Der historische 5:1 Sieg über Rapid Wien

Schwarz-Weiße Zeitreisen #1

Rapid Wien 1:5 Sturm Graz (0:3) – 15. September 2007

Ein Jahr nach dem mehr oder weniger Zwangsabstieg des roten Erzrivalen war die Suche nach neuen Duellen voller Brisanz schnell gefunden. Mit Rapid Wien fand man eine nicht nur auf sportlicher Ebene reizvolle Nemesis, auch die Fanlager beider Mannschaften forderten sich immer wieder aufs Neue heraus. Der Wiener „Block West“ galt als stimmgewaltigster in Österreich, ein Titel, den die Sturmfans nur zu gern ihr Eigen nennen wollten.

Nach einer schweren Saison 2006/2007, in der man lange in Ungewissheit vor einer möglichen drakonischen Strafe zittern musste, startete man in die Saison 2007/2008 eher durchwachsen. Mit dem damals kleinsten Kader der Bundesliga konnte man bis Runde acht nur zwei Siege bejubeln, spielte vier Mal unentschieden und verlor zwei Spiele. In Runde neun konnte man zu Hause Rapid dank eines Goldtores von Thomas Krammer knapp mit 1:0 besiegen und damit den ersten Heimsieg der Saison bejubeln. Die Wiener schworen sofortige Rache; nach einer zweiwöchigen Länderspielpause traf man erneut aufeinander, dieses Mal in einem fast ausverkauften Gerhard Hanappi Stadion.

Trainer Franco Foda vertraute der selben Startelf wie im letzten Duell und schickte Gratzei; Lamotte, Prettenthaler, Prödl, Shashiashvili; Krammer, Kienzl, Säumel, Salmutter, Muratovic; Haas aufs Feld. Auf der Sturmbank saßen zum Beispiel ein 20-jähriger Mario Sonnleitner, ein 18-jähriger Daniel Beichler, oder ein 40-jähriger Pepi SchicklgruberHIER findet ihr die Aufstellung nochmal im Detail.

Die Vorzeichen für dieses Spiel waren keine guten. Nach der knappen Niederlage in Graz würde Rapid alles daran setzen die verlorenen Punkte in Wien zu behalten. Rapid war zu diesem Zeitpunkt eine wahre Heimmacht: ganze 21 Heimspiele ohne Niederlage, keine einzige unter Rapidtrainer Peter Pacult, aber diese Rechnung machten sie ohne diese junge Sturmmannschaft.

Schon in Minute eins begann der Abend einer der denkwürdigsten in Schwarz-Weiß zu werden: Nach gerade einmal 17 Spielsekunden sprintete Mario Haas zwischen einen schlechten Pass von Mario Sara auf Jürgen Patocka und schoss mit der ersten Ballberührung eines Sturmspielers staubtrocken zum 0:1 ein. Alles, was sich Rapid vorgenommen hatte, wurde nach nur 17 gespielten Sekunden zunichte gemacht. Die Stimmung in beiden Fanlagern kochte; einmal positiv, einmal negativ.

Helge Payer konnte die Hütteldorfer in Minute 17 mit einer Glanzparade bei einem Mark Prettenthaler-Kopfball nach einer Freistoßflanke von Jürgen Säumel zwar noch vor dem zweiten Gegentor retten, doch schon in der 28. Minute schlug es zum zweiten Mal im Gehäuse von Rapid ein – nach einer Traumkombination von Klausi Salmutter, Samir Muratovic und Thomas Krammer schob Salmutter einen idealen Stanglpass zum 0:2 ein. Nur 10 Minuten später schoss Säumel nach einem Eckball Sturm mit 0:3 in Front. Premiere-Kommentator Martin Konrad war völlig aus dem Häusschen; beinahe fassungslos brüllte er in sein Mikro: „Ja was ist denn hier los!? Demütigung pur für Grün-Weiß!“

Klaus Salmutter (Foto: CC By Steindy Wikimedia)

Klaus Salmutter (Foto: CC By Steindy Wikimedia)

Zur Pause stand es also 0:3. Rapid agierte völlig konfus und desolat. Sturm kombinierte sich ein ums andere Mal durch die Rapid Mannschaft. Wie an einer Schnur gezogen marschierte der Ball zwischen den Sturmspielern hin und her. Rapid-Legende Hans Krankl traute bei der Halbzeitanalyse von Premiere seinen Augen nicht. So hatte er sein Rapid schon lange nicht mehr gesehen, das läge aber auch an der laut Krankl spielerisch stärksten Mannschaft der Bundesliga.

Samir Muratovic (CC By Steindy Wikimedia)

Samir Muratovic (CC By Steindy Wikimedia)

Zu Beginn der zweiten Halbzeit wurde zuerst Rapid (50./Foul von Prettenthaler an Mario Bazina), danach Sturm (57./Andreas Dober-Handspiel) ein Elfmeter verweigert. In der 65. Minute steckte Muratovic ideal auf Säumel durch, dieser scheiterte zunächst an Payer, doch in der Folge setzte sich Salmutter gegen Dober durch und machte mit seinem Schuss aus der Drehung den Doppelpack perfekt.

Mario Bazina konnte in der 72. Minute den Ehrentreffer erzielen. Nach Steffen Hofmann-Freistoß konnte Gratzei einen Mario Tokic-Kopfball nur zu kurz abwehren, Bazina staubte zum 1:4 ab.

Kurz vor Abpfiff, in der 89. Minute, durfte der Grazer Anhang noch einmal jubeln: Via dem eingewechselten Marko Stankovic, Säumel und Salmutter kam der Ball zu Muratovic, der ganz alleine vor Payer den 1:5-Endstand besorgte.

Sah man sich nach dem Spiel die Statistik an, war der Endstand noch verblüffender: 18:15 Torschüsse für Rapid, 7:5 Eckbälle für Rapid, 23 Fouls Sturm – nur 9 von Rapid, auch im Ballbesitz hatte Rapid mit 60:40 die Nase vorne. Sturm agierte an diesem Abend einfach herrlich konsequent. Rapid konnte diese „Überlegenheit“ nur nach einem Eckball zum zwischenzeitlichen 1:4 nutzen. Ansonsten war Sturm die eindeutig bessere Mannschaft und gewann verdient.

 

Am Ende sprach Hans Krankl von einem rabenschwarzen Tag für Rapid und Helge Payer war am Boden zerstört.
Franco Foda blieb trotz des Ergebnisses ziemlich gelassen:„Gratulation an mein Team! Wir haben alles umgesetzt was wir uns vorgenommen haben. Das Ergebnis ist natürlich toll, aber wir werden das Spiel genau so analysieren und aufarbeiten wie wir jedes Spiel aufarbeiten. Vor allem das Tor zum 1:4 darf so nie passieren. Wir müssen auf dem Boden der Realität bleiben, denn im Fußball zählt heute schon das Gestern nicht mehr und mit der Wiener Austria wartet schon der nächste schwere Gegner. Es werden auch wieder schwere Zeiten auf uns zu kommen, besonders wenn Sperren oder Verletzungen kommen. Unser Kader ist einfach zu klein um die Qualität aufrecht halten zu können. Unser Geheimnis ist, dass es innerhalb des Teams keinen Stinkstiefel gibt, so etwas könnte nämlich die ganze Mannschaft zusammenhauen.“

Franco Foda gab der gesamten Mannschaft den darauffolgenden Sonntag frei um den 33. Geburtstag von Mario Haas gebührend feiern zu können. Für Mario Haas, der damals noch immer auf eine EM-Teilnahme gehofft hatte, war dieses Tor sehr wichtig. „Hickersberger hat mich schon seit Monaten nicht mehr kontaktiert, das schnelle Tor war eine Art Frustbewältigung“, so der Wortlaut des Torschützen zum 0:1.

Am Ende stand es 1:5 auf der Anzeigetafel in Hütteldorf und die Sturmspieler lagen sich vor den mitgereisten Fans in den Armen. Was für ein Spiel. Diese hungrige Sturmelf, die erstmals in der Bundesliga-Geschichte fünf Tore gegen den Rekordmeister erzielte, sorgte gleichzeitig auch für den höchsten Sieg über Rapid seit 1975, als man in Graz ein 4:0 erreichen konnte. So kurz nach der Depression rund um den Zwangsausgleich und die Punkteabzüge gelang es Rapid mit EINS ZU FÜNF in ihrem eigenen Stadion zu demütigen.

Mario Kienzl (CC By Jacktd Wikimedia)

Mario Kienzl (CC By Jacktd Wikimedia)

Mario Kienzl, einer der damals „jungen Wilden“, erinnert sich an dieses Spiel aus heutiger Sicht so:

„Dieses Spiel war das schönste in meiner Karriere. Und das obwohl ich mit Sturm später noch Cupsieger und Meister werden durfte. Das Klima innerhalb der Mannschaft war einzigartig und es hat einfach Spaß gemacht, mit Spielern zusammen in der Bundesliga erfolgreich zu sein, die man teilweise schon seit der Kindheit bzw. aus dem Nachwuchs kannte. Diese Dominanz, die wir an diesem Tag in Hütteldorf an den Tag gelegt haben, war einzigartig. Ich erinnere mich noch, als wir am nächsten Morgen zum Training nach Messendorf gekommen sind und feststellen „durften“, dass unsere Trinkflaschen für das Training von Zeugwart Simo Maric mit Bier befüllt wurden. Damit war uns klar, dass heute ganz offensichtlich kein Training stattfinden wird, sondern Haasis Geburtstag Vorrang hatte. So eigenartig es klingt, aber diese Erlebnisse verdanken viele von uns den finanziellen Problemen die damals bei Sturm vorherrschend waren. Ich bin mir sicher sehr viele, wenn nicht beinahe alle, dieser „jungen Wilden“ hätten nie diese Entwicklung gemacht, wären sie damals nicht sofort in das kalte Wasser geworfen worden. Ich denke da beispielsweise an Basti Prödl oder auch an Christoph Leitgeb. Bis zum Konkurs wurden ja immer wieder teure Legionäre so manchen hoffnungsvollen Talent aus den eigenen Reihen vorgezogen.“

Rapid durfte nach 36. Runden dennoch den Meisterteller stemmen. Sturm erkämpfte sich den 4. Tabellenplatz und verpasste damit nur knapp eine Qualifikation für den UEFA-Cup. Dieser Auswärtssieg in der 10. Runde überstrahlte allerdings diese ganze Saison und wird auf Ewigkeiten einen Ehrenplatz in Sturms Erfolgschronik einnehmen.

 

1 Kommentar

  1. Arch Stanton sagt:

    Gibt’s hier jetzt, ob der katastrophalen Leistung der Mannschaft so etwas wie einen „Kommentierboykott“ auf Sturmnetz ? Der Artikel ist doch großartig – gleich, wie der vorige!

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