El Maestro: „Die Leute wissen, was Sturm ist“
Wir baten den Neo-Coach mit dem klingenden Namen erstmals zum ausführlichen Gespräch. Im knapp einstündigen Interview (Anm. d. Red. das vor dem Europacup-Auftritt in Haugesund stattfand) sprachen wir mit Nestor El Maestro über den aktuellen Kader, die Europa League und darüber, wie er gedenkt, das Feuer in Liebenau abermals zu entfachen. Gerne hätten wir uns mit dem wortgewandten Kosmopoliten noch viel länger unterhalten, denn einstudierte Phrasen drischt dieser bekanntlich eher nicht.
Zunächst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.
Ich kenne euch ja noch nicht so gut. Seid ihr seriös oder Boulevard? Kann ich also etwas tiefsinnig sein oder wollt ihr lieber ein paar Sprüche raushauen?
Kein Boulevard. Wie zufriedenstellend waren die ersten Wochen in Graz für Sie?
Eigentlich sehr. Es heißt aber gar nichts, bis man die ersten Pflichtspiele bestritten hat. Ich bin sehr zufrieden mit den Leuten, mit denen ich täglich arbeite. Ich fühle mich mit meinem Chef, meinen Mitarbeitern und auch den Spielern in einer schönen Stadt sehr wohl. Ehrlich gesagt, heißt das aber nicht viel. Das war bis jetzt überall so. Erst wenn die Saison richtig losgeht, gibt es eine allgemeine Zufriedenheit oder eben das Gegenteil. Das ist viel bedeutender.
Haben Sie schon die Möglichkeit gehabt, Graz ein bisschen kennenzulernen?
Natürlich. Graz ist nicht allzu groß. Man braucht nicht viel Zeit, um einen Eindruck zu bekommen. Ich bin kein besonders sozialer oder extrovertierter Mensch. Ich muss sagen, dass ich sehr viel Zeit zuhause verbringe. Was das angeht, bin ich etwas faul oder langweilig. In den fünf Wochen war ich aber natürlich schon in der Stadt, um zu essen oder einen Kaffee zu trinken. Es ist so, wie es mir vorher gesagt wurde. Graz ist eine sehr schöne und sympathische Stadt.
Ich versuche, in jeder Trainingseinheit – also wirklich in jeder – Taktik oder Fitness zu trainieren.
Sie haben gesagt, dass Sie es privat teilweise gemütlicher angehen lassen. Das scheint auf dem Platz allerdings nicht zu gelten. Wie würden Sie Ihre Philosophie beschreiben?
Ich versuche, die Mannschaft und alles, was auf dem Platz passiert, möglichst viel zu beeinflussen. Das Schwierige an diesem Job ist, dass man unter dem Strich Letzt- und Hauptverantwortlicher für die Ergebnisse ist. Man hat aber nicht den totalen Einfluss. Es kommt vor, dass man als Trainer eine hervorragende Arbeit leistet und die Mannschaft verliert. Es kommt auch vor, dass man nur durchschnittlich arbeitet und die Mannschaft gewinnt. Trotzdem trägt man die Verantwortung. Der Einfluss, den man hat, ist ein großer, aber kein totaler. Insofern versuche ich, meinen Einfluss zu vergrößern. Grundsätzlich ist es schon so, dass es zwei Sachen gibt, die ich kurzfristig beeinflussen kann – und Fußball ist ein extrem kurzfristiges Geschäft. Die zwei Sachen sind Fitness und Taktik. Ich versuche, in jeder Trainingseinheit – also wirklich in jeder – Taktik oder Fitness zu trainieren. Natürlich muss man sich hier und da ein bisschen warm machen, aber meine Arbeit liegt im Fitness- und Taktikbereich. Ich versuche, das im Verhältnis 50:50 zu machen. Alles, was wir machen, hat das Ziel, dass wir entweder organisierter oder fitter werden. Alles andere bringt meiner Erfahrung nach nicht viel für die drei oder vier folgenden Spiele.
Wir stehen gerade am Saisonbeginn. Wie würden Sie die Mannschaft fitnesstechnisch einstufen?
Ich kenne keine gut umsetzbare Taktik, die ohne Laufen funktioniert. Viele Spieler hätten das gerne, aber ich kenne keine. Da ist es schon wichtig, dass die Jungs marschieren können. Ich habe hier eine ziemlich fitte Mannschaft vorgefunden, die Basis war sehr ordentlich. Ich hoffe, dass wir uns noch gesteigert haben. Erstens mit dem Training und zweitens mit unseren Neuverpflichtungen. Eines darf man auch nicht vergessen: Fitness ist zum Großteil ein Talent oder eine genetische Sache. Es ist natürlich sehr trainierbar, aber nach wie vor gibt es von Geburt an Leute, die mehr laufen und Sprints wiederholen können. Mit Sakic und Röcher haben wir eine gewisse genetische Robustheit geholt.
Sie haben gerade Sakic und Röcher angesprochen. Ein dritter Neuzugang ist Christoph Leitgeb. Inwieweit waren Sie in seine Verpflichtung eingebunden und ist er auch jemand, der gut marschieren kann?
Ich war natürlich sehr eingebunden, wie in jeden Transfer. Es ist so, dass Christoph Leitgeb eine Graz-Vergangenheit hat und eine bekannte Personalie in der Österreichischen Bundesliga ist. Das heißt, dass ich nicht mit diesem Vorschlag um die Ecke gekommen bin und alle sehr überrascht waren. Er war hier immer wieder einmal Thema, aber ich war sicher nicht dagegen. Für mich war das Entscheidende, herauszufinden, ob er Dynamik und Laufintensität für ein weiteres Jahr oder weitere Saisonen erreicht. Ich habe meine eigene Analyse gemacht und war überzeugt, dass es von der Dynamik her reicht. Daher war ich für die Verpflichtung. Dass die fußballerischen Qualitäten für diese Liga außergewöhnlich gut sind, da sind wir uns – glaube ich – alle einig. Natürlich ist er ziemlich spät zu uns gekommen und es wird ein bisschen dauern, bis er kaderfähig ist. Auch da habe ich gute Hoffnungen, dass er uns weiterhelfen wird.
Wenn er dann kaderfähig ist: Können Sie schon einschätzen, welche Rolle er übernehmen wird? Wird er eher Edeljoker sein oder planen Sie als Stammspieler mit ihm?
Ich habe schon die Fantasie und den Wunsch, dass er eine deutlich größere Rolle als Edeljoker spielt. Christoph Leitgeb einwechseln zu dürfen, ist für einen Trainer schon eine geile und bequeme Sache, aber auch wenn man mit Christoph selbst spricht, wird deutlich, dass er mit Sturm in diesem Jahr größere Ambitionen hat.
Wir haben gerade etwas über die Neuzugänge gesprochen. Ein Abschied steht hingegen von Dario Maresic im Raum. Wie bitter wäre sein Abgang für Sturm und was halten Sie von ihm als Spieler?
Ich bekomme ab und zu Informationen, aber am besten reden Sie da mit dem Sportdirektor. Er ist ein sehr spannender Spieler für die Vereine und er hat in seinem jungen Alter viele Bundesligaspiele auf einem ordentlichen Niveau gemacht. Er ist ein Spieler, der viel gespielt hat – gut und weniger gut, wie alle anderen auch. Er ist einer von drei seriösen Innenverteidigern. Man spielt in jedem Spiel mit mindestens zwei, insofern ist er schon wichtig. Sturm ist eben ein Verein, wo es schwierig ist, große Talente zu halten. Das war damals mit Christoph Leitgeb ähnlich. Bei Maresic liegt nicht so viel in meinen Händen. Es geht um viele andere Kriterien wie zum Beispiel finanzielle Stabilität. Grundsätzlich mag ich den Spieler, aber über 50 Prozent ist es eine finanzielle Frage und eine Vereinsentscheidung.
Ich bin vielleicht der mit am wenigsten Stress im Verein, weil ich von der Vorsaison nicht vorbelastet bin.
Generell auf den Kader bezogen. Braucht Sturm Ihrer Meinung nach noch einen Spieler?
Je nachdem, was man so vorhat. Wir haben derzeit einen Linksverteidiger im Kader, da gibt es vielleicht eine kleine Dysbalance. Wir haben aber viele flexibel einsetzbare Spieler, da mache ich mir jetzt keinen Riesenstress. Man kann darüber reden, ob wir die nötige Qualität für unsere Ziele haben. Viele meinen, wir brauchen ganz vorne im Sturm eine größere Qualität. Ich teile diese Meinung zumindest teilweise. Ich betrachte die Spieler jeden Tag – das ist sehr, sehr vernünftig. Ich bin vielleicht der mit am wenigsten Stress im Verein, weil ich von der Vorsaison nicht vorbelastet bin. Ich würde sagen, dass wir nichts brauchen, aber ich schon noch gerne ein bisschen etwas hätte.
Da würde ich gerne einhaken. Philipp Hosiner wurde im vergangenen Jahr eigentlich öffentlich abgeschrieben. Es hat geheißen, dass er sich einen neuen Verein suchen kann und man nicht mehr mit ihm plant. Der Spieler selbst wollte nicht aufgeben und hat weitertrainiert. Jetzt ist ein neuer Trainer da und es scheint so, als würde er seine Chance doch noch erhalten. Wie würden Sie die Chance einschätzen, dass Philipp Hosiner sich in Graz etablieren kann und die ganze Geschichte doch noch ein Happy End nimmt?
Langfristig kann ich das schwer beurteilen. Es geht nach Leistung. Ich mag Hosiner genauso wie die anderen. Er macht einen sehr anständigen Eindruck, trainiert wirklich gut und ist eine positive Persönlichkeit in der Kabine – wie die anderen auch. Ich werde immer mit denen spielen, die meiner Meinung nach die Besten sind. Im ersten Pflichtspiel hat Philipp Hosiner in der Spitze gespielt. Ihr müsst mich jetzt nicht fragen, warum. Denn die Antwort ist immer dieselbe: Weil er meiner Meinung nach der beste Spieler im Kader für das Match ist. Bleibt der Kader gleich, ist davon auszugehen, dass er eine Menge Spiele macht, wenn es so weitergeht.
Also sind Sie mit seiner Leistung bislang zufrieden?
Ja, bin ich.
Bei den Fans wird derzeit ohnehin viel über die Offensive gesprochen. Immer fragt man sich, wann ein neuer Stürmer kommt – vermutlich auch deswegen, weil das in der vergangenen Saison die größte Baustelle war. Sie haben angedeutet, dass Sie gerne noch den einen oder anderen Spieler hätten. Reden Sie da von einem Stürmer?
Ja. Wenn ich auswählen und eine Position nachbesetzen dürfte, wäre es ganz vorne in der Sturmspitze. Ich bin übrigens nicht derjenige, der das alleinige Sagen hat und auswählt – das ist ja in keinem Verein so.
Sind Sie in der Defensive und im Mittelfeld mit dem Kader zufrieden?
Ich bin nie zufrieden. Mein Wunsch ist, dass wir übermächtige Spieler holen, die alles zerstören und viel mehr Niveau haben als die Gegner in dieser Liga. Das ist aber natürlich Wunschdenken und wird nicht passieren. Was heißt zufrieden? Man muss sich ein bisschen in der Realität bewegen. Wir haben eine anständige Truppe und das Budget ist ja ziemlich ausgelastet. Alles, was wir noch dazuholen, ist finanziell ziemlich grenzwertig. Wir haben uns in unserem Rahmen sehr vernünftig verstärkt. Wir suchen und wünschen uns vielleicht noch einen Stürmer. Wenn es gelänge, dass er mehr Leistung bringt als diejenigen, die wir haben, wäre das eine gute Sache. Was ich gerne hätte… Ich hätte gerne de Gea im Tor und Ramos in der Innenverteidigung, aber das wird ja nicht passieren.
Die Korrelation zwischen dem, was die Spieler aktuell bei uns verdienen und sie uns bislang gebracht haben, ist schon eine realistische.
Ich frage nicht nach Namen, aber gibt es da schon konkretere Beispiele? Ist man an einem Stürmer dran?
Wir analysieren, diskutieren und verhandeln fast täglich. Ich nenne jetzt natürlich auch keine Namen, aber das passiert eigentlich seit fünf Wochen. Grundsätzlich ist es nicht einfach, sich mit großer Überzeugung auf der Sturm-Position zu verstärken, ohne die budgetäre Limitierung zu brechen. Die Korrelation zwischen dem, was die Spieler aktuell bei uns verdienen und sie uns bislang gebracht haben, ist schon eine realistische. Es ist nicht so, dass wir vergangene Saison einen Spieler aus der Premier League geholt haben und er keine 30 Tore geschossen hat. Wir haben schon in unserem Rahmen verhandelt. Es ist außergewöhnlich, jemanden zu haben, der 20 Tore macht. Das passiert nicht so häufig.
Wenn wir bereits vom Budget reden. Sie haben gesagt, dass Sie vom relativ kleinen Budget überrascht waren. Wurde das vorab nicht kommuniziert oder wurde diese Aussage falsch verstanden?
Ein bisschen wurde sie falsch verstanden. Ein paar im Verein haben sich auch etwas aufgeregt und gesagt, dass wir eh schon viel Geld ausgeben, unser Budget jetzt deutlich größer ist als in den vergangenen Jahren und wir nach wie vor das vierthöchste Budget in Österreich haben. Das stimmt alles. Es hat mich ein bisschen überrascht, wie das Budget in der Österreichischen Bundesliga allgemein ist. Ich war nur als Assistent hier unterwegs und da bekommt man nicht so richtig mit, was die Spieler verdienen und so weiter. Ich sage nur: Sturm Graz ist auch im Ausland ein großer Name und alle sind überrascht, wenn man sagt, was der Cheftrainer, ein Stammspieler oder der Kapitän verdient. Das ist aber in der gesamten Liga auch so. Wenn wir gegen Levski Sofia, Steaua Bukarest, Qarabag oder Astana spielen würden, würde alle meinen, dass wir Favorit in diesem Spiel sind. Weil wir sind aus Österreich und stehen für etwas. Recherchiere, was die Spieler dort im Monat netto verdienen und was sie bei Sturm Graz, LASK Linz oder sogar der Austria bekommen.
Sie haben gerade gesagt, dass Sturm für etwas steht. Was ist das für Sie? Was verbinden Sie mit Sturm?
Ich war hier nie tätig und kann deshalb auch nicht behaupten, Sturm-Fan gewesen zu sein. Ich war – wenn überhaupt – nur ganz selten in Graz. Ich bin gerne bei großen Vereinen. Die Leute wissen, was Sturm ist. Als Kosmopolit und jemand, der sehr gerne im Ausland unterwegs ist, weiß ich, dass die Wahrnehmung von Sturm außerhalb Österreichs ziemlich groß ist. Sturm ist außerhalb Österreichs ein bekannterer Verein als zum Beispiel Austria Wien. Warum, das weiß ich nicht. Sie haben jetzt nicht diesen komischen Vereinsnamen und haben auch Champions League gespielt. Diese großen Ereignisse bleiben irgendwie in Erinnerung. Die Leute kennen Ivica Osim und die Spiele gegen Manchester United. Der Verein ist sympathisch, schwarz, hat super Fans… Er hat einfach irgendwie etwas. Wenn ich jetzt meinen Freunden in England sage, dass ich bei Sturm Graz bin, haben sie von diesem Verein schon gehört – von Rapid Wien übrigens auch. Rapid kennt auch jeder.
Bestimmte Vereine haben etwas Besonderes.
Einer unserer Kollegen war jahrelang in Brasilien tätig und war ganz überrascht, dass die Menschen dort teilweise Sturm kennen. Das will man gar nicht glauben.
Bestimmte Vereine haben etwas Besonderes. St. Pauli kennt man auch auf der ganzen Welt – obwohl die Erfolge nicht so richtig da waren. Das ist eigentlich eine mittelmäßige deutsche Zweitliga-Mannschaft. In der Wahrnehmung ist es aber etwas Anderes, ob ich bei St. Pauli oder beispielsweise bei Aue bin.
Das hängt wohl vor allem mit den Fans zusammen. Rapid, St. Pauli und Sturm sind ja für gute Fankulturen bekannt.
Auch. In Österreich gibt es zwei Stadien, in denen es richtig Stimmung gibt und zwei Vereine mit richtigen Auswärtsfans. Es gibt zwei Vereine, wo auf der Fanseite ein bisschen etwas los ist. Sturm ist einer von den beiden.
Wie würden Sie das mit Ihren vorherigen Stationen vergleichen?
Ich hatte das Glück, bei Spartak Trnava eine extrem geile Fanszene gehabt zu haben. Wenn die Jungs wollen, ist da richtig Stimmung im Stadion. Das war schon super. Als ich gekommen bin, gab es noch aus der Vorsaison einen Ultras-Fanboykott. Es herrschte große Unzufriedenheit und ich habe eine dreiviertelte Saison ohne Ultra-Unterstützung gespielt. Am Ende der Meisterschaft sind sie dann für das Derby zurückgekommen. Leichte Kritik von mir: Die Meisterschaft war da scho sehr nahe. Irgendwie wollten sie dann doch dabei sein, als Trnava Meister geworden ist. Das war ein riesiger Push in den letzten Spielen. Das hat das ganze Erlebnis deutlich geiler gemacht. CSKA Sofia ist ein großer Ostblockverein. Fantechnisch ist das mit Partisan oder Roter Stern Belgrad vergleichbar. Da ist schon etwas los.
Wenn wir von den Fans in Graz reden, haben wir vor allem in der vergangenen Saison bemerkt, dass die Nordkurve eigentlich immer geschlossen hinter der Mannschaft steht. Auf der Längsseite ist es aber teilweise so, dass die Fans sehr schnell sehr unzufrieden werden. Wie wollen Sie es schaffen, auch die zu überzeugen?
Ganz ehrlich: Das ist kein großes Ziel von mir. Ich freue mich, dass genügend Leute im Stadion sind, um nicht mitzubekommen, wenn jemand den Trainer oder meine Jungs 90 Minuten beschimpfen möchte. In kleineren Stadien in Bulgarien oder der Slowakei ist das ein bisschen unangenehm. Wenn man nur vor 3.000 Zuschauen spielt, hört man das halt – und das nervt! Man darf dann nicht reagieren, aber ich höre schon, wenn mich jemand permanent beschimpft. Mir ist es noch nie passiert, dass das die eigenen Fans waren – das sind ja immer die gegnerischen Fans. Das ist kein großes Ziel für mich und ich glaube, dass jeder Fan unter dem Strich nur eines sehen möchte: Siege. Kurzfristig kann man darüber reden, ob die Spielweise begeistert oder die Mannschaft Charakter auf dem Platz zeigt. Ihr wisst das auch: Wenn man verliert, ist es unmöglich zu verkaufen, dass wir eh in jedem Spiel kämpfen. Das passiert einfach nicht. Man muss ja gewinnen. Das ist kein Geheimnis und Sturm ist da keine Ausnahme. Hat man einen guten Start in die Saison, kommen mehr Leute ins Stadion. Man kann zwischendurch das eine oder andere Spiel schlechter spielen, der Sturm-Fan ist da ziemlich treu. Wenn das Ergebnis-Momentum positiv ist, ist etwas los im Stadion. Da ist Sturm nicht besonders. Das ist bei jedem Verein so, der es nicht schafft, das Stadion auszuverkaufen – also in Österreich bei jedem Verein. In England oder in Deutschland ist das anders. Das Stadion ist unabhängig vom Ergebnis und der Stimmung einfach ausverkauft. Warum das so ist? Das herauszufinden ist vielleicht eure Aufgabe als Journalisten. Warum denken sie anders? An der fußballerischen Qualität kann es nicht liegen. In der Championship, der League One und der zweiten deutschen Bundesliga ist die Qualität sicher nicht höher als in der Österreichischen Bundesliga.
Ihr wollt keinen offensiven Fußball sehen, ihr redet nur davon.
Wobei es bei Sturm im vergangenen Jahr unter Heiko Vogel, als offensiverer Fußball gespielt wurde, weniger Kritik gab als bei seinem Nachfolger.
Ihr wollt keinen offensiven Fußball sehen, ihr redet nur davon. Ihr wollt, dass wir auf den Platz gehen und gewinnen. Für das Gewinnen braucht man mehr Tore, daher ist es ohne offensiven Fußball schwer machbar. Unter dem Strich möchte ich, du und jeder Fan, dass wir gewinnen. Danach können wir über alles reden – aber mit einem Sieg im Rücken.
Wir kennen Ihre Bilanz nach 1:0-Führung (65 Siege aus 67 Spielen). Wie schafft man das und ist das ein Indiz dafür, dass nach einer Führung unter Ihrer Regie eher gemauert oder doch auf das zweite Tor gespielt wird?
Mauern ist grundsätzlich schlecht. Da bist du nur unter Druck und irgendwann rutscht ein Ball dann durch. Es geht mehr um Charakter und Stabilität. Fußball ist sehr psychologisch und ein großer psychologischer Knackpunkt in jedem Spiel ist das 1:0. Das verändert zunächst einmal alles. Wenn man es schafft, das erste Tor zu schießen, gibt das viel Rückenwind. So wie ich häufig gespielt habe, kommt dir das 1:0 brutal entgegen. Nach einem 1:0 muss die gegnerische Mannschaft das machen, was ich gerne hätte. Das sieht dann auch taktisch genauso aus, wie ich es vorhabe.
Ich halte nicht so viel davon, externe Menschen auf meine Jungs loszulassen.
Da hätte ich eine Doppelfrage: Wie stehen Sie zu Mentalcoaching und wie versuchen Sie selbst, auf die Spieler im mentalen und psychologischen Bereich einzuwirken?
Es ist schwer zu sagen, wie groß der psychologische Faktor im Fußball ist. Ich glaube schon, dass er sehr bedeutsam ist. Ich kann dir aber nicht sagen, ob er 50 oder 80 Prozent ausmacht – aber er ist auf jeden Fall sehr wichtig. Ich habe da keine Strategie. Es ist nicht so, dass ich einen Plan aufgeschrieben habe, dem ich folge. Ich denke, dass das bei einem Großteil der Trainer so ist. Das ist eine permanente Arbeit, die man jeden Tag macht. Jede Ansage, jede Besprechung, jedes Einzelgespräch ist eine Art psychologische Vorbereitung auf das, was kommt. Es ist viel Gefühl dabei. Ich halte nicht so viel davon, externe Menschen auf meine Jungs loszulassen. Das mache ich hauptsächlich selbst. Ich habe keinen klaren Plan, aber eine gewisse Art. Mir ist wichtig, dass ich die Leute nicht langweile, denn ich bin selbst auch nur ungern gelangweilt. Es soll einfach interessant bleiben. Ich bin auch der Meinung, dass Motivation ein Dauerzustand ist. Ich glaube nicht groß daran, dass man etwas erreicht, wenn man vor einem Spiel zwei Minuten in der Kabine herumschreit, eine besondere Besprechung macht oder Motivationsvideos herzeigt. Motivation ist ein Dauerzustand – es geht darum, jeden Tag permanent unter Spannung zu sein und man jeden Tag wissen muss, worum es im Spiel geht, das vielleicht fünf Tage entfernt ist. Das sind meine Erfahrungen.
Wie würden Sie allgemein den Umgang mit Ihren Spielern beschreiben? Sind Sie eher der autoritäre Typ oder pflegen Sie ein kumpelhaftes Verhältnis mit den Spielern?
(überlegt) Beides nicht. Ich würde mich ungern in eine der beiden Schubladen stecken lassen. Es wäre besser, wenn man die Spieler fragt. Der Umgang ist mit jedem anders. Man hat hier 19-Jährige und auch Leute, die fast in meinem Alter sind. Das ist natürlich ein bisschen anders. Ich glaube, es ist wichtig, authentisch zu sein. In welcher Schublade man dann landet… Autoritär bin ich, glaube ich, nicht als Person. Ich glaube, dass das bei Sturm Graz auch nicht notwendig ist, da die Jungs extrem brav und professionell sind. Über sich selbst ist das schwer zu sagen.
Wir verschonen Sie mit Fragen nach Ihrem Namen, hätten aber gerne gewusst, wie Sie von Ihren Spielern angesprochen werden.
Mit Trainer, glaube ich. Bis jetzt habe ich fast nichts anderes gehört. Kennst du einen Trainer, der mit seinem Nachnamen angesprochen wird? Meinst du, jemand sagt „Herr Kühbauer“? Es sagen alle Trainer. (überlegt) Ja, Trainer.
Ich würde beispielsweise danach immer in meinen Lebenslauf schreiben, dass ich mit Sturm Graz in der Europa-League-Gruppenphase gespielt habe.
Sturm befindet sich derzeit auch in der Europa-League-Qualifikation. Was bedeutet Ihnen der Europapokal persönlich?
Er bedeutet für mich sehr viel. Er ist jetzt einmal das Wesentliche. Ich mag daran, dass man ziemlich schnell etwas „Fassbares“ erreichen könnte. Etwas Fassbares ist vielleicht das Pokalfinale, aber eigentlich nur der Pokalsieg. Das ist das, was in einem Lebenslauf eines Trainers oder Spielers bleibt und woran sich die Fans erinnern. Zeitlich ist das aber ein sehr langer Weg. Ich kann im August nicht den österreichischen Pokal gewinnen. Man kann im August auch nicht unter den Top Drei landen, nicht Vizemeister werden. Man kann im August auch nicht Meister werden oder absteigen. Es ist ein Marathon – bis auf die Europa League. Bei Sturm ist es schon so, dass der Einzug in die Gruppenphase etwas „Tastbares“ ist. Das ist ja unser Niveau. Man bekommt dafür keinen Pokal, aber es hat ungefähr diesen Wert. Ich würde beispielsweise danach immer in meinen Lebenslauf schreiben, dass ich mit Sturm Graz in der Europa-League-Gruppenphase gespielt habe. Das ist sehr bedeutsam. Es gibt ja auch jede Menge Geld. Deswegen ist das im Fokus. Nach der Auslosung ist es sicher nicht einfacher geworden, aber es ist eine geile Sache, die man sofort erledigen kann. Mir ist bewusst, dass das für die Fans eine große Bedeutung hat. Wenn man richtig mit dem Herz dabei ist und Sturm liebt, weiß ich, dass diese Erfahrungen bei den Hardcore-Fans, die auch auswärts dabei sind, bleiben. Sie reden in fünf Jahren dann davon, dass wir in Eindhoven, Basel oder sonst wo waren. Das ist mir schon bewusst. Ich habe Ähnliches zum Beispiel mit Hannover erlebt. Ich war im Trainerteam, als sie das erste Mal international dabei waren. Für die Fans war das eine Riesensache.
Apropos Fans: Sturm muss das erste Europa-League-Heimspiel fast gänzlich ohne Fans bestreiten. Was macht das mit Ihnen?
Das ist natürlich scheiße.
Wie stehen Sie zu Kollektivstrafen allgemein? Finden Sie es in Ordnung, dass niemand ins Stadion darf, wenn eine Einzelperson einen Becher wirft?
Ich finde vieles auf der Welt nicht in Ordnung. Aber ich kann ja nichts dafür. Ich bin gekommen und in einem sehr großen Spiel, in dem es um viel geht, und das meine internationale Premiere für Sturm sein wird, spiele ich im leeren Stadion. Das ist natürlich erst einmal scheiße. Ich habe das mitbekommen mit dem Becherwurf, aber das vergisst man, wenn man kein Grazer ist. Mir wurde ziemlich früh gesagt, dass das erste Europapokal-Spiel ein Geisterspiel ist – da habe ich mich natürlich nicht gefreut. Wir müssen da durch, um danach, wenn wir weiterkommen, ziemlich sicher im ausverkauften Stadion zu spielen.
Total ohne Chancen sind wir nicht, wir sind noch immer Sturm Graz.
Bei einem Aufstieg würde bekanntlich Basel oder Eindhoven warten. Wie würden Sie da die Chancen einschätzen?
Ich weiß es nicht. Total ohne Chancen sind wir nicht, wir sind noch immer Sturm Graz. Ob wir auf dem Papier der Favorit sind, kann ich ja euch überlassen. Ein einfacher Weg, den Favoriten in dieser Begegnung herauszufiltern, wäre, sich anzuschauen, wie oft Basel oder Eindhoven in der Europa- oder Champions-League-Gruppenphase war und wie viele Punkte sie dort im Vergleich zu Sturm Graz geholt haben. Da sieht man schon, dass wir ziemlich weit dahinter sind. Aber wer weiß.
Was stimmt Sie zuversichtlich, mit der beinahe gleichen Mannschaft wie Ihr Vorgänger mehr erreichen zu können als Ihr Vorgänger?
Vielleicht habe ich doch mehr Einfluss als ich dachte. Natürlich wird in diesem Geschäft permanent gemessen und verglichen – besonders mit dem, was direkt davor war. Es ist schon mein persönliches Ziel, den Job besser zu machen. Was heißt besser? Das heißt: eine bessere Liga-Platzierung, mehr Siege, mehr Punkte, länger im Pokal dabei zu sein und in der Europa League besser auszusehen. Wird mir das alles gelingen? Ich weiß es nicht. Ich gebe mein Bestes und alles andere würde ziemlich arrogant rüberkommen. Bin ich sicher, dass ich es schaffe? Gar nicht. Ich arbeite einfach jeden Tag und schaue, was am Ende dabei herauskommt.
Wir nähern uns dem Ende und möchten noch gerne ein paar Fragen, die von Fans an uns gerichtet wurden, stellen.
Was hat Sie an der Aufgabe SK Sturm Graz gereizt?
Hauptsächlich die Größe des Vereins.
Wie ist es, bei einem finanziell eingeschränkten Verein zu arbeiten und was würden Sie als Erstes bei einem Verein mit unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten wie beispielsweise Manchester City machen?
Jeder Verein ist finanziell begrenzt, auch Manchester City. Jeder hätte gerne mehr und teurere Spieler. Ich habe auch Guardiola weinen gehört, dass sie das Gehalt von Alexis Sanchez damals nicht stemmen konnten. Es ist anders. Wenn man in der Liga überlegene Spieler bekommen kann, ist eine andere Art von Fußball sinnvoller. Ich glaube, dass man mit der besten Mannschaft anders spielen sollte als eine mittlere Mannschaft und diese wiederum anders als eine schwächere Mannschaft. Ich rede jetzt nicht von Optik, sondern von dem, was die höchste Wahrscheinlichkeit des Erfolgs bringt. Es gibt Sachen in der Geschichte, die sich wiederholen. Wenn eine überlegene Mannschaft Meister geworden ist, hat sie eine bestimmte Art von Fußball gespielt. Wenn eine mittlere Mannschaft den großen Upset geschafft hat, hat sie eine bestimmte Art von Fußball gespielt. Wenn Abstiegskandidaten nicht abgestiegen sind, dann meistens mit einer dritten Art von Fußball. Je nachdem, wo ich bin, spiele ich eine der drei Arten. Ich gebe dir ein Beispiel: Der SC Paderborn hat in der Bundesliga (Anm.: 2014/2015) mit extrem mutigem Fußball begeistert. Sie haben das Spiel von hinten mit Kurzpass-Kombinationen aufgebaut, das war richtig gut für den Trainer. Der Trainer (Anm.: André Breitenreiter) ist danach zu Schalke gewechselt, das war ein großer Karrieresprung – für den Verein und die Fans war dieser Fußball vielleicht weniger gut. Man vergisst: In dieser Saison ist der SC Paderborn als Tabellenletzter abgestiegen. Das, was man meiner Meinung nach als Abstiegskandidat spielen sollte, ist eben ein anderer Fußball.
Haben Sie die Amateure schon kennengelernt?
Ich habe leider noch kein Spiel gesehen, aber sie trainieren neben uns und es sind immer wieder Spieler beim Training und bei Freundschaftsspielen dabei gewesen. Ich kenne schon einige.
Ist da jemand dabei, den man in näherer Zukunft an die Kampfmannschaft heranführen könnte?
Schon, ja. Tobias Koch und Florian Ferk sind zwei der Besten, die für die Profis aber noch nicht viel gespielt haben. Ich sehe sie jeden Tag im Training und es ist berechtigt, dass sie permanent bei uns sind. Das sind schon die Besten – also wenn, dann sie! Und danach diejenigen, die noch nicht voll in der Profimannschaft sind.
Wir danken für das Gespräch.
Das Gespräch führten Nikolaus Fink und Gernot Hofer
I was net. Geht’s nur mit so? Würd Interviews und PK’s von Nestor lieber auf englisch hören, weil ich den Eindruck habe, dass seine Aussagen dann noch eloquenter und fundierter sein könnten. Tat mi hoit roazn…
Schon lustig, vergleicht man dieses Interview mit jenem zuletzt aus der Kleinen, man müsste meinen, dass die dort die Hobbyjournalisten wären…
Ich wüsste keinen Championship Verein wo ich mich auch nur 1 Euro setzen trauen würde dass sie in einem Duell mit Haugesund rausfliegen würden
Davon abgesehen sehr interessantes Interview!!
Mir hinterlässt E. M. einen sehr kompetenten Eindruck welcher mich für die kommende Saison hoffen lässt.
180Grad Unterschied zu R. M.!
Ich traue der Mannschaft die Top3 mit dem derzeitigen Kader zu.
Würde mich mit einem weiteren Links, – bzw. Innenverteidiger für den Fall daß Maresic a wandert etwas wohler fühlen.