Das Anti-Sturm
Denkt man an Prag, so kommen dem geneigten Fußballfan im ersten Moment wohl Sparta und Slavia Prag in den Sinn. Klar, das sind die beiden Spitzenvereine, die sich seit der Gründung 1892 bzw. 1893 mit Ausnahme einer kurzen Schwächephase Slavias in den fünfziger und sechziger Jahren quasi ununterbrochen duellieren, und gemeinsam auch sowohl die ewige Tabelle der tschechischen Liga, der nach einem Sponsor benannten ePojisteni.cz liga , als auch der ehemaligen Tschechoslowakischen Liga anführen. Weiters könnten noch die Bohemians 1905 Prag bekannt sein, diese gelten als „Wiener Sportclub Tschechiens“, teilen sie mit diesem nicht nur eine linke bzw. linksalternative Fanszene, sondern auch eine komplizierte, verworrene Vereinsgeschichte, die in einer Insolvenz ihren Anfang hatte.
Kurzer Abriss des Bohemiansdramas: Die Fußballsektion geht insolvent, der Gesamtverein vergibt Wappen und Name daraufhin an einen anderen Verein, die Fans treiben gemeinsam mit einem äußerst dubiosen Investor genug Geld auf, um die alten Bohemians als Bohemians 1905 in der dritten Liga am Leben zu erhalten, die neuen Bohemians wollen als FK Bohemians Praha ebenfalls in der dritten Liga spielen, der Verband schließt die neuen Bohemians aus dem Spielbetrieb aus, diese klagen bei einem Gericht ihre Teilnahme ein, die Bohemians 1905 spielen also gegen den FK Bohemians Praha, ein paar Jahre später gründet der alte Stammverein ebenfalls eine Fußballsektion als FC Bohemians Praha, liefert sich einen Rechtsstreit mit den Bohemians 1905 um die Frage, wer der legitime Rechtsnachfolger der alten Bohemians ist, der Verband schließt die ganz neuen Bohemians schließlich aus dem Spielbetrieb aus, inzwischen benennen sich die alten Bohemians in Bohemians 1905 Praha um und steigen in die erste Liga auf, wo sie bis heute spielen. Der FK Bohemians Praha spielt heute in der zweiten tschechischen Liga.
Doch diese Kolumne wäre nicht „Fast wie Sturm, nur woanders“, würde sie sich nicht zielstrebig mit dem uninteressantesten der vier großen Prager Vereine beschäftigen. Die folgenden Zeilen beschäftigen sich also mit dem Serienmeister der sechziger Jahre und vierfachen Sieger der „International Soccer League“, dem FK Dukla Prag.
Recht unbeliebt
Um sich den Stellenwert von Dukla in Prag bewusst zu werden, wirft man am Besten einen Blick auf die durchschnittlichen Zuschauerzahlen der aktuellen Saison. Zur Sparta in die Generali Arena kommen rund 10.300 Zuseher, zur Slavia in die Eden Aréna rund 9.900 und zu den abstiegsgefährdeten Bohemians ins Dolicek (übersetzt: Mulde, somit wär die Referenz zur Gruabn auch gefunden) immerhin noch rund 4400 Fans. Zu Dukla ins Stadion Juliska gehen dagegen nur 2240 Leute, der zweitniedrigste Schnitt der Liga, weniger hat nur der Abstiegskandidat FC Hradec Kralove. Dies ist kein neues Phänomen, schon zu Zeiten der tschechoslowakischen Liga lag der Besucherschnitt Duklas deutlich unter jenen der anderen Prager Vereine. Selbst in den sechziger Jahren, in denen die Liga quasi nach Belieben dominiert wurde, kamen nie mehr als 9250 Zuschauer in das 28.000 Leute fassende Stadion. Fansupport gibt es quasi keinen, abgesehen von einer Gruppe älterer Herren mit einer Trommel. Nichtsdestotrotz lohnt sich ein Besuch im Stadion Juliska, schon allein wegen dem guten Ausblick über das Prager Stadtzentrum. Stadionfotos
Warum eigentlich?
Die Gründe für dieses Desinteresse der Prager (und der anderen 7 Milliarden Erdbewohner, den Autor scheinbar ausgenommen) an Dukla Prag sind relativ leicht zu benennen. Zum einen liegt dies an den Gründungsjahren der „großen Vier“. Sparta wurde 1892 gegründet, Slavia 1893 und die Bohemians 1905. Dukla entstand erst 1948 nach der Machtübernahme der Tschechoslowakischen KP als ATK Prag. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Prager Fußballfans also schon mehr als genug Gelegenheit, einen der bestehenden Vereine zu ihrem Herzensclub zu machen, und diesen dann auch an ihre Kinder weiterzugeben, sodass es kaum mehr „unentschlossene“ Prager gab, die Dukla für sich hätte gewinnen können. Der andere Grund, der einer wahren Fanliebe eher hinderlich war, liegt in den Strukturen und Hintergründen des Vereins. Die Gründung und die Machtübernahme der KP fallen nicht zufällig ins gleiche Jahr, tatsächlich wurde der ATK erst auf Initiative der neuen Regierung, insbesondere des Verteidigungs- und des Sportministeriums gegründet. ATK war nämlich die tschechische Kurzfassung für „Armeeverein für Leibeserziehung“, und als solcher wurde er von den Spitzen des Tschechoslowakischen Staates besonders protegiert und gefördert. 1953 sollte dann ein bedeutendes Jahr für ATK werden. Nicht so sehr der Umbenennung in UDA („Zentrales Armeehaus“) wegen, sondern einerseits da der Verein seit damals in weinrot und gelb auftritt, andererseits weil man in dieser Saison erstmals die tschechoslowakische Meisterschaft erringen konnte, nicht zuletzt deswegen, weil drei der stärksten Spieler von Slavia Prag auf Staatsbefehl zu UDA zwangstransferiert wurden. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um einzusehen, dass diese Vorgehensweise nicht unbedingt auf Gegenliebe der Fans und neutralen Zuseher stieß. 1955 konnte man schließlich erstmals bis ins Finale des Mitropacups vorstoßen.
Und warum Dukla?
Der Duklapass ist ein 502m hoher Pass an der Grenze zwischen der Slowakei und Polen. Zitat Wikipedia: „Als einer der leichtesten Übergänge bot sich der Duklapass sowohl als alter Handelsweg an, aber auch als ein bevorzugtes Einfallstor für nach Westen strebende östliche Heere.“ Soweit, so wenig hilfreich. 1944, in einem Jahr, das im Allgemeinen eher nicht mit Fußball assoziiert wird, überschritten tschechoslowakische Truppen aus dem Osten kommend ebendiesen Pass, um zum ersten Mal seit der deutschen Besetzung der Gebiete wieder tschechoslowakischen Boden zu betreten, und die Befreiung der Nation zu beginnen. Um diesen Umstand zu ehren, beschloss das Verteidigungsministerium 1956, alle Armeesportklubs der ČSSR in Dukla umzubenennen, dies betrifft neben dem FK Dukla Prag u.a. den FK Dukla Banská Bystrica, einen Handballclub, einen Volleyballclub und einen mehrfachen slowakischen Eishockeymeister.
Die guten alten Zeiten
1958 konnte Dukla den dritten Meistertitel erringen, bei der Weltmeisterschaft in Schweden stellte der Verein gleich acht Spieler für die tschechoslowakische Nationalmannschaft ab. Unter diesen auch Josef Masopust, der tschechische „Spieler des Jahrhunderts“. Masopust sollte bis 1968 bei Dukla bleiben und das Team in dieser Zeit noch zu fünf weiteren Meisterschaften und vier Cupsiegen führen. Im Europacup der Landesmeister kam man dabei kaum über das Viertelfinale hinaus, man fiel illustren Mannschaften wie Benfica Lissabon, Tottenham Hotspurs, Borussia Dortmund und dem Wiener Sportclub zum Opfer.
Einzig 1966/67 konnte das Semifinale erreicht werden, wo man gegen den späteren Sieger Celtic Glasgow ausschied. Zusätzlich gewann Dukla von 1961 bis 1964 die International Soccer League bzw. den American Challenge Cup. Dies waren Sommerturniere, üblicherweise ausgetragen in New York. Im ersten Jahr konnte man sich dabei u.a. gegen Everton, Monaco, Besiktas und Rapid Wien durchsetzen, in den Folgejahren kam man nur noch für das Finale in die Vereinigten Staaten, wo man sich noch gegen illustre Namen wie West Ham und América durchsetzen konnte, ehe (im letzten Jahr der Liga) die eher wenig namhafte Mannschaft von Polonia Bytom der Erfolgsserie ein Ende setzte.
Die weniger guten, weniger alten Zeiten
No Masopust, no Party. Nach dem Abgang des Stars zu Crossing Schaerbeek nach Belgien 1968 ging es mit Dukla allmählich bergab. 1971 wurde man überhaupt Ligadreizehnter, das schlechteste Resultat seit Vereinsgründung. Bis 1981/82 sollten noch drei Meistertitel und zwei Cupsiege folgen. Eh ok, eigentlich, aber für einen Armeesportverein dann halt auch wieder relativ schwach. Der BFC Dynamo und ZSKA Moskau lachen über Dukla. Wobei, beim BFC würd’s „lachten“ wohl eher beschreiben, die waren ja selber im Konkurs. Und außerdem. Bis 1990 kamen „nur“ noch drei Cupsiege in die Trophäensammlung dazu.
Die echt nicht guten, relativ jungen Zeiten
Überhaupt, 1990. Wind of Change, Mauerfall, diesdas. Tendenziell brachen nun eher mittelprächtige Zeiten an für einen Verein, der sich auch nach über vierzig Jahren noch kaum Sympathie unter den Pragern erarbeiten kann. Früher wars egal, das Verteidigungsministerium hat eh gezahlt. Nach der Wende spielt’s das halt nicht mehr. Wie sovieles in den Staaten des früheren Realsozialismus wurde auch Dukla privatisiert und ging an einen etwas dubiosen Investor. Bohumir Ďuričko hieß der Mann, und sein Hauptinteresse lag in der Immobilienentwicklung. Grundsätzlich ein ungewöhnliches Hobby, besonders wenn man gerade einen Fußballverein gekauft hat. Ďuričko wollte in der Umgebung des Juliska einen Luxusstadtteil erbauen, Dukla war da eher das Beiwerk. So kam es wie es kommen musste, 1994 stieg Dukla als finanzschwächstes Team mit nur einem Sieg aus 30 Spielen aus der mittlerweile rein tschechischen obersten Liga ab, erhielt keine Lizenz für die zweite Liga und musste daher in der dritten Leistungsstufe an den Start gehen. Nach zwei trotz der Mitwirkung von Vaclav Kolousek vergeblichen Versuchen, aus der dritten Liga aufzusteigen, entschied sich Ďuričko für eine radikale Maßnahme. Dukla Prag, der ehemalige Serienmeister, fusionierte mit dem Zweitligisten FC Portál Příbram zum 1. FK Příbram, als solcher trat man in der zweiten Liga an. Nach einem Jahr im Juliska mussten die wenigen Fans einen weiteren Rückschlag einstecken, Dukla verließ Prag 1997, um in Příbram, 60 km südwestlich von Prag, zu spielen. Da aus dem Immobilienprojekt von Ďuričko nichts wurde, verkaufte er den Verein an Jaroslav Starka, wohnhaft in – richtig geraten – Příbram. Rechtlich gesehen spielt der Verein formerly known as Dukla Prag bis heute dort, die meiste Zeit sogar in der ersten Liga. Der größte Erfolg des 1. FK Příbram war ein vierter Platz 2000/2001. Momentan ist man Tabellenletzter, zwölf Punkte hinter einem Verein, der eigentlich auch Dukla aus Prag ist, aber eigentlich nicht Dukla Prag, aber irgendwie auch schon.
Hä?
Wäre die Vereinsgeschichte von Dukla Prag stringent, so wär dieser Artikel nur halb so lang. 1959 wurde ebenfalls in Prag Dukla Dejvice gegründet, Zeit seiner Existenz grundelte man im tschechoslowakischen bzw. tschechischen Unterhaus herum. So weit, so unspektakulär. Bedeutend für diese Geschichte wurde Dejvice im Jahr 2001. Kurz vor der Jahrtausendwende hatte die Jugendabteilung vom ehemaligen, originalen Dukla, die ja nun aufgrund der Abwanderung des Vereins nach Příbram heimatlos geworden war, einen neuen Verein gegründet, den FK Dukla Prag. Dieser Verein hatte nun zwei Jahre lang keine Kampfmannschaft, ehe man sich bei Dukla Dejvice, ebenfalls ein ehemaliger Armeeverein, dazu entschloss, mit dem „neuen Dukla Prag“ zu fusionieren. Dadurch trat 2001 nach fünf Jahren wieder eine Mannschaft unter dem Namen Dukla Prag im Herrenfussball an. Bis 2006 pendelte man zwischen der vierten und der sechsten Leistungsstufe, und es lässt sich kaum behaupten, dass die Prager unbedingt auf die Rückkehr Duklas gewartet haben, kamen doch kaum mehr als 100 Zuseher zu einer der Unterligapartien.
1999 war auch das Jahr, in dem der Steinbruchbesitzer Josef Hájek begann, sich bei seinem lokalen Verein Tatran Jakubčovice finanziell zu engagieren. Dieses Investment sollte sich auszahlen, Tatran stieg von 1999/00 bis 2005/06 jedes Jahr auf, und fand sich 2006/07 in der zweithöchsten tschechischen Liga wieder. Solch ein rasanter Aufstieg ist wohl für keinen Verein einfach zu bewältigen, doch bei Jakubčovice kommt noch erschwerend dazu, dass das Dorf bloß knapp 700 Einwohner hat. Deshalb beschloss Hájek, den Verein am Ende der Saison zu verkaufen, und hier kommt Dukla zurück ins Spiel. Der damalige Fünftligist einigte sich schon im Winter mit Hájek über einen Lizenzkauf, sodass Dukla-Trainer Günter Bittengel im Frühling an Tatran „ausgeliehen“ wurde, um die Spieler kennenzulernen. Im darauffolgenden Sommer wechselten dann auch acht Spieler von Jakubčovice zu Dukla.
2007/08 trat Dukla also wieder in der zweiten Liga an, und seit 2011/12 ist man nach 17 Jahren Unterklassigkeit und Nonexistenz wieder unter dem alten Namen FK Dukla Prag in der obersten tschechischen Spielklasse vertreten, wo man paradoxerweise bisher jedes Jahr auf den 1.FK Příbram traf, und sich mit einer Ausnahme in der Tabelle stets vor diesem platzieren konnte. Nur Zuschauer kommen trotzdem weniger.
Und jetzt?
Der 1. FK Příbram ist momentan Tabellenletzter der höchsten tschechischen Spielklasse, der FK Dukla Prag steht auf Platz 9. Der Kader ist an Namenlosigkeit kaum zu überbieten, einzig Jan Simunek könnte man kennen, der war immerhin Meister mit dem Vfl Wolfsburg. Sportlich gibt es also nicht allzu viele Gründe, den Rot-Gelben einen Besuch abzustatten. Hinfahren sollte man aber trotzdem. Zum einen, weil das Stadion Juliska zwar kaum für die Stimmung bekannt ist, dafür wie oben erwähnt für den schönen Ausblick auf Prag. Zum anderen, weil das bekanntermaßen großartige tschechische Bier in der Stadionkantine nur umgerechnet 0,80€ kostet. Ungewöhnlich mag allerdings sein, dass das Stadion Juliska bis heute Eigentum des nationalen Verteidigungsministeriums ist, und ein jeder Matchbesuch damit technisch gesehen auf Militärgebiet stattfindet.
Resümee
Dukla Prag hat seine besten Zeiten hinter sich. Eigentlich wie Sturm. Der heutige Verein ist das Ergebnis von Lizenzkäufen und -täuschen. Zum Glück nicht wie Sturm. Insolv jo, eh wie Sturm. Man ist nicht die Nummer Eins in der Stadt, auch nicht die Nummer Zwei, und nichtmal der dritte Rang geht sich aus. Echt nicht wie Sturm. 80-Cent-Bier. Leider nicht wie Sturm.
Hat der FK Dukla Prag auch nur irgendwas mit dem SK Sturm gemeinsam? Kaum. Sollte man sich trotzdem mit ihm befassen? Durchaus, ein größeres Anti-Sturm wird man wohl nur schwer finden. Außerdem ist Prag immer einen Ausflug wert. Und wen all das noch nicht überzeugt, der findet vielleicht ebenso wie der Autor viel Freude daran, dass die britische Band Half Men, Half Biscuit 1987 den Song All I Want for Christmas is a Dukla Prague Away Kit veröffentlichten. Warum? Weil sie es konnten. Einfach so.
Jetzt mal ehrlich, warum tut man sich so etwas an?! 😀
Ich mein, es ist eine schöne Geschichte, aber wenn ich daran denke wie lang der Artikel ist (und somit zum lesen gedauert hat), dann möchte ich nicht wissen wie viel Zeit damit zugebracht worden ist das ganze zu recherchieren und aufzuarbeiten 😛
Das frag ich mich auch!
Aber danke für den Bericht! Ich war ja nur einmal in Prag und das war, als wir gegen Slavia gespielt haben!
Schöne Stadt, die Bootsfahrt auf der Moldau mit den vom Bootsführer geholten, frisch gezapften Bier, werd ich nie vergessen.
Vorallem da nicht mehr alle Leute von damals unter uns weilen.
Gegen Sparta war ich leider nicht dabei, bereue ich noch heute!
Interessanteste im Artikel: Bier nur 0,8€ 😉
Aber Bier kostet in Prag sowieso kaum was (besonders im EU Schnitt gesehen)..
Trotzdem braver Artikel 🙂
Hat ein bissal was von einer Copa90-Story. Nur ohne den ganzen Pathos, Übertreibungen und Weglassen relevanter Fakten.