„Es wurde nicht immer mit fairen Mitteln gekämpft“
Mitte der 80er-Jahre gab es bei Sturm so manches Schmierentheater und so richtig ruhig wurde es um den Klub zu dieser Zeit nie. Man denke nur an die Entlassung von Trainer Markovic während! einer Bundesligapartie, die ersten Machtübernahme-Versuche von Hannes Kartnig etc.. Auf der Torwartposition war bis zu diesem Zeitpunkt – Walter Saria sei Dank – die Postition des Einser-Torwartes unumstritten. 1985 allerdings streift der junge Otto Konrad den Sturm-Torwart-Pullover anstatt des Dauerbrenners über, der zuvor über 15 Jahre eine echte Konstante war. Schon diese Übernahme geht zwar nicht immer ganz fair von statten – Saria spricht später darüber, dass mit Otto Konrad das erste Mal der Egoismus über den Sturmgeist gesiegt hat – rein sportlich allerdings ist der vom Grazer Sportclub gekommene Torwart für Sturm unbestritten ein echter Glücksfall.
Otto Konrad hat etwas, das ihn bei seinen Kollegen zwar oftmals schnell unbeliebt macht, ihn andererseits aber relativ schnell nach oben bringt. Beim Tormanntraining geht er zu seinen Rivalen manchmal dermaßen auf Körperkontakt, dass man schon beinahe Verletzungsabsichten vermuten kann. In Otto Konrads Schatten steht zu dieser Zeit ein junger – und von allen Experten als hochtalentiert angesehener – Torwart aus der Obersteiermark: Michael Paal. Der Schlussmann verdankt sein Engagement in der Bundesliga einem kuriosen Umstand: Im Alter von 16 Jahren sitzt Paal bereits beim FC Trofaiach auf der Reservebank, als in einem Meisterschaftsspiel der Einser-Goalie Rene Seitner (ein paar Jahre zuvor selbst Ersatztorwart bei Sturm) nach einem vermeintlichen Abseitstor ausrastet, auf den Schiedsrichter zustürmt, dafür die Rote Karte erhält und diese dann vor den Augen des verwunderten Referees eigenhändig zerreißt. Diese, gelinde gesagt, Überreaktion, zieht eine 17-Spiele-Sperre nach sich und so wird der junge Michael Paal über Nacht zum Einser-Goalie in der steirischen Landesliga. Da er seine Sache mehr als gut macht, wird so mancher Verein hellhörig und die damals noch drei großen heimischen Klubs – Sturm, GAK und Donawitz – sind von da an mehr als interessiert. Paal entscheidet sich letztendlich für Sturm und erinnert sich an diese Zeit heute so:
„Mein Leben war immer vom Sport geprägt. Allerdings war Fußballprofi nie mein angestrebtes Ziel. Als ich das erste Mal bei Sturm mittrainiert habe, im Übrigen genau einen Tag nach meiner Matura am BORG Eisenerz, haben meine Knie gezittert. Ich kannte diese Spieler bislang ja nur aus den Medien. Und plötzlich war ich ein Teil davon. Mit der Aufregung war es aber schnell vorbei, weil ich in Graz vorbildlich integriert wurde.“
Michael Paal erfüllt seinen Job als Ersatztorwart, kommt in seiner ersten Saison aber noch zu keinem Einsatz und wird daraufhin nach Donawitz verliehen. Als allerdings Walter Saria beschließt, Sturm zu verlassen, wird der Trofaiacher in die Landeshauptstadt zurückbeordert. So nimmt die Saison 1987/88 ihren Lauf. Otto Konrad steht im Tor (später sollte sich herausstellen, dass er oftmals auch verletzt antrat), doch knapp vor dem Meisterschaftsspiel gegen den VfB Mödling reißen bei Konrad drei Bänder im Sprunggelenk. Die Verantwortlichen im Klub werden jetzt nervös. In einer Blitzaktion überredet man, den im Frühjahr im Zwist gegangenen, Walter Saria zu einem Comeback. Da Sarias Herz noch immer schwarz-weiß schlägt, wird er weich und kehrt in die Gruabn zurück. So richtig sind die Klub-Verantwortlichen offensichtlich nicht überzeugt, dass der erst 20-jährige Trofaiacher Michael Paal Otto Konrad adäquat vertreten kann. Trotzdem steht beim Spiel gegen den VfB Mödling am 3. Oktober 1987 nicht Saria im Tor, sondern der Obersteirer. Von offizieller Vereinsseite begründet man diesen Schritt folgendermaßen:
„Sarias Trainingsrückstand ist enorm. Wir wagen uns noch nicht ihn sofort einzusetzen. Er wird bei der U21 eingesetzt, um wieder Spielpraxis sammeln zu können.“
In Wahrheit war es aber ganz anders, wie uns Michael Paal verrät:
„Walter Saria, den ich über alles schätze, hätte, wenn er nicht so ein Vorzeige-Profi und Mensch gewesen wäre, auch gespielt.“
Denn Saria, der Paal viel näher steht als Konrad, kam nur unter der Bedingung zurück, explizit nur die Nummer 2 zu sein. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass der Obersteirer seine Sache gut machen wird. Damit will Saria auch zeigen, dass er die Art und Weise, wie Konrad sich so manchen Rivalen vom Leib hält, nicht goutieren will. Und Paal, der in Graz zwar einst an der Universität inskribiert hat, aber mittlerweile als Polizist Tag- und Nachtdienste versieht, macht seine Sache gut. Die Medien loben ihn in den Himmel. Schon nach dem ersten Spiel gegen den VfB Mödling, das mit einem knappen 1:0-Sieg für die Blackies endet, ist Paal Man of the Match und auch im nächsten Spiel gegen Austria Klagenfurt (1:0) bleibt er ohne Gegentreffer. Selbst bei der darauffolgenden 0:2-Niederlage gegen Rapid Wien ist der Obersteirer laut Kronen Zeitung „der beste Mann am Platz“. An diese Zeit und an die Gruabn erinnert sich der Trofaiacher heute so:
„Die Gruabn war ein Erlebnis. Da ist dir schon beim Einlaufen die Gänsehaut rauf und runter gelaufen und ganz ehrlich, irgendwie hab ich mich unbezwingbar, unverwundbar gefühlt, sobald ich diese Stiege runter bin.“
Damit ist das befürchtete Torhüter-Problem bei Sturm endgültig vom Tisch, denn Paal spielt eine überragende Herbstsaison. Selbst als Konrad sich im Winter retour meldet, bleibt Paal die Nummer 1. Denn im letzten Training vor dem Frühjahrs-Auftaktspiel zur Meister-Play-Off gegen die Vienna bekommt Konrad einen Ball ins Gesicht und muss mit einer Blutung in der Augenkammer ins Spital. Michael Paal blickt auf dieses Duell – das damals eine ganze Generation von Sturmfans, für zumindest eine Halbsaison, spaltete – heute so zurück:
„Otto Konrad war vielleicht der beste Torhüter den Österreich zu dieser Zeit hatte. Nicht umsonst hat er später im Ausland gespielt, hat so ziemlich alles erreicht und war auch im Nationalteam. Allerdings konnte er es nicht ertragen, wenn einmal wer anders als er zwischen den Pfosten stand. Konrad hat ganz sicher nicht immer nur mit fairen Mitteln gekämpft. Vielleicht ist das im Profigeschäft ja auch erforderlich. Ich glaube, diese Härte hat mir gefehlt. Wir haben in dieser Phase nicht einmal mehr miteinander trainieren dürfen, denn die Verantwortlichen hatten Angst, dass dabei irgendwas passieren könnte. Mittlerweile verstehen wir uns wieder gut, aber dicke Freunde werden wir wohl nicht mehr werden.“
Zu Beginn der Frühjahrs-Saison und des Meister-Play-Off muss sich Walter Ludescher, den Paal noch heute als seinen Lieblingstrainer bezeichnet, eindeutig entscheiden, rudert aber, wie sich später herausstellen wird, dann doch zurück. Vereinbart war eigentlich, dass die Nummer 1 der Wintervorbereitung auch im Frühjahr die uneingeschränkte Nummer 1 bleibt. Michael Paal absolviert die ersten beiden Spiele gegen die Vienna und Rapid und überzeugt dabei auf voller Linie. Doch vor dem dritten Spiel im Meister-Play-Off gegen den Wiener Sportclub, damals mit Hans Krankl im Sturm, sagt der Trainer zu Paal:
„Michl, ich weiß nicht warum, aber morgen spielt der Otto.“
Jetzt rauscht es gehörig im steirischen Blätterwald. Diese Entscheidung sehen viele als unfair, ja gar unfassbar, an. Wilfried Silli von der Kronen Zeitung – die sich damals noch offen Kritik üben traute – etwa schreibt:
Für zehn Sturmspieler mag Walter Ludescher Trainer sein, für den elften ist er aber offenbar doch nur Partei. Weil der Sturm-Trainer das Tormannproblem am Jakominigürtel allemal nur so zu lösen pflegt: „Lass ich den Otto spielen, oder doch lieber den Konrad?“
Auch Otto Konrad selbst, der nach seiner Rückkehr ebenfalls hervorragende Leistungen erbringt und sich damit etwas vom Image des Ludescher-Günstlings löst, erinnert sich aus heutiger Sicht an diese Entscheidung des Trainers so:
„Ich habe damals selbst nicht verstanden, warum Ludescher mich aufgestellt hat und nicht Paal. Aber ich habe den Bonus, den ich bei diesem Trainer zweifellos hatte, eben auch jedesmal genutzt.“
Als Konrad allerdings einen Monat später beim 1:5 gegen den FC Tirol im Cup einen schwarzen Tag erwischt, denkt Ludescher nochmals um und Paal darf die Saison zumindest zu Ende spielen. Just in diesen vier Spielen wird die Vienna auswärts mit 4:1 besiegt, gegen Rapid gewinnt man zu Hause mit 2:1 und holt am Tivoli, auch dank eines überragenden Paal, ein heroisches 0:0. Man beendet die Saison auf dem hervorragenden dritten Platz, welcher zur Teilnahme am Uefa-Cup berechtigt. Trotzdem denkt Michael Paal nun erstmals über einen Vereinswechsel nach:
„Schon während dieser Saison bekam ich laufend Angebote von anderen österreichischen Bundesligisten. Innsbruck, Rapid und Salzburg wollten mich verpflichten, aber die verantwortlichen Herren von Sturm haben sich stets quergelegt.“
So ist Paal auch noch im Kader der vermeintlichen „Millionenelf“ der darauffolgenden Saison 1988/89. Mit der Zielsetzung gestartet, erstmals in der Vereinsgeschichte einen Titel zu holen, entpuppt sich diese Spielzeit als Seuchenjahr. Paal ist daran allerdings nur noch in zwei Spielen beteiligt. Gegen St. Pölten und gegen den Wiener Sportclub steht er im Tor. Beide Partien gehen klar verloren. Als in der Winterpause ein Angebot aus St.Pölten kommt, zeigt man sich in Graz plötzlich einem Verkauf des Torhüters nicht mehr abgeneigt.
„Der damalige Präsident von St.Pölten hat einiges an Geld in die Hand genommen und wollte mich unbedingt verpflichten. Komischerweise hatte Sturm jetzt nichts mehr dagegen. Außerdem wurde mir eine sehr interessante berufliche Tätigkeit am Magistrat versprochen und daher stimmte ich einem Vereinswechsel zu. In Graz war ich ja als Polizist im Einsatz, aber ich verspürte auch Lust auf eine berufliche Veränderung.“
Und beim VSE ST. Pölten, im Gegensatz zu Sturm 1989 für das Meister-Play-Off qualifiziert, ist Paal von Anfang an gesetzt.
„In Graz waren wir ja alle nebenher berufstätig. In St. Pölten wurde zu dieser Zeit schon professioneller trainiert. Wir hatten einen tollen Kader mit zahlreichen Routiniers wie Mario Kempes, Alfred Tatar, Rudi Steinbauer oder Wolfgang Kienast und daneben sehr viele junge, talentierte Spieler.“
Bis heute ist Michael Paal der niederösterreichischen Landeshauptstadt treu geblieben. Insgesamt spielte er für den VSE fünf Jahre in der Bundesliga und absolvierte dabei 130 Partien. Noch heute ist er im Wirtschaftsmagistrat in leitender Position tätig, die Liebe zum Fußball ist allerdings nie verflogen:
„Anfangs hab ich mit St. Pölten noch recht wenig anfangen können und nur die sportliche und die berufliche Aussicht war ausschlaggebend für den Wechsel. Ich hab zwar danach auch noch kurze Zeit für Vorwärts Steyr gespielt, aber St. Pölten ist für mich in vielerlei Hinsicht zur echten Heimat geworden. So wie es der Fußball immer für mich geblieben ist. Man lernt dabei nämlich viel für das Leben. Sich durchzusetzen und gleichzeitig sich unterzuordnen. Man muss versuchen alles aus sich rauszuholen, aber auch als Team zu funktionieren.“
Nach seiner aktiven Karriere hat Paal die A-Lizenz als Trainer absolviert, ebenso das Tormanntrainer-Diplom und war neun Jahre Trainer in diversen österreichischen Nachwuchsnationalteams. Nach der U17-Fußball-Weltmeisterschaft 2013 in den Vereinigten Arabischen Emiraten zog er sich von dieser Tätigkeit zurück, um mehr Zeit für andere Dinge zu haben. So ist Michael Paal leidenschaftlicher Maler, von wie er sagt „abstrakten, großen, bunten Bildern“, abstraktes Acryl, die schon in renomierten Ausstellungshäusern in Graz und St. Pölten ausgestellt wurden. Das Malen diene als idealer Ausgleich zu seinem zweiten, weitaus anstrengenderen Hobby: dem Thriathlon. So hat der Obersteirer beispielsweise in St. Pölten bereits zehnmal den Ironman bestritten.
Otto Konrads weiterer Werdegang ist hinlänglich bekannt: Seine Leistungen im Sturmtor brachten ihn 1992 zur Salzburger Austria, mit der er europaweit für Furore sorgte – sein entscheidender Treffer im Elfmeterschießen gegen Eintracht Frankfurt ist österreichische Sportgeschichte – und ihn auch in das Nationalteam spülte sowie zu einem Auslandsengagement bei Real Saragossa verhalf. Heute ist der Grazer Abgeordneter zum Salzburger Landtag. An das Duell gegen Michael Paal erinnert er sich so:
„Mittlerweile verstehe ich mich mit Michael Paal wieder gut, noch heuer werde ich mit ihm beim Ironman in St. Pölten starten. Damals war von Freundschaft allerdings keine Spur. Ich hatte immer nur ein Ziel vor Augen: Ich wollte mir nie den Vorwurf gefallen lassen müssen, ich hätte nicht alles für den Erfolg getan. Und wenn Walter Saria von mir behauptet, ich wäre der erste Vollprofi gewesen, der alles dem Erfolg untergeordnet hat, ehrt mich das sogar noch heute. Ich denke er hatte damit nicht so Unrecht.“
Vielen Dank an Michael Paal und Otto Konrad für ihre „Zeitzeugenberichte“.
Super Beitrag! Danke dafür, und bitte weiter so.
Ich wäre ja auch neugierig auf die Spielchen, die sich Gratzei/Focher geliefert haben… 😉
Der Unterschied bei diesem Duell ist oder zum Glück besser gesagt war, dass man da keinesfalls von einem Luxusproblem für den Trainer sprechen konnte…