Die Mutter aller direkt verwandelten Eckbälle
„Um die Gegenwart zu verstehen, muss man die Geschichte kennen.“ Genau aus diesem Grund blicken wir von SturmNetz.at in regelmäßigen Abständen zurück in die Historie eines Vereines, der so viele Hochs und Tiefs überwunden hat wie wohl nur wenige andere Klubs, der beispielsweise einst europaweit für Furore sorgte und danach finanziell in der Gosse landete. Ivica Osim brachte es wunderbar auf den Punkt: „Sturm deckt alles, was schwarz ist in meinem Leben. Alles, was weiß ist, aber auch.“ Wir erzählen in dieser Rubrik „Gschichtn“, stürmische Gschichtn eben. Die heutige Ausgabe handelt – inspiriert durch den direkt verwandelten Corner von Thomas Schrammel im Testspiel gegen Lech Posen – von der Mutter aller dieser äußerst seltenen Treffer.
„SO EINEN GIBT’S NUR EINMAL – SO EINER KOMMT NIE MEHR!“
So hieß es damals, Mitte der 80er-Jahre in Graz, als eine Mannschaft des Sportklubs Sturm ohne ihren Bozo Bakota an vorderster Front schier unmöglich schien. In 200 Pflichtspielen erzielte er 105 Tore für die Blackys, 86 davon in der Bundesliga. Bereits sein erster Volltreffer im Sturm-Trikot bleibt für viele Sturm-Knofel bis heute unvergessen.
Beim NK Zagreb, dort wo er auch mit dem Fußballsport begann, ist er Mittelfeldspieler, allerdings versehen mit einem echten Torriecher. Zehn Treffer pro Saison sind keine Seltenheit. Bereits hier durchlebt er Abstiege und Aufstiege, schon damals ein Spiegelbild seines späteren, bewegten Lebens. Im damaligen Jugoslawien durfte man erst nach Vollendung des 28. Lebensjahres das Land verlassen. Zudem stellt der nationale Fußballverband die Rute ins Fenster und teilt Bakota unmissverständlich mit, bei einem Wechsel in das Ausland nicht mehr für die Nationalmannschaft auflaufen zu dürfen. Als Bozo 1979 dieses Alter erreicht, bekommt er umgehend ein Angebot von FC Sunderland – im Übrigen über den damaligen Manager von Ivan Osim. Ein Vorvertrag ist schon unterschrieben. Zweimal läuft er im roten Trikot der „Black Cats“ auf, doch man entscheidet, sich mit dem Schotten Thomas Ritchie zu verstärken und schickt den Kroaten weg. Sein Manager beordert Bozo daraufhin nach Wien, wo er bei der Austria ein Training absolviert. Trainer Erich Hof ist angetan von Bakotas Schnelligkeit und organisiert ein Testmatch, um den Offensivmann noch genauer unter die Lupe nehmen zu können. In der Zwischenzeit jedoch hat Bakotas Vermittler auch schon bei Rapid vorgesprochen. In Hütteldorf läuft Bakota nach nur einem Mannschaftstraining bei einem Intertoto-Spiel gegen St. Gallen für die Grünen ein, ein paar Tage später nochmals bei einer Partie gegen Eintracht Frankfurt. Bozo Bakota vermag zu glänzen, nur Rapid-Trainer Walter Skocik ist wenig hingerissen und meint, er suche doch einen ganz anderen Spielertypen. Es sollte dies einer der wohl wichtigsten menschlichen Irrtümer in der Geschichte des Sportklub Sturm sein.
Zunächst zweifelt Bakota aber noch, die von NK Zagreb geforderte Ablösesumme von 1,8 Millionen Schilling scheinen selbst ihm zu hoch. Da erinnert er sich an ein Gespräch mit seinem Landsmann und Sturmtrainer Otto Baric. Dieser hatte ihm einige Monate zuvor versprochen, sollte es mit dem Sprung zu einer ganz großen Adresse im europäischen Klubfußball nicht klappen, möge er sich doch melden. Vielleicht könne er ja was machen. Gesagt, getan. Baric fährt daraufhin persönlich nach Wien und lotst Bozo direkt in das Büro des damaligen Klub-Präsidenten Franz Gady. Dieser scheint angetan, nur die Ablösesumme ist für Sturm in diesen Tagen schlichtweg nicht zu stemmen. Bakota kehrt zu seinem Stammverein zurück und es gelingt ihm, die dortigen Klubbosse davon zu überzeugen, seine Ablösesumme auf 300.000 Schilling herunterzusetzen. Umgehend teilt er dies den Klubverantwortlichen in Graz mit. Am 27. September 1980 ist der Deal somit unter Dach und Fach. Bakota düst in einem Zastava – beladen nur mit dem Allernotwendigsten – los und erreicht die steirische Landeshauptstadt am späten Nachmittag. Dort erfährt er, dass in wenigen Stunden ein Meisterschaftsspiel gegen den LASK ansteht und er schon heute für die Blackys auflaufen soll.
Sturm spielte mit: Saria; Wirth, Steiner, Pichler, Schauss; Breber, Schilcher, Hörmann; Bakota, Kulmer, Jurtin
6.000 Zuschauer sind in das Stadion Liebenau gekommen und werden Zeugen eines unvergesslichen Augenblickes – eines wohl einzigartigen und doch so wegweisenden Momentes. 20 Minuten sind gespielt, als dem SK Sturm ein Eckball zugesprochen wird. Und sich ein Neuzugang aus Jugoslawien selbstbewusst die Kugel schnappt um diesen auszuführen; im Sturmtrikot mit der Rückennummer 7. Diese Zahl war schon zu Hause in Zagreb immer seine Glückszahl gewesen. Der spätere Nationalteamtorhüter Klaus Lindenberger hat keine Ahnung, wer denn dieser Fußballer überhaupt ist. Und er weiß daher auch nicht, dass dieser mit allen Wassern gewaschen ist. Mit nur wenigen Schritten Anlauf schlenzt er den Ball gefühlvoll über den Kopf des im Fünfer herumirrenden und verdutzten LASK-Goalies zur 1:0-Führung. Als er in der letzten Minute auch noch den Treffer zum 2:0-Endstand von Gernot Jurtin vorbereitet, ist Bozo nach nur 90 Minuten in Graz angekommen. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal ein Quartier hat. Nach dem Spiel geht er mit seinem Trainer und Landsmann Otto Baric in dessen Wohnung und übernächtigt dort im Wohnzimmer. Eine Wohnung wird schnell bereitgestellt, Bozos Wirken bei Sturm bleibt ein langes und vor allem unvergessenes. Sechs Jahre zerbombt er die Tornetze in der Bundesliga, schießt die Blackys beinahe in ein Europacup-Halbfinale, wird Herbstmeister, Vizemeister und österreichischer Torschützenkönig. Doch gerade im 7. Jahr – eine Zahl, mit der man ihn in Graz wohl für immer und ewig verbinden wird – muss er aufgrund gesundheitlicher Probleme seine Sturm-Karriere beenden. Zu lange hat sich Bozo, auch immer wieder angeschlagen, für die Blackys ins Zeug geworfen. Zu oft ließ er sich vor einem Spiel fitspritzen.
Für Otto Baric war Bakota wie ein Pferd – schnell und willig, für Gernot Fraydl ein einzigartiger Spieler mit unglaublichem Tempo und faszinierender Technik, Mario Haas bezeichnete ihn als sein erstes und einziges Vorbild und Andy Pichler erklärte, dass man, wenn es eng wurde, den Ball halt einfach blind nach vorne schlug und hoffte, dass es der Bozo schon richten würde.
Nach seiner Sturm-Karriere versuchte er es noch unter seinem ehemaligen Mitspieler Zvonko Breber bei Allerheiligen, später auch noch in Wildon. 1990 heuert er bei Croatia Toronto an, doch Bakota ist bereits 40 Jahre alt und körperlich nur noch ein Schatten seiner selbst. Bozo kehrt heim nach Kroatien, wird zum Heer eingezogen, muss allerdings beim Ausbruch des Bürgerkrieges niemals mit einer Waffe in der Hand für sein noch junges Land kämpfen. Nach dem Ende des Wahnsinns auf dem Balkan fährt er zurück nach Österreich – ein folgenschwerer Fehler. Denn hier haben die Behörden noch mehrere offene Rechnung mit dem einstigen Fußball-Idol zu begleichen. Wegen Ende der Achtziger-Jahre falsch ausgestellter Zollformulare über fingierte Warenausfuhren wird Anklage wegen Betrug und Veruntreuung erhoben. Bozo meistert das Leben nach dem Fußball eben bei weitem nicht so souverän wie den Ball am Spielfeld. Ein achtmonatiger Gefängnisaufenthalt ist das Resultat eines ach doch so patscherten Lebens abseits des grünen Rasens. Von seiner Zelle in der Justizanstalt Jakomini hört er die Sturmfans in der nahgelegenen Gruabn jubeln, singen und pfeifen. Ein Blick auf den Rasen gelingt ihm von dort aus aber nicht. Doch nach wie vor wird er an der altehrewürdigen Spielstätte in Chants verehrt.
2009, zum 100jährigen Jubiläum des Vereins, darf er nochmal selbst in der Gruabn auflaufen. Ein Who ist Who der schwarz-weißen Klubgeschichte trifft sich zu einem „Benefizspiel für Bozo“. Bakota ist sichtlich gerührt, ein Verein hält zusammen und beweist zu dieser Zeit, endlich wieder, auf alte Helden nicht zu vergessen. Und eines ist wie immer: Nach einem Foul von Günther Neukirchner an Bozo Bakota verwandelt dieser den fälligen Elfmeter souveränst. Damit blieb eine Serie auch inoffiziell aufrecht: Nie hat Bozo in einem Bewerbsspiel einen Strafstoß im Sturmdress vergeben.
Zwar kam letztendlich in Person von Ivica Vastic wieder so einer, womöglich sogar einer der noch besser als Bozo war, aber die ewige Nummer 7 wird wohl immer im Gedächtnis von Sturmanhängern bleiben, die diese Ära selbst oder durch Erzählungen miterleben durften. Und wann immer – wie schon im Jahr 2005, Bojan Filipovic im UI-Cup-Hinspiel gegen den VfL Wolfsburg oder gestern in Belek – ein Spieler im Trikot des SK Sturm einen Eckball direkt verwandelt, werden sich viele an Bozo Bakota erinnern. Und an jenen Tag im September 1980.
Halbzeit im Test gegen @LechPoznan! Wir führen dank diesem direkten Eckballtreffer von Thomas Schrammel mit 1:0! 😳
📡 | Livestream ▶️: https://t.co/Ybq8yF6aws#sturmgraz #110Sturm #Belek19 pic.twitter.com/DWshm0DnyV
— SK Sturm Graz (@SKSturm) 26. Januar 2019
Im Oktober 2015 verstarb Bozo Bakota an seinem 65. Geburtstag in seiner Heimatstadt Zagreb.
Der unvergessene Bozo Bakota.
Kann mich noch dunkel an das Spiel und sein Premierentor für Sturm erinnern.
Ich bilde mir ein, dass in dem Spiel Hubsi Kulmer die 7 hatte und Bozo die 9 glaub ich, aber das ist nebensächlich.
Was man bei Bozo sofort gesehen hat, dass er dem Ball bei Schüsse und Flanken immer einen besonderen Effet mitgab, womit es für Verteidiger und Torhüter oft schwierig war den Ball zu berechnen oder zu erkennen, wo Bozo den Ball hinzirkelt. Solch Ballbehandlung hat man vor ihm in Graz von einem Sturmspieler kaum gekannt.
Bei diesem besonderen Tor war ja immerhin Teamtorhüter Lindenberger der leidtragende, der sich, soweit ich mich erinnern kann, schon während des Spiels und auch danach beschwert hat, dass ihn Rudi Schauss behindert hätte.
Wiederum danke an Günter Kolb für die stürmische Geschichte.
Danke für diesen tollen Beitrag. Bozo war Sturm bis zu seinem Tod treu. Kurz vor diesem habe ich ihn noch im Sturm-Fanshop, damals noch in der Girardigasse, getroffen. Auf die Frage, ob es ihm gut ginge, drückte er in seiner typischen Art aus. Jedenfalls wusste man, dass es ihm beschissen ging.
Eine Korrektur würde ich gerne noch anbringen. Leider hält sich das Gerücht hartnäckig. Bozo ist nicht an seinem Geburtstag gestorben, dieser war nämlich der 5. Oktober. Habe mir das auch nochmals von seiner Ex-Frau Suzana bestätigen lassen. Auch auf alten Autogrammkarten war der 5. Oktober eingetragen. Erst an seinem Todestag wurde durch Falschmeldungen in den Medien der 1. Oktober genannt.
Danke für die Info bezüglich seines Todestages. Dachte nämlich auch immer, dass es der 01.10.15 gewesen ist.
Aber was mir noch immer nicht ganz klar ist, ist der Ort. Meines Wissens nach ist er in Graz gestorben. Medien haben damals aber auch von „Lidberg/Kroatien“ (oder so ähnlich) geschrieben…
Sehr schöner Artikel, Sturmnetz!!!
Ein Spieler wie Bozo Bakota würde heutzutage keine Minute in der ö. Bundesliga zu finden sein.
Gegen Nottingham spielte er trotz Lungenriss!!
Will nicht den Besserwisser spielen, nur eine kleine Korrektur: Bozo hat wegen seines Lungenproblems in der Runde davor gegen Leipzig das Heimspiel versäumt (2:0, 2 mal Gernot Jurtin) und ist dann im Auswärtsspiel nach rund 60 Minuten eingewechselt worden. Einfach unglaublich welch Kämpferherz Bozo war.
Ich bilde mir ein, daß das Spiel mit dem direkten Eckball in der Gruam war und nicht in Liebenau…
Nein. Das Spiel fand in Liebenau statt. In der Gruabn wären ja selbst „ein paar Schritte Anlauf“ beim Eckball nicht möglich gewesen.
Erst im Oktober 1982 (Sturm-Eisenstadt 4:0, 3 Tore Niederbacher) kam Sturm zurück in eine renovierte Gruabn.
Eine Legende!
Bozo ist für mich zusammen mit Gernot Jurtin (der leider viel zu früh gestorben ist), die größte Legende des SK Sturm. Da ist der Ivo nur auf Platz drei in meiner Liste.
Dennoch eine Super-Ecke von Schrammel, auch wenn es nur ein Testspiel war gehört ihm Respekt gezollt! Der hat sich unter RM richtig gemausert, hoffe er tretet auch in der MS brauchbare Ecken, denn da haben wir in der letzten Zeit nicht wirklich für Gefahr gesorgt.