Der Turm
Als am 10. Juli vergangenen Jahres verkündet wurde, dass der SK Sturm den Oberösterreicher Simon Piesinger vom abgestiegenen FC Wacker Innsbruck verpflichten würde, schwankten die Meinungen der Fans zwischen „Nicht mal Stammspieler beim Absteiger, komplett unnötiger Transfer“ und „junger Österreicher mit Bundesligaerfahrung, geht schon so in Ordnung“. Diese neutrale bis negative Haltung war zum damaligen Zeitpunkt dadurch begründet, dass er sich in Innsbruck nie wirklich ins Rampenlicht spielen konnte und in den letzten Wochen sogar zu den Amateuren in die Regionalliga „abgeschoben“ wurde. Zwar hatte Piesinger zum damaligen Zeitpunkt bereits elf U-21 Nationalspiele sowie mehr als 80 Partien in den oberen drei Ligen in den Beinen, dennoch war man aus Fansicht nicht unbedingt glücklich.
Die Herbstsaison
Die Zeit unter Milanic verlief für Piesinger – wie für die gesamte Mannschaft – bestenfalls mittelmäßig. Er pendelte zwischen Startelf und Bank, das Auffälligste war oftmals seine Einwechslung als Defensivkraft wenn es einen Rückstand aufzuholen hieß. In den ersten 16 Runden spielte er sechs Mal von Beginn an, lieferte aber kaum Nennenswertes. Der Turnaround für den schlacksigen Blonden begann wohl am 17. Spieltag, als er beim 2:0 Auswärtssieg in der Südstadt sein erstes Bundesligator für den SK Sturm erzielte. Mit dieser ersten Portion Selbstvertrauen im Rücken (und dem immer besser funktionierenden Konzept Fodas im Kopf) ging es Anfang Dezember zur nächsten Runde ins Innviertel zur SV Ried, die sich selber erst mit Problemen aus der Krise gespielt hatte. An diesem Winterabend zeichnete sich erstmals ab, was im Frühjahr oftmals begeistern sollte. Piesinger spielte von Beginn weg – und er spielte richtig gut. Er eroberte Bälle vor der Abwehr, ging in (und gewann nahezu) jeden Zweikampf, rackerte, verteilte die Bälle, schüttelte Zuckerpässe aus dem Fußgelenk und erzielte auch noch einen Treffer. Sein zweites Saisontor, das im Fallen eingeschobene zwischenzeitliche 3:0. Eine, dem geneigten Sturmfan möglicherweise noch in Erinnerung befindliche, Seite schrieb damals: „Simon Piesinger am 6. Dezember gegen die SV Ried – so hat man den Hünen im Sturm-Dress noch nicht gesehen.“
Im Spiel gegen Altach, dem letzten Auftritt vor der Winterpause, war er sowie die ganze Mannschaft bemüht aber chancenlos gegen Martin Kobras. Gegen Wiener Neustadt wurde er nur eingewechselt, das Rapid-Match war nach der frühen Roten Karte auch nur bedingt bewertbar.
Der Durchbruch
Dann kam die Austria.
Ein Heimspiel gegen einen (dachte man zumindest) direkten Konkurrenten. Sturm spielte schwach und geriet durch einen schönen Treffer von Alexander Grünwald in Rückstand. Aus dem Spiel funktionierte garnichts und Standards waren in den vorherigen Foda-Ären auch nie so der Bringer. Dies sollte sich heuer ändern und Simon „The Tower“ Piesinger ist gleichzeitig Grund und Nutznießer dieser Veränderung. Gegen die Austria wird er nach 66 Minuten eingewechselt, köpft wenig später den Ausgleich und stochert die Kugel in der 95. Minute, nach Vorarbeit des im Winter zurückgekehrten Roman Kienast, zum Siegtreffer über die Linie. Sein viertes Saisontor, damit war er aufgrund des Abgangs von Marco Djuricin bereits bester Torschütze der Mannschaft. Zu diesem Zeitpunkt hatte man noch damit gerechnet, dass ihm dieser Titel streitig gemacht werden würde, doch es kam ja bekanntlich anders. Mit diesen Treffern ging ihm endgültig der Knopf auf. Keine Spur mehr vom unsicheren, tollpatschig wirkenden Jungspund, den er teilweise bei den vorigen Stationen und im Herbst darstellte. Dabei half sicherlich auch der Umstand, dass Franco Foda ihm nun endgültig das Vertrauen aussprach und Piesinger gemeinsam mit Anel Hadzic die Stammbesetzung auf der Doppelsechs bildete. Auf dieser Position entwickelte sich der „Maibaum“, wie er von Lukas Spendlhofer gerufen wird, zum Mittelfeldregisseur und Taktgeber der Mannschaft. Ein Fünfunddreißig-Meter-Pass in den Lauf von Andreas Gruber? Kein Problem! Dabei ging seine Zweikampfstärke allerdings nicht verloren und aufgrund seiner langen Beine erobert er auch viele Bälle wieder mittels Grätsche zurück.
Außerdem sorgte er vor allem bei Standardsituationen regelmäßig für Gefahr im gegnerischen Strafraum, in den Runden 25 bis 31 erzielte er dabei seine Saisontreffer Fünf bis Neun. Meist waren dies Kopfbälle oder Abstaubertore. Diese generelle Stärke der Mannschaft bei Standards führte auch dazu, dass in den sozialen Netzwerken für Simon Piesinger und Roman Kienast die Bezeichnung „Twin Towers“ erdacht wurde. Der wichtigste dieser Treffer mag das 1:1 gegen Rapid gewesen sein, bei dem auch das im Frühjahr populär gewordene „No Piesi, No Party“ durch das ganze Stadion hallte. Das schönste Tor war jedoch sicherlich ein anderes, nämlich das zwischenzeitliche 2:2 gegen den SC Wiener Neustadt. Wenige Minuten nachdem er das erste Tor von Donis Avdijaj standesgemäß per Traumflanke vorgelegt hatte, tauchte er mit dem Ball ca. 25 Meter vor Thomas Vollnhofer auf. Anspielstation war keine frei, Umdrehen schaut blöd aus, also nahm er Maß und drosch die Kugel millimetergenau ins Kreuzeck. Hätte jemand nach seinen Vorstellungen in den ersten zehn Runden so ein Tor angekündigt, er wäre im besten Fall belächelt worden. Nun katapultierte dieser Treffer Piesinger endgültig in die Herzen der Sturmfans, auch die eine oder andere Bezeichnung von ihm als „Fußballgott“ soll ja bereits gefallen sein. In den letzten Runden spielte Piesinger, wie auch die gesamte Mannschaft, wieder etwas unauffälliger, was sich wohl, leider Gottes, auch auf die schwere Verletzung von Marko Stankovic zurückführen lassen kann.
Finale Betrachtungen
Man kann also definitiv resümieren, dass sich so gut wie alle Sturmfans letzten Sommer in Simon Piesinger getäuscht haben. Zwar begann er schwach, doch seine Entwicklung unter Franco Foda ist das beste Beispiel dafür, wie gut der Trainerwechsel dem ganzen Kader tat. Im Laufe der Saison ist er zu einem unverzichtbaren Teil der Startelf geworden, dafür spricht auch der Umstand, dass von seinen 21 Startelfeinsätzen nur 6 in der Hinrunde stattfanden.
Doch eine Frage, die man sich möglicherweise stellen sollte, bleibt unbeantwortet. Wie geht es weiter? Wird der "Tower" an seine großartigen Leistungen im Frühjahr anknüpfen können? Die beachtliche Torquote wird wohl ein Karrierehigh bleiben, zeitweise war ja gefühlt jeder zweite Eckball ein Treffer. Was aber aus Mannschaftssicht wichtiger ist, ist sein gutes Passspiel, das er seit besagtem Ried-Match plötzlich auspackte. Konnte man da noch von einem Glückstag sprechen, so bestätigte er diese Fähigkeit in den weiteren Spielen jedes Mal aufs Neue, sodass man wohl beruhigt davon ausgehen kann, dass Simon Piesinger auch in der nächsten Saison eine wichtige Rolle im Aufbauspiel des SK Sturm spielen wird. Seine Beine werden auch nicht plötzlich schrumpfen, also wird auch das gute Zweikampf- und Grätschverhalten so beibehalten werden. Neun Gelbe Karten aus 32 Einsätzen sind für einen defensiven Mittelfeldspieler auch nicht die Welt, zudem fiel er nie mit Härteeinlagen auf – und gegen die 15 Gelben von Anel Hadzic verblasst sowieso alles andere.
Zusammen mit ebenjenem und einem, ab Oktober hoffentlich wieder fitten, Marko Stankovic hätte Sturm nächste Saison ein Zentrum, das viele andere Vereine so wohl gerne übernehmen würden. Der Vertrag des Blondschopfs läuft noch bis Ende der Saison 2015/16, dazu hat er noch die Option, um ein Jahr zu verlängern. Sollte er im Herbst an seine Leistungen im Frühjahr anschließen können, so bleibt zu hoffen, dass er entweder eine besondere Vereinstreue entwickelt oder seine Option "zu früh" zieht, denn ansonsten würde der SK Sturm um eine eventuelle Ablösesumme umfallen. Dies ist sicherlich auch Gerhard Goldbrich bewusst, der sich vermutlich das eine oder andere Mal mit Piesinger über seine Zukunft beim Verein zusammensetzen wird. Und wenn man Stadionsprechchöre als Stimmungsbarometer der Fans verstehen kann, so liegt er mit "No Piesi, No Party" sehr hoch im Kurs und hat bei einem längeren Vertrag durchaus die Möglichkeit, als Fanliebling in die Annalen dieses Vereins einzugehen.
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