Der Rekordmeister, der eigentlich im Ausland spielt
Graz ist ein relativ kurzer Name für eine Stadt. Wien und Linz auch, Salzburg und Innsbruck sind schon etwas längere Namen, bereiten aber immer noch keine Probleme beim Lesen oder beim Aussprechen. Österreichs Gemeinde mit dem längsten Namen ist Pfaffenschlag bei Waidhofen an der Thaya, das ist zwar zum Schreiben schon etwas mühsam, lässt sich aber ohne große Probleme so artikulieren, ein FC Pfaffenschlag bei Waidhofen an der Thaya wäre für die Kommentatoren der Nation zwar mühsam, doch ohne Verknoten der Zunge formulierbar. Nun erscheinen uns deutschsprachige Wörter wohl generell einfacher, als solche in Fremdsprachen. Natürlich, bekannte Ortsnamen wie Barcelona, Manchester oder Palermo stellen noch immer eine einfache Aufgabe dar, doch wer diese Kolumne verfolgt hat, der weiß, dass es hier nicht um solch große und bekannte Vereine gehen wird. Nein, dieser Text handelt vom walisischen Dorf
Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch.
Besser gesagt, der Text sollte davon handeln. Leider ist es nun aber so, dass dieses Dorf keinen ansatzweise interessanten Fußballverein hat, deshalb folgt nun eine Abhandlung über einen Verein, dessen Wurzeln ebenso in Wales liegen, der dank einer Fusion inzwischen aber einer der ersten internationalen Fußballvereine der Welt ist. Die Einleitung ist aber so schön, dass sie dennoch bestehen bleibt. Deal with it.
Falls ein Leser übrigens auf diesen Gedanken gekommen wäre, mit „Internationaler Verein“ ist hier weder Inter Mailand noch Inter Turku gemeint. Nein, es geht um den The New Saints F.C., gegründet 1959 als Llansantffraid F.C. im kleinen Dorf Llansantffraid-ym-Mechain im Nordosten von Wales, direkt an der englischen Grenze gelegen. Die „Saints“ wurden der vierten walisischen Leistungsstufe zugeteilt, die sie in den kommenden eindunddreißig Jahren immerhin siebenmal gewinnen konnten. Aufgrund spezieller Eigenheiten im walisischen Ligasystem konnten die Saints dennoch niemals aus der Montgomeryshire Amateur Football League aufsteigen, dieses Recht stand bzw. nicht automatisch dem Aufsteiger zu, einem Verein wird vom Verband und den Teams der oberen Liga erst das Aufstiegsrecht gewährt, wenn er angemessene Strukturen nachweisen kann und von den Teams für „bereit für die neue Liga“ erachtet wird, quasi ein halbsubjektives Lizenzierungssystem im Miniformat.Im Sommer 1990 war es dann aber endlich soweit, man durfte in der dritten Liga, der heutigen Mid-Wales League antreten. So lange die Saints auf diese Liga gewartet hatten, so schnell waren sie gleich wieder weg. Als Vizemeister wurde Llansantffraid in die vermutlich wohlklingendste zweite Liga der Welt aufgestuft. Zweite Ligen sind ja oftmals ein Anreiz für wunderliche Benennungen: Erste Liga, Challenge League, Championship (wobei das aus der Geschichte erklärbar ist), in Finnland heißt sie „Nummer Eins“, in Schweden gar „Supereins“.
In Wales hat man dieses Problem auf zweierlei Arten vermieden. Zum Einen gibt es schlicht keine landesweite zweite Liga, zum anderen haben sie einfach bessere Namen. Aber zurück zu den Saints, diese stiegen also 1991 in die Cymru Alliance auf. Doch scheinbar waren die Spieler von dieser Liga weniger begeistert, als es der Autor gerade ist, schon im zweiten Jahr konnte erneut der Meistertitel errungen werden, erstmals stand war das Nest mit den 1000 Einwohnern erstklassig. Die Welsh Premier League hat zwar nicht unbedingt auf diese Dorfvereine gewartet, jedoch ist dies ein bis heute andauerndes Problem des walisischen Vereinsfußballs. Die Welsh Premier League wurde als einzige landesweite Liga Wales´erst für die Saison 1992/93 gegründet, da Funktionäre der Football Association of Wales (FAW) befürchteten, ohne nationale Spielklasse den Fortbestand des eigenständigen Nationalteams nicht mehr länger garantieren zu können. In der Tat gab und gibt es innerhalb der FIFA immer wieder Bestrebungen, die vier Nationalteams des Vereinigten Königreichs zu einem einzelnen UK-Team zusammenzufassen, bisher konnten die nationalen Verbände dies aber stets abwenden. Bis zum Start der Liga im Sommer 1992 spielten die „großen“ walisischen Vereine wie selbstverständlich im englischen Ligasystem mit. Dies lag auch daran, dass es in Wales traditionell relativ schlechte Nord-Süd Verbindungen gibt, während die Verkehrswege in Ost-West Richtung, also nach England, deutlich besser ausgebaut sind. Daher war es für walisische Teams einfacher, nach England zu reisen, als ans andere Ende des eigenen Landes. Der Verband entschied, die drei erfolgreichsten Teams des Landes, Swansea City, Cardiff City und A.F.C Wrexham im englischen Ligasystem zu belassen, alle anderen Teams sollten in die neugegründete Premier League eingegliedert werden. Eine Gruppe von acht Vereinen weigerte sich dagegen, drei gaben letztendlich nach, die anderen fünf Teams mussten bis zu einem Gerichtsurteil gegen diese Diskriminierung ihre Heimspiele auf fremden Plätzen in England austragen. Heute spielen Newport County, Merthyr Town und Colwyn Bay zwar wieder zuhause, allerdings nach wie vor im englischen Ligasystem. Nun sind Swansea, Cardiff, Newport und Wrexham aber auch die größten Ballungsräume Wales´, und die dortigen Fußballfans haben die neue Liga nur sehr schlecht angenommen, sie unterstützen verständlicherweise lieber ihre lokalen Mannschaften in den großen (und auch nicht so großen) Ligen Englands, während die Welsh Premier League zum Großteil von Clubs aus Kleinstädten oder wie im Falle von Llansantffraid eben auch Dörfern gebildet wird. 1996 konnten die Saints erstmals den Welsh Cup gewinnen, damit spielten sie in der darauffolgenden Saison zum ersten Mal in der Geschichte international, mit einer Truppe gebildet unter anderem aus vier Studenten, einem Elektriker und zwei Bauarbeitern. Die Partien gegen Ruch Chorzow mussten die Saints dann aber im Exil im 30km entfernten Wrexham bestreiten, da der eigene alterwürdige Recreation Ground (1000 Steh-, 1000 Sitzplätze) sämtliche UEFA-Regularien deutlich unterschritt.
Im „Heimspiel“ konnte die Amateurtruppe dem haushohen Favoriten immerhin ein 1:1 abtrotzen, in Polen gab es dann ordentlich Prügel. Dennoch konnte der Verein auf sich aufmerksam machen und unterschrieb in dieser Phase auch einen für walisische Verhältnisse außergewöhnlich gut dotierten Sponsorvertrag mit einer in Oswestry (merken, das wird später noch wichtig) ansässigen Computerfirma, woraufhin die Saints in den nächsten Jahren in bester österreichischer Tradition als Total Network Solutions F.C. aufliefen. Um die Jahrtausendwende erfolgte mit diesem Geld eine Professionalisierung, zwischenzeitlich war man sogar der einzige Verein in Wales, bei dem die Spieler Vollprofis waren.
In der Saison 1999/00 war es dann soweit, während im Südosten von Llansantffraid der SK Sturm zum zweiten Mal in Folge den Meistertitel feierte, waren die Saintsfans Brüder im Geiste, denn ihr Verein konnte zum ersten Mal die Welsh Premier League gewinnen. Bei Sturm wurden Ivica Vastic, Mario Haas und Ivica Osim gefeiert, ihre walisischen Gegenstücke hießen Darren Ryan, John Powell und Trainer Andy Cale. Dieser war zwischenzeitlich übrigens als Experte für Spielerentwicklung und Trainerausbildung beim Englischen Verband angestellt, derzeit arbeitet er daran, in Katar fußballerische Strukturen aufzubauen. Ein gutes Zeichen, wenn ein künftiges WM-Ausrichterland sowas benötigt. Wie dem auch sei, dunkle Wolken der Veränderung zogen nach dem erstmaligen Meistertitel der Saints an der walisischen Grenze auf.
Oswestry , walisisch Croesoswallt, ist eine nette Kleinstadt an der Grenze – nur eben auf der anderen Seite. Nichtsdestotrotz ist die geographische Nähe zu Wales nicht zu verleugnen, die Stadt hat enge historische, kulturelle und infrastrukturelle Bindungen mit dem Nachbarland.
Der städtische Club, Oswestry Town F.C., wurde schon 1860 gegründet und gilt damit als einer der ersten Fußballvereine der Welt. Weiteres Alleinstellungsmerkmal des Teams war – man könnte es erraten – dass sie der einzige englische Verein waren, der im walisischen Ligasystem mitspielen durfte (und vermutlich auch wollte). 1884 und 1901 konnte der Welsh Cup gewonnen werden, seitdem blieb das Team bestenfalls graues Mittelmaß, da half auch eine zwischenzeitliche Neugründung nichts.
Gerüchte einer möglichen Insolvenz begleiteten Oswestry Town schon die ganze Saison 2002/03 hindurch, im Sommer war es dann soweit. Allein, der Verein wurde nicht aufgelöst. Wie bereits erwähnt liegt Llansantffraid direkt an der Grenze, und bei nur 1000 Einwohnern ist es schwer, ein Stadion zu füllen. Also wurden die beiden Teams schlichterhand fusioniert, der Name Oswestry Town FC gelöscht, und das Fusionsteam spielte unter dem bisherigen Namen Total Network Solutions F.C. weiter. Der Walisische Verband hatte logischerweise nichts gegen diese Fusion, spielte doch Oswestry Town bereits bisher im walisischen Ligensystem mit. Der FIFA hatte anfangs jedoch scheinbar niemand etwas davon gesagt, sie blockierte die Fusion als verbotenen internationalen Zusammenschluss, bis sie sich der Geschichte von Oswestry annahm und letzten Endes doch noch ihren Segen gab.
2003/04 merkte man in Wales noch nichts von einer eventuellen Verschiebung der Kräfte, die Saints waren in Liga und Cupfinale dem Rhyl F.C. unterlegen. Doch schon im Jahr darauf, in einem Kraftakt epochaler Größe (so könnte es zumindest ein angetrunkener Waliser formulieren), errang das neu formierte Team das Double. In der darauffolgenden Champions League kam es zu einem Kuriosum. Der Liverpool F.C. konnte im Vorjahr im denkwürdigen Finale von Istanbul den Titel gewinnen, wäre aber aufgrund der schlechten Ligaplatzierung im Folgejahr nicht mehr qualifiziert gewesen und hätte seinen Titel in Folge dessen nicht mehr verteidigen können. Die Verantwortlichen des Total Network Solutions FC boten den „Reds“ daraufhin ein Entscheidungsspiel um den Platz in der CL-Qualifikation an. Die UEFA schob diesen Bestrebungen einen Riegel vor, Liverpool bekam eine Sondergenehmigung und durfte in der ersten Qualifikationsrunde starten. Auf wen trafen die Reds dort? Eh klar, Total Network Solutions hieß der Gegner. Classic. Zu einem Fußballwunder kam es jedoch nicht, fünf Tore von Steven Gerrard und ein Tor von Dijbril Cissé bedeuteten nach Hin- und Rückspiel ein 6:0.
International weiterhin eher mäßig konkurrenzfähig – vor den Spielen gegen Liverpool war man in den jeweils ersten Qualifikationsrunden bereits an Levadia Tallinn, Polonia Warschau, Amica Wronki, Manchester City und Östers IF gescheitert – blieb man zumindest national weiterhin an der Spitze und konnte auch in der Saison 2005/06 den Meistertitel gewinnen. Im Sommer des Jahres 2006, Total Network Solutions wurde inzwischen von der Britischen Telekom übernommen, lief der Sponsoringvertrag aus, dementsprechend war der etwas lächerliche Vereinsname (looking at you, SC Interwetten.com) nunmehr obsolet. Nachdem ein Versuch, den Vereinsnamen auf Ebay zu versteigern, scheiterte, einigte man sich in Llansantffraid und Oswestry auf den neuen Namen The New Saints F.C., den Spitznamen „Saints“ hatte man sowieso schon seit der Gründung, außerdem soll der Heilige Oswald in Oswestry gestorben sein.
Neuer Name, alte Dominanz, die New Saints wurden auch 2006/07 wieder Meister. Im Sommer dieses Jahres verlegte man die Heimstätte des Clubs endgültig aus Llansantffraid nach Oswestry und spielt seitdem in der dortigen Park Hall. Mehr Bilder vom Stadion gibts hier.
In der Champions League – Qualifikation 2010/11 konnte man dann auch endlich eine Runde überstehen, nach einer 1:0 Auswärtsniederlage in Dublin wurden die Bohemians (ja genau die, die Salzburg mal fast aus dem Bewerb geworfen hätten) im Heimspiel in der neu renovierten Park Hall mit 4:0 abgeschossen. Bohemianstrainer Pat Fenlon beschrieb die Leistung seiner Mannschaft nach dem Spiel relativ drastisch als „Schande“ und „Enttäuschung für den Verein, die Liga und die Nation“. In Llansantffraid und Oswestry feierte man hingegen den unerwarteten Aufstieg, in der nächsten Runde gegen den RSC Anderlecht war dann aber Schluss. Neuerdings muss der Meister der Welsh Premier League schon in der ersten CL-Qualifikationsrunde antreten, was dazu führt, dass die New Saints in den letzten beiden Jahren jeweils eine Runde überstehen konnten, nach zwei Siegen gegen B36 Torshávn hatte man 2015/16 sogar Videoton Székesfehérvár am Rande des Ausscheidens, man verabschiedete sich mit 0:1 und 1:1 aus dem Bewerb.
In den letzten zwölf Jahren haben sich die New Saints zur bestimmenden Kraft im Walisischen Fußball aufgeschwungen, in dieser Zeit konnten neun Meistertitel, fünf Cup- sowie sechs Ligacuptitel gefeiert werden, mit insgesamt zehn Meistertitel sind die New Saints auch deutlicher Rekordmeister der Welsh Premier League, Bangor City hat zwar auch sieben Titel zu Buche stehen, allerdings hat sich der Verein in der Blütezeit finanziell übernommen und spielt derzeit nur in der zweiten Liga. Die letzten fünf Saisonen wurden allesamt von den New Saints gewonnen, und der aktuelle Tabellenstand (15 Spiele, 45 Punkte, Torverhältnis +47) plus der Tatsache, dass die letzte Niederlage vom 16. Jänner 2016 dotiert, lässt kaum Zweifel aufkommen, dass dies heuer anders ausgehen wird. Trainiert wird das Team derzeit vom Engländer Craig Harrison, wertvollste Spieler sind der australische Stürmer Greg Draper (spielte immerhin mal in der höchsten Neuseeländischen Liga, Marktwert 400.000€) und der 37-jährige Innenverteidiger Steve Evans (früher Crewe Alexandra und Wrexham AFC, Marktwert 300.000€).
Resümee
Der New Saints F.C. bildet sportlich die unangefochtene Spitze der Liga. Definitiv nicht wie Sturm. Das alte Heimstadion hatte mehr Plätze als das Dorf Einwohner. Auch nicht wie Sturm, wobei ein Dreihunderttausenderstadion durchaus angemessen wäre. International konnte man bisher kaum auf sich aufmerksam machen. Wie Sturm in den letzten fünfzehn Jahren, nur auf anderem Niveau. Durchschnittlich 250 sind selbst für die Welsh Premier League unterdurchschnittlich. Glücklicherweise nicht wie Sturm.
Alles in allem lässt sich sagen, dass der New Saints F.C. mit dem SK Sturm eigentlich überhaupt keine Gemeinsamkeiten hat, die Akteure der Welsh Premier League aber durchaus Erinnerungen an österreichische Teams hochkommen lassen. Wenn man mal in der Gegend ist kann man sich das Ganze aber sicher mal anschauen.
Cooler Artikel! Danke!☺
Trotzdem wird der Artikel mit der Zeit bissl zach..
Aba ja: ganz interessant u. abwechslungsreich 🙂