Eine Ziehharmonika ist echten Steirerbuam nicht fremd

Die Europacupschlacht Sturm Graz gegen Hellas Verona 1983

„Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen.“ Genau aus diesem Grund blickt SturmNetz.at in regelmäßigen Abständen zurück in die Historie eines Vereines, der so viele Hochs und Tiefs überwunden hat wie wohl nur wenige andere Klubs, der beispielsweise einst europaweit für Furore sorgte, um kurz danach finanziell in der Gosse zu landen. Ivica Osim brachte es wunderbar auf den Punkt: „Sturm deckt alles was schwarz ist in meinem Leben. Alles was weiß ist aber auch.“ Wir erzählen in dieser Rubrik „Gschichtn“, stürmische Gschichtn eben. 

Lontana da casa, ma mai del Verona“ – „Fern von zu Hause aber immer mit Verona!“ So lautet das Motto der Fans von Hellas Verona. 5000 der „Brigate Gialloblu“ pilgerten am 2. November 1983 nach Graz zum Zweitrundenrückspiel im UEFA Cup gegen Sturm, um ihre Mannschaft mit allen Mitteln zum Aufstieg in die nächste Runde zu peitschen – extrem rechts ausgerichtete Supporter, damals echte Vorreiter in der gerade aufkommenden Ultra-Bewegung, vielleicht kein Zufall in einer Stadt, die einst Benito Mussolini zur Verkündung seines Manifests der faschistischen Bewegung auserkoren hatte. Für den Anhang bestand kein Zweifel daran, als Sieger heimzukehren. Denn alles schön und gut, die große Unbekannte Sturm hat zwei Wochen zuvor im mit 40.000 Zusehern gefüllten Stadio Bentegodi zwar ein 2:2 erreicht, aber unter den italienischen Schlachtenbummlern war man sich einig, dass dies ausschließlich auf den Ausschluss eines ihrer Spieler zurückzuführen war.

Rein objektiv aber waren die Grazer in Verona die tonangebende Mannschaft und die Hausherren über weite Strecken stehend k.o. Denn nach der überraschenden 2:1-Führung der Steirer durch wunderschöne Weitschusstore von Laszlo Szokolai (18.) und Gernot Jurtin (26.) und der Roten Karte für den Verteidiger Luciano Marangon in der 40. Minute führte erst ein pauschaler Kurzschluss der gesamten Sturm-Verteidigung in der 44. Minute zum Ausgleich durch Giuseppe Galderisi und brachte die Italiener wieder zurück ins Spiel.

So erst wurde die Partie in der zweiten Halbzeit zur „Schlacht“ und wer sonst als Manfred Steiner vom „Eisenfuß aus Frankfurt“ (Der Defensivmann war sieben Jahre zuvor in einem Europacupspiel bei Eintracht Frankfurt mit dem Schienbein gegen den Torpfosten gekracht ohne dabei eine Miene zu verziehen, eine Szene die ein deutscher Journalist so kommentierte, „dass dieser Mann wohl einen Eisenfuß besäße“) zum „Turm von Verona“. Mit einem Riesencut am Kopf, einem blutverschmierten Sturmhemd und vollkommen ausgelaugt marschierte er in die Kabine, um dabei lächelnd festzustellen: „Solche Spiele taugen mir, die sind wie für mich geschaffen. Wenn totaler Einsatz gefragt ist, dann fühle ich mich wohl“. Steiner, damals schon im zwölften Jahr seiner Sturm-Karriere, meinte: „Wir müssen es schaffen und wir werden bereit sein, für den Erfolg zu kämpfen und dabei selbst Verletzungen zu riskieren. Der totale Kampf ist unsere Chance, für mich wird es das Spiel meines Lebens.“

Von offizieller Hellas Seite kommen leisere Töne. Trainer Osvaldo Bagnoli, in Italien eine lebende Legende, sieht Sturm als 65:35-Favorit und ist sicher, in Graz gegen eine Mauer anzurennen. Aber da hat er Sturmcoach Gernot Fraydl völlig unterschätzt, der dank einer taktischen Meisterleistung die Millionenstars aus Verona überrascht. Die hochgelobte, damals völlig innovative Ziehharmonika-Taktik (defensiv gut stehen und bei Ballbesitz mit sechs bis sieben Mann blitzschnell auf Angriff umschalten) der Veronesen entschärft er damit, dass er die Schwachstelle der Italiener, den rechten Verteidiger Storgato, nicht, wie erwartet, ständig attackiert, sondern ihn links liegen lässt. Diese Ignoranz irritiert den Defensivmann vollends und so hängt er praktisch 90 Minuten ohne Aufgabe in der Luft.

Zudem versucht Sturm zu agieren, anstatt zu reagieren. Hellas Verona hingegen fällt in der ersten Halbzeit nur durch brutale Fouls und unsportliche Mätzchen auf. Sturm lässt sich dadurch aber nicht aus dem Rhythmus bringen, kommt sogar zu den klar besseren Chancen:
4. Minute: Di Genaro tritt dem am Boden liegenden Steiner in den Bauch, statt der Roten Karte gibt es aber nur eine Ermahnung.
16. Minute: Fontolan rettet per Kopf, Jurtin nimmt den Abpraller direkt, doch Grella fischt den Ball aus der Ecke.
20. Minute: Szokolai zieht aus 25 Metern ab, knapp drüber.
23. Minute: Breber spielt ideal für Feirer ins Loch, der flankt, aber Ferroni klärt vor Szokolai.
Richtig gefährlich werden die Italiener erstmals in der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit. In der 53. Minute kommt Maurizio Iorio (damals aktuell Führender der Torschützenliste der Serie A mit sieben Treffern nach sieben Spielen) zum Schuss, Walter Saria wehrt ab und kann auch den Nachschuss von Pietro Fanna entschärfen. Zudem hat Iorio in der 84. Minute eine große Möglichkeit, aber sein Schuss geht um Zentimeter am Pfosten vorbei. Die größeren Möglichkeiten, das Spiel zu vorzeitig zu entscheiden, hat aber weiterhin Sturm. Zum einen, als Lazlo Szokolai in der 81. Minute aus 30 Meter Maß nimmt, der Ball aber von der Querlatte zurück aufs Spielfeld klatscht, zum anderen als Peter Huberts in der 85. Minuten ein Solo über das gesamte Spielfeld startet, aber kurz vor der Strafraumgrenze unsanft von Luigi Sacchetti gestoppt wird.

Die größte Gefahr, die Sturm an diesem Abend noch droht, kommt von den anfangs erwähnten Brigate Gialloblu. Als die enttäuschten Tifosi zehn Minuten vor Spielende den Zaun in der Südkurve abmontieren, Steine, Feuerzeuge, Liremünzen und Tomaten aufs Spielfeld werfen, bedarf es der behelmten Einsatzgruppe der Grazer Polizei und Wasserfontänen der Kirchbacher Feuerwehr, um diese zurückzudrängen und so einen Abbruch zu verhindern. Von außen betrachtet schien diese Aktion als unbeholfen, völlig überzogen, vom deutschen UEFA-Beobachter Ferdinand Biwerski kam allerdings Lob, denn „nichts anderes war mehr möglich“, wogegen ihm die Leistung des Schiedsrichters Laszlo Györi weniger schmeckte, denn dieser „hätte zumindest zwei Italiener vom Platz stellen müssen.“

Die Verona-Fans sind im Laufe des Spiels immer wütender geworden. Viele sind auf den Zaun geklettert, haben gerüttelt und sind darauf herumgesprungen, bis er nachgegeben hat. Dann wollten sie auf den Platz stürmen. Das war der Moment, als die Polizei den Befehl „Wasser marsch!“ gegeben hat. Innerhalb kürzester Zeit war das mit dem Platzsturm erledigt. Wie viele von den Italienern krank geworden sind, weiß ich nicht. Es war ja recht frisch in dieser Nacht – wettermäßig meine ich. –  ehem. Sturm-Vorstandsmitglied Franz Politsch im Sturm-Echo, Ausgabe 343

Als der Ungar das Spiel abpfiff, war das aber alles vergessen. Zwar hat die Dusche auch einige Sturmfans eiskalt erwischt, genau jene, denen nach verzweifelter Suche nach einem freien Platz im mit 22.000 Zusehern restlos ausverkauften Liebenauer Stadion nichts anders übrig blieb, als sich unter die Hellas-Fans zu mischen. Der sensationelle Aufstieg entschädigte aber auch dafür. Mit einer Ehrenrunde verabschiedeten sich die Sturmspieler vom Heimpublikum, einem Anhang, der an diesem Abend den Dezibelvergleich mit den „Matti di Verona“ (die „Verrückten aus Verona“, wie sie sich selbst nannten) nicht scheuen musste. Allen eingesetzten Sturmspielern gelang es, über sich hinauszuwachsen, herauszuheben war an diesem Abend aber noch neben dem bereits erwähnten Mandi Steiner vor allem Peter Hubertsder das Hirn der Italiener, Pietro Fanna kaltstellte, sowie Laszlo Szokolai, der unter Beweis stellte, dass er ein „großer Spieler für große Spiele“ ist. Wie stark Hellas Verona zu dieser Zeit war, zeigte die folgende Spielzeit in der Serie-A, als sich die Norditaliener zum ersten und einzigen Mal den Scudetto – den Titel in der italienischen Meisterschaft – sicherten. Die 80er-Jahre waren für die Norditaliener die erfolgreichste Zeit in der Vereinsgeschichte, später wurden die Blau-Gelben hingegen zu einer Fahrstuhlmannschaft, die ständig zwischen Serie-A und Serie-B hin- und herpendelte. Gegenwärtig liegt man in der zweithöchsten italienischen Liga auf Platz drei.

Rudi Schauss, Zvonko Breber und Mandi Steiner jubeln über den sensationellen Aufstieg (c) Foto-Fischer-Graz

SK Sturm Graz – Hellas Verona 0:0

2.November 1983, UEFA CUP, 2. Runde (Rückspiel), 22.000 Zuschauer, Schiedsrichter: Györi (Ungarn)

SK Sturm: Saria; Pichler; Feirer, Steiner, Schauss; Hörmann, P. Huberts, Breber, Thonhofer; Jurtin, Szokolai(89. Marko)

Hellas Verona: Garella; Tricella; Storgato, Fontolan, Ferroni; Volpati, Di Gennaro, Sacchetti; Iorio, Galderisi(70. Jordan), Fanna

 

5 Kommentare

  1. Marchanno Diaz Rabihou sagt:

    Herrlicher Artikel, herrliche Fotos & Relikte (Eintrittskarte!)

    Diese Geschichte lesen weckt mehr Emotionen wie gesamte Saison 2015, 2016 und 2017 zusammen

  2. graz4ever sagt:

    Leider war dieses Spiel vor meiner Zeit, kenne aber die begeisterten+emotionalen Gschichtn meiner Fam und der SturmNetz Artikel hat dieses Bild jez für mich vervollständigt…THX 🙂

    PS.: Bitte aktuelle Sturm Mannschaft, nehmt euch ein Beispiel an diesem, wahren!!! Sturm Geist und fangt euch endlich an zu zerreißen für Sturm!!! Und FF: nimm dir ein Beispiel an innovativer Taktik!!!!!

  3. mgbj49 sagt:

    Was fehlte an der Herbstsaison 2016?

    • Marchanno Diaz Rabihou sagt:

      Gleich beschissen gespielt wie jetzt, aber 1:0 gewonnen

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