Die Schwoazn in Europa und die Hürde Slovan Bratislava
Fast auf den Tag genau zwei Monate wird es her sein, dass der SK Sturm auswärts in Lissabon eine herbe Klatsche einstecken musste. Eine Leistung, auf die man nicht stolz sein sollte und die in jedem Paralleluniversum wohl zu einem Ausscheiden aus dem internationalen Geschäft geführt hätte. An diesem Dezembertag standen die Sterne aber gut für Sturm Graz, immerhin verlor der direkte Konkurrent Rakow Czestochowa das Parallelspiel gegen Atalanta Bergamo mit 0:4. Eine etwas glückliche Fügung, die man nach der glücklosen Tabelle der Vorsaison, als man punktegleich mit Tabellenführer Feyenoord Rotterdam trotzdem Tabellenletzter wurde, unisono als ausgleichende Gerechtigkeit bezeichnete. Die Auslosung bescherte dem SK Sturm für das erste K.O.-Duell immerhin keine allzu lange Anreise: Es geht zum slowakischen Meister Slovan Bratislava.
Vereinsgründung und erste Jahre
1919 war für Bratislava und die Slowakei allgemein ein turbulentes Jahr. Europa liegt noch immer in Trümmern, neun Millionen Soldaten haben ihr Leben gelassen und die Grenzen Europas werden neu gezogen. Kaiser Karl IV. verzichtete nach der Niederlage im ersten Weltkrieg auf „jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ und wurde später von der Entente nach Madeira verbannt.
Dieses Machtvakuum und der Zerfall der k.u.k-Monarchie führten zu einer Welle an Unabhängigkeitsbestrebungen, die zur Ausrufung der ersten tschechoslowakischen Republik führte. Während in Europa insbesondere in Deutschland und England bereits vor dem ersten Weltkrieg die ersten Fußballmeisterschaften ausgetragen wurden, war die Tschechoslowakei verhältnismäßig spät dran. Zwar wurde in Presov bereits 1895 der erste Fußballverein auf slowakischen Boden gegründet, zu einem organisierten Spielbetrieb kam es aber erst gegen Ende der 1910er-Jahre.
Einer der Klubs, die in dieser Zeit ins Leben gerufen wurden, war der 1. CsSK Bratislava – die Urversion des kommenden Gegners der Schwoazen. Das „Cs“ steht dabei für Česko-slovenský, also „tschechoslowakisch“. Gegründet wurde der Verein übrigens tatsächlich von tschechischen Funktionären, die zu dieser Zeit den Verwaltungsapparat in den slowakischen Teilen der Tschechoslowakei unterstützten.
Erste Titel und Nachkriegszeit
Bis 1935 gab es mehrere Amateurmeisterschaften in der Tschechoslowakei – es gab sowohl eine Meisterschaft für jeden Landesteil, als auch eine tschechoslowakische Meisterschaft. In dieser Zeit, also in den 16 Jahren nach der Vereinsgründung, konnte CsSK respektable zehn Meisterschaften gewinnen, acht davon in der slowakischen Amateurmeisterschaft. Vier weitere Meisterschaften konnte der mittlerweile in SK Bratislava umbenannte Klub während des zweiten Weltkrieges in der zwischenzeitlich von der Wehrmacht besetzten Slowakei für sich entscheiden.
Nach dem 2. Weltkrieg – mittlerweile wurde die zweite tschechoslowakische Republik ausgerufen – wurde der SK Slovan Bratislava zu einer der führenden Adressen im nationalen Fußball. Bis zur Unabhängigkeit 1993 holte man acht Meisterschaften in der mittlerweile professionalisierten tschechoslowakischen Liga. Die Sternstunde im nationalen Fußball feierte man in der Tschechoslowakei übrigens am 20. Juni 1976 in Belgrad, als man die Auswahl der BRD mit bekannten Namen wie dem kürzlich verstorbenen Franz Beckenbauer, Berti Vogts oder Uli Hoeneß im Finale der Europameisterschaft überraschend bezwingen konnte. Der Held des Abends war der spätere Profi des SK Rapid Antonin Panenka, der sich mit seinem historischen Elfmeter in die Geschichtsbücher des europäischen Fußballs eintrug. Von den elf Spielern in der Startelf standen übrigens gleich sechs bei Slovan unter Vertrag.
Nach der Unabhängigkeit der Slowakei 1993 blieb Slovan im nationalen Fußballbetrieb dominant, insgesamt konnte man in der Geschichte des Vereins ganze 29 nationale Titel in Hauptstadt holen – 21 davon in der slowakischen Meisterschaft. Zuletzt gewann man die slowakische Meisterschaft gar fünf Jahre in Folge. Außerdem stehen 17 slowakische und fünf tschechoslowakische Pokalsiege zu Buche. Den größten internationalen Erfolg feierte man 1969 im Basler St. Jakob Park, als man den großen FC Barcelona im Finale des Europacups der Pokalsieger mit 3:2 besiegte und den bis dato einzigen internationalen Titel in die Slowakei holte.
Wiedersehen mit Kevin Wimmer – der Kader
Ganz besonders Kevin Wimmer, der ehemalige Profi von den Tottenham Hotspur, Stoke City und Rapid Wien dürfte es nach der Auslosung ziemlich in den Fingern gekribbelt haben. Im vergangenen Juli wechselte er aus Hütteldorf nach Bratislava, wo er sich mehr oder weniger als Stammspieler durchsetzen konnte. Beim letzten Aufeinandertreffen mit dem SK Sturm wurde Wimmer von den Offensivkräften der Grazer vorgeführt, wenig später wurde im ausverkauften Wörtherseestadion der ÖFB-Pokal an Stefan Hierländer übergeben.
Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Slovan defensiv doch Qualität hat. In der laufenden Saison in der nike Liga führt man die Tabelle mit nur einer Niederlage und 15 Siegen in 19 Spielen mit zehn Punkten Vorsprung auf MSK Zilina – gegen die man am Wochenende einen 4:0-Sieg einfahren konnte, an, dabei erhielt man nur 15 Gegentore – Bestwert. Dazu haben neben Kevin Wimmer auch seine Abwehrkollegen Kenan Bajric und Guram Kashia ihren Teil beigetragen, ebenso der 36-jährige Leihspieler (!) Milan Borjan, der das Tor der Hauptstädter hütet. Die genannten drei Abwehrspieler bilden die nominelle Dreierkette, wobei Trainer Vladimir Weiss gerne auch zu einer Viererkette greift. Ist das der Fall, kommen in der Regel Cesar Blackman über Rechts zum Einsatz, der mittlerweile nach Russland abgewanderte Lucas Lovat spielte bisher als Linksverteidiger. Aktuell läuft wohl noch die Suche nach einem geeigneten Ersatz.
Vladimir Weiss tendiert dazu, seine Mannschaft in jedem Spiel neu aufzustellen. Fix definierte Stammspieler gibt es ebenso wenig wie ein fixes System – Weiss ist also sowas wie die Antithese zu Christian Ilzer. Der Vorteil liegt auf der Hand – Variabilität kann dabei unterstützen, die Schwächen des Gegners auszunützen. Dafür braucht man allerdings eine Mannschaft, die mit dieser Variabilität auch mithalten kann. Ein Blick auf die letzten Spiele und deren Aufstellungen verrät, dass so mancher Rechtsverteidiger sich plötzlich als Sechser oder Außenstürmer beweisen musste. Der Erfolg gibt Weiss mit seiner Taktik bisher aber durchaus recht, wobei eine genaue Prognose der Aufstellung auch in diesem Fall schwer wird.
Geht man davon aus, dass Slovan mit einer Dreierkette auflaufen wird, die gegen den Ball zur Fünferkette wird, wie es gegen nominell stärkere Gegner üblich zu sein scheint, gibt es neben der Dreierkette und zwei „Fullbacks“ ein kompaktes und zentrales Mittelfeld aus drei klassischen Achtern. Vor allem Juraj Kucka (man kennt ihn vielleicht noch aus seiner Zeit bei den Rossoneri aus Mailand), Jaba Kankava und Kyriakos Savvidis dürften sich hier Hoffnungen auf einen Einsatz machen. Alle drei verbindet ein robustes Zweikampfverhalten und ein kluges taktisches Verständnis.
Vorne bleiben noch zwei Namen zu nennen – Tigran Berseghyan ist mit sieben Toren und sieben Assists einer der Topscorer der Hauptstädter. Neben ihm würde man Aleksandar Cavric vermuten, der bei nicht weniger beeindruckenden neun Toren und sechs Assists steht, vor wenigen Tagen aber zur Überraschung der Fans zu den Kashima Antlers in die japanische J1 League verliehen wurde. Ersetzen könnte ihn Vladimir Weiss Junior, der aufgrund seiner mutmaßlich bevorzugten Behandlung durch seinen Vater in der Kritik steht. Und in der Tat rechtfertigt der ehemalige Star von Manchester City seine Kapitänsbinde auf dem Platz nicht wirklich: Nur sechs Einsätze konnte er in der laufenden Saison beitragen, dabei verbuchte er einen Assist. Aktuell laboriert er allerdings an einer Fersenverletzung, weshalb ein Einsatz gegen den SK Sturm zumindest fraglich ist.
Die letzte wirklich realistische Option im Sturm ist der Slowake David Strelec – ein Akademieabsolvent der hauseigenen Fußballschule, den es aber bereits 2021 nach Italien zog. Aktuell ist er Auf Leihbasis von Spezia Calcio wieder bei seinem Heimatklub, auch er konnte bisher acht Ligatore erzielen.
Was Sturm erwarten wird
Vladimir Weiss und seine Mannschaft werden mit breiter Brust in die Steiermark reisen. Die letzten Ergebnisse in der nike League sprechen eine eindeutige Sprache – nach fünf Titeln in Folge wird es auch in der laufenden Saison kein Vorbeikommen an Slovan geben.
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass der Fußball in der Slowakei mit den goldenen 60ern und 70ern nicht mehr viel gemein hat. Den internationalen Anschluss hat man schon lange verpasst, Investitionen viel zu spät getätigt. Die Slowakei liegt in der UEFA Fünfjahreswertung zwischen Bulgarien und Aserbaidschan auf einem enttäuschenden 27. Platz, im Ranking der Klubkoeffizienten liegt Slovan Bratislava als bester slowakischer Vertreter gar nur auf Rang 61 – zwischen Qarabag Agdam und Bodö/Glimt.
Für den SK Sturm spricht also ganz grundsätzlich die Qualität im Kader und in der Liga. Ein weiterer großer Pluspunkt ist wohl die Atmosphäre in Liebenau. Wie immer werden die Anhängerinnen und Anhänger des SK Sturm die Merkur Arena in einen Hexenkessel verwandeln. Umstände, die Slovan Bratislava nicht jeden Tag erlebt, hat man doch trotz der nachgesagten Ultraszene, die wohl auch eine Freundschaft zur Wiener Austria pflegt, selten mehr als 4.500 Fans in der 22.500 Personen fassenden Heimstätte. Auch auswärts gibt es selten lautstarke Fans und volle Arenen – sieben von zwölf Erstligisten in der Slowakei weisen einen enttäuschenden Zuschauerschnitt von teils weit unter 2000 BesucherInnen auf.
Für Slovan spricht allerdings die taktische Variabilität, die sich so mancher Fan des SK Sturm auch wünschen würde. Die Unberechenbarkeit, die damit einhergeht, könnte die Schwoazen am Ende doch an ihre europäischen Grenzen bringen. Spielerisch hat Slovan Bratislava zwei Gesichter. Spielt man national teils wirklich schnellen und attraktiven Fußball, muss man sich international doch des Öfteren auf eine solide Defensive und den berühmten hohen Ball nach vorne verlassen – was bisweilen nicht schlecht funktioniert. Das kompakte Mittelfeld rund um Juraj Kucka kann die Bälle festmachen und verteilen. Hier wird sich aller Voraussicht nach vor allem ein Duell zwischen Jon-Gorenc Stankovic und besagtem Kucka um die Mittelfeldhoheit anbahnen.
Auch auf den Flügeln könnte es zu spannenden Duellen kommen. Tigran Barseghyan wird zwar nominell oft als Mittelstürmer aufgeboten, lässt sich aber gerne auch zurückfallen oder sorgt auf den Flügeln für Furore als offensiver Freigeist, der die Sturm-Defensive bestimmt beschäftigen wird. Der SK Sturm wird sich auch mental darauf vorbereiten müssen.
Es kommt ein Gegner, der am Papier leicht unterlegen ist und darüber hinaus im Winter so machen Abgang verkraften musste. Aber es sind oft genau diese Spiele, die einem die größte Disziplin und den größten Ehrgeiz abverlangen. Wenn Sturm Graz seine Qualitäten auf allen Positionen über zwei Mal 90 Minuten auf den Platz bringt, fokussiert und konzentriert bleibt, wird Slovan Bratislava das Nachsehen haben. Im Achtelfinale würden unter anderem mit Aston Villa oder OSC Lille jedenfalls auch sehr attraktive Gegner warten. Grund genug, voller Vorfreude und mit den lauten Fans im Rücken in dieses Hinspiel zu gehen.
Hut ab vor dieser umfassend recherchierten Vorstellung des slowakischen Gegners von Sturm! Mögen es alle Fans mit einem 100prozentigen Verzicht auf Pyrotechnik belohnen!
kleine Korrektur:
„immerhin verlor der direkte Konkurrent Rakow Czestochowa das Parallelspiel in Bergamo mit 0:4“
Das Parallelspiel war in Polen
Danke, wird ausgebessert!