„Heißer Sand …“
Es ist ein Samstag und ich bin beruflich in Hessen unterwegs. Gestern Lesebühne in Offenbach. Heute Abend Auftritt in Darmstadt. Dazwischen hat mir der Spielplan Werder Bremen als Gast bei der Eintracht in Frankfurt in den Terminkalender geschoben. Also Ticket für den Auswärtsblock organisiert, den geliebten „Moin“-Schal eingepackt und ab ins Stadion.
„Hallo Oberrang!“ ruft die Caillera von unten rauf. „Hallo Unterrang!“ antworten die unzähligen Werder-Aficionados lautstark zurück. Die Ersatzdroge Werder hält mich als Sturmfan in Deutschland bei Laune. 90 Minuten Stimmung, eine durchwegs positive Einstellung zum eigenen Verein, der den Fans dankbar zeigt, dass sie für ihn die Größten sind. Die Mannschaft bedankt sich nach jedem Spiel auf jedem Platz bei jedem Wetter mit Applaus. Auch heute wird sie das tun.
Chancentod Martin Harnik darf erstmals seit seiner Rückkehr neben seinem Jugendfreund Max Kruse von Beginn an ran. 4-3-3 wird gespielt. Auswärts. Gegen den Pokalsieger, den Adi Hütter seit kurzem noch nicht ganz so erfolgreich trainiert. Bremen unter Florian Kohfeldt ist am steinigen, beschwerlichen Weg zu alter Stärke. Eine brisante Ausgangslage und dennoch bin ich heute nicht nur auf das Sportliche gespannt.
In Chemnitz haben Ende August selbsternannte Retter Deutschlands aus fadenscheinigen Motiven Menschen, die anders aussehen, durch die Stadt gejagt. Hitlergrüße gezeigt. An längst vergangen gehoffte Zeiten erinnert und klargemacht: Rassistische Motive und Gedankengut aus der Nazizeit sind auch heute noch in Teilen der Gesellschaft sehr präsent.
Die Tage danach fühlten sich im öffentlichen Raum in Deutschland komisch an. Man spürte, dass die Leute sich damit beschäftigen. Im Radio. Im Fernsehen. In den Bahnen. An Haltestellen. Auf den Plätzen. Auch auf dem Weg zum Stadion. Überall fliegt ein „Chemnitz“ durch die Luft. Allgegenwärtig ist das Thema. Aber richtig den Mund aufmachen traut sich keiner. Auch im Stadion deklarierten sich viele Kurven und Vereine in der jüngeren Vergangenheit immer öfter als „unpolitisch“, um etwaige Fans nicht zu vergraulen, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen könnten.
Bei Werder ist das Vergangenheit, denn auch wenn der Verein oft Probleme mit rechten Fans hatte, so wurde hier stark dagegen vorgegangen. Die Ultras treten im Weser Stadion nun unter einem riesigen Banner auf. Sie singen, toben und leiden mit, wie alle anderen Kurven auch, aber wenn man ein Foto von der Kurve in Bremen macht, dann ist auch der größte Schriftzug immer mit dabei, der am Oberrang befestigt wird: Kein Fußball den Faschisten. Ein klares Statement, eine Haltung, eine Message an alle, die mit Werder zu tun haben: Egal was ihr macht, oder was ihr tut – diskriminierendes Gedankengut hat hier keinen Platz.
Auch heute treiben die Werder-Fans ihre Mannschaft in Frankfurt nach vorne, peitschen die Jungs sogar bis zum Sieg Dank einem Freistoß in der 95. Minute. Und dazwischen, während dem Spiel, mehrere Spruchbänder. „Chemnitz“ auf einem. „Lichtenhagen“ auf einem anderen. „Connewitz“, „Hoyerswerda“ und „Heidenau“. Darunter der wichtigste: „Der Nazimob wütet, der Staat sieht zu.“ und dazu „Deutschland, du mieses Stück Scheisze!“ [sic!] Das ist heftig. Das sitzt. Erst einmal sacken lassen.
Sich in den falschen Momenten als „unpolitisch“ zu deklarieren, ist alles andere als unpolitisch. Schweigen ist nicht immer Gold, schon gar nicht in diesem Kontext. Manchmal muss man Stellung beziehen. Ob als Kanzler, oder als Fankurve. Gerade auch als Fankurve. Wenn 16000 Leute im Stadion sitzen und die Kurve Worte schreit, dann müssen sie wohl gewählt sein. Nicht rassistisch. Nicht sexistisch. Nicht homophob. Der kleine aber feine Unterschied zwischen „ausgrenzen“ und „abgrenzen“. Man soll kritisieren. Man soll Unmut äußern. Man kann als Auswärtsgruppe ein sichtbares Statement gegen unverhältnismäßige Maßnahmen der Exekutive abgeben, wie es etwa die Wacker-Fans in Wien taten. Man soll eine schlechte Leistung auf Zypern kritisch hinterfragen. Man darf einen Ex-Spieler ein „Charakterschwein“ schimpfen. Ja, Letzteres ist nicht fein, sondern derb, sogar vulgär. Aber es ist nicht rassistisch. Nicht sexistisch. Nicht homophob. Es ist das, was ich mir von einer Kurve erwarte – klare Positionierung und genaue Wortwahl. Ich weiß so als Teil der Kurve genau, woran ich bin und wofür ich hier stehe.
„Schwul“ ist kein Schimpfwort. Und Affenlaute haben im Stadion nichts verloren. Bananen werden nicht geworfen, sondern gegessen, „Hurensohn“ ist ein sexistisches Schimpfwort, dessen Gebrauch auch nicht mehr zeitgemäß ist und eine Frau, sei es eine Mutter, die einen Sohn hat und in der Kurve steht, singt, hüpft und pfeift ist keine außergewöhnliche, mutige Sache. Das sollte alles normal und selbstverständlich sein. Werder Bremen ist vielleicht schon einen Schritt weiter als die Kurve meiner Schwoazen, wenn sie sich so klar gegen Gewalt, Hass und Neonazis aussprechen und im gesellschaftspolitischen Diskurs positionieren, aber viele Dinge haben sich auch in den letzten Jahren in Graz merklich verbessert.
Ich stehe im Auswärtsblock bei Frankfurt gegen Bremen und bin froh, dass ich bei der Gruppe Menschen im Stadion stehe, die nicht schweigen, wenn etwas offensichtlich Schlechtes passiert. Wenige Medien greifen die Spruchbänder der Werderaner später in den Nachrichten auf, aber jede einzelne Erwähnung unterstreicht die Wichtigkeit der Aktion. Kritik von Ultras ist berechtigt, wenn sie zur richtigen Zeit mit den richtigen Worten artikuliert wird. Sie erreicht Schichten, die sonst vom politischen Diskurs nicht gestreift werden und bringt Menschen dazu, sich mit Problemen zu beschäftigen. Ein Spiel dauert 90 Minuten und diese 90 Minuten gehören dem Fußball. Aber Stadionpublikum ist ein Abbild der Gesellschaft und genauso sind es die Akteure am und um den Platz. Ein Spruchband zu Spielbeginn der Halbzeiten zieht tausende Blicke auf sich, ohne den Spielbetrieb zu stören. Als Statement und Haltung. Als Message an alle, die mit dem eigenen Verein zu tun haben. Worte haben Gewicht und ich habe das Gefühl, dass, auch wenn das Parkett in letzter Zeit sehr hitzig zu sein scheint, die Leute in der Nordkurve Graz ihre Verantwortung sehr gut wahrnehmen und aufzeigen, wenn etwas schiefläuft – das wünsche ich mir auch in Zukunft. In diesem Sinne:
Heißer Sand, aber kein verlorenes Land und kein Leben in Gefahr, aber heißer Sand und die Erinnerung daran, was vor 80 Jahren war.
Liebes Sturmnetz Team,
sehr geehrter Herr Steinkellner,
ich verstehe nicht ganz was mit diesem Artikel bezweckt werden soll.
Die Sichtweise des Herrn Steinkellner ist für mich voll und ganz nachvollziehbar, hat aber meines Erachtens auf einem Fußball Portal nichts verloren.
Der Fan im Heimsektor (ich vermeide bewusst das Wort „Nordkurve“) besteht aus allen Farben und Gesinnungen.
Es glauben die Fanclubs immer irgendwelche Statements abgeben zu müssen, es ist für mich aber nicht glaubwürdig, für mich sind es eigentlich immer persönliche Empfindlichkeiten der Führungspersönlichkeiten der Fanclubs.
Solange es (organisierte) Raufereien zwischen Anhänger unterschiedlicher Vereine gibt und es zu Anfeindungen zwischen Polizei und Personen die glauben Anhänger des SK Sturm Graz zu sein gibt, ist so ein Artikel heiße Luft (Rechtsradikalismus hin oder her).
Ich bin seit fast 40 Jahren auf Sportplätzen unterwegs und auch auswärts immer als schwoaza erkennbar, habe aber nie Probleme mit anderen Menschen, im Gegenteil man kann die Ansichten anderer hinterfragen und ausdiskutieren (auch in Wien), man muss halt nur den „echten Fans“ aus dem Weg gehen.
Genauso immer den Polizisten die Schuld zuschieben ist auch einfach, wenn ich im Dienst bespuckt und auf übelste beschimpft werde lass ich meinen Frust auch mal beim falschen ab.
Solange kein Rapidler ohne Angst in der Nordkurve stehen kann ist das für mich auch eine Art von Rassismus.
swg
Danke „Schwoaza Peter“. Ihre Zeilen treffen den Nagel auf den Kopf.
Warum kann man denn nicht endlich aufhören seine privaten politischen Gesinnungen versuchen in die Kurve zu tragen bzw. durch Fußball zu verbreiten??
Es gibt in Österreich (Gott sei Dank) eine große Parteienlandschaft. Da sollte für jeden was dabei sein. Einfach dort hingehen und aktiv werden. Aber bitte lasst die Kurve in Ruhe. Dort muss es um Sturm gehen und die Mannschaft 90 Minuten lang egal ob zuhause oder auswärts zu unterstützen. Politik interessiert dort niemanden.
In diesem Sinne:
Politik Raus aus dem Stadion (Kurve)
Ois für die Schwoazn!
Sorry, aber bei diesem Artikel stellt es mir echt die Haare auf! Erstens komplett unreflektiert und einseitig und Zweitens wird der Grund, warum die Leute in Chemnitz auf die Straße gingen, überhaupt nicht erwähnt und somit wird eine Mordtat!!! komplett verharmlost! Nur das es angeblich „Neonazis“ waren, die Ausländer durch die Straßen jagten, wobei das auch zum Großteil kompletter Humburg ist! Scheinbar ist Hr. Steinkellner zwar ansonsten ein rechter wiffer Kerl, aber Vorkommnisse zu hinterfragen und nicht alles 1 zu 1 zu glauben, was einem die Medien vorgaukeln wollen/müssen, dazu ist er leider, wie so viele andere Menschen, nicht im Stande und das ist einfach sehr schade!
Und ich bin auch heilfroh, dass unsere Nord sich nicht der Werder Kurve in Bezug auf politische Aktionen angenähert hat und diesen „einen Schritt“ hoffentlich NIE machen wird! Würde nämlich sonst nicht mehr in die Kurve gehen und das Manifest der Antifa mitfeiern. Immerhin sollte der Support unserer Schwoazen im Mittelpunkt stehen und nicht „wichtige“ politische Botschaften! Dafür kann man sich bitte in einer Partei eintragen, oder zumindest bei Demos mitgehen, etc.
Gegen Rassismus zu sein ist also ein „Feiern des Manifests der Antifa“? Ich würde das eher Anstand nennen! Die Infos aus Chemnitz sind jedenfalls gesichert. Nazis haben Menschen dunklerer Hautfarbe verfolgt und verletzt. Außerdem gab es Überfälle auf jüdische Geschäftslokale. Und die Vollidioten, die sich aufgrund ihrer Trauer offenbar bemüßigt sahen, die rechte Hand gen Himmel zu recken und „Adolf Hitler Hooligans“ zu rufen, wurden nicht nur von „den Medien“ gefilmt und fotografiert. Wehret den Anfängen!
@Unterton: Man kann auch gegen Rassismus sein ohne dafür jedes Mal ein Fußballspiel zu missbrauchen, denn in Bremen passiert ja bald nicht mehr viel anderes, wenn man sich Choreos, Doppelhalter, Fahnen und Spruchbänder ansieht.
Ja, leider haben sich durch die Vorkommnisse auch einige Ewiggestrige bemüssigt gefühlt, verstärkter in Erscheinung zu treten, aber dennoch sollte es von der schrecklichen Bluttat eines oder mehrerer Asylwerber nicht ablenken. Das wird speziell von linker Seite komplett vergessen und praktisch die Täter/Opfer Rolle schon fast vertauscht und nur mehr Braun gesehen.
Leider leben wir in einer Zeit, wo das Teile-Herrsche Prinzip der Obrigkeit zur Spaltung der Bevölkerung immer mehr Wirkung hat.
Das Zitat „… aber Vorkommnisse zu hinterfragen und nicht alles 1 zu 1 zu glauben, was einem die Medien vorgaukeln wollen/müssen, dazu ist er leider, wie so viele andere Menschen, nicht im Stande und das ist einfach sehr schade!“ zeigt dieses Phänomen, wenn sich ungebildete Menschen schlauer halten, als andere; also genau das, was sie den Anderen vorwerfen. Traurig, dass so viele von diesen in Österreich herumlaufen.
Ich sehe gerade den Fußball als eine geeignete Ablenkung vom politischen Geschehen. Diese Ablenkung braucht man, denn die Politik bereitet einem meist nur Kopfschmerzen.
Und natürlich soll man sich mit dem Tagesgeschehen beschäftigen, aber in Zeiten der Informationslawinen braucht man wirklich auch hin und wieder eine Auszeit.
In einer freien Demokratie sollte man auch die Möglichkeit haben, sich den politschen Diskurs hin und wieder vom Leib zu halten. Deshalb finde ich, der Fußballplatz ist der falsche Ort für politisch motivierte Aktionen.
@Schwoaza Peter,
Es gibt bei unserem Verein zum Glück keine rechtsradikalen Tendenzen!
Bei anderen Vereinen gibt es dieses Problem jedoch sehrwohl! Ich darf nur an Lazio erinnern oder in Österreich an eine (verbotene!) Gruppierung der Austria die unlängst beim Rapid Spiel gegen Bratislava präsent war.
Deshalb halte ich diesen Artikel auf einem Fussballportal LEIDER NICHT fehlplatziert!
Sorry aber bei solchen Themen gibts keine zwei Seiten, da gibts nur eine und wenn man nicht auf der steht, ist man teil des Problems. Kein wenn und aber.
Damals gabs auch keine zwei seiten und da hat sich nix geändert. Punkt Aus Ende.
Habt alle Recht hier in diesem Forum: Leute zu töten ist verwerflich. Nazi zu sein ist nicht nur teppert, sondern auch gefährlich. Rassismus brauchen wir nicht. Alles hat mehrere Seiten – manches trotzdem nicht. und so weiter
Ich gehe ins Stadion, um in unsere schwarz weiße Welt einzutauchen, lese dieses Portal, weil es mir in vielem aus der Seele spricht, lese es aber als Sportportal.
Es ist natürlich schwer, nicht politisch zu sein. Selbst auf der vielzitierten einsamen Insel ist man sich ja selbst verantwortlich.
Politik also aus der Kurve oder dem Stadion verbannen, wird nicht gehen. Parteipolitik sehr wohl. Und das ist wichtig.
Sich von Blödianen jeglicher Art zu distanzieren, halte ich für vernünftig. Auch im Stadion. Zu jeder Zeit.
In diesem Sinne: vielen Dank Herr Steinkellner für Ihre Sichtweise und vielen Dank, geschätzte Kommentatoren für Eure Meinungen. Auf dass wir uns sie nicht gegenseitig aufs Aug drücken!
Auf die Schwoazn!