. Wie genau würdest du deine Rolle im Rückblick definieren?
Das sollen andere beurteilen. Ich habe auf einer zentralen Position spielen dürfen, mit dem Roman zusammen, später mit Fleurquin. Wir alle haben überwiegend unsere Arbeit gut gemacht. Du brauchst immer eine gute Balance in der Mannschaft. Dafür war ich mitverantwortlich. Das Spiel zu organisieren sowie die Balance zwischen Defensive und Offensive zu halten. Ich glaube, das hat immer gut funktioniert. Wir waren damit erfolgreich – national und international.
Zu international kommen wir jetzt: Beim 3:0-Heimsieg gegen Galatasaray hast du mit einem sehenswerten Lupfer Weltmeistertorhüter Taffarel bezwungen, noch historischer war dann aber das Rückspiel in Istanbul.
So viele Tore habe ich international nicht gemacht, ich weiß noch, dass ich den Ball nur reingeschupft habe und dann ins Netz gesprungen bin. Und ich erinnere mich natürlich auch noch ans Ali-Sam-Yen und, dass es gegen Ende der Partie merklich ruhiger wurde. Wir haben dort voll auf Sieg gespielt, da wir ja nie wissen konnten, wie die Parallel-Partie endet. Als wir die Info bekamen, dass ein Remis für den Aufstieg in die Zwischenrunde der Champions League reicht, sind wir alle nur noch am Rasen spaziert und haben den Ball hin und her geschoben. Plötzlich haben uns die türkischen Fans gefeiert.
Jene Fans, die vor dem Spiel noch den Mannschaftsbus mit allem, was zugegen war, beworfen hatten.
An das kann ich mich auch noch erinnern. Ich kannte das bereits, denn wenn der gegnerische Mannschaftsbus den Betzenberg hinauffuhr, direkt vorbei an den Fans, kam es immer zu ähnlichen Szenen.
Der Gruppensieg in der Champions-League stand nach der Partie im Ali-Sam-Yen fest. Hättest du bei deiner Ankunft in Graz so etwas für möglich gehalten?
Natürlich nicht. Aber wie schon eingangs erwähnt: Die Stärke dieser Mannschaft war das Miteinander. Es gab keine Eitelkeiten und jeder hat den anderen respektiert. Wir wussten, die drei da vorne sind immer für ein Tor gut. Und die drei wussten, dass sie sich auf uns verlassen können. Inklusive Kazi im Tor, den man im Rückblick auch nicht vergessen darf. Dieses gute Miteinander hat nicht umsonst bis heute Bestand. Erst vor wenigen Tagen habe ich mich an gleicher Stelle mit Markus Schopp getroffen, wir haben eine WhatsApp-Gruppe, wo beispielsweise jeder dem Ferdl Feldhofer gratuliert hat, als er Rapid-Trainer wurde. Auch die jeweiligen Geburtstage werden nie vergessen.
Wusstest du, dass kein anderer Spieler öfter für Sturm in der Champions-League-Gruppenphase aufgelaufen ist als du? Ein Rekord, wohl für die Ewigkeit.
Nein, das wusste ich gar nicht. Aber ich fürchte, der wird tatsächlich noch lange Bestand haben.
Zu feiern gab es in deiner Karriere ohnehin jede Menge. Neben den internationalen Erfolgen etwa vier Meistertitel und drei Cuperfolge. War der Konfetti-Regen in der Herrengasse mit irgendetwas vergleichbar?
Beim Feiern stand Kartnig anderen Vereinen auf keinen Fall hinten nach. Mit offenem Wagen durch die Herrengasse, der Konfettiregen, das vergesse ich natürlich nie. Auch kann ich mich nicht erinnern, dass anderswo als in Graz ein Feuerwerk gezündet wurde. Unvergleichlich für mich war dennoch eine Vor-Meisterfeier: In Kaiserslautern hätten wir 1991 schon in der vorletzten Runde zuhause alles klar machen können, haben aber gegen Gladbach mit 2:3 verloren. Wir haben gespielt wie die letzten Gurken. In den VIP-Räumen jedoch war für die Meisterfeier schon alles vorbereitet. Umsonst. Wir waren alle geknickt, alles war scheiße. Meine Ex-Frau hat diese Stimmung mitbekommen und plötzlich gesagt: „Wir gehen jetzt alle zu uns feiern“. Zuvor haben wir noch alles aus den VIP-Räumen in unsere Autos geladen und sind zu uns nachhause. Dort wurde dann die ganze Nacht gefeiert, getschechert, gefressen und analysiert, wie die Niederlage gegen Gladbach zustande kam. Wir haben uns eingeschworen, dass wir uns den Titel nicht mehr nehmen lassen. Sogar Journalisten aus Kaiserslautern waren mit dabei, die wollten ja auch, dass wir Meister werden.
Dieser Motivationsschub hat ja bekannterweise geklappt.
Vor 40.000 mitgereisten Kaiserlautern-Fans haben wir Köln mit 6:2 besiegt. Es war unglaublich. Unsere Fans haben das Stadion abgerissen, den Rasen ausgepflanzt und als Erinnerung mit heim in die Pfalz genommen. Zuvor hatte übrigens der damalige Köln-Manager Udo Lattek in der Bild am Sonntag unsere Mannschaft mit jener der Kölner verglichen – mit dem Ergebnis, dass sie bloß auf der Tormannposition schlechter aufgestellt seien als wir. 1:10 gegen uns. Unser Trainer hat dann diesen Artikel vor dem Spiel auf die Kabinentür geklebt. Das hat die letzten zwei Prozent aus uns rausgekitzelt.
2001 war mit 35 deine aktive Karriere vorbei. Du bist relativ rasch danach Leiter der Nachwuchsakademie geworden und hast die U19 von Sturm trainiert. Wie hast du diese Zeit in Erinnerung?
Als schön und lehrreich. Ich habe unmittelbar nach dem Ende meiner aktiven Laufbahn begonnen, meinen Trainerschein zu machen. Gleichzeitig die U19 zu trainieren und Akademieleiter zu sein, war oft sehr stressig. Ich bin am Montagmorgen nach Köln geflogen und war dann bis Donnerstag oder Freitag in der Sporthochschule. Wieder daheim, ging es direkt zum Abschlusstraining der U19. Aber es hat sich gelohnt. Ich durfte mit tollen, jungen Spielen wie Christoph Leitgeb, Ronald Gercaliu oder Gerald Säumel zusammenarbeiten. Das hat mir bei meiner ersten Station im Erwachsenenfußball, bei Wacker Burghausen, geholfen.
Du warst ja auch einst Kandidat für den freien Sportdirektor-Posten bei Sturm?
Sogar zweimal. Einmal zu Rinners Zeiten, als Christian Jauk noch Vize-Präsident war. Da saß ich mit den beiden bei Jauk zuhause, habe aber abgelehnt, da ich in Deutschland arbeiten wollte. 2016 hätte ich es gerne gemacht. Es gab auch gute Gespräche mit Gerhard Goldbrich. Ich sollte den Part als Geschäftsführer Sport machen. Dann wurde aber irgendwo kolportiert, ich würde zu viel verlangen und der Klub könne dies nicht bezahlen. Dabei wurde bis dahin nur über das Anforderungsprofil und über Inhalte gesprochen, nie über Zahlen. Aber es hieß, ich wäre zu teuer für Sturm und man hat Günter Kreissl geholt.
Du hast unlängst gesagt, für dich habe das ganze Fußballbusiness mittlerweile seinen Reiz verloren.
Für mich war es immer problematisch, das Familiäre mit dem Fußball zu verbinden. Das auszubalancieren, hat irgendwann nicht mehr funktioniert. Ich war immer weg, viel zu selten daheim. Wenn du nur alle paar Wochen präsent bist, ist es schwierig: Das Leben daheim geht ohne mich weiter, du kommst nur auf Besuch und bist manchmal wie ein Fremdkörper. Das wollte ich nicht mehr, nicht um jeden Preis. So schön es auch ist, im Fußball zu arbeiten, irgendwann habe ich für mich festgestellt, dass am Ende zu viel dadurch verloren geht. Als Junger nimmt man vieles in Kauf, da packt man seine sieben Sachen und geht dorthin, wo es eben hingeht. Wenn dann aber Kinder da sind, willst du, dass die wo Wurzeln schlagen, eine Heimat haben. Meine Ex-Frau hatte sich längst für Graz entschieden, ich bin immer nur gependelt. Nach dem Ende in St. Pölten vor vier Jahren habe ich mich gefragt, ob ich so weitermachen will oder ob es nicht was Anderes gäbe, was mich auch reizen würde. Irgendwas, wo ich nicht mehr immer nur weg bin, nicht mehr an vorderster Front stehen muss, aber meiner größten Leidenschaft – und das ist nun mal der Fußball – treu bleiben kann.
Und hast mit dem FC Bayern als Partner eine Firma gegründet, die einen Erlebnistag rund um Heimspiele der Münchner organisiert.
Seit 2018 darf ich über den FC Bayern ein exklusives VIP-Incentive anbieten. Über meine Firma „Markus Schupp“ kann man VIP-Tickets und ein von mir betreutes Stadionerlebnis buchen. Unter anderem gibt es nur für meine Businessgäste eine ausgewählte Tour, etwa durch das Museum oder in die Partnerlogen von beispielsweise Audi und Adidas, dorthin, wo man auch auf die Bayern-Stars von heute trifft. Alles gepaart mit Hintergrundgeschichten aus erster Hand. In den letzten zwei Jahren konnte ich aufgrund der Corona-Pandemie dieses Event allerdings nicht anbieten, weil es nur bei Vollauslastung des Stadions durchführbar ist.
Aber du bist während der zwei Jahre Pandemie trotzdem nicht auf der faulen Haut gelegen und hast dir erneut eine Alternative gesucht.
Das stimmt. Ich habe mir was Sinnvolles gesucht, was ich stattdessen tun kann und arbeite seit Oktober 2020 beim österreichischen Roten Kreuz beim Blutspendedienst. Dabei hat mir sicher geholfen, dass ich mich schon zu Beginn der Pandemie ehrenamtlich für das „Team Österreich“ engagierte und für Menschen, die der Risikogruppe angehören, Lebensmittel zugestellt habe.
Wirst du oft von dem ein oder anderen Fan erkannt?
Ja! Manche erkennen mich sogar trotz FFP2-Maske. Aber ich trage natürlich meine Identitätskarte. Dann höre ich manchmal: „Markus Schupp? Bist du der Markus Schupp, hast du mal Fußball gespielt?“ Ist manchmal sehr witzig. Wenn ich dann die Maske mal runter nehme, heißt es: „Boah, Sie sehen anders aus“. Jo mei, so ist das halt, wenn man älter wird.
Zum Abschluss: Wie beurteilest du die derzeitige Situation bei Sturm?
Ich habe in den letzten beiden Jahren grundsätzlich wenig Fußball geschaut, auch nicht im Fernsehen. Spiele ohne Fans finde ich grausam. Aber die letzten Leistungen von Sturm sind mir natürlich nicht entgangen. Ich glaube, dass sie auf einem guten Weg sind und sich mit Andreas Schicker und Christian Ilzer ein gutes Team gefunden hat. Präsident Jauk hält sich zurück, vertraut den beiden, lässt sie arbeiten und funkt nicht mit irgendwelchen Ansagen dazwischen. Das ist gut. Mit dem Verkauf von Yeboah hat man gesehen, dass das Konzept, junge Talente zu holen und später um gutes Geld zu verkaufen, funktioniert. Das ist der einzige richtige Weg, zumindest dann, wenn man keine Investoren hat.
Kehrt Markus Schupp in irgendeiner Funktion einmal zu Sturm zurück?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn der Corona-Spuk vorbei ist, komme ich zwar gerne wieder als Fan ins Stadion oder spiele bei dem ein oder anderen Legendenspiel mit, aber das war’s dann schon.
Das war es dann auch mit unserem Interview. Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.
Bitte gerne. Hat Spaß gemacht.
Zur Person: Mit der Erfahrung von 351 Spielen in der Deutschen Bundesliga für Kaiserslautern, Wattenscheid 09, Bayern München, Eintracht Frankfurt und dem HSV kam Markus Schupp im Sommer 1997 über die Zwischenstation FC Basel nach Graz und war vier Jahre lang kaum aus der Startelf der Blackys wegzudenken. Nach zwei gewonnen Meisterschaften und einem Cupsieg in seiner Heimat gelang ihm diese Titelausbeute auch mit Sturm. Nach der aktiven Karriere blieb Graz bis heute Schupps Lebensmittelpunkt, auch in jenen Phasen, in denen er als Trainer in Burghausen, Salzburg, Karlsruhe und Hamburg oder als Sportdirektor in Aalen, Kaiserslautern und St. Pölten engagiert war. Mit seiner Firma organisiert er für Fußballfans bei Heimspielen des FC Bayern München exklusive VIP-Packages und begleitet seine Kunden am Spieltag in jeden Winkel der ausverkauften Allianz-Arena.
Klasse Interview! Sowohl was die Fragestellungen als auch die Antworten anbelangt. Sehr sympathischer Typ, ich hab ihn schon seit und während seiner aktiven Zeit bei Sturm aber auch in der deutschen Bundesliga sehr positiv in Erinnerung.
Einige Erinnerungen von “damals” wecken das Hochkommen von Emotionen, wie zB der Empfang am Flughafen in Graz, nach dem 2:2 bei Galatasaray und den damit verbundenen Aufstieg in die nächste Gruppenphase…
Neben den ganzen Ivos, Reinmayers, Schopps und Haasis, vergisst man gerne Markus Schupp. Dabei war der Inbegriff der Verlässlichkeit und hat ja beinahe seine ganze Sturmkarriere durchgespielt.
Spitzen Interview, sehr interessant und unterhaltsam. Bravo Markus Schupp und Danke für die geile Zeit.
Sehr löblich!