Kommentar: Schwoaza Tag für alle Sturm-Fans

Wieso mich die Exzesse beim Derby nicht kaltlassen

Ich wurde nicht als Sturm-Fan geboren. Im Gegenteil. Das erste Stadion, in welches mich mein Vater mitgenommen hat, stand am Verteilerkreis in Wien-Favoriten. Mein Vater war violett, ich einfach nur ein Fußball-Fan.

Einer der prägendsten Momente meiner Kindheit? Als ich zum ersten Mal bei einem Wiener Derby dabei war. Zusammen mit meiner älteren Schwester saß ich im neutralen Block, ich war zehn oder elf Jahre alt. Schon vor dem Anpfiff war die Hölle los. Rechts unfassbare Choreografien, links unfassbare Choreografien. Zum ersten Mal hatte ich bei einem Fußballspiel echte Gänsehaut.

Austria-Fan wurde ich deswegen aber keiner. Den FAK fand ich ganz nett und deutlich sympathischer als Rapid. Funke wollte aber keiner überspringen. 

Erst in Graz fand ich meine Heimat

Erst als ich vor sieben Jahren nach Graz kam, um Geschichte zu studieren, hatte ich zum ersten Mal für einen Verein echte Gefühle: Für den SK Sturm Graz. Bright Edomwonyi und Deni Alar waren die seltsamste Sturmspitze der Welt, aber der Konterfußball machte verdammt viel Spaß und Uroš Matić war einfach ein unfassbar geiler Kicker. Nach ein paar Wochen in der Steiermark hatte ich den Schloßberg ein paar mal besucht, ein paar Mal die Murpromenade – aber das Wichtigste fehlte noch: Das Stadion.

Am 11. Dezember 2016 wurde es schließlich Zeit. Spitzenspiel gegen Salzburg. Mit einem Sieg wäre man Tabellenführer. Foda bringt Zulechner und Schmerböck von der Bank, seine stärksten Waffen. Berisha trifft für RB, knappe Niederlage. Tschick-Geruch und lauwarmes Bier. 90 Minuten lang unfassbare Stimmung von der Nord – trotz Niederlage. Sie feierte jeden Ballkontakt, jede Grätsche, jeden Abschluss.

Am nächsten Tag kaufte ich mir eine Sturm-Haube. Hätte ich mehr Geld gehabt, wäre es wohl ein Trikot geworden oder ich hätte den gesamten Shop leer gekauft. Das Sturm-Logo bedeutete mir plötzlich etwas. Schwarz-weiß, eigentlich keine Farben, aber für mich die schönsten der Welt. Und meine Liebe zu Sturm sollte in den kommenden Jahren nicht kleiner werden.

Ich ging immer öfter ins Stadion, erlebte immer öfter die Kurve mit, aber immer von der Ost aus. Ich bin einfach kein Ultra. Ein einziges Mal stand ich auf der Nord. Ein Freund hatte mir seine Dauerkarte geliehen. Und ich sage euch Eines: Es war unfassbar geil. Ich hatte danach keine Stimme mehr und auch keine Ahnung, wie die Erzschwoazn es Woche für Woche schaffen, so eine Energie aufzubringen.

Jedenfalls ist mein Respekt vor jedem Einzelnen, der Sturm zu seinem Lebensinhalt gemacht hat, gigantisch. Und ich verstehe seit diesem Tag jeden, der nicht genug von der Kurve bekommt, der am liebsten dort und nirgendwo anders beerdigt werden würde.

Gewalt hat nichts mit dem SK Sturm zu tun

Aber die Vorkommnisse der letzten Wochen sind durch keine Pyroshow, keinen Gesang und keine Choreo zu rechtfertigen. Sie haben mit Fußball nichts zu tun, sie haben mit dem SK Sturm Graz nichts zu tun. „Vuigas“ – darunter habe ich etwas vollkommen Anderes verstanden.

Wenn acht Menschen auf einen am Boden liegenden Menschen einprügeln, ist es mir egal, wer rote und wer schwarze Trainingsanzüge trägt. Wenn Menschen im Krankenhaus landen, nur, weil sie die falsche Farbe tragen oder weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren – dann werden Existenzen ruiniert, aber ganz sicher keine Zeichen gesetzt. Wenn sich einfache Standler fürchten müssen, überfallen zu werden, ist eine Grenze erreicht – nein – dann wurde die Grenze längst überschritten.

Ich bin mir völlig bewusst, dass die überwiegende Mehrheit der KurvengeherInnen überhaupt kein Interesse an Gewalt und Eskalation hat. Für die restlichen Leute schäme ich mich aber sehr. Weil diese Menschen mit jedem Tritt, jedem Schlag und jedem Übergriff das kaputt machen, was ich am SK Sturm Graz liebe.

Teils kam es an öffentlichen Plätzen zum Schlagabtausch – ob Messe, Mehlplatz oder Stadion. Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Wer sich nur ein bisschen mit Massenpsychologie auseinandersetzt, weiß, wie schnell sich anfangs harmlose Provokationen in eine richtig hässliche Richtung entwickeln können.

Was ich am SK Sturm Graz liebe? Hier ist jedeR willkommen. Hier wird Stimmung von der ersten bis zur letzten Minute gemacht, egal, wie beschi**en die Mannschaft eigentlich gerade spielt. Hier werden einzelne Idioten klar zurechtgewiesen – wer erinnert sich noch an den Becherwerfer? Wir brauchen keine Feindbilder, um zu wissen, wer wir sind. Wir haben ein Leitbild und in dem steht nichts von Gewalt.

Hirnlose Aktionen waren in Österreich bislang fast ausschließlich für die Wiener Vereine reserviert. Das Wiener Derby war einer der prägendsten Momente meiner Kindheit. Weil meine Schwester und ich nach dem Abpfiff fast eine Stunde lang festsaßen. Austria- und Rapid-Fans bewarfen sich gegenseitig mit Steinen, die Polizei ließ niemanden vorbei. Aus anfänglicher Begeisterung wurde pure Angst. Vielleicht ist auch das einer der Gründe, wieso mein Herz heute nicht violett, sondern schwarz-weiß schlägt.

Und weil ich Sturm liebe, weil ich hier großartige Spieler und noch großartigere Menschen kennengelernt habe – gerade deshalb lassen die letzten Wochen in mir Zorn, innere Leere und viele offene Fragen zurück.

Ein Kommentar von Micha Pesseg

18 Kommentare

  1. florian sagt:

    Danke für diesen großartigen Artikel!

  2. sinnierer sagt:

    Danke…
    Gebt diesen gewaltbereiten Strömungen keine Chance.

  3. blackfoxx sagt:

    der letzte Absatz spricht für sich – wie schon mal erwähnt, gehe ich mit meinen Kindern nur ins Stadion, wenn der Gegner „unattraktiv“ ist, aber niemals gegen Rapid, Austria oder auch GAK…liegt einerseits am Stadion selbst, da bei voller Hütte für Kinder „unbrauchbar“, großteils aber daran, dass ich nicht will, dass meine Kinder Angst bekommen, wenns vor bzw. im Stadion zu Ausschreitungen kommt. dann wars das nämlich mit der Begeisterung für Sturm…

  4. Adriano10 sagt:

    Diese Vollidioten sollen zuhause bleiben. Das sind keine Sturm Graz Fans!!! Der ganze Ruf wird durch euch zerstört, so etwas macht mehr als ihr glaubt. Auch mit der Mannschaft und wenn es nur das kleinste Etwas ist, es ist sinnlos.
    Danke für goa nix ihr Wi….

    • Eisenfuss sagt:

      und was willst damit jetzt sagen? Dass eh alles gut ist?
      Es ist gut dass über die Vorkommnisse beim Derby nicht so schnell Gras wächst wie sonst immer.
      Es ist gut dass endlich über die Problemkinder von Sturm gesprochen wird.
      Es ist gut dass Jauk endlich, wenn auch viel zu spät, Stellung bezieht!
      Ich hoffe dass es dieses Mal endlich wirkliche Konsequenzen gibt.
      Denn nur so kann man auch in Zukunft mit seinen Kindern ohne mulmliges Gefühl zu einem Derby gehn.

    • Alf69 sagt:

      @Eisenfuss: ich will damit gar nix sagen! Meine deutliche Meinung über das Geschehene und meine Haltung dazu kannst du gerne in meinen anderen Postings nachlesen!

      Wogegen ich mich verwahre, sind pauschale Verurteilungen wie jene von René Ziesler, der 4.000 Supporter mit den Trotteln der Cupnacht in einen Topf wirft. (https://tvthek.orf.at/profile/Steiermark-heute/70020/Steiermark-heute/14200282/Was-tun-mit-radikalen-Fans/15502567) Das trägt zur Deeskalation rein gar nichts bei, im Gegenteil, dadurch wird nur noch mehr Öl ins Feuer gegossen. Ihr Posting geht in die selbe Richtung!

      Liebe Grüße ein Längseitenfan, der beim Cupspiel in der Nord stand

    • Eisenfuss sagt:

      Sorry, war bei meiner Antwort an dich noch nicht ganz abgekühlt vom Posting weiter unten.
      Alles gut, den Standpunkt versteh ich total, bin ja auch 10+ Jahre in der Kurve gewesen und wollte auch nicht mit dem Mob in einen Topf geworfen werden.

  5. Sgt. Abbey Road sagt:

    Großartiger Artikel! Ich bin zwar ein bisschen länger Sturm-Fan, aber ich hatte nach dem Derby einen ähnlichen Gedanken: Sturm darf beim Thema Fangewalt nicht zu Rapid werden!

  6. Eisenfuss sagt:

    Ich hab heute die Videos gesehen, vom Fanartikel Stand und vom GAK Jugend Trainer der ganz mutig von 10-15 Leuten vermöbelt wurde. Ich muss sagen, ich hab mich noch nie so sehr dafür geschämt Fan eines Vereins zu sein, der auch solche Tiere, solches Ungeziefer anzieht. Denn genau das seid ihr!
    Ich hoffe ihr geht alle in den Häfn, umso länger umso besser!
    Ihr seid die Schande dieses Vereins und je früher man euch los wird umso besser! Jeder Längsseiten oder Schönwetter Fan ist ein besserer Supporter für Sturm Graz als ihr, da könnts während den 90 min noch so a gute Stimmung machen, wenn ihrs davor und danach wieder 1000fach zunichte machts.
    Angefangen khört beim Einpeitscher (Hr. Parfi waren Sie das?) in der Gruabn, sportliche Rivalität wärend der 90 Minuten alles gut, aber der Aufruf zum Hass, den die Dummies dann zur Rechtfertigung für Gewalt an allen GAK Fans hernehmen? Gehts noch?
    Ich hoffe dass der Verein hier endlich hart Konsequenzen setzt, die Fanklubs dürfen wieder in den Gremien mitreden wenn sie ihre Chaoten im Griff haben, bis dahin sind sie von jeglicher Mitsprache ausgeschlossen.

    • Sgt. Abbey Road sagt:

      Nein, der Herr Parfi hat vor kurzem als Vorsänger aufgehört und hat vor einem Jahr vor dem Derby auch ganz andere Worte gefunden.

    • Mikelangelo sagt:

      Kommentar gelöscht

      Nochmals der Hinweis: Könntest du es bitte unterlassen, da du ja ganz offensichtlich es nicht einmal weißt – Personen in diesen Zusammenhang namentlich zu erwähnen.

  7. Sturmmani sagt:

    Vielen Dank für diesen Artikel, mit dem du einigen Schwoazen aus der Seele sprichst, auch wenn bei wohl jeder Person ein anderer Grund tragend wird, warum man den SK Sturm liebt.

    Aber eines eint wohl die Meisten und darüber bin ich sehr froh: Wir brauchen diese W????er nicht! – Weder im Verein und schon gar nicht im oder vorm Stadion.

    Gibt’s eigentl. schon eine Reaktion der Kurve???

    • Mikelangelo sagt:

      Gegenfrage: Hast du eine Stellungnahme zu den Randalen gegen Bergamo, Eindhoven (Molly Malone) oder Altach gelesen? Die letzte Stellungnahme gab´s glaub ich bei dem Radau seinerzeit in Kapfenberg.

      Wenn´s eine Stellungnahme geben sollte, dann auf kollektiv1909.

  8. flo1909 sagt:

    Ich bin wahnsinnig dankbar für diesen Artikel. Denn neben alledem was natürlich nicht ok war, zeigt dieser so wahnsinnig offen von dem Kulturkampf der halt auch tobt, zwischen neuer Gentry im Stadion und alter Subkultur. Es ist immer wieder schön zu sehen wie gegen alle Art von Subkultur immer due gleichen Argumente vorgebracht werden, wie es letztlich eigentlich immer um das gleiche geht, das Zerstören von Subkultur durch extremen Anpassungsdruck, besonders wenn das Neuerdings so niedlich alternative daherkommt…

  9. Erzschwoarza sagt:

    Sehr guter Artikel. Als kleiner Bub nahm mich mein großer Bruder immer am Gak platz mit. Ich kann mich auch noch an das Spiel Gak vs Arsenal erinnern mit Alexander Manninger im Tor, Endergebnis 0:0.
    Der Funke wollte auch bei mir nie überspringen, obwohl ich bei einem Tor für den Gak immer mitgejubelt habe.
    Ich fand mich dann ab 1998 mit Abo im Schwarzenegger Stadion wieder, aber in Schwarz Weiß gekleidet und bin seit 98 Treuer und vor allem ein sehr emotionaler Sturm Fun. Heute ohne Abo, aber dafür Mitglied!
    Ich äußere auch oft Kritik, wie in den seuchen Jahren, wo wir echt oft verloren haben, ich aber trotzdem 5 bis 6 mal pro Saison zu Spielen ging, obwohl ich im vorhinein gewusst habe, dass wird heute nix.
    Als wir damals fast abgestiegen wären, als 9ter und in der Letzten runde den Klassenerhalt Geschäft haben, war ich live vor dem Tv und habe mit gefiebert.
    Als Sturm Fan wird man geboren, deswegen springt dann auch der funke bei einem anderen Verein, wie zB bei mir für den Gak nicht um und als ich zum ersten mal im Schwarzenegger Stadion war, wusste ich, dass ist mein Verein, nicht der in Rot, sondern der in Schwarz/Weiß.

    Auf die 50 Volltrotteln vom letzten Derby kann ich aber verzichten.

    Jetzt muss man als Fußball Fan schon angst haben, dass man nach einem Derby zusammengeschlagen wird, nur weil man andere Farben trägt.
    Viele meiner freunde sind Gak Fans, mit denen trinke ich beim spiel zusammen und man ärgert sich dann gegenseitig etwas, aber dass ich jetzt freunde zusammen schlage nur weil sie Gak Fans sind, das gab es noch nie, generell, auf wenn es fremde wären.

    Jeder hat das recht den verein zu lieben, bei dem man sich eben wohl fühlt.

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