Kreissl: „Ich muss versuchen, Extreme auszugleichen“
An einem sonnigen Mittwochnachmittag trafen wir uns mit Günter Kreissl, um mit ihm nach beinahe einem Jahr als Geschäftsführer Sport bei Sturm Graz Bilanz zu ziehen und wir waren selbst etwas überrascht, wie viel uns der Wiener zu sagen hatte: über seine Vergangenheit und seine Gegenwart bei Sturm, über die Medien, ein kurioses Transfergerücht, über den Stellenwert der Jugend unter seiner Ägide und seine Vorstellungen zur Verbesserung der Jugendarbeit und auch über seine Arbeit mit Franco Foda.
Günter Kreissl empfing uns schon an der Eingangstür und schlug vor, das Gespräch auf der sonnigen Terrasse des Trainingszentrums zu führen. Angesichts der frühlingshaften Temperaturen willigten wir gerne ein und warteten gespannt darauf, was uns der Mann zu sagen hatte. Gleich nach dem Bekanntwerden seines Engagements für den SK Sturm ließ er nach einem Bundesligaspiel mit einer angenehm klaren Stellungnahme über das am Platz Gezeigte aufhorchen. Schnell entstand der Eindruck: Günter Kreissl nimmt sich kein Blatt vor den Mund!
Weil in einem eineinhalbstündigen Gespräch naturgemäß viel gesagt wird und wir euch davon nichts vorenthalten möchten, haben wir im Sinne der Lesbarkeit beschlossen, das Interview als Zweiteiler zu präsentieren, dessen ersten Akt ihr heute zu lesen bekommt:

(c) Micka Messino
Wir haben ein Datum herausgesucht: Am 16. April jährt sich ein Ereignis zum 20. Mal.
(unterbricht) Oje, ich fürchte ich weiß schon, was jetzt kommt.
In der Gruabn gastiert die Admira, das Spiel endet 7:0 und im Tor: Günter Kreissl. Was waren Ihre Eindrücke von diesem Tag?
Vor diesem Spiel hatte ich schon sechs-sieben Runden im Tor der Admira gespielt. Ich war in dieser Phase eigentlich sehr gut drauf, aber was dann passierte, konnte ich nicht erahnen. Anfangs konnte ich noch einige gute Bälle – u. a. von Ivo Vastic und Roman Mählich – halten, aber Sturm spielte wie aufgezogen und ist mit jedem Tor stärker geworden und die Admira in sich zusammengefallen. Nach Abpfiff haben mir die Sturm-Spieler trotz der Niederlage gratuliert – darauf wusste ich dann nichts zu sagen. Ich selbst hatte das Gefühl, und das sollte sich später bestätigen, viel gehalten zu haben und gar nicht so schlecht gewesen zu sein. Am übernächsten Tag stand in der Kolumne von Christopher Wikus, dass redaktionsintern darüber diskutiert wurde, mich ins Team der Runde aufzunehmen, aber wenn man als Tormann sieben Tore kassiert hat, ist das einfach unmöglich. Sehr beeindruckend war damals die Atmosphäre in der Gruabn, von der ich bereits zuvor sehr viel gehört hatte. Man hatte im Tor ein Gefühl, als hätte man eine Wand an Menschen hinter sich gehabt – egal, wohin man blickte, man sah Menschen. Ich war zuvor auch gewarnt worden, dass Bierduschen in einem Spiel in der Gruabn dazugehören. Ich habe dort einiges an Bier abbekommen. Auch die Räumlichkeiten werden mir in Erinnerung bleiben – ein Unikum in der Gruabn: Die Mannschaften mussten sich einen Duschraum teilen. Das heißt, dass man mit der gegnerischen Mannschaft duschen musste.
Also ist einiges hängen geblieben von der Gruabn?
Ja, das war schon ein beeindruckender Abend. Es herrschte, nicht überraschend, eine gute Stimmung im Stadion. Natürlich war ich an dem Tag frustriert, aber jetzt im Nachhinein kann ich mit ein wenig Augenzwinkern darauf zurückblicken. Es war jedenfalls ein einmaliges Erlebnis.
Und wie steht der Fußballromantiker Günter Kreissl zur aktuellen Thematik rund um die Gruabn und dazu, dass es jetzt eine Initiative für den Erhalt der Tribüne gibt?
Das finde ich gut. Es wäre natürlich schön, wenn die öffentliche Hand beim Erhalt der Holztribüne von sich aus mithelfen würde, damit es gar keine Privatinitiativen bräuchte, aber ich will auch niemandem diktieren, was er zu tun hat. Ich finde es schön, wenn man etwas hat, das an die Geschichte der Stadt und an jene des SK Sturm erinnert.
Kommen wir vielleicht noch einmal zu einem Rückblick auf Ihre Karriere. Das 0:7 haben wir bereits besprochen, das trotz der guten Leistung wohl kein positives Highlight sein wird. Was waren denn eigentlich die positiven und negativen Höhepunkte?
Als Spieler?
Als Spieler, Trainer, Sportdirektor…
Stolz macht mich, dass ich zu denen gehöre, die bei ihrem Stammverein (Anm. Austria Wien) in Kindesjahren begonnen, es bis zur Profimannschaft geschafft und auch einige Spiele in der Bundesliga gespielt zu haben. Ich schaue auch sehr gerne auf meine Zeit in diversen Jugendauswahlen des ÖFB zurück, in der ich durch Auswärtsspiele fast ganz Europa gesehen habe. Ein ganz besonderes Erlebnis war ein Qualifikationsspiel mit der U21 gegen Schweden, das letztendlich unentschieden endete (Anm. 1:1). Dieses blieb mir in Erinnerung, weil ich gut gespielt hatte und weil es kurz vor Schluss zu einem schweren Zusammenstoß kam, bei dem ich einen Gedächtnisverlust erlitt. Dennoch musste ich weiterspielen. In der Kabine ging mir „der Vorhang dann wieder auf“ und ich fragte meine Kollegen, ob wir gerade gespielt hätten und gegen wen. Ich habe noch ein Foto zuhause, das in einer schwedischen Zeitung veröffentlicht wurde. Darauf ist zu sehen, wie Henrik Larsson gerade auf mich zuläuft. Im Nachwuchs habe ich sehr viel Schönes erlebt. Im Alter von 19 Jahren spielte ich beim SV Himberg in der Regionalliga Ost, einem sehr familiären Verein, der damals sogar Tabellenführer war. Dort genoss ich ein sehr gutes Training. Auch auf meine Bundesligazeit bei der Admira bin ich stolz. Dort habe ich ein halbes Jahr gut gespielt und mich dann etabliert, um noch einige Jahre länger in der obersten Spielklasse zu bleiben. Später, als Trainer, durfte ich fünf Jahre lang viele junge Torhütertalente begleiten und ausbilden, u. a. Robert Almer, Heinz Lindner, Jörg Siebenhandl und Philipp Petermann. Ich habe fünf Jahrgänge betreut, aus denen jetzt letztendlich über zehn Spieler in der ersten oder zweiten Liga spielen. Gleich ein Jahr nach meinem Wechsel nach Wiener Neustadt gelang dort der Aufstieg in die Bundesliga. Fornezzi wurde zum besten Tormann der Liga gewählt und Siebenhandl ein Jahr später sogar zum besten Tormann in der Bundesliga. Nach zehn Jahren als Tormanntrainer wollte ich mich schließlich noch aktiver, also nicht mehr nur in diesem einen Segment, einbringen und jede Erfahrung, die ich mit Wiener Neustadt als Sportdirektor gemacht habe, jedes Ziel, das ich erreicht habe, ist ein Highlight. Ein Tiefpunkt meiner Karriere war der Abstieg mit der Vienna. Da war unter anderem ich als Tormann dann auch der Buhmann und obwohl ich damals viel investiert hatte, hat man sich an mir abgeputzt. Das tut mir heute noch etwas weh.
Das mit Abstand größte Highlight ist bisher aber mein Engagement als Geschäftsführer Sport bei Sturm.
Es fiel jetzt das Wort „abputzen“. Begibt man sich als Sportdirektor, also als hauptverantwortliche Person im sportlichen Bereich, jetzt nicht wieder in Gefahr, zusammen mit dem Trainer ein dankbares Opfer im Falle des sportlichen Misserfolgs zu sein?
Das ist richtig, aber wenn man sich für eine Tormann-Karriere entscheidet, dann befasst man sich von klein auf damit. Als Tormann ist man in einer Position, in der man schon weiß, wie Sieg oder Ruhm und Niederlage oder Schande beieinanderliegen. Das ist jetzt in meiner Position nichts Neues für mich, deswegen schreckt mich das auch nicht.
Das heißt, dass man als Tormann dafür besonders geeicht ist …
Als Tormann ist man gewohnt, dass man hin und wieder der Held ist und dann wieder der Buhmann, der Verursacher des Misserfolgs.
In einem Fußballspiel ziehe ich in der 80. Minute ungern ein Resümee, das ist mir zu früh.
Wie schaut es in der bisherigen Zeit bei Sturm eigentlich aus? Welches Resümee könnte man nach den letzten Monaten ziehen?
In einem Fußballspiel ziehe ich in der 80. Minute ungern ein Resümee, das ist mir zu früh. Würde ich jetzt Bilanz ziehen, dann sehe ich uns derzeit in einer erfolgreichen Saison. In sportlicher Hinsicht sind wir erfolgreich, weil wir aktuell jetzt schon mehr Punkte am Konto haben, als am Ende der Vorsaison. Wir konnten bisher 15 Siege einfahren (Anm. drei Siege mehr als in der gesamten letzten Saison), wir sind nur einen Punkt hinter dem Tabellenzweiten (Anm. zum Zeitpunkt des Interviews) und wir konnten viele neue Spieler schnell in die Mannschaft integrieren. Durch Transfers haben wir uns in wirtschaftlicher Hinsicht mehr Handlungsfreiheit verschafft, was strukturelle Verbesserungen ermöglicht. In den Bereichen Ticketing und Merchandising haben wir ehrgeizig gesteckte Budgetziele mittlerweile übertroffen. Das heißt, dass wir auch wirtschaftlich auf dem richtigen Weg sind. Ich tue mir aber schwer, das zu diesem Zeitpunkt einzuschätzen, denn stimmen die Ergebnisse in vier Wochen nicht mehr, schaut in sportlicher Hinsicht alles wieder ganz anders aus.

(c) Martin Hirtenfeller Fotografie
Hat es in der Zeit etwas gegeben, das besonders ärgerlich war. Zum Beispiel den tollen Punktevorsprung und den ersten Platz im ersten Saisonviertel letztendlich im Laufe des Herbstes verspielt zu haben? Wurmt das oder ist die Freude über die hier und jetzt gezogene Bilanz größer?
Beides – es ist schade, dass wir einiges an Punkten liegen gelassen haben. Es hat im Verein aber auch schwierige Situationen gegeben, die gar nichts mit dem sportlichen Bereich zu tun hatten. Es überwiegt letztendlich aber dennoch die Freude darüber, dass wir zwischenzeitlich positiv bilanzieren können. Ich werde oft gefragt, ob mir mein Job Spaß bereitet. Das wäre dafür aber nicht der richtige Ausdruck. Er ist eine spannende Herausforderung und ein Großteil ist Knochenarbeit. Wichtig ist mir persönlich das Arbeitsumfeld, die Atmosphäre, dass man also Menschen um sich hat, mit denen man gut kann. Spaß macht es im Stadion, wenn Sturm am Ende des Tages als Sieger dasteht und zudem noch verdient gewonnen hat.
Jeder hat sein Idealbild von einem Verein und als Geschäftsführer Sport ist es besonders wichtig, dass man diese Vorstellung in seine Arbeit einfließen lässt und als Gestalter, wie wir Sie einschätzen, wollen Sie dem Verein sicher Ihren Stempel aufdrücken. Was ist dieser Stempel?
Ich bin kein esoterischer Mensch, habe jedoch meine eigene Wahrheit, meine eigene Wahrnehmung und ich glaube stark an positive Energie, daran, sich gegenseitig anzufeuern, zu loben und zu pushen, mit Begeisterung dabei zu sein und das versuche ich auch im Gespräch mit den Spielern. Es gibt ja Leute, die glauben, man müsse Fußballer andauernd in den Allerwertesten treten. Dieser Meinung bin ich nicht. Du musst ihnen das Gefühl geben, dass du sie magst und dass du an sie glaubst. Das betrifft auch die Mitarbeiter. Dass im und um den gesamten Verein eine gute Atmosphäre herrscht, ist wichtig. Der Rest ist Knochenarbeit und auch das Talent, bei Personalentscheidungen das richtige Gespür zu haben. Bei Veränderungen gibt es keine Garantien. Ob etwas gut oder schlecht ausgeht, weißt du immer erst im Nachhinein. Dass du dich auf dein Bauchgefühl – kombiniert mit viel Recherche und viel Videoanalyse – verlassen kannst, dass du selbstsicher bist und dass du über die richtigen Entscheidungen die richtigen Personen findest, das ist wichtig.
Günter Kreissl im April 2017, ist Fan von Günter Kreissl im Frühjahr 2016 – ich habe in dieser Zeit nämlich nicht einmal Zeitungen gelesen, ich habe nur gearbeitet und in Wahrheit war das vielleicht sogar gut.
Es hat ja in den letzten Monaten, insbesondere in der Phase vor der Winterpause und auch kurz danach, immer wieder sehr kritische Töne von außen gegeben. Lässt man das an sich heran oder muss man das ausblenden, um sich selbst zu schützen und auch, um die Spieler zu schützen?
Günter Kreissl im April 2017, ist Fan von Günter Kreissl im Frühjahr 2016 – ich habe in dieser Zeit nämlich nicht einmal Zeitungen gelesen, ich habe nur gearbeitet und in Wahrheit war das vielleicht sogar gut. Jetzt, wo ich Zeit habe, die Pressespiegel zu lesen, beginne ich, mich über manches, was geschrieben wird, zu wundern. Bei einem Verein in der Größenordnung des SK Sturm besteht die Gefahr, dass das öffentliche Bild mindestens gleich wichtig ist wie die eigentliche Sache. Beschäftigt man sich zu intensiv damit, verliert man langsam den Fokus auf das, was tatsächlich Sache ist. Ich muss es also den Spagat schaffen, Medien und Social-Media-Kommentare zu lesen und gleichzeitig nicht zu viel Wert darauf zu legen. Die Arbeit muss immer im Vordergrund stehen.
Vor einigen Wochen haben Sie von einer „zu schnell zu kritischen Berichterstattung“ gesprochen. Die steirischen Medien sind dem Verein allerdings ja recht wohlgesonnen …
Dabei bezog ich mich auf eine Frage von Ihrem Kollegen, der mich nach einer Erklärung für die erfolglose Phase nach dem 2:2-Heimremis gegen den SV Mattersburg fragte. Ich bezog mich damit damals nicht auf die Medien, sondern das gesamte Umfeld, in dem plötzlich von einer Krise gesprochen wurde. Unmittelbar nach dem Cup-Aus (Anm. nach Elfmeterschießen) war auf einer Online-Plattform zu lesen: „Sturm schlittert in Minikrise!“ Und schon wurde ich von mehreren Seiten gefragt, ob das nun tatsächlich eine Krise wäre, bis ich irgendwann sogar selbst anfing, ernsthaft darüber nachzudenken. Ich nahm an, dass es den Spielern gleich erging. Ich glaube nämlich, dass sich das dann schon auch auf einen Spielverlauf bzw. auf die Spieler selbst auswirken kann: Auf dem Feld willst du dir beweisen, dass alles nicht so schlecht läuft. Dann liegst du aber plötzlich hinten, dir oder deinen Kollegen passieren dann Fehlpässe und schnell nimmt das Spiel eine ganz andere Richtung. Ich glaube also schon, dass sich die schnelle Frage nach der Krise im Umfeld auf das Spiel der Mannschaft auswirkte. Nicht aber die kritische Berichterstattung, die wichtig ist und natürlich sein muss.
Es gab an den steirischen Medien (Anm. Krone, Kleine Zeitung …) Kritik, sie wären zu vereinsnah und berichteten zu unkritisch. Begriffe wie „Haus- und Hof-Berichterstattung“ fallen da immer wieder. Wie nehmen Sie die Medien in diesem Kontext wahr?
Ich musste in diesem Jahr bisher nur eine wirklich schwierige Phase durchleben. Mir wurde aber gesagt, dass die großen Medien in Zeiten, in denen es für den Verein nicht so gut lief, nicht so kritisch berichtet haben, wie man sich das eigentlich hätte erwarten dürfen. Der Start ins Frühjahr war schlecht und ich habe auch versucht, das offen und ehrlich nach außen zu kommunizieren. Ich wollte nichts schönreden und darauf hinweisen, dass wir nun alle gefordert sind.

(c) Martin Hirtenfellner Fotografie
Weil der Begriff „Krise“ gefallen ist: In den sozialen Netzwerken und mit der Informationsflut, der man dadurch ausgesetzt ist, erschließt sich, dass die veröffentlichte Meinung sehr oft mit der öffentlichen Meinung Hand in Hand geht. Wurde die Krise bei Sturm Graz in dieser Saison in den Medien erzeugt?
Nein, ich muss an dieser Stelle Fredy Bickel (Anm. Sportdirektor bei Rapid Wien) erwähnen, den ich als sehr sympathischen Menschen kennengelernt habe. Er hat vor kurzem in einem Interview gesagt, er sehe sich in seiner Rolle als Sportdirektor in einer stark ausgleichenden Funktion und diese Wahrnehmung teile ich. Man muss sich nicht nur gegenüber Menschen im Verein, sondern auch nach außen hin ausgleichend verhalten. Ich muss versuchen, Extreme, die es bei Sturm Graz rundherum und überhaupt immer bei den großen Klubs gibt, auszugleichen. Ich muss ehrlich sein, aber darf diese Extreme nicht in mich aufnehmen.
Mir ist die Altersgruppe 17 – 21 essentiell „extremsuperwichtig“ [sic!].
Um bei so einem Extrem zu bleiben: Wir haben geschrieben, Günter Kreissl sei kein großer Freund der Amateure. Ist das richtig, ist das falsch oder wie könnte man das präzisieren bzw. ausgleichen?
Ich bin froh über diese Frage, weil sie eine sehr heikle, eine sehr wichtige ist. Mit dieser Behauptung war ich naturgemäß nicht glücklich, weil ich sie so nie aufgestellt habe. Um ganz präzise zu sein: Mir ist die Altersgruppe 17 – 21 essentiell „extremsuperwichtig“ [sic!]. In Österreich gingen über die letzten Jahrzehnte in diesem Alter viele Talente verloren, weil sie nicht optimal gefördert, betreut, begleitet und weiterentwickelt wurden. Wie man das bewerkstelligen könnte, also ob mit Hilfe einer Amateurmannschaft oder eines Kooperationsmodell, darum mache ich mir Gedanken. Nicht essentiell ist es aber, die Amateurmannschafft mit den in sie investierten Ressourcen als Nonplusultra zu bezeichnen.
Dass die Sinnhaftigkeit der Amateure evaluiert wird, ist also zutreffend?
Genau! Eine mögliche Alternative wäre, eine Stufe unter der Kampfmannschaft einzuziehen, die für die besten jungen Spieler aus dem Nachwuchs den Gang zu einer Kooperationsmannschaft in der ersten oder zweiten Liga bedeutet, wo sie sich schließlich weiterentwickeln können. Marc Schmerböck spielte 2015/16 auf Leihbasis beim WAC und ist jetzt derzeit aus der Kampfmannschaft nicht wegzudenken. Momentan haben wir nur die Amateure und die Kampfmannschaft und wir erwarten, dass jungen Spielern dieser Sprung direkt gelingt. Nach einem Jahr bei Sturm schätze ich dieses Modell aber so ein, dass es nur in Einzelfällen Erfolg bringen wird. Will ich die Erfolgsaussichten steigern, muss ich diese Zwischenstufe einziehen und das bedeutet, dass ich die vier bis fünf Besten, die für die Kampfmannschaft noch nicht reif sind, bei Kooperationspartnern auf möglichst hohem Niveau weiterentwickle. Das hat unter Umständen zur Folge, dass die Amateurmannschaft ein wenig geschwächt und jünger wird und, dass man sich auch überlegen muss, wie die Ziele dafür in Zukunft aussehen müssen.
Wir fassen zusammen: Für Günter Kreissl ist die Jugendarbeit sehr wichtig.
Ja, schließlich komme ich ja aus dem Jugendbereich. Ich selbst spielte schon als junger Spieler BNZ-Meisterschaften (Anm.: BNZ = Bundesliga-Nachwuchszentren). Bevor ich in die U16 kam, gab es zuerst nur regionale, später jedoch dann schon österreichweite Meisterschaften. Das war ein großer Schritt für mich und ich habe das Modell, wie es heute noch üblich ist, kennengelernt. Wie schon erwähnt habe ich dann auch als Trainer in der Akademie der Wiener Austria, gearbeitet. Wenn du sehr viel Zeit in einem Bereich verbracht hast und selbst sehr viel Mühe in die Entwicklung von Spielern investiert hast, weißt du, was den handelnden Personen, den Trainern, den Eltern, den Spielern, daran liegt. Bei, einem Verein wie Sturm Graz, der Tradition hat und in den letzten zwanzig Jahren zwei große Generationen herausgebracht hat, ist es sehr reizvoll, darüber nachzudenken, wie man ebendies wiederholen kann, also tolle Spieler hervorzubringen, die auch in der Kampfmannschaft Platz haben.
Die Statistiken im Hinblick auf die Einbindung der Jugend in die Kampfmannschaft rufen ja ambivalente Gefühle hervor. Schon lange hat keiner mehr den Sprung geschafft, junge Eigenbauspieler schaffen es nur selten auf den Spielbericht und mit Franco Foda hat man einen Trainer, der nicht gerade bekannt dafür ist, auf die Jugend zu setzen. Wie geht das dann mit den Ambitionen in der Jugendarbeit einher?
Ungefähr ein Drittel unserer Spieler kommt aus der Steiermark und auch aus dem eigenen Nachwuchs. Diese sind jedoch hauptsächlich Kaderspieler. Ich kann ihnen mittels eines Profivertrages eine Plattform für die Etablierung in der Kampfmannschaft bieten, aber sie müssen das Trainer-Team dann selbst von sich überzeugen. Für mich ist die Entwicklung Marc Schmerböcks, eines Eigenbauspielers, der eine wesentliche Rolle eingenommen hat, erfreulich. Diese wird aber selten erwähnt. Der Einbau weiterer Spieler hängt auch von deren Qualität ab und es wird trotz aller Mühen Jahrgänge geben, in denen kein Spieler die Qualität für einen Stammplatz in der Kampfmannschaft eines österreichischen Top-Klubs, als den man Sturm Graz betrachten muss, erreichen wird. Manche Spieler brauchen auch Zeit, die man als Verein oft nicht hat. Stefan Stangl, den Wiener Neustadt von Horn geholt hat, entwickelte sich in meiner Zeit als zuständiger Sportdirektor dort so gut, dass ihn schließlich Rapid gekauft hat. Reini Ranftl, der von Hartberg kam und der sich in Wiener Neustadt toll weiterentwickelt hat, hat beim LASK einen Stammplatz in der Startelf und ist gleichzeitig einer der besten Spieler der zweiten Liga. Beide – ich habe sie auch bei Sturm spielen sehen – brauchten Zeit, um sich in einem Umfeld mit geringerem Druck entfalten zu können. Ich habe diese Zeit nicht, solche Spieler drei bis fünf Jahre mitzunehmen und auf deren „Explosion“ zu warten.
Da ist dann das Kooperationsmodell eine probate Lösung, junge Spieler in der zweiten oder sogar ersten Liga reifen zu lassen.
Wenn jemand eine Saison zum Beispiel bei der Austria Lustenau spielt, ist das für seine Entwicklung super. Ziel muss es sein, bei einem jungen Spieler das Potenzial für die Bundesliga festzustellen, ihn dann für ein Jahr leihweise zu einem anderen Verein zu schicken, bei dem er sich in der ersten Mannschaft etablieren kann und ihn dann als Stammspieler zurückzuholen, wie es bei Schmerböck der Fall war. Wenn das einmal im Jahr oder alle zwei Jahre gelingt, kann man junge Spieler gut in die Kampfmannschaft integrieren.
Ich bin kein großer Freund von Systemdurchgängigkeit, dass man also das System der Kampfmannschaft bis hinunter in die Kinder- und Jugendmannschaften vorschreibt.
Vergleicht man die Spielweise der Amateure mit jener der Kampfmannschaft, lassen sich schon Unterschiede erkennen. Ist das für die Entwicklung eines jungen Spielers förderlich bzw. wie wirkt sich das auf die Integration in die Kampfmannschaft aus. Ist das eher problematisch?
Eine Spielphilosophie für den Verein zu entwickeln, ist ein Ziel. Ich bin kein großer Freund von Systemdurchgängigkeit, dass man also das System der Kampfmannschaft bis hinunter in die Kinder- und Jugendmannschaften vorschreibt. Ich bin eher davon überzeugt, verschiedene Kriterien zu definieren, die sich schließlich unter dem Begriff Spielphilosophie subsummieren lassen: Schnelligkeit, flinke Spieler auf gewissen Positionen, Art von Passspiel. Was wollen wir sehen? Welche Art von Freilaufspiel? Wollen wir in die Tiefe spielen? Auf welche Art wollen wir verteidigen? Aktiv oder eher absichernd? Welche Charaktere suchen wir? Wie können wir unsere Spieler motivieren, zu coachen, laut zu sein, präsent zu sein, die richtige Körpersprache an den Tag zu legen? Es gibt sehr viele Faktoren, die dann für uns und unsere Spielphilosophie stehen. Dass die Amateure genau dasselbe System wie die Kampfmannschaft spielen, ist nicht notwendig. Dass ein Spieler zu einem anderen Verein geht und dort dann auch funktioniert, wäre gar nicht möglich, wäre das System so entscheidend. Entscheidend sind die Kriterien, die eine Spielphilosophie beschreiben können, sowohl was Technik und Taktik als auch physische Komponenten betrifft. Es geht darum, diese schärfer zu definieren und in weiterer Folge auch zu lehren, zu trainieren und zu entwickeln. Das ist ein Prozess, der noch vor uns liegt.
Die beiden Begriffe „System“ und „Spielweise“ verstehen wir unterschiedlich.
Da gibt es ja auch einen Unterschied. Es gibt wenige Vereine, die eine Spielphilosophie und ein Spielsystem lehren. Ajax Amsterdam ist ein berühmtes Beispiel: Dort wird das 4-3-3 in jeder Mannschaft gespielt. Das System ist vorgegeben, genauso wie die Laufwege und auch die Spielweise. Die geben also beides vor – System und Philosophie. Dann gibt es die spanische Entwicklung über Barcelonas Tiki-Taka mit viel Kleinspiel und dem Bestreben, jede Situation spielerisch zu lösen. Bei anderen großen Klubs, die auch vieles gut machen, hängt das schon eher vom Trainer ab. Wird eher auf Umschalten gespielt? Versuchen sie eher, gegen den Ball zu pressen? Salzburg, also der RB-Konzern ist ein gutes Beispiel für eine klare Spielphilosophie, wo aggressiv gegen den Ball gespielt und schnell umgeschaltet wird. Ich bin dafür, die Spielphilosophie vorzugeben, nicht aber das System.
Wie wichtig ist die Liga, in der die Amateure spielen? Sollten sie schon in der Regionalliga bleiben oder ist das theoretisch egal?
Ich will die Drittklassigkeit der Amateure gerne erhalten, aber ich hätte keine Angst davor, sollte das einmal nicht möglich sein. Die Landesliga unterscheidet sich von der Regionalliga nur geringfügig, weil es in ihr viele gute regionalligataugliche Spieler gibt, die sich die weiten Reisen nicht antun wollen und ihr deshalb treu bleiben. Der Abstieg wäre keine Katastrophe, dann muss in der darauffolgenden Saison eben auf den Wiederaufstieg hingearbeitet werden. Es geht mir viel mehr darum, Spieler zu entwickeln und nicht darum, stolz darauf zu sein, in welcher Klasse die Mannschaft spielt. Würden es die wirtschaftlichen Verhältnisse zulassen, wäre es überhaupt interessant, mit der zweiten Mannschaft in die zweite Liga zu gehen. Aber die dafür notwendigen Mittel müsste ich anderswo einsparen und ich glaube nicht, dass jemand eine Freude hätte, wenn wir dafür beispielsweise drei Stammspieler der Kampfmannschaft streichen müssten und am Ende nur mehr am sechsten oder siebenten Rang stünden. Das Risiko ist mir zu hoch. Ziel ist es, diesen Regionalliga-Status zu halten, aber ohne Panik davor, dass unsere Ausbildung weniger gut funktioniert, sollte er nicht gehalten werden können.
Im zweiten Teil des Interviews, der kommende Woche erscheinen wird, sprechen wir mit Günter Kreissl unter anderem über die Vertragsverlängerung des Cheftrainers, die Rolle der steirischen Medien, Machtverhältnisse im Verein und Zukunftsaussichten.
sehr gutes interview mit unserem extrem sympathischen sportdirektor – kompliment. bin schon auf den 2. teil gespannt.
Ja, vor allem kommt mir vor, macht er sich wirklich a Menge konstruktive Gedanken (die a teilweise über sein alleinigen Verantwortungsbereich gehen)!!! Gedanken, die in den letzten Jahren bei Sturm sich niemand gemacht hat (zum teil aus Überheblichkeit, Faulheit, aber vor allem wegen schlicht+einfach fehlendem KnowHow) und alles immer oberflächlicher, „politischer“ (im Sinne von immer neuen tollen Reden+Plänen mit nix dahinter um uns Fans zu „begeistern“= verarschen) wurde..