Heute gilt „Friss oder stirb“

Otto Konrad im Gespräch mit SturmNetz.at

Herr Konrad, mit Tobias Schützenauer gibt es in dieser Saison zumindest die theoretische Möglichkeit, dass ein Grazer Eigenbauspieler in einem Bundesligaspiel den Sturmtorwartpullover überstreift. Der Letzte dieser Art waren Sie, vor mehr als 20 Jahren. Sind Sie sich dessen bewusst?

„Stimmt eigentlich. Warum dem so ist, da muss man ein wenig ausholen und sich fragen: Wie kann so etwas überhaupt funktionieren? Das kann ein sehr langer Weg sein und man braucht dementsprechende Unterstützung. Bei mir war es so, dass ich diesen Support von den Trainern Ludescher und Pflug bekommen habe. Ich hatte zwar auch meine Tiefs, aber insgesamt gesehen, habe ich die Chance einfach genutzt.“

Verfolgen Sie die Entwicklung bei Sturm noch genug, um ein Urteil über Tobias Schützenauer abgeben zu können?

„Der Name ist mir schon öfter untergekommen. Gerhard Goldbrich habe ich erst unlängst den Rat gegeben, Talenten, von denen es ohne Frage einige gibt, auch nachhaltig eine Chance zu geben. Man muss sich immer die Frage stellen, wie kann ich so einer Zukunftshoffnung möglichst viel Spielpraxis geben. Aber dass Back-Ups dementsprechend aufgebaut werden, passiert in Österreich leider Gottes immer seltener.“

Hat man bei Sturm heute noch diese Zeit oder sind die Ansprüche mittlerweile andere?

„In den letzten Jahren befand sich Sturm einige Male in einer Situation, wo diese Zeit dagewesen wäre. Trotzdem hat man immer wieder Torhüter aus dem Ausland oder von einem anderen österreichischen Verein geholt. Das ist zugegebenerweise der leichtere Weg. Funktioniert es nicht, ist der Torwart wieder schnell Geschichte. Ein eigenes Talent aufzubauen ist schwerer: Da müssen mehrere Faktoren zusammenspielen, damit das gut geht. Er muss das Vertrauen der Fans gewinnen, er muss auch die Unterstützung der Medien haben, er darf sich von Trainerwechseln nicht aus der Bahn bringen lassen und die Zeit dafür muss einfach reif sein. Die Ausbildung von einem Tormann ist mit vielen Hürden behaftet. Man braucht schon bei den Nachwuchsteams einen Förderer, damit man zum Spielen kommt. Und diese Spielpraxis ist das Allerwichtigste. Schon in der Jugend, dann bei einer Amateurmannschaft und natürlich auch in der Bundesliga.“

War es zu Ihrer Zeit einfacher für einen Torhüter diese Zeit beanspruchen zu dürfen?

„Wenn man meine Generation anschaut, gab es zu damals bei vielen Vereinen einen natürlichen Wechsel. Konsel bei Rapid, Wohlfahrt bei Austria und so weiter, damals wurde gezielter ein Nachfolger aufgebaut und der Zuschauer hat das akzeptiert, dass jemand langsam herangeführt wird. Heute gilt das Motto: Friss oder stirb! Spielst du gleich zu Beginn gut, hast du den ersten Schritt geschafft. Nutzt du dann allerdings diese Chance nicht, ist man gleich wieder weg. Als Beispiel sei hier etwa Lukas Königshofer von Rapid genannt: Das Einser-Leiberl hat er sich geholt, er hat Novota aus der Ersten rausgespielt. Die Bestätigung war dann schwerer für ihn. Da begann er Fehler zu machen und heutzutage kann sich ein Verein, wie beispielsweise Rapid Wien, es sich nicht mehr leisten, zu sagen: „Okay, das hat uns ein paar Punkte gekostet, aber wir stehen weiter zu unserem Torhüter.“ Es ist nun Mal so: Wenn die Leistung des Goalies nicht passt, hat das auf die Gesamtleistung einer gesamten Mannschaft enorme Auswirkungen.“

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(c) J. Dietrich

Und was für Rapid Wien gilt, gilt folglich wohl auch für den SK Sturm.

„Natürlich. Sturm Graz hat auch mittlerweile den Anspruch, sich jedes Jahr für das internationale Geschäft qualifizieren zu wollen. Bei Fehlern wird sofort zu diskutieren begonnen, eine langfristige Nummer Eins zu werden ist heute viel schwieriger geworden. Der Fußball ist einfach viel kurzlebiger geworden.“

Was können Sie aus Ihrer Erfahrung einem dritten Torhüter mitgeben, wie soll man sich verhalten? Von Ihnen wurde gesagt, Sie waren zu Ihren Konkurrenten gleich hart wie zu sich selbst. Michael Paal hat mir etwa einmal erzählt, dass man euch beide, aus Angst dass der eine dem anderen weh tut, gar nicht mehr zusammen trainieren hat lassen, Walter Saria hat Sie höflich als ersten Vollprofi bezeichnet, der dem persönlichen Erfolg alles unterordnete.

„Das mag schon sein. Mit Michael Paal verstehe ich mich mittlerweile hervorragend, nächstes Jahr werde ich mit ihm in St. Pölten bei einem Triathlon zusammen starten. Damals allerdings hatte ich immer nur ein Ziel vor Augen: Ich wollte mir nie den Vorwurf gefallen lassen müssen, ich hätte nicht alles für den Erfolg getan. Und wenn Walter Saria von mir behauptet, ich wäre der erste Vollprofi gewesen, der alles untergeordnet hat, ehrt mich das sogar noch heute.“

Mit Michael Esser wurde diesen Sommer wieder ein Torhüter aus dem Ausland geholt. Allerdings einer, der immerhin Stammtorwart in der zweiten deutschen Bundesliga war. Ein Selbstläufer oder kann auch so etwas auch schief gehen?

„So einfach kann man es sich nicht machen. Ich sage immer, das Wichtigste ist, dass das Umfeld passt. Nehmen wir nur das Beispiel Roman Kienast. Für den passt es in der Steiermark, darum ist er hier auch erfolgreicher als anderswo. Dasselbe wird bei Esser sein. Wenn er richtig aufgenommen wird, wenn er sich wohl fühlt, wird er auch gute Leistungen bringen. Prinzipiell kann ich nur sagen, die körperlichen Voraussetzungen sind bei ihm da. Ich habe ihn nur kurz gegen Besiktas gesehen. Ein Gesamturteil abzugeben, ist von meiner Position aus nicht möglich. Das kann man nur dann machen, wenn man mit einem Torhüter über einen längeren Zeitraum gearbeitet hat. Es gehört immer wieder auch Glück dazu. Daher sollte man sich immer auch um einen guten Back-Up bemühen. Das fehlt mir in Österreich generell etwas. Einen Klassetorhüter auch auf der Zweierposition kann sich hierzulande fast niemand leisten.“

Bei Nachfolgern im Sturmtor wie beispielsweise Radakovic, Hoffmann, Focher oder Pliquett: Hat da einem Otto Konrad manchmal das Herz geblutet?

„Ich muss ganz ehrlich sagen, auf der Torhüterposition hat sich Sturm nicht immer ganz glücklich bewegt. Ich möchte hier nirgends hinhacken. Aber wenn man einen Torhüter holt, sollte der schon vorher über einen längeren Zeitraum eine echte Nummer gewesen sein, wo man sagen kann, auf den kann ich mich verlassen. Ein guter Torwart muss am Ende der Saison der Mannschaft acht bis zehn Punkte gebracht haben. Fehler dürfen ruhig passieren, aber unterm Stich ist es dann eine gelungene Investition, wenn er diese Punkte für das Team erobert.“

Das kam in den letzen Jahren zugegebenermaßen selten vor.

„So ist es. Man braucht sich ja nur die Transferpolitik anzuschauen. So alle zwei Jahre wird wieder ein neuer Torhüter benötigt. Und jetzt kommt der springende Punkt. Ich frage Sie: Wie haben sich diese Torhüter weiterentwickelt?“

Focher ist Immobilienmakler geworden, Pliquett ging in die dritte spanische Liga, Hoffmann hat noch einige Spiele in der vierten deutschen Liga absolviert und dann seine Karriere beendet und Radakovic wechselte zu einem kleinen Klub in Serbien.

„Genau so etwas ist der wesentliche Parameter. Wenn ich einen Spieler hole und er verlässt den Verein, steigt er eine Stufe höher oder verschwindet er? Ich frage jetzt, wann ist ein Sturmtorhüter gegangen und hat sich verbessert?“

Der Letzte war auch in diesem Fall Otto Konrad. Damals vom Mittelständer Sturm Graz zum zukünftigen Meister Austria Salzburg.

„Genau das ist augenscheinlich. Denn bei den Feldspielern kann ich einige aufzählen, die Sturm auch als Trittbrett genommen haben und sich verbessert haben. Da muss man sich fragen, warum man das auf der Torhüterebene nicht geschafft hat. Das muss nicht immer an den Torhütertrainern liegen.“

Bei Sturm ist ja im Moment Martin Klug Torwarttrainer, der selber nie Bundesliga gespielt hat. Kann das ein Problem sein?

„Das muss nicht so sein. Auch hier gibt es einen einfachen Indikator: Wenn der Torwarttrainer im Falle einer Neuverpflichtung entscheiden darf, wer geholt wird, dann weiß er, dass er seinen Job richtig macht und auch dementsprechend das Vertrauen des Vereins genießt.“

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(c) J. Dietrich

Glauben Sie, kriegt Christian Gratzei, ein paar Jahre eine echte Konstante, in den letzten Jahren allerdings auch vermehrt fehleranfällig, nochmals die Kurve?

„Ich traue dem Christian auf alle Fälle noch ein, vielleicht auch mehrere, gute Jahre zu. Der Christian ist jetzt schon ein Jahrzehnt bei Sturm, ist mittlerweile eine echte Institution. Als ich bei Leoben war, war er dritter Torhüter. Damals hatte ich das Gefühl, dass er nicht verbittert darüber war, nicht die Nummer Eins zu sein. Er ist dann über Umwege zu Sturm gekommen. Und erbrachte zweifellos tadellose Leistungen.“

Es scheint manchmal so, Gratzei braucht das Gefühl, die unumstrittene Nummer Eins zu sein. Sobald das mal nicht mehr so klar war, ist er immer unsicher geworden. Teilen Sie diese Einschätzung?

„Das mag sein. Es ist eine mögliche Interpretation. Grundsätzlich braucht jeder Spieler Unterstützung und Vertrauen. Ein Torwart noch viel mehr. Bei einem Feldspieler hat jeder zehnte Fehler Folgen, bei einem Torwart jeder zweite.“

Teilweise wird auch kritisiert, dass sein Vertag erneut verlängert wurde, anstatt Schützenauer als echten Backup hinter Esser aufzubauen. Stimmen Sie dem zu?

„Ganz ehrlich. Wer jetzt die Nummer Zwei oder die Nummer Drei ist, ist so wesentlich wie erster oder zweiter Platzwart. Auch wenn Gratzei die Nummer Zwei ist und ich will einen jungen aufbauen, muss ich Christian dahingehend unmissverständlich die Anordnung geben und ihm klar machen, dass eine seiner Aufgaben auch ist, den jungen Torhüter aufzubauen. Da muss man ein Arrangement finden.“

Wird es irgendwann einen Otto Konrad als Torhütertrainer bei SK Sturm Graz geben?

„Mein Gott, ausschließen tue ich prinzipiell gar nichts. Der Fußball hat mir sehr viel gegeben. Aufgrund meiner politischen Arbeit (Anmerkung: Otto Konrad ist Abgeordneter beim Team Stronach in Salzburg) habe ich ja auch meine Tätigkeit als Nationalteamtorhütertrainer beenden müssen, weil es sich zeitlich nicht mehr ausgegangen ist. Prinzipiell ist Sturm – aber auch Salzburg – einer der zwei Vereine, denen ich alles zu verdanken habe. Daher wird der Verein immer etwas Besonderes bleiben. Meine zwei Herzensvereine sind allerdings nicht zu vergleichen. Das ist wie wenn man ein Rallyeauto mit einem Formel-1-Wagen vergleicht. Das geht nicht. Ich kann sagen, ich bin mit beiden gefahren und habe mit beiden gewonnen.“

 

1 Kommentar

  1. mahoni sagt:

    Fragt´s einmal den Walter Saria wie der gute Konrad sein 1er Leiberl ergattert hat. Der kann euch Geschichten erzählen. Er war ein guter Tormann,- ohne Frage – aber er war einer der ersten der es auch richtig verstanden hat Politik zu machen.

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