Marchanno Schultz – Der Absturz des „Dutch Wonderkind“
Nicht nur Giuseppe Giannini war beim Anblick der desolaten sanitären Anlagen in der Gruabn einigermaßen geschockt, schon drei Jahre zuvor staunte ein anderer, vermeintlicher Superstar, der Holländer Marchanno Schultz, nicht schlecht, als man ihm seinen neuen Arbeitsplatz vorgestellt hat.
Schultz, Riesentalent aus Holland und nur dank der Freundschaft zwischen dem holländischen Spielervermittler Cor Coster und Sturm-Manager Heinz Schilcher in Graz gelandet, galt in den Niederlanden als der neue Johan Cruyff. In einem Land, welches sich ja gerade zu jener Zeit über alles andere als unerfolgreiche Ausbildungsarbeit beschweren konnte.
Schon mit 18 debütierte er in der Kampfmannschaft von Feyenoord Rotterdam, galt aber schon in jungen Jahren als Enfant Terrible. Das hinderte Coster dennoch nicht daran, Schultz unter Vertrag zu nehmen. Man muss wissen, so etwas kommt in Holland einem Ritterschlag in Sachen Fußball ziemlich nahe. Schließlich setzte Coster in seinen Verträgen immer mehr auf Qualität als Quantität. Alle großen holländischen Fußballer (etwa Gullit, Rijkaard und van Basten) der 70er- und 80er-Jahre waren unter seinen Fittichen. Cors berühmtester Klient war aber zweifellos der holländische Weltstar und wohl einer der besten zehn Fußballer aller Zeiten, Johan Cruyff. Auch die Tochter von Coster, Danny, war von Johan dem Ersten begeistert und war bis zu seinem Tod mit der berühmtesten Nummer 14 der Fußballgeschichte verheiratet.
Die jüdische Familie Koster war eine Diamantenhändler-Dynastie und damit zu entsprechendem Reichtum gekommen. Cor betrieb seine Spieleragentur nur nebenbei und war finanziell völlig unabhängig. Vielleicht war er deswegen stets erfolgreich, allerdings bei Marchanno schien er mit seinem Latein am Ende.
Da erinnerte er sich an seinen alten Freund Heinz Schilcher, von dem er gehört hat, dass dieser wieder in seiner Heimat Österreich als Fußballmanager tätig war. Coster berichtete Schilcher von diesem Riesentalent und dass dieser „für Österreich eigentlich viel zu gut sei“ er hoffe allerdings, „dass Marchanno in der Provinz endlich einmal zur Ruhe kommen soll und lernen wird, was harte Arbeit bedeutet.“
Schon die Verpflichtung von Schultz wurde für das Duo Kartnig/Schilcher zum Abenteuer. In Holland angekommen, bemerkte der Ex-Präsident, dass er den Geldkoffer mit der, eher symbolischen, Transfersumme irgendwo auf einer Autobahnraststation ganz einfach vergessen hatte, die beiden drehten um und waren erstaunt und erleichtert zugleich, als die „heiße Ware“ noch unter dem Tisch stand, an dem die beiden Stunden zuvor ihre Mahlzeit einnahmen.
Als Schultz in Graz angekommen war, wollte er auch schon wieder weg. Die Infrastruktur entsprach seiner Meinung eben nicht einem zukünftigen Weltstar. Auch das Defensiv-Konzept von Trainer Milan Djuricic hat es dem Holländer nicht sonderlich angetan. Trotzdem war der Spielgestalter von Beginn an der Liebling vieler Sturm-Knofel. Er absolvierte in seiner ersten Saison (1993/1994) 29 Spiele, erzielte dabei sieben Tore. Acht gelbe Karten und einmal gelb-rot standen allerdings ebenfalls auf seiner Habenseite.
Langsam fand der Holländer an Graz auch immer mehr Gefallen. „Ich liebe Kernoil“ war eines seiner berühmten Zitate. Doch nicht nur daran: Das Nachtleben, die schönen Mädchen und auch dieses sprichwörtliche „Easy-Going“ lebte er in vollen Zügen aus. Und auch, dass er, sowohl im Spiel als auch im Training, nie an seine Leistungsgrenze gehen musste. „Graz is great“ und „Bleibe hier für lange, lange Zeit“ war ab da an von ihm zu hören.
Coster, der immer mehr befürchtete, dass sein designierter Weltstar es sich in Graz „gemütlich eingerichtet“ hat, war dann erst wieder erleichtert, als er erfuhr, dass ab der Saison 1994/1995 Ivica Osim das Zepter bei den Blackies übernehmen wird. Dem Bosnier traute er es zu, Schultz endlich seinen Schlendrian auszutreiben und ihn für wesentlich größere Aufgaben fit zu machen. Doch auch Ivan wurde aus dem Holländer nicht schlau. Während sich alle anderen Sturm-Kicker unter Osim weiterentwickelten und am Jungstar leistungstechnisch links und rechts vorbeizogen, stagnierte Marchanno in seiner fußballerischen Entwicklung. Anfangs zumindest noch Stammspieler, fand er sich ab dem Frühjahr 1995 nur mehr auf der Bank oder auf der Tribüne wieder. Am 22.4.1995 durfte Schultz noch einmal ran – und das für genau eine Minute bei der Niederlage gegen den FC Tirol in der Gruabn. Ein mehr als symbolträchtiger Abschied des einstigen Supertalents.
Schultz wechselte gezwungenermaßen wieder zurück nach Holland. Einige, endgültig gebrochene, Frauenherzen ließ er in Graz zurück und auch so mancher heimische Szenewirt bedauerte, primär aus wirtschaftlichen Gründen, den Abgang des Mittelfeldspielers. In seiner Heimat absolvierte er für De Graafshap und NEC Nijmegen immerhin noch 127 Spiele in der Ehrendivsion. Doch ins niederländische Nationalteam, wie bislang alle Klienten von Coster, schaffte er es nie. Mit 28 beendete er gar seine Profi-Karriere.
Was Marchanno Schultz später so trieb, blieb dem Autor dieser Zeilen leider für lange Zeit verborgen. Ehemalige Mitspieler haben keinen Kontakt mehr zu ihm. Daher können gewisse Mythen, die über den Holländer so im Umlauf waren/sind, weder bestätigt noch dementiert werden. 2010 tauchte er aus der zumindest medialen Versenkung wieder auf, als bekannt wurde, dass er bei Feyenoord als Nachwuchstrainer engagiert wurde. Er sei glücklich, dass er wieder zu seiner ersten Station als Profi zurückkehre, sagte er gegenüber holländischen Journalisten. „Ich habe erst jetzt bemerkt, wie sehr mir der Fußball in den letzten Jahren gefehlt hat. Aber jetzt habe ich Blut geleckt und ich bin stolz, ein Teil der besten niederländischen Nachwuchsakademie zu sein.“
Schön, dass er wieder Fuß gefasst hat, der Sonnyboy. Hatte ihn schon fast vergessen.
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Schulz
https://nl.wikipedia.org/wiki/Marchanno_Schultz
Sturm siegte am im Artikel erwähnten 22. 4. 95 auswärts gegen Tirol. Im Frühjahr 95 verloren die Schwarzen kein einziges Spiel und wurden so noch Vizemeister.