Eine Schande für Sturm

Es ist kein allzu großes Geheimnis, dass soziale Medien mitunter zu einem Hort für hasserfüllte Minderbegabte verkommen sind, die in tragischer Regelmäßigkeit ein erschreckend tiefes Niveau und ein kollektives, kognitives Versagen demonstrieren – mittlerweile in jedem Lebensbereich. Nicht zuletzt auch aufgrund des aktuellen Fehlens der diesbezüglich klar im Widerspruch stehenden Nordkurve, die diesen Umstand womöglich etwas zu überdecken vermochte, wird klarer und schmerzhafter als jemals zuvor, wie sehr all das auch vor Sturm nicht haltmacht – ausgerechnet vor jenem Verein, der seit jeher etwas völlig Konträres darstellt.

Günter Kreissls Verdienste für die Schwarz-Weißen sind in Summe schwer festzumachen, zweifellos allerdings hoch einzustufen. Wie kaum ein anderer in der Post-Konkurs-Ära prägte er den Verein und veränderte diesen endlich in vielfacher Hinsicht nachhaltig. Unterhält man sich im Vereinsumfeld über den Wiener, so gehören neben großer Wertschätzung Begrifflichkeiten wie „Schlangengrube“, „zermürbt“, „Hawara-Partie“ (Anm. Verbandelungen zwischen Vereinsangehörigen und ausgewählten Journalisten sind gemeint) oder Phrasen wie „in Fehler getrieben“ zum Standard-Repertoire. Das sei lediglich am Rande erwähnt. Man muss freilich nicht jede Entscheidung des ehemaligen Geschäftsführer Sport gutheißen. Doch es erscheint beinahe ironisch, dass ausgerechnet Günter Kreissl, der den Verein endlich für konstruktive Kritik öffnete, sich dieser auch ausnahmslos annahm, die Sturm-DNA nicht nur verstand und verkörperte, sondern auch über allen Maßen genoss, den geistigen Brechdurchfall eines – leider gar nicht so kleinen – Teils des Grazer Anhangs voll abbekam. Zu diesem Zeitpunkt erging es anderen bereits sehr ähnlich oder haben Derartiges bereits hinter sich. Insbesondere der sensible Philipp Hosiner wurde von den selbsternannten Experten rasch zum Sündenbock für das Ausbleiben sportlicher Erfolge ausgemacht – in einer Mannschaft, die längst überhaupt nicht mehr funktionierte, hätten es die Angreifer richten sollen. So weit scheint es nicht hergeholt zu sein, dass schließlich das eine das andere bediente. Und es kam bekanntlich tatsächlich, wie es kommen musste – eine self-fulfilling prophecy.

Eine typische Wortspende eines „Fans“. Hier auf der Facebook-Seite von SturmNetz unterhalb des Beitrags „Günter Kreissl verlässt Sturm“. © Screenshot / Facebook

Ohnehin zeichnet sich in puncto Stürmer ein Trend ab. Wüsste man es nicht besser, man könnte davon ausgehen, in Graz spazierten Klasse-Stürmer und Tormaschinen seit jeher ein und aus. Anders ist es kaum zu erklären, warum sich stets derart rasch auf jene eingeschossen wird. So droht gegenwärtig Bekim Balaj, der an der Mur unter anderem aufgrund seiner Kopfball- und Zweikampfstärke bereits zu den qualitativ hochwertigeren Stürmern der jüngeren Vereinsgeschichte zählt, ein ähnliches Schicksal wie dem bereits erwähnten Hosiner. Sich reflexartig auf jene Protagonisten mit Ladehemmung zu stürzen, denen es vermutlich am meisten an Selbstvertrauen bedarf, erscheint allerdings nicht nur grotesk, sondern schlichtweg dumm. Wie sich das auszuwirken vermag, lässt sich derzeit am 29-jährigen Albaner wunderbar veranschaulichen. Trotz seiner unbestreitbaren Qualitäten dürfte ihm die Kugel derzeit ob völliger Verunsicherung wenig Freude, dafür aber viel Stress verursachen. Dabei hätte Balaj das Potenzial, den letzten Stürmer, der in Graz funktionierte, sich jedoch unrühmlich vom Staub machte und anschließend abermals rasch in der Versenkung verschwand, vergessen zu machen. Der Neuzugang und Partner an vorderster Front, Kevin Friesenbichler, war sogar schon nach wenigen Minuten Einsatzzeit und einiger misslungener Aktionen weitestgehend abgestempelt.

© Martin Hirtenfellner Fotografie

Unter diesen Voraussetzungen war es von Andreas Schicker sogar überaus vernünftig, in der abgelaufenen Spielzeit nicht dem Wunsch vieler Fans zu entsprechen und eine bereits gänzlich bedeutungslose Saison mit jungen Nachwuchstalenten zu Ende zu bringen. Denn Graz ist wohl nicht nur abseits des Feldes eine Schlangengrube – selbst ein stattfindender Umbruch zugunsten einer sportlich langfristigen Neuausrichtung ändert daran wenig. So verwundert es letztlich auch gar nicht mehr, dass verdiente Akteure, die zum Teil dem Verein trotz anderer Möglichkeiten die Treue gehalten haben, keinerlei Wertschätzung mehr erfahren, dafür aber bei der nächstbesten Gelegenheit beschimpft werden, weil Minderwertigkeitskomplexler ihren Frust abzubauen gedenken. Geradezu beschämend ist dieser Umstand für einen Verein, der sich über Treue, Leidenschaft, Wille, Kampf und vor allem Zusammenhalt über soziale Schichten, Herkunft oder Hautfarbe hinweg definiert. An die Hassprediger sei daher Folgendes ausgerichtet: In Graz wäre man ohne euch besser dran. Denn ihr seid eine Schande für Sturm.

12 Kommentare

  1. Strauss sagt:

    Soziale Medien- die Toilette des Internet.

    • Kolkrabe sagt:

      Genau auf den Punkt gebracht! Statistisch signifikant ist die Anzahl der Posts nach einem Sieg wesentlich geringer als nach einer Niederlage. Da raucht’s nur so im Netzwerk der Fanseite…

  2. Chris1909 sagt:

    Sehr sehr guter und leider auch wahrer Beitrag über die geistigen Tiefflieger, die beinahe schon tag täglich ihr Unwesen im schwarzen-weißen Sozialmedia-Auftritt treiben.
    Keine Ahnung ob es bei anderen Vereinen auch so ist, aber meines Erachtens ist das auch ein Zeichen unserer immer verrückter werdenden Zeit und Gesellschaft. Immer mehr Menschen fehlt es an Anstand, Moral, Einfühlvermögen, Dankbarkeit und Weitsicht. In anderen Worten: Der Wohlstand ist leider zu viel geworden, den Menschen geht es zu gut. Der Lockdown im März/April war zu wenig. Traurig aber wahr.

  3. Schworza99 sagt:

    Diese Polarisation der Gesellschaft ist aber ein allgemeines Phänomen. Social Media ist da quasi der Brandbeschleuniger. Andere Meinungen sind tabu, die eigene ist die einzige und der Rest muss verstummen.

    Man muss einfach für sich selbst denken und dann bewerten. Man darf sich von niemanden beeinflussen lassen, egal wieviele Follower er hat oder nicht hat. Wie es schon Kant gesagt hat, man sollte sich nicht fürchten auch mal selbst über Dinge nachzudenken.

  4. Generation94 sagt:

    Gebe allen bisherigen Kommentatoren recht. Außerdem sind seit dem Aus des Gack die Raunzer und Nörgler nun scheinbar bei uns dabei. Bis 2005 war ja eigentlich nur das rote Graz anfällig für Dauernörglerei. Wir sind immer für Zusammenhalt gestanden. Immer.

    • fuchsrob sagt:

      Sind wir uns mal ehrlich: Irgendwie gehört das Raunzen und Nörgeln aber auch dazu! Das zeigt, dass einem die aktuelle Situation „net wurscht is“. Gestandene Profis müssen das auch verstehen und aushalten. Solange die Nörgeleien nur den Fussball betreffen und net niveaulos, persönlich und unter die Gürtellinie gehen ist das für mich ok.

  5. ds1909 sagt:

    Jedes einzelne, geschriebene Wort ist wahr.
    Zwei Dinge die mir noch fehlen:
    1. Die Verteufelung des Robert Beric der “richtigen Fans”, der uns als dank dafür danach bei Rapid eingeschenkt hat.
    2. Nicht nur die Kommentare auf den social Media Plattformen (die ich nicht lesen kann, weil keine acc`s), sondern teilweise auch hier. Wo von Präsidenten bis zu Spieler alles beschimpft wird.

  6. JPMartens sagt:

    Auch ich bin dagegen, dass man auf Balaj hinhaut, bringt in dieser Saison nichts, es ist aber schwer vorstellbar, dass sein Vertrag verlängert wird bzw. die Option gezogen wird.
    Spannend find ich aber den Umgang des Vereins, mit ihm im Vergleich zu Hosiner oder Eze, den die Beiden waren bzw. sind keinen deut schlechter als er.
    Der Umgang des Vereins und auch speziell der Kreissl / Mählich Connection gepaart mit Fanbashing im Stadion und Sozialen Medien haben ihn sicher zu denken gegeben.
    Allerdings speziell im Fall von Balaj möchte festhalten, dass es keine Beschimpfungen oder Pfiffe während einem Spiel gab, Foren und Soziale Medien wird er auf deutscher Sprache nicht verstehen.
    Dennoch muss auch am bestverdienensten Sturm-Spieler aller Zeiten auch teilweise harte Kritik erlaubt sein und sie ist in seinem Fall berechtigt, er ist aus meiner Sicht auch kein guter Spieler.

    • neubeginn sagt:

      mMn braucht es einfach eine Regel:
      jeder Post der negatives bzgl einem Spieler behandelt muss auch gleich viele positive Themen hervorheben, damit hier Feedbackkultur, anstelle von Frustabladung entsteht.

      Ja, Hosnier konnte leider nicht emotional zünden und nachdem kein Stürmer damals etwas Vertrauen bekam, konnte sich auch keiner behaupten. Balaj und Friese bringen es schon noch.
      Friese zeigt guten Einsatz und ist manchmal zu zaghaft vor dem Tor. Mit etwas weniger Stress(Fehler–> Abschreiben) gelingt ihm sicher noch deutlich mehr. Auch Balaj hat durch das 2 ST System viel mehr Räume für Kopfbälle.

  7. Arch Stanton sagt:

    Bitte nicht hier oder sonstwo von einem roten Graz zu sprechen!
    Zumindest sportlich nicht..

  8. skstg1909 sagt:

    Danke für diesen Kommentar. Vollinhaltlich richtig. Leider sehr traurig wie immer wieder einige (leider gar nicht so wenige) es brauchen ihr minimales Selbstwertgefühl aufbessern zu versuchen, indem sie auf andere hinhauen. Die größte Frechheit die mir dabei immer wieder unter kommt, ist dabei dies als ,,konstruktive Kritik“ zu bezeichnen!

  9. schwoaza Peter sagt:

    Sehr schöner und längst überfälliger Artikel, danke sehr lesenswert.
    Ich hoffe man erinnert sich auch noch daran wenn man mal aus welchen Grund auch immer mit einer 3:0 Packung aus Altach heimfährt !!
    Die wahre Größe zeigt sich in der Niederlage, gilt auch für den Fan.

    Ein wirkliches Statement wäre so ein Artikel gewesen als die Kacke wirklich gedampft hat, als mehr oder weniger alle Protagonisten in der Luft zerrissen wurden,
    trotzdem „Shampoo“ dem Autor.

    swg

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