Chi non risica, non rosica. Eine Vorschau.

Spielvorschau: SK Sturm Graz vs. Atalanta Bergamo

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt – so lautet wohl auch das Motto gegen Atalanta Bergamo am kommenden Nationalfeiertag.

Wir haben den kommenden Gegner des SK Sturm unter die Lupe genommen. Am Donnerstag, 26. Oktober 2023 feiern wir nicht nur die österreichische Neutralität, sondern auch den SK Sturm, der es in der Europa-League-Gruppenphase nach einem Auswärtserfolg gegen Rakow mit Atalanta Bergamo zu tun bekommt. Ankick ist um 18.45 Uhr. 

Ein etymologischer Ausflug in die Mythologie

Zu Beginn dieser Vorschau blicken wir nach Ätolien, einer Region am Festland Griechenlands. Hier liegt Evenochori. Ein kleines, malerisches Städtchen, dessen Stadtbild von Palmen, Olivenbäumen und sich lang erstreckenden Maisfeldern geprägt wird. Touristen verirren sich selten in diese Gegend, höchstens Durchreisende, die sich von der nahen Rio-Andirrio-Brücke, die den Pellopones mit dem Festland verbindet, auf den Weg in den Nordwesten des Landes machen, kommen hie und da vorbei, verlassen das Städtchen aber meist ebenso schnell, wie sie es betreten haben. 

Wahrlich kein historischer Ort, wäre da nicht ein Hügel nahe Evenochori, der in der Geschichte der griechischen Mythologie eine Rolle spielt. Der an sich namenlose Hügel war der Ort, an dem Iasos, der sich zeit seines Lebens einen männlichen Erben wünschte, seine weiblichen Nachkommen der Wildnis überlies. So auch geschehen bei seiner Tochter Atalante, die der Sage nach von einer Bärin gesäugt und großgezogen wurde, ehe sie im Teenager-Alter von einem Jäger adoptiert wurde. In der Folge wurde Atalante zu einer – in der griechischen Mythologie relativ selten erwähnten – starken Frau, die ihr Leben der Jagd und der entsprechenden Göttin Artemis widmete. Im Laufe ihres Lebens besiegte sie auch als einzige Frau gleich zwei Zentauren und nahm auch als einzige Frau an der Expedition Iasons und der Argonauten teil.

Die Eigenschaften der Atalante, nämlich Mut, Präzision, Ehrgeiz und Geschicklichkeit, führten dazu, dass einerseits eine Bucht und eine Stadt in Griechenland ihren Namen tragen, und – das hätte sie wohl nicht für möglich gehalten – ein italienischer Fußballverein namens Atalanta Bergamasca Calcio, oder kurz Atalanta Bergamo.
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Fixe Größe im italienischen Spitzenfußball und viele Parallelen zum SK Sturm

1907 wurde Atalanta gegründet, dreizehn Jahre später nochmal fusioniert, seitdem spielte man fast durchgehend in der höchsten Spielklasse Italiens, der Serie A. Der ganz große Erfolg blieb trotz der beeindruckenden Geschichte Atalantas bisher aus. Nur ein einziges Mal konnte man einen nationalen Titel feiern, als man 1963 die Coppa Italia im Finale gegen den AC Turin gewinnen konnte. Eine Wiederholung dieses Erfolges blieb trotz dreier Finalteilnahmen – zuletzt 2019 – bisher aus.

Nachdem Atalanta in den letzten 20 Jahren eher im unteren Mittelfeld angesiedelt war und sogar zwei Mal seit der Jahrtausendwende den bitteren Gang in die Serie B antreten musste, hat man sich in Bergamo mittlerweile an den Erfolg gewöhnt. Nach einigen relativ starken Saisons in den 2010er-Jahren gelang eine stetige Verbesserung, 2022 rangierte man sogar einige Wochen an der Tabellenspitze – der Titel wanderte bekanntlich am Ende nach Neapel.

Die Entwicklung ist im Übrigen auch vergleichbar mit der des SK Sturm – beide Vereine sind historisch fixe Größen im jeweiligen nationalen Fußball, beide Vereine hatten mit finanziellen Engpässen zu kämpfen und beide Vereine blieben lange Zeit im Schatten der Granden ihrer Ligen. Und beide Vereine konnten sich in den letzten Jahren immer weiterentwickeln, setzen auf ähnliche Spielstile, führen eine ähnliche Transferpolitik. Junge „No-Names“, die durch die Scoutingnetze der ganz großen Klubs rutschen, landen auf den Notizbüchern, werden verpflichtet, weiterentwickelt und an größere Vereine weiterverkauft. Das beste Beispiel ist wohl Rasmus Hojlund, der ebenso als Perspektivspieler in Kopenhagen an die Mur wechselte, in Graz zum wohl besten Stürmer in der Bundesliga seit Erling Haaland heranreifte und später für eine Rekordablöse nach Bergamo ging. Ein Wiedersehen wird leider nicht stattfinden, Hojlund verdient sein täglich Brot mittlerweile gar bei Manchester United.

Rasmus Hojlund blieb Atalanta nicht lange erhalten und wechselte ins Theatre of Dreams (c) sksturm.at

Junge Talente, die in ihrer Karriere den nächsten Schritt wagen möchten, wechseln gerne nach Bergamo. Der Kader besteht aus einem Kern an erfahrenen Spielern, jungen Legionären und Eigenbauspielern wie Innenverteidiger Giorgio Scalvini. Ein Blick auf die Transfers, die Atalanta allein in der Saison 2022/23 durchführte, lässt vermuten, dass die Geschäftsstelle eine sehr aufregende Saison hinter sich hat. Vor allem durch zahlreiche Leihgeschäfte kommt Atalanta auf einen absoluten Spitzenwert in der Anzahl der Spieler, die neu im Kader Bergamos sind oder ebendiesen verlassen. Ganze 78 (!) Akteure schlossen sich Atalanta (wieder) an – ein Großteil davon kehrte von Leihen aus den unteren Klassen des italienischen Klubfußballs zurück, 80 Spieler verließen Atalanta in dieser Saison – die meisten davon ebenso wieder per Leihe. Tragisch war der Abgang des ehemaligen Topstürmers Josip Ilicic, der aufgrund einer Serie an depressiven Phasen keinen Platz mehr im Spitzenfußball fand. Erfreulicherweise erholte er sich, sodass der heute 35-Jährige aktuell wieder beim NK Maribor in seiner slowenischen Heimat sein Geld verdient und darüber hinaus sogar regelmäßig Tore erzielt.

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Taktische Variabilität und überzeugende Individualisten

Atalanta rangiert aktuell auf dem sechsten Rang in der Serie A und konnte am Wochenende das Heimspiel gegen den FC Genua mit 2:1 für sich entscheiden. Ihre große Stärke ist die taktische Variabilität, die es Gian Piero Gasperini ermöglicht, seine Mannschaft immer wieder auf die Gegebenheiten des Gegners auch taktisch neu einzustellen. Gegen vermeintlich schwächere Gegner greift Atalanta gerne zu einem offensiven 3-4-3 System, wobei eine genaue Prognose zum Personal für das Spiel gegen Sturm Graz ein äußerst schwieriges Unterfangen bleibt. Gasperini rotiert gerne und viel – nicht mal einen nominellen „Einsergoalie“ gibt es im Kader der Bergamasken. Neuzugang Marco Carncesecchi durfte bisher in der Liga drei Mal das Tor hüten, Juan Musso durfte sechs Mal ran.

In der Dreierkette gibt es auch nur eine Konstante – Rafael Toloi, der Atalanta als Kapitän aufs Feld führt, wird wohl auch gegen die Grazer den rechten Innenverteidiger in der Dreierkette machen. An seiner Seite darf man mit Eigenbauspieler Giorgio Scalvini ebenso rechnen wie mit dem Albaner Berat Djimsiti über links. Letzterer könnte aber auch für Sead Kolasinac weichen, der in dieser Saison noch auf sein Startelfdebüt wartet. Mit Jose Palomino fällt in der Defensive auch nur ein Spieler aus, der keine tragende Rolle bei Atalanta spielt.

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Das Mittelfeld besteht ganz klassisch aus zwei Flügelspielern und zwei Achtern. Über Links darf man mit einem ersten Startelfeinsatz seit seinem Wechsel aus Leverkusen für Mitch Bakker rechnen, rechts wird Gasperini wohl den ehemaligen Chelsea-Spieler Davide Zappacosta aufs Feld schicken. Im Zentrum ist der absolute Leistungsträger im Spielaufbau Teun Koopmeiners fraglich, seinen Platz an der Seite vom Brasilianer Ederson wird wohl wie auch in der Liga Marten de Roon einnehmen.

Die Offensive der Bergamasken muss sich wohl vor keiner anderen Offensive in Italien verstecken. Über links wird es Jusuf Gazibegovic mit Ademola Lookman zu tun bekommen, einem pfeilschnellen und technisch extrem versierten Linksfuß aus England, der immerhin schon bei Leicester City und dem FC Everton in der Premier League spielte. Über rechts wird wohl Charles de Ketelaere, die Leihgabe der Rossoneri aus Mailand, auflaufen. Er gilt als Freigeist in der Offensive und nimmt seine Rolle als Flügelspieler nur bedingt wahr – vielmehr orientiert er sich gerne auch im Zentrum und feuert auch gerne mal aus der zweiten Reihe aufs Tor. Im Zentrum hat Gasperini die Qual der Wahl – Luis Muriel, der diese Saison noch weniger zum Zug kam, letztes Jahr aber in 29 Spielen zum Einsatz kam, könnte gegen Sturm seinen ersten Startelfeinsatz in dieser Saison bekommen, nachdem mit El Bilal Toure der teuerste Neuzugang (28 Mio. Euro von UD Almeria) verletzt ausfällt. Alternative wäre noch Gianluca Scamacca, der von West Ham United nach Bergamo wechselte.

Gegen Atalanta wird Physis das Mittel zum Zweck sein. Gregory Wüthrich und David Affengruber werden wohl eine Menge Zweikämpfe führen. Foto: Martin Hirtenfellner Fotografie

Rivoluzione!

Gasperini fällt dadurch auf, kein klassischer Italiener wie Antonio Conte oder Simone Inzaghi zu sein – taktisch fixe Vorgaben gibt es ebenso wenig wie das klassisch italienische Parken des Busses. Gasperini revolutioniert das italienische Trainerwesen sozusagen, er lässt seine Spieler an der langen Leine und zielt ganz klar auf technisch versierte Einzelakteure wie de Ketelaere ab. Das führt dazu, dass man sich auf sein Spiel schwer bis gar nicht vorbereiten kann, zu wenige Konstanten gibt es in seinem Spiel, an dem man sich als gegnerische Mannschaft festhalten kann. Ziel von Sturm Graz muss es sein, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen – wenn es etwas gibt, das technisch versierte und pfeilschnelle Individualkünstler aufhalten kann, dann ist es Physis und körperliche Präsenz. An Physis mangelt es unserer Defensivabteilung ohnehin nicht – mit Gregory Wüthrich und Jon-Gorenc Stankovic verfügt man über Spieler, die keinen Ball kampflos aufgeben, auch Alexander Prass fällt mit seiner starken Physis auf. Im Fünfer wird es für Bergamo vermutlich wenig zu holen geben, immerhin hat sich Kjell Scherpen rund ums eigene Tor als wahrer Wachturm erwiesen.

Das Spiel hat also alles, was es braucht, um den kommenden Donnerstag zu einem außergewöhnlichen Europacupabend zu machen. Einen attraktiven Gegner, viele große Namen, einen wohl gut besuchten Auswärtsblock und natürlich viele lautstarke und motivierte Sturmfans. Die Vorfreude steigt, es kribbelt in den Fingern, die Nächte werden kürzer und die Träume schöner – und wie sagt man so schön? Chi non risica, non rosica. 

 

 

5 Kommentare

  1. Bertl sagt:

    Atalanta besiegte Genua am Wochenende mit 2:0. Ansonsten ein toller Artikel

  2. florian sagt:

    Stilistisch und inhaltlich wunderbarer „Gustomacher“ auf Donnerstag, bravissimo! 🙂

  3. Ennstaler sagt:

    Bergamo Atalanta – Schwerstarbeit für die steirischen Pantha!

  4. backinblack sagt:

    Vor wenigen Minuten wurde schon wieder am Färberplatz eine kleine Straßenschlacht beim Molly Malone veranstaltet. Wann hört dieser absolute Blödsinn auf?

  5. Alf69 sagt:

    Of topic:
    Wäre gut, wenn dich die Nordkurve vom asozialen Abschaum, der jetzt vor dem Stadion mischen will, im Sinne des Vereins distanzieren würde. Die Exekutive muss bei diesen primitiven Idioten härter durchgreifen!!!

    Ich fürchte mich schon vor dem Derby.

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