Des Jahrhunderttrainers andere Liebe

JEF United Ichihara Chiba

Auf den einprägsamen Namen „ジェフユナイテッド市原・千葉“ (gesprochen: Jefu Yunaiteddo Ichihara Chiba), für die meisten Fans nur kurz „JEF“, hört ein traditionsreicher Fußballverein aus Fernost, bei dem der eine oder andere Leser durchaus Verbindungen zu unserem SK Sturm herstellen könnte.

Aber beginnen wir von vorne. Wie in Japan üblich, geht auch JEF United, so die meist verwendete Kurzform, auf einen Werksverein zurück. 1946 formierte der Elektronikkonzern Furukawa in der Stadt Ichihara, ca. 40 km südöstlich von Tokio, den Furukawa Electric Soccer Club, der einer der ersten Fußballvereine Japans war.

Aufgrund der amerikanischen Besatzung und des damit einhergehenden kulturellen Einflusses der Stars and Stripes auf das Land der aufgehenden Sonne setzte sich ab 1945 Baseball als Nationalsport durch, während der Fußball so nebenherlief. Daher wurde erst 1965 eine landesweite Liga gegründet, die „Japan Soccer League“. Alle acht Teams der Liga waren lupenreine Werksvereine, neben dem Furukawa Electric S.C. gab es beispielsweise den Mazda Motors S.C. (heute Sanfrecce Hiroshima) oder den Hitachi S.C. (Kawasaki Reysol). Daher waren auch die Spieler grundsätzlich Amateure, die bei den jewiligen Konzernen arbeiteten, allerdings gab es ab ca. 1980 auch Spieler, die von der Arbeit freigestellt wurden, und sich ausschließlich auf den Fußball konzentrierten. Bei Furukawa war dies nicht anders, zählte man doch zu den erfolgreichsten Teams der Insel. Also eigentlich der Inseln. Sagt halt kein Mensch, die japanischen Inseln. Naja, wie dem auch sei. Zwischen 1960 und 1976 konnte viermal der Kaiserpokal, das japanische Äquivalent zum ÖFB-Cup (nur mit mehr Universitäts- und Schulmannschaften) errungen werden, ebenso wurde man 1976 und 1985 Meister der Japan Soccer League, dazu kamen noch vier Triumphe im japanischen Ligapokal und 1986 als erstes japanisches Team der Finalsieg in der AFC Champions League (die damals bloß aus vier Teams bestand, dementsprechend ist dieser Titel nicht mit einem Gewinn, oder auch nur dem Erreichen der Zwischenrunde, in der europäischen Champions League vergleichbar).

Als Anfang der Neunziger Jahre der japanische Fußballverband seine Planungen für eine Profiliga offenlegte, fusionierte Furukawa – in den Jahren davor war man aufgrund mangelnder Finanzkraft gegen Konkurrenten wie Sony oder Mitsubishi immer weiter ins Hintertreffen geraten – mit der Betriebsmannschaft der privaten und finanziell potenten Eisenbahngesellschaft Japan Railways East, somit entstand der East Japan JR Furukawa Football Club (東日本ジェイアール古河サッカークラブ, gesprochen „Higashi Nihon Jei Āru Furukawa Sakka Kurabu“). Mit Gründung der J-League 1993 wechselten quasi alle Vereine aus der alten JSL ihren Namen, aus den Betriebsnamen wurden westliche Namen übernommen, oder auch Wörter neu erfunden, die „europäisch klingen“. Das „Sanfrecce“ von Sanfrecce Hiroshima ist zum Beispiel eine Mischung aus dem japanischen „San“, drei, und dem italienischen „Frecce“, Pfeil. Auch die Yokohama Flügels wurden damals erschaffen, aus grammatikhygienischen (und möglicherweise auch finanziellen) Gründen aber bald mit den Yokohama Marinos zu den Yokohama F. Marinos fusioniert. Eigentlich eine elegante Vorgehensweise, man stelle sich einen SK Sturm G. Graz vor. (Vereinsfarben natürlich schwarz und weiß, wo kämen wir denn sonst hin?).

Verglichen mit diesen Namensneuschöpfungen verhielt man sich in Ichihara (zum Glück) relativ konservativ, zumindest erfand man kein neues Wort und blieb grammatikalisch korrekt. Aus dem East Japan JR Furukawa Football Club wurde 1993 JEF United Ichihara. Beim Start der J-League hatte man die deutschen Ex-Bundesligaprofis Pierre Littbarski und Frank Ordennewitz im Kader, die Abstiegszone war weit weg, aber die Tabellenspitze auch. In den folgenden Jahren bis 2000 entfernte man sich immer weiter von der Spitze, Abstiegskampf war angesagt. 1998 konnte man jedoch immerhin das Finale des Ligacups erreichen. Im Jahr 2000 wurde dann der vormalige Austriatrainer Zdenko Verdenik verpflichtet, der JEF aus der drängenden Abstiegsnot befreien konnte. In der zusammengerechneten Saisonwertung 2000 entging man dem Abstieg noch nur um vier Punkte. Zusammengerechnet deshalb, da die J League damals ähnlich den Südamerikanischen Ligen in eine Frühjahrs- und eine Herbstwertung aufgesplittet wurde, deren Tabellenführer sich dann in zwei Spielen im Dezember den japanischen Meistertitel ausspielten. Die Absteiger wurden allerdings aus der Gesamtjahreswertung ermittelt, und JEF belegte trotz des letzten Platzes in der Herbstsaison den 14. Platz. Verdenik brachte den Verein im Frühjahr direkt auf Platz 2, diese Leistungsexplosion konnte im Herbst zwar nicht mehr gehalten werden, dennoch wurde man in der Ganzjahreswertung Dritter. Die nächsten beiden Jahre unter Verdenik und dem Tschechoslowakischen Teamtrainer von 1980 (und interessanterweise ein zweites Mal 1988-90 – Hicke lässt grüßen) , Jozef Vengloš verliefen unspektakulär, man war sowohl vom Titel als auch vom Abstieg weit entfernt.

Im September 2002 trat währenddessen nach einer Heimniederlage gegen den FC Kärnten ein Trainer in Graz, mehr als 9000 km von Ichihara entfernt, zurück. Dieser Trainer war bei den Fans seines Vereines sehr beliebt, und viele von ihnen machten es dem Präsidenten zum Vorwurf, diesen einmaligen Trainer, diesen einmaligen Menschen, aus dem Verein vertrieben zu haben. Er wurde später auch zum Jahrhunderttrainer seines Vereins gewählt, österreichische Journalisten schrieben seine Biographie, und bis heute herrscht im Stadion eine besondere Stimmung wenn man weiß, dass dieser ehemalige Trainer vor Ort ist.

Der Name des Trainers sollte bis heute jedem bekannt sein, Ivan „Ivica“ Osim.

Der Vorstand von JEF United hatte nun in der Vorbereitung auf das Fußballjahr eine sehr gute Idee. Nach dem Slowenen Verdenik und dem Slowaken Vengloš holte man erneut einen osteuropäischen Fussballlehrer. Ivan Osim wurde – zunächst nur für ein Jahr – verpflichtet, und dieser begann sofort damit, der Liga seinen Stempel aufzudrücken, wie er es schon bei all seinen vorigen Stationen gemacht hatte.

Mit einem der niedrigsten Budgets der Liga erreichte man im Frühling bereits Platz 3, und im Herbst, in einer der knappsten Entscheidungen der Ligageschichte (sieben Teams innerhalb von drei Punkten), musste man bloß aufgrund des Torverhältnisses den ersten Titel für JEF United seit Einführung der Profiliga ziehen lassen und den Yokohama F. Marinos gratulieren. Diesen Erfolg ermauerte man sich nicht etwa, wie es der limitierte Kader vermuten lassen würde, nein. JEF spielte unter Osim sofort begeisternden, verspielten Offensivfussball, mit dem man auch neutrale Fans beeindrucken konnte. Auch im Zuschauerschnitt spiegelte sich die Linie des neuen Trainers wieder, man konnte ein Plus von 23% verzeichnen, das höchste aller nicht aufgestiegenen Vereine.

Nachdem sein Einjahresvertrag abgelaufen war, wollte Osim eigentlich schon nach Europa zurückkehren, aber aufgrund der starken Bemühungen des Vereins und der Sympathiebekundungen der Fans von JEF unterschrieb er dann doch einen neuen Einjahresvertrag.

Im Frühling 2004 sackte man auf Platz Sieben „ab“ – so hoch waren die Ansprüche nach JahrHaas JEF Backen des knappen Nichtabstiegs inzwischen, aber im Herbst konnte man erneut den zweiten Rang belegen. 2005 wurde die J-League auf eine einzige Ganzjahresmeisterschaft umgestellt, in der JEF mit nur einen Punkt Rückstand auf den Meister Gamba Osaka den vierten Platz belegte. Mit einem immer noch unterdurchschnittlichem Budget, wohlgemerkt. Einen nicht unwesentlichen Teil dazu trug auch ein gelernter Stahlbauschlosser aus Graz – Jakomini bei. Mario Haas war im Winter von Graz nach Ichihara gewechselt, die Umstände des Wechsels sind auch unter https://www.sturmnetz.at/41-episoden-ueber-den-bomber/ nachzulesen. In seinen beiden Jahren bei JEF United erzielte Haas, der stilecht mit der 10 auflief, immerhin elf Tore. Die Highlights der beiden Saisonen sind unter https://www.youtube.com/watch?v=3TN4Yfv0ir8 abzurufen. Laut der JEF United – Fanvertreterin Yumiko galt Mario Haas damals als „Personifikation des Spielstils von Ivica Osim“. Dementsprechend populär ist auch Haas in Ichihara bis heute, die japanische Entsprechung seines Namens (マリオ・ハース) findet sich auch auf Fanbannern wie diesem hier:

Banner bei einem Jugendspiel, darauf ist "Mario Haas" zu lesen. (c) wesupportjef

Banner bei einem Jugendspiel, darauf ist „Mario Haas“ zu lesen. (c) wesupportjef

Mit dem Altmeister auf der Bank und dem „Bomber“ im Sturm konnte JEF nun auch endlich Titel erringen, 2005 und 2006 gewann man den japanischen Ligapokal.

Osim hatte seinen Vertrag bei JEF inzwischen zum dritten Mal um ein Jahr verlängert, aber aufgrund seiner Erfolge und des spektakulären Spielstils der Mannschaft wurde er im Juni 2006 vom japanischen Fussballverband JFA abgeworben und als neuer Trainer der japanischen Nationalmannschaft vorgestellt. Dies führte zu Protesten der Fans von JEF gegenüber der JFA, der Liebe zu Osim tat dies allerdings keinen Abbruch. Yumiko versicherte sogar, falls der Verein jemals eine Wahl zum Trainer des Jahrhunderts durchführen würde, so würde Ivan Osim diese auf jeden Fall gewinnen (was ja nichts Neues für ihn wäre).

Osim 1

(c) JEF Chiba News

Nach dem Abgang von Ivan Osim übernahm der Cotrainer, sein Sohn Amar Osim. Er konnte den Erfolg seines Vaters nicht weiterführen und wurde nach nur einem Jahre entlassen, aber auch die folgenden Trainer konnten JEF nicht wieder stabilisieren, was die enorme Leistung Osims nur noch mehr verdeutlicht. Am Ende der Saison 2009 stieg JEF dann in die J-League 2 ab, seither erreichte man zwar jedes Jahr die Aufstiegsplayoffs, scheiterte aber dort jedes Mal aufs Neue, sodass man bis heute in der J-League 2 spielt. Auch der traditionelle Hauptsponsor, Furukawa Electric, zog sich nach dem Abstieg zurück, seitdem wird man von Fuji Electric unterstützt (die haben nichts mit Fujifilm oder Fujitsu zu tun).

Die Fans von JEF feiern Ivan Osim im Stadion bis heute, wie auch durch diese schönen Banner ersichtlich ist. Diese Hingabe wird von ihm auch erwiedert, als die Mannschaft im Dezember 2014 wieder mal im Aufstiegsplayoff stand, meldete er sich persönlich mittels einer Botschaft zu Wort, und wünschte dem Team alles Gute – und endlich den Aufstieg! (für die japanischsprachigen unter den Lesern: http://jefunited.co.jp/news/2014/12/club/14177753401599.html). Dieser wurde zwar bekanntlich erneut verpasst, dennoch war dies eine Geste, die den alten Mann aus Sarajevo nur noch tiefer in die Herzen der JEF-Fans trug, wie sich auch die Sturmfans über jede Wortmeldung seinerseits freuen.

„Ich hoffe, dass Ivica und Mario eines Tages gemeinsam nach Japan kommen. Ich bin mir sicher, die JEF-Fans würden sie am Flughafen begrüßen.“

Man beachte den Herren auf dem Banner am linken unteren Bildrand. (c) JEF Chiba News

Man beachte den Herren auf dem Banner am linken unteren Bildrand.
(c) JEF Chiba News

Interessanterweise wurde und wird auch die weitere Karriere von Mario Haas verfolgt, sein emotionaler Rücktritt war ein großes Thema auf den Tribünen der Fukada Denshi Arena, und Yumiko meinte dass sich viele Fans auch heute noch regelmäßig über seine Situation und seine Resultate beim SV Pachern informieren. Falls er und Osim eines Tages gemeinsam Japan besuchen würden, so wäre ihnen laut ihren Aussagen ein großes Willkommenskomitee am Flughafen gewiss.

Heute spielt JEF United Ichihara Chiba eben immernoch in der J-League 2, derzeit (Stand 12.10) liegt man auf Rang 7, nur durch das um ein Tor schlechtere Torverhältnis von einem Playoffplatz entfernt. Die Mannschaft besteht vorrangig aus Japanern, Star ist zweifellos der 24fache slowenische Nationalspieler Nejc Pecnik, der seit einem Jahr seine Tore (bisher 11) für JEF erzielt. Des weiteren spielt auch ein gewisser Paulinho im defensiven Mittelfeld für JEF, dieser war immerhin Kapitän der Jugendmannschaften von Gremio Porto Alegre. Die Spieler haben einen durchschnittlichen Marktwert von 291.000€ (Sturm: 565.000), Trainer ist derzeit Takashi Sekizuka.

Resümee: JEF United ist in einer Großstadt von fast einer Million Einwohner beheimatet (Chiba). Nicht wie Sturm. In der entfernteren Vergangenheit war man eines der besten Teams des Kontinents, heute spielt man nicht mal mehr erstklassig. Zum Glück nicht wie Sturm, auch wenn manche auf die zukünftige Erstklassigkeit des SK Sturm nicht mehr wetten würden. Im Kader befindet sich ein slowenischer Stürmer, der für den Verein tatsächlich regelmäßig trifft, und vermutlich auch zu keinem direkten Konkurrenten wechseln würde. Ehschonwissen.

Alles in allem ist JEF United mit seiner gesamten Vereinsgeschichte als Werksclub zwar etwas exotisch, aber ein Verein, der Ivan Osim am Herzen liegt, kann dem gemeinen Sturmanhänger auch nicht ganz fremd sein.

 

Besonderen Dank an Yumiko vom großartigen Twitterfanaccount JEF Chiba News für die wunderschönen Fotos und die Insiderinformationen aus Japan.

1 Kommentar

  1. Adrian Pennino sagt:

    Die japanische Entsprechung von Mario Haas liest sich ein bisserl sperrig, aber sonst a lässiger Artikel.

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