Kein perfekter Tag – aber Sturm bleibt Tabellenführer

Es gibt perfekte Tage, es gibt mittelmäßige Tage und es gibt Tage, an denen einfach alles schiefläuft. Der heutige Sonntag, so dachte ganz Graz bereits am frühen Morgen, würde ein perfekter Tag werden. Heimspiel gegen den TSV Hartberg. Der kleine Freund aus der Oststeiermark wurde nicht als echte Bedrohung wahrgenommen. Am Mittwoch wurde der Sportklub Sturm Graz österreichischer Pokalsieger. 2:1 gegen Rapid. Und nun, da war sich die gesamte schwarz-weiße Fangemeinde einige, nun sollte auch noch der Meistertitel folgen.

Bereits eine Stunde vor dem Anpfiff war am Stadion-Vorplatz jeder Quadratmillimeter von bestens gelaunten Blackys frequentiert. Strahlender Sonnenschein, drei Punkte Vorsprung auf Red Bull Salzburg. Es roch nach Bier, Würstel und dem nächsten großen Schritt Richtung Meisterschaft. Andere Gesprächsthemen als der mögliche Titelgewinn bekamen keinen Raum. Der rote Nachbar hatte ein paar Stunden zuvor Schützenhilfe aus St. Pölten bekommen und die Rückkehr in die Bundesliga fixiert. Eine Randnotiz, die vielleicht der Vollständigkeit halber erwähnt wurde – aber nicht die Aussicht auf wichtige drei Punkte trübte. 

Das gute alte Fingerspitzengefühl

Elf Sekunden nach dem Anpfiff scheiterte William Bøving aus kurzer Distanz an Hartberg-Torhüter Raphael Sallinger. Der Ball war nicht im Netz gelandet, aber hatte dafür gesorgt, dass nicht nur die Nordkurve akuten Bluthochdruck bekam, sondern das gesamte, ausverkaufte Sturmstadion Liebenau. Nur fünf Minuten später die nächste gefährliche Aktion: Mika Biereth kam aus kurzer Distanz zum Kopfball – zu zentral platziert, Sallingers Pranken verhinderten erneut Sturms frühen Führungstreffer.

Unmittelbar darauf folgte der große Schock. Jon Gorenc Stankovic hatte an der Mittellinie Jürgen Heil zu Fall gebracht. Zunächst hatte Schiedsrichter Christopher Jäger nur die Gelbe Karte gezückt. Dann folgte die Intervention aus Wien-Meidling. Jäger wurde vor die Wahl gestellt: War die Grätsche von Stankovic tatsächlich ein übles Foul? Er hatte Heils Knöchel erwischt. Aus Jägers Sicht genügte das, um Gelb in Rot umzuwandeln. 

JGS konnte es nicht fassen. Jägers Entscheidung war vertretbar, aber hatte nur 7 Minuten nach dem Anpfiff großen Einfluss auf die restliche Begegnung. Sein Fingerspitzengefühl hatte der 39-Jährige offenbar in seiner Salzburger Heimat vergessen. Der Traum von Sturms erster Meisterschaft nach 13 Jahren schien in diesem Moment wie eine große Seifenblase zu zerplatzen.

Als zehn Minuten später Maximilian Entrup das 1:0 für Hartberg erzielte, herrschte absolute Totenstille. Selbst die Nordkurve gab für ein paar Millisekunden keinen Laut von sich. Das passiert selten, eigentlich nie. Wird doch wieder Salzburg Meister? Unterzahl, Rückstand, ein Schiedsrichter, der sämtliche strittigen 50:50-Situationen zugunsten der Gäste auslegt – Anlass zur Hoffnung gab es wenig. 

Der Glaube an das Wunder

Es brauchte einige Minuten, ehe sich auf den Rängen frischer Optimismus auszubreiten begann. Hartberg ist keine Übermannschaft, Sturm hatte erst jüngst im Pokalfinale bewiesen, dass man auch nach Rückstand gewinnen kann und Wunder gibt es immer wieder. Warum nicht auch heute?

Unmittelbar nach dem 0:1 beratschlagte sich Otar Kiteishvili mit Trainer Christian Ilzer. Man musste auf die Unterzahl reagieren, ohne ins offene Messer zu laufen, ohne unnötige Konter zuzulassen. Bald nach der Unterredung reagierte Ilzer mit seinem ersten Wechsel: In Minute 30 wurde der bereits verwarnte David Affengruber durch David Schnegg ersetzt. Ein zusätzlicher Spieler wurde ins Mittelfeld beordert. Bøving wich auf den linken Flügel aus, Alexander Prass und Kiteishvili kümmerten sich abwechselnd darum, das Zentrum dichtzumachen.

Es folgte eine klar erkennbare Leistungssteigerung: In der 42. Minute vergab Bøving nach tollem Steckpass von Kiteishvili die erste große Chance auf den Ausgleich. Als es kurz darauf in die Halbzeitpause ging, musste erst einmal der Schock verdaut werden. Große Party am Hautplatz? So nicht. Und als ein intelligenter Fernschuss von Prass nur den Außenpfosten touchierte (51. Minute), schien das Schicksal dem SK Sturm einen großen Streich zu spielen.

Kein Wunder, aber der Ausgleich

Doch die Blackys gaben nicht auf, steckten den Kopf nicht den Sand – und wurden für ihren Kampfgeist belohnt. Minute 58: Ein Moment, von dem wir vielleicht noch in 60, 70 Jahren erzählen werden. Oto, der König höchstpersönlich, der Künstler, von dem niemand weiß, wieso er nicht schon längst in einer europäischen Topliga spielt, übernahm die Verantwortung, startete einen wundervollen Alleingang, schob das Runde ins Eckige, erzielte das 1:1, steckte ganz Graz in Brand. 

Als in der 62. Minute Schiedsrichter Jäger die Gelbe Karte für Mika zückte, weil der von einem Hartberger gefoult worden war, wurde der Mann mit der Pfeife von der Kurve mit ein paar nicht besonders höflichen Gesängen bedacht. Das war kein Zufall. Es gilt die alte Regel: Wenn nach dem Schlusspfiff über den Schiri gesprochen wird, dann hat der Schiri kein gutes Spiel gemacht. Wir bleiben lieber jugendfrei und sparen uns jeden weiteren Kommentar.

Wie dem auch sei, Ilzer hatte keine Lust darauf, bald mit 9 Profis auf dem Platz zu stehen. Also wurde Mika vom Platz genommen und Seedy Jatta kam ins Spiel. Mit seinem enormen Tempo stellte der Norweger den TSV vor eine neue Herausforderung.  In der 75. Minute kam Seedy beinahe aus kurzer Distanz zum Abschluss, die ersten Fans hatten sich bereits von ihren Sitzen erhoben. In der Schlussphase passierte nicht mehr viel, eine Halbchance hier, eine Halbchance dort. 30 Sekunden vor dem Ende der Nachspielzeit hallte ein letztes Raunen durchs Stadion, fast hätte Hartberg den späten Siegtreffer erzielt. 

Niemals aufgeben

Das heutige Spiel verlief nicht wie erwartet. Ein Unentschieden gegen Hartberg – darauf hätten wir alle verzichten können. Trotzdem fühlte sich der Schlusspfiff wie eine Erlösung an.

Die Mannschaft hat bewiesen, dass sie bereit für die Meisterschale ist. Sie spielt nicht nur richtig guten Fußball. Sie ist bereit, den Kampf anzunehmen, mit Rückschlägen umzugehen. Und wenn sich Herr Jäger einbildet, auch noch den dritten Eckball stattfinden lassen zu müssen – dann bleibt der SK Sturm trotzdem Tabellenführer, dann hat er trotzdem die Meisterschaft in der eigenen Hand. Ein Sieg in Linz, ein Heimsieg gegen Klagenfurt – das ist nicht unmöglich, selbst ohne den gesperrten Stankovic.

Wenn die Meisterschale zum elften Mal hintereinander an die Dosen geht, hat sich dieses Team dennoch jeden Applaus dieser Welt verdient. Wer sich in über 80 Minuten Unterzahl ein 1:1 erkämpft, hat bewiesen, dass er Meister werden will. Wer seine Träume erst aufgibt, wenn gar nichts mehr möglich, der hat sich verdient, dass diese Träume manchmal Wirklichkeit werden. Und der hat sich auch verdient, bis zur letzten Sekunde besungen und gefeiert zu werden.

Burschen, die Saison ist noch nicht zu Ende. Wir sind stolz auf euch! Sturm Graz allez!  

Daten zum Spiel