Es is wunderschen do
Er wird kommen und er wird besser als je zuvor. Es wird der Moment kommen, in dem man wieder in der Früh seinen ansonsten müden Körper aus dem Bett wuchtet und bereits dermaßen energiegeladen bzw. elektrisiert ist, dass man es kaum noch erwarten kann, endlich loszufahren. Es wird der Tag kommen und dieser wird genialer als die Tage, Wochen und Monate zuvor. Der Tag, an dem die Erde stillstand, rückt in Vergessenheit und bleibt einfach nur ein cooler Titel zu einem schlechten Film. Deine Frau wird dich nicht mehr fragen, was ihr heute machen wollt, denn sie weiß, und versteht, dass es wieder losgeht, sie dich wieder teilen muss und eure gemeinsame „Quality time“ weniger wird.
Der Start in den Tag
Man setzt sich an den Frühstückstisch und führt einen inneren Monolog: “Soll ich diesmal anstelle der üblichen zwei Stunden vor Spielbeginn lieber drei Stunden vorher beim Stadion sein? Geht heute etwas oder gibt es eine auf den Deckel? Soll ich endlich einmal meine Cornflakes-Schale mit Bier anstelle der Milch auffüllen?“ Die Zeit bis zur Abfahrt gleicht einer nicht enden wollenden Odyssee und stets ist der innere Drehzahlmesser auf Anschlag. Wenn es dann endlich losgeht, kennt die Freude keine Grenzen mehr. Die Fahrt zum Stadion muss stets musikalisch untermalt werden, um die ohnehin schon unbändige Energie weiter ins Unendliche zu hieven, egal ob „don´t stop believing“, „Auswärtsspiel“, oder „la mano de dios“. Die Liebenauer Tangente ist erreicht, das Stadion wird passiert und man erblickt bereits hunderte Menschen, welche es ebenfalls kaum aushalten konnten – sodann ist es endgültig um einen geschehen. Am Vorplatz steigt einem der Geruch von Bier und Schnitzelsemmeln in die Nase, man sieht altbekannte Gesichter – der Franz, der Jo, der Ferdinand san a scho wieder do. Ja, was macht denn schon a Hoiwe oder zwo – und alle sind aus dem selben Grund zusammengekommen. Das stammtischmäßige Fachsimpeln, gelegentliche Gemütszustands-Abfragen und Vorfreudenbekundungen wechseln sich ebenso ab wie die Leute, die man vor Ort trifft.
Nach einer Weile trennen sich dann unsere Wege. Der Großteil biegt nach oben ab und mich verschlägt es nach unten in die „Katakomben“.
Auch im Pressebereich sind es immer wieder die gleichen, teils liebgewonnen Kollegen, von denen man mittlerweile getrost auch einige als Freunde bezeichnen darf! Unten passiert ehrlich gesagt nicht sonderlich viel. Hier und da ein Bier, meistens Würstel zu essen, außer man hat einen Spieler um gutes Geld verkauft, dann wird Nobleres aufgetischt. Das mit den Speisen stimmt so natürlich nicht ganz, aber es wurde im Laufe der Zeit sowas wie ein „running gag“, da es doch sehr häufig Frankfurter gibt und wenn dann etwas anderes am Speiseplan steht, fällt dies natürlich auf.
Des Öfteren führt mich der Weg nach draußen in den Stadiongraben, um meinem Laster zu frönen und jedes Mal mit dem Blick auf die Tribüne des Stadions. Füllt es sich? Kann es sein, dass es etwas „Spezielles“ und/oder Spontanes gibt? Man hört dann schon langsam die Trommeln, nimmt Pfiffe und Schreie wahr, sieht von unten auf die Kurve empor und ist immer wieder aufs Neue beeindruckt von dieser Kulisse. Manches Mal stehe ich eine Weile, lasse meinen Blick durch das Stadion schweifen und denke mir, was das für ein geiles Gefühl sein muss, hier zu stehen, das Dress zu tragen und sich 90 Minuten darauf verlassen zu können, dass die Damen und Herren dort oben alles für einen geben. Dann fällt mir wieder ein, dass ich eigentlich gar nicht bundesligatauglich kicken kann und es wird mir bewusst, warum ich nur hinter der Bande stehe.
Startschuss ins Ungewisse
Dann ertönt die Trillerpfeife das erste Mal an diesem Tag. Der Schiedsrichter eröffnet das Spiel und für mich beginnt ein Zwiespalt. Soll ich das Spielgeschehen fotografieren oder passiert gerade etwas Spannendes auf der Tribüne? Was fotografiere ich jetzt zuerst und verpasse ich auch nichts Wichtiges? Diesen inneren Kampf fechte ich dann eigentlich 90 Minuten mit mir aus, aber am Ende ist noch immer etwas Brauchbares dabei rausgekommen. Diesen persönlichen Unfrieden habe ich allerdings nicht nur, was die Fotomotiv-Auswahl betrifft, sondern auch mit einigen Spielern der anderen Mannschaft habe ich zu kämpfen. Man kann sich in etwa vorstellen, was in mir vorgeht, wenn ein ehemaliger – mit einem unfeinen Abgang versehener – Sturm-Kicker z.B. bei einem Eckball nur zwei Meter von mir entfernt steht. Da stellt sich mir dann hier und da schon einmal die Frage, ob ich ihm nicht eines mit meinem Stativ überziehen soll – rein rhetorisch versteht sich. Ich will dem Bruno ja nicht noch zusätzlichen Arbeitsaufwand zukommen lassen, im Gegensatz zu manch anderen. Der Eine hat nicht viel angestellt, sondern sich einfach (im Dollar-Anzug) unten positioniert und der Andere….eh schon wissen! Ich komme ursprünglich aus einer Gemeinde, welche leicht südlich von Graz liegt und jetzt raten Sie einmal, woher die zwei kamen? Uuuuuuhhhh, das ist ein Bingo! Man kennt sich also, einen besser und einen kennt man halt – leider.
Um wieder zu etwas Schönerem zu kommen und weil ich schon öfters gefragt wurde – und gerade die Möglichkeit sehe, es ein für alle Mal schriftlich festzuhalten -, welches Spiel für mich dort unten das bislang geilste/lauteste war, kann ich definitiv sagen: „Cup-Halbfinale 2018 gegen Rapid!“ Es war ohrenbetäubend laut und man verstand seinen Foto-Nebenmann gar nicht mehr. Die Stimmung war förmlich zum Greifen und es lag etwas Besonderes in der Luft. So als würde man unbesiegbar sein und so spielte sich die Mannschaft damals auch in eine Art Rauschzustand. Als die Besinnungslosigkeit am höchsten stand, sodann stand man auch im Finale. Ich bin mir absolut sicher, dass der vielzitierte Funke damals von oben nach unten übergesprungen ist und für diese Floskel werfe ich liebend gerne einen Euro in das imaginäre Phrasenschwein!
Die zweite Halbzeit
Zur Halbzeit wechsle ich zu 99 % die Seiten – ich positioniere mich eigentlich immer hinter dem Auswärtstor – und verschwinde dann in den Graben. Während der Großteil der Arbeiterklasse sich an dem Hauptmenü zu schaffen macht, verleibe ich mir das Einser-Halbzeit-Menü ein: eine selbstgedrehte Maverick und ein Cola. Hier und da schlendert man dann nichtsahnend unten am Spielfeldrand retour zu Sack und Pack, da kann es schon einmal passieren, dass einem so ein süßlicher, irgendwie bekannt vorkommender Geruch in die Nase steigt und man sich für einen kurzen Augenblick auf einem Inselstaat innerhalb des Commonwealth of Nations in der Karibik befindet.
Die zweite Halbzeit ist eigentlich – bei Heimspielen – immer meine Lieblingshalbzeit, denn in ebenjener stehe ich zumeist direkt unter der Kurve und habe somit ich die Möglichkeit, alles „so nah und doch so fern“ mitzuerleben. Wenn nicht gerade gratis M&Ms verteilt werden, dann kann ich diesen kleinen Flecken Beton durchwegs als meinen von Happy Gilmore erfundenen „happy place“ bezeichnen. Ich bin mittlerweile schon ein paar Jahre dort unten, aber es wird definitiv nie fad oder etwas Alltägliches. Der Blick nach oben, in hunderte singende/schreiende Gesichter, tausende Hände die gemeinsam im Rhythmus klatschen und die Fahnen, Fetzen, Doppelhalter, sind für mich jedes Mal auf das Neue ein geiles Erlebnis. Irgendwann habe ich einmal von einem Sportpsychologen gelesen, er habe die Erfahrung gemacht, dass ihm einige seiner „Patienten“ erzählten, die Fans würden nichts ausmachen… Also wenn jemanden so etwas kalt lässt, dann muss man meiner Meinung nach ein Herz bzw. die Gefühle eines Steines haben!
Und dann plötzlich knallt es hinter mir. Ein vertrautes Geräusch, welches mich dennoch immer wieder aufschrecken lässt. Eine Vielzahl an Verschlusskappen der Bengalen fliegen hinfort und prasseln in den Stadiongraben – oder einzelne bahnen sich den Weg durch das Netz auf den Rasen. Die Kurve geht in Flammen auf, Rauchschwaden durchziehen das Stadion und hinter dem Nebel und Feuer erblickt man vermummte Gesichter. Die Trommeln und der Gesang im Einklang bringen dann auch mich immer wieder dazu, leise vor mich hinzusingen und mitzuwippen.
Nachspielzeit
Der Schlusspfiff ertönt, alle Schwoazen liegen sich in den Armen, der Widersacher am Boden, zu welchem er gerungen wurde, und von der Tribüne hallt Steinbäckers Steiermark – durch und bis in das Umland des Sturmstadion Liebenaus. Die Mannschaft zieht ihre Verabschiedungsrunde in der Arena, applaudiert dem Publikum, bis sie schlussendlich unter der Kurve zu stehen kommt. Der Sturmklatscher beschließt das Ende eines wunderbaren Spieltages – im Stadion – und ein letztes Mal sind sich Spieler und Zuseher Auge in Auge.
Für mich geht es danach an die Stadionbar im Pressebereich, lasse mir Whisky-Cola in Strömen runter und gönne mir den ein oder anderen Jägermeister. Sie denken, die Geschichte ist wahr? Da muss ich sie leider zum Großteil enttäuschen. Mich führt der Weg dann wieder in den Stadiongraben, platziere mich draußen auf der Stiege zum Business-Sektor und hier und da ist jemand so nett und bringt mir ein kaltes Getränk nach draußen. Nach Spielende brauche ich meistens noch gut 30 Minuten, bis die Bilder fertig sind und der Feierabend angetreten werden kann. Wenn die Sachen im Auto verstaut sind, dann führt mich der Weg meistens noch in die nahegelegene „rauchende Zugmaschine“ zur Nachbetrachtung bzw. Vorbereitung auf das nächste Spiel. Das Schöne daran? Da Franz, da Jo, da Ferdinand san a scho wieda do! Hinten im Zelt bei einem Bier und viel zu viel blauem Rauch wird das Spiel Revue passiert und früher oder später endet man bei ganz anderen Themen – sei es Politik, wie es der Familie so geht oder warum der Chef ein Trottel ist.
Langsom find da Spütog – so wie mein Text – sei End und die Heimfahrt beginnt. Selbstredend fahre ich nach dem Konsum von 2-3 Bier nicht mehr selbst, sondern darf mich an diesem Abend als Beifahrer gemütlich zurücklehnen. Ein letztes Mal ertönen „Auswärtsspiel“, „La mano de dios“ und weitere Klassiker aus den Boxen. Nachdem ich dann ausgestiegen bin und mir der kühle Nachtwind durch den Bart weht, erinnere ich mich daran, dass es um so viel mehr geht als den reinen Fußballsport an sich. Denn ohne dieses ganze Drumherum wäre es in meinen Augen wirklich nur „22 Mann laufen einem Ball hinterher und einer spielt Karten!“
interessant, dieser blick hinter die kulissen, danke dafür!
liebe grüsse
Nicole
Danke Martin, danke Jungs von SturmNetz:
Ihr seid seit Monaten der einzige Farbtupfer im Grau-in-Grau-Alltag des SK Sturm.
Sehr schöner Artikel, lieber Martin!!!
Aber dass du auf CCR während unserer Auswärtsreisen vergessen hast, kommt einem Frevel gleich!