Der Jahrhundertsieg
Erste Runde der Frühjahrsaison 1990/1991: Sturm Graz musste nach Hütteldorf zum Auswärtsspiel gegen Rapid Wien. Bis zu diesem Datum wartete die Sturmfamilie vergeblich auf einen Auswärtserfolg gegen die Grün-Weißen. In den 42 Jahren zuvor gelang es einer Sturm-Mannschaft lediglich sechs Mal gegen Rapid einen Punkt aus Wien zu entführen. Am nächsten war man einem Sieg am 16. Oktober 1976, als auf dem Sportclub-Platz Hubert Kulmer die Grazer mit 1:0 in Führung brachte, ehe Kurt Widmann dann doch noch sieben Minuten vor Schluss den Ausgleich erzielte. Immerhin bedeutete dies den ersten Punktgewinn auswärts gegen Grün-Weiß, nachdem man mehr als 26 Jahre lang die Heimreise immer als Verlierer antreten musste.
Nun gastierte Sturm – erstmals anstatt der jahrelang üblichen grünen Away-Trikots in Gelb – zum 47. Mal bei Rapid. Sturm-Trainer Gustl Starek, der auf Walter Kogler aufgrund einer Gelb-Sperre verzichten musste, schickte, angeführt von Kapitän Heinz Thonhofer, vor 5.000 Zuschauern folgende Formation auf das Spielfeld:
Otto Konrad – Micha Petrovic – Josef Koch, Goran Radojevic – Heinz Thonhofer, Kurt Temm, Sigurd Kristensen, Dietmar Pegam – Harald Holzer, Arnold Wetl.
Rapid-Trainer Hans Krankl, der noch vor dem Spiel meinte: „Wer Sturm nicht schlägt, wird auch nicht Meister“, begann mit folgender Aufstellung:
Michael Konsel – Reinhard Kienast, Robert Pecl, Andreas Poiger – Christian Keglevits, Horst Steiger, Peter Schöttel, Andreas Herzog, Manfred Kern – Hernan Medford, Jan Arge Fjörtoft.
Clever, spielerisch diszipliniert, läuferisch und kämpferisch den Rapidlern zumindest ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen – so präsentierte sich Sturm zur Überraschung vieler dann im Hanappi-Stadion. Genau das war auch die Basis, um einen Meilenstein in der Klubgeschichte zu setzen und erstmals Rapid auswärts in die Knie zu zwingen. Trainer Starek hatte dabei ein Goldhändchen bewiesen: Er riskierte, indem er Günther Koschak, den erfolgreichsten Schützen in der Winter-Vorbereitung, auf der Bank ließ, dafür Josef Koch als Manndecker für Jan Arge Fjörtoft brachte und Kurt Temm in das Mittelfeld vorzog. Eine Rochade, die sich letztendlich als goldrichtig erwiesen hat. Denn der Notar aus Fehring hatte nicht nur Andreas Herzog gut im Griff, sondern rackerte wie ein Berserker und erzielte bereits in der 13. Minute auch das Siegestor: Der Ball war wie am Schnürchen bis zu Sigurd Kristensen gelaufen, der Däne sah, wie sich Temm löste, bediente diesen ideal – „und dann hab ich den Ball gerade noch mit der Schuhspitze an Konsel vorbeigebracht“, jubelte Temm. Zudem überzeugte Harald „Haki“ Holzer als Laufmaschine im Mittelfeld und Josef Koch als Manndecker. Das alles war die Basis für dieses „Wunder“.
Welches Sturm zudem viel früher perfekt machen hätte können, denn Arnold Wetl (37.) und Holzer (41., nach Poiger-Fehler, und 62.) ließen echte Hochkaräter ungenützt, während Rapid vorerst nur zu einer Großchance kam. Mischa Petrovic stand wieder einmal goldrichtig und rettete nach Kienast-Kopfball (32.) auf der Linie. Natürlich wurde der Druck von Rapid nach dem Seitenwechsel größer, Sturm dabei im Konter allerdings auch immer gefährlicher. Nur im Finish, als die Bälle fast permanent im Grazer Strafraum hingen, war auch Glück dabei und Otto Konrad der Fels in der Brandung: So konnte der Goalie bei Möglichkeiten von Reinhard Kienast und Hernan Medford retten, bei einem Herzog-Volley aus acht Metern schmiss sich Kurt Temm zudem wagemutig in den Schuss und war somit nicht nur durch sein Goldtor sondern auch durch diese Rettungstat so etwas wie der Vater dieses historischen Sieges.
Hans Krankl sollte recht behalten und Rapid in dieser Saison nicht Meister werden und es sollte in der Geschichte des Sportklub Sturm nicht der einzige Sieg auf Wiener Boden gegen Grün-Weiß bleiben. Der nächste volle Erfolg im Westen von Wien gelang bereits dreieinhalb Jahre später, was den damaligen Präsidenten Hannes Kartnig dazu veranlasste, seinem Trainer Ivica Osim einen Kuss auf die Wange zu schnalzen. Den ersten Auswärtserfolg gegen die Wiener Austria gab es übrigens bereits im Juni 1975, als man durch jeweils zwei Tore von Hubert Kulmer und Kurt Stendal im Horr-Stadion mit 4:2 die Oberhand behielt.
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