Danke Örli für sieben Jahre schwarz-weißes Herzblut
„Ohne meine Fehler hätten wir das Spiel gewonnen, beide Gegentreffer gehen ganz eindeutig auf meine Kappe“, so ehrlich und ohne nach Ausreden suchend stellte sich Martin Ehrenreich nach der 2:3-Niederlage in der Europa-League-Qualifikation gegen Rubin Kazan den Fragen der Journalisten. Dieser Tag war – wie Örli stets betonte – der schlimmste Tag in seiner Fußballer-Karriere. Gleichzeitig verdeutlicht diese Aussage die Ehrlichkeit und Authentizität der Person Martin Ehrenreich.
Unter den Fußball-Aficionados gilt es beinahe als guter Ton, sich darüber zu beklagen, dass dem modernen Fußball echte Typen – geprägt von Leidenschaft, Ecken, Kanten und Authentizität – immer mehr abhanden kommen. Man vermisst jene Zeiten, in denen sich Kicker nach einem gewonnenen Match unters Volk gemischt haben; jene Zeiten, in denen ein Pepe Giannini mit nacktem Oberkörper im Kulturhauskeller auf dem Tresen getanzt hat, Spieler auch einmal zu politischen, weltanschaulichen oder gesellschaftlichen Themen klar Stellung bezogen haben oder auch hin und wieder bewusst oder unbewusst über den Tellerrand schauend angeeckt haben. Man vermisst jene Kicker, die am Feld stehen und das Gefühl vermitteln, dass sie – wären sie nicht mit etwas oder viel mehr fußballerischem Talent gesegnet als das gemeine Fanvolk – neben uns in der Kurve stehen würden. Oder zumindest im Anhängerblock gegenüber.
Kein Prototyp eines zeitgenössischen Kickers
Der moderne Fußball und die heutige Entwicklung in dieser völlig zum Business verkommenen, einstigen Wochenendsausgleichbeschäftigung hat mit diesem Typus allerdings so gar keine Freude mehr. Der Stundenplan in einer Nachwuchsakademie ist vollgepflastert mit Einheiten, über die die Generation um Schopp und Haas in ihrer aktiven Zeit höchstwahrscheinlich nicht einmal im Entferntesten etwas gehört hat. Persönlichkeitsentwicklung wird hingegen – wie es scheint – nicht einmal als Freifach angeboten. Der moderne Profi ist austauschbar, stromlinienförmig und angepasst. Interviews in eigens eingerichteten Mixed Zones sind durchgedachte Pflichtaufgaben, die Antworten erprobt und vorgefertigt. Speziell bei Sturm scheinen diese stets mit dem kritischen Auge eines Pressesprechers beäugt zu werden. Die eigene Kreativität wird häufig nur noch in der Wahl der Haarfarbe oder der Fußballschuhe ausgelebt. Oder im neuesten Beats-Kopfhörer-Modell.
Mit Martin Ehrenreich verschwindet eines der letzten kleinen Stücke Identität aus dem Profi-Kader von Sturm. In der abgelaufenen Saison war er nach Christian Gratzei jener Spieler, der am längsten der ersten Mannschaft der Grazer angehörte. Vor allem war er aber einer, der nie die Bodenhaftung verloren hat, keiner, der gejammert hat, wenn er auf der Ersatzbank oder auf der Tribüne Platz nehmen musste und vor allem – und das muss man ihm auf alle Fälle hoch anrechnen – war der Rechtsverteidiger einer, der aus seinen fußballerischen Möglichkeiten wohl das Optimum herausgeholt hat. Ehrenreich war nie einer, den es jemals weggestürmt hätte, wenn einmal ein Lüfterl aufgezogen ist. Er war niemals der, der von halbwegs sachlicher Kritik eingeschnappt gewesen wäre (und er musste sich gerade in den letzten Jahren einiges dahingehend anhören) oder sich persönlich angegriffen gefühlt hat.
Spätes Debüt in der Bundesliga
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Ehrenreich relativ spät Fußballprofi geworden ist. Der EDV-Techniker kam über seinen Heimatverein DSV Leoben, dem SV St. Veit, dem FC Lustenau und dem FC Gratkorn 2009 zu Sturm und absolvierte erst im Alter von 26 Jahren auswärts gegen die SV Ried seinen ersten Bundesligaeinsatz, als er in der 81. Minute für Andreas Hölzl von Franco Foda auf das Feld geschickt wurde. Dem Leobner gelang in diesem Spiel noch der Assist zum spielentscheidenden Treffer durch Haris Bukva.
Insgesamt absolvierte er 119 Bundesliga-Spiele, in denen er acht Treffer erzielte. Des Weiteren stehen auf seiner Erfolgsliste 17 Einsätze im Europapokal sowie ein österreichischer Cupsieg und ein Meistertitel. Unvergessen bleiben auch seine zwei Tore gegen die Admira, die er am 27. November 2011 binnen 11 Minuten nach seiner Einwechslung zum 3:1-Sieg gegen die Niederösterreicher beisteuerte. Viel mehr bleibt aber, dass Örli einer war, der sich nie zu schade war, den Fans Rede und Antwort zu stehen, einer der stets als so etwas wie ein Bindeglied zwischen Kurve und Feld gesehen wurde und auch einer, der sich immer Zeit nahm, für soziale Projekte diverser Fanklubs tätig zu sein. Der Mannschaft wird er vor allem deswegen fehlen, da Örlis gute Laune und sein Mannschaftsgeist oftmals ansteckend wirkte.
Eine kleine Geschichte möchten wir hier noch anführen, um zu verdeutlichen, wie sehr Ehrenreich stets Sturm lebte: Bei einem Bundesliga-Heimspiel nahmen mehrere Verletzte oder nicht im Kader stehende Spieler neben uns auf der Pressetribüne Platz: Während einige gelangweilt, genervt oder amhandyfummelnd die 90 Minuten sprichwörtlich absaßen als wären Death-Metal-Fans beim Schlagergarten mit Hansi Hinterseer zwangsweise vorgeführt, lebte Ehrenreich mit dem Geschehen am Platz mit, als stünde er selbst am Rasen oder zumindest mitten in der Nordkurve.
Mit Mut in eine neue Aufgabe
Martin Ehrenreich wird die Saison 2016/2017 trotz gültigem (bei weitem keineswegs branchenüblich fett dotiertem) Vertrag nicht bei vollen Bezügen auf der Tribüne absitzen, sondern hat für sich einen Weg gefunden, sich produktiv für den Verein einzubringen. Der Hobby-Triathlet wird sich bei den Amateuren fit halten, den jungen Spielern seine Erfahrung aus sieben Profi-Jahren weitergeben und selbst als Lehrling in der Messendorfer Marketingabteilung tätig sein, um nach Ablauf seines Kontrakts, hoffentlich bestens geschult und mit vollem Einsatz sich genau in jener Schiene auch weiterhin für seinen Herzensverein einbringen zu können. Dazu wünschen wir Örli alles Gute und bedanken uns für seinen stets vorbildlichen Einsatz in Schwarz-Weiß. Falls wir uns auch etwas wünschen dürfen: Örli, wir hoffen, dass du in deiner neuen Funktion deine zukünftigen Kolleginnen und Kollegen mit deiner „Nicht-Wehleidigkeit“, deiner unkomplizierten, offenen Art und deiner ehrlichen, nicht aufgesetzt wirkenden, Begeisterung für die Schwoazen anstecken kannst.
Danke für diesen äußerst respektvollen Beitrag. Lieber ein Spieler mit Fehler am Feld der aber alles gibt, als Leute die glauben nach drei guten Partien mind. in der deutschen Bundesliga für Furore sorgen zu können.
Es bleibt die Hoffnung, dass unser neuer Sport-Chef das ähnlich sieht und Spieler mit Charakter und bedingungslosen Einsatzwillen für Sturm holt bzw. aus dem Nachwuchs fördert. Oft können Spieler mit 100 prozentigem Einsatz das Aufholen, was andere mit ihrem Naturtalent vielleicht schon in die Wiege gelegt bekommen haben.
Sehr guter Artikel!
So oft ich mich über ihn geärgert habe, so oft wie ich nicht verstanden habe warum er und nicht ein jüngerer noch eingewechselt wurde, so sehr bewundere ich ihn für seine Art. Fußballerisch ist und war er immer stark limitiert, aber das weiß er und er hat auch niemals etwas anderes behauptet.
Wenn man den Örli gehört hat, dann war da eine ehrliche Selbstreflexion und (für mich noch viel wichtiger) ein solides Verständnis den Fans gegenüber!
Unendlich schade, dass es nicht mehr von den Typen gibt. Wenn man sich im Vergleich diverse andere Charaktere in der Mannschaft anschaut, unsere „Stars“, dann weiß man erst recht, was man an Ehrenreich hat(te).
Örli war einer von uns!! Vor zehn – fünfzehn Jahre wäre ein solche Abgang evtl nicht so stark ins Gewicht gefallen…bei der heutigen Mannschaft stellt der Abgang von Ehrenreich einen herben Verlust dar…Vielen Dank für diesen sehr starken Artikel. Hat sich Örli verdient!
Ich glaub, dass das mein bis dato letztes Spiel im Stadion war, da sich mein Lebensmittelpunkt etwas verlagert hat. Das war damals wieder so ein Sturmmoment nach diesen beiden Ehrenreichtreffern und wirklich jeder im Stadion hat ihm diese Tore gegönnt.
Danke Martin es war mir ein vergnügen.